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Klare Ansage vom "lieben Tomasz"

Eine Bundeswehrtagung, das Weißbuch und Warschaus Forderung: "Germans to the front!"

Von René Heilig *

Nach zehn Jahren sei es Zeit, ein neues »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und die Zukunft der Bundeswehr« zu erarbeiten, sagt Ursula von der Leyen. Doch wer formuliert die Kernsätze?

Abgeschirmt vom Alltag der Hauptstadt berieten die Spitzen der Bundeswehr in dieser Woche zwei Tage lang nicht nur über akute Probleme der Truppe, sondern vor allem über Rahmenbedingungen der deutschen Verteidigungspolitik. Schließlich hatten Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) – als sie zu Jahresbeginn allgemein eine größere Verantwortung Deutschlands in der Welt anmahnten – nicht zuletzt von der Bundeswehr gesprochen. Damals schien die Welt, verglichen mit ihren heutigen Zustand, fast noch überschaubar.

Nun stellt sich auch aus Regierungssicht zwingend die Frage nach einem neuen Weißbuch. Das »aktuelle« stammt aus dem Jahre 2006 und seither, so von der Leyen, haben sich »die Rahmenbedingungen dramatisch verändert. Von der Aussetzung der Wehrpflicht bis zur Neuausrichtung der Bundeswehr; von Cyber- bis hybrider Kriegsführung; vom Terror des IS bis zu Ebola; vom Arabischen Frühling bis zur Machtpolitik des Kreml; vom Strategischen Konzept der NATO bis zu den Ambitionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.«

Zur Bundeswehrtagung eingeladen hatte von der Leyen den »lieben Tomasz«. Tomasz Siemoniak, geboren 1967, ist Vizepremier Polens, Verteidigungsminister – und ein Hardliner neuer Schule. Er versprühte nicht allzu viel Charme, bevor er in Maschinengewehrschussfolge Forderungen in Richtung NATO und Deutschland abfeuerte. Es ist leicht erkennbar, wer zu seinen Ideengebern gehört. »Laut unserer Überzeugung«, so Siemoniak, »braucht Europa mehr als je zuvor eine starke Präsenz der Vereinigten Staaten von Amerika, darunter eine starke Bindung an die USA auch was die militärische Präsenz anbelangt«. Die werde auch in den kommenden Jahrzehnten das Fundament der europäischen, der polnischen und der deutschen Sicherheit sein. Weshalb sich Europa gefälligst anstrengen sollte, die Rolle der USA in der NATO zu stärken. Als Merksatz gab der Minister aus: »Die Aufrechterhaltung der transatlantischen Verbindungen sollte die Pflicht aller Politiker eines demokratischen Europas sein.«

Natürlich wünsche sich Warschau keine Rückkehr zum Kalten Krieg. Aber: Nichts sei einladender »als Schwäche und Unterwürfigkeit«. Das bezog Siemoniak nicht nur »auf den laufenden ukrainisch-russischen Konflikt«. Doch gerade in dieser Richtung sah der Gast Handlungsbedarf. Dazu gehöre eine starke und ständige militärische Präsenz des Bündnisses. Er denkt an »Einheiten in höchster Bereitschaft«, im »vollen Einsatzspektrum«, vorbereitet auf »schwierigste Einsätze«.

»Wir zählen auf den deutschen Bündnispartner.« Man rechne mit der Beteiligung deutscher Truppen an Übungen und Schulungen auf polnischem Territorium, mit deutscher Präsenz in multinationalen Strukturen sowie anderen Projekten zur Stärkung der östlichen Flanke. Was scheinbar als Nettigkeit des Gastes herüber kam, war in Wahrheit eine knallharte Forderung: »Wir in Polen glauben nicht an Gerüchte über eine angebliche Schwäche der Bundeswehr.« Und drei Sätze später lud Siemoniak nach: »Wir brauchen also ein starke, aktive Bundeswehr, die eingedenk der historischen Erfahrungen jedoch keine Mitverantwortung für die kollektive Sicherheit und Verteidigung ihrer Bündnispartner scheut.«

Übersetzt in den denkbaren Ursprungstext von Siemoniaks Rede heißt das wohl: »Germans to the front!« Und damit die deutschen Weicheier nicht noch mehr abrüsten, erklärte er Panzer, Kampfhubschrauber oder Artillerie für keineswegs museumsreif. Nur durch wachsende Verteidigungsausgaben »können wir auf alle vor uns stehenden und aus allen geografischen Richtungen kommenden Gefahren antworten«.

Es war selbst für erfahrene Verteidigungspolitiker erstaunlich, wie viele grundsätzliche Korrekturen der Gast an der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik anmahnte. Noch passt offenbar mehr als nur ein Blatt Papier zwischen seine und die Ansichten der Gastgeberin über die neue Rolle der NATO in Europa sowie in der Welt. Auch von der Leyen redet angesichts der Konflikte mit Russland davon, »die eigene Abschreckungsfähigkeit anzupassen«. Doch neben den Begriffen »Entschlossenheit« hörte man auch etwas von »Geduld« und »Ausdauer«. Und nichts von einer besonderen Rolle der USA.

Offenbar ist der deutsche Blick auf eine künftige sogenannte Sicherheitspolitik weiter. Bei der Tagung in Berlin wurde auch über die sicherheitspolitischen Auswirkungen von »religiösem Furor« geredet sowie über den Zugang zu Energie und Wasser oder über die Klimaveränderung. Die Tragödie Ebola ist als sicherheitspolitische Herausforderung erkannt. Viel Stoff für ein neues Weißbuch, zu dem die Opposition beizeiten Alternativen aufzeigen sollte.

Nach der Rede des »lieben Tomasz« dankte von der Leyen freundlich – um dann einen Vertrag zur deutsch-polnische Heereskooperation zu unterzeichnen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 1. November 2014


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