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Der Salamitaktiker

Der einstige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) soll eine Kommission leiten, welche die Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen prüft

Von Peer Heinelt *

Volker Rühe (71) soll reaktiviert werden. Geht es nach dem Willen der großen Koalition, wird der CDU-Politiker und Verteidigungsminister der Jahre 1992 bis 1998 eine »Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr« leiten. Die Aufgabe des neuen Gremiums ist schnell umrissen: Es soll helfen, die Teilnahme der deutschen Streitkräfte an Kriegsoperationen in aller Welt zu vereinfachen. Entsprechende Vorschläge zur Änderung des »Parlamentsbeteiligungsgesetzes«, das die Zustimmung des Bundestages zu diesen »Missionen« zwingend vorschreibt, liegen bereits auf dem Tisch. So fordert etwa Ekkehard Brose, Ministerialdirigent im Auswärtigen Amt und Mitarbeiter der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Beteiligung deutscher Soldaten an der »integrierten Kommandostruktur« der NATO nicht mehr als »Einsatz« im juristischen Sinne zu werten – selbst wenn eigens für die Kriegsführung geschaffene Leitungs- und Befehlsorgane des Bündnisses »im Bedarfsfall in einen Einsatzraum verlegt werden«.

Zwar hat der Bundestag seit dem Inkrafttreten des »Parlamentsbeteiligungsgesetzes« anno 2005 mehr als 70 Regierungsanträge auf Entsendung von Truppen ins Ausland oder auf Fortsetzung laufender Operationen mit großer Mehrheit abgenickt. Jedoch kam es in der Frage der Kriegsbeteiligung deutscher Soldaten durch die Mitwirkung in NATO-Stäben immer wieder zu Auseinandersetzungen. So mußte die hiesige politisch-militärische Führung – ihrer offiziellen Distanzierung vom NATO-Krieg gegen Libyen zum Trotz – 2011 zähneknirschend einräumen, daß die Bundeswehr mehr als 100 Offiziere und Unteroffiziere in genau die Kommandozentralen der Allianz entsandt hatte, aus denen die Luftangriffe auf das nordafrikanische Land gesteuert wurden. Zu den Aufgaben der deutschen Militärs zählte seinerzeit unter anderem die »Zielauswahl«.

Nun ist also Volker Rühe angetreten, dafür zu sorgen, daß solche unerquicklichen Debatten im Parlament zukünftig keinen Platz mehr haben. Seine neue Rolle dürfte ihm sehr zupaß kommen, kennt er sich doch mit einschlägigen militärpolitischen »Reformen« bestens aus: In seiner Funktion als Verteidigungsminister verkündete er 1992 neue »Verteidigungspolitische Richtlinien« (VPR), die auch nach mehr als zwanzig Jahren noch brandaktuell klingen. Als »vitale Sicherheitsinteressen« etwa definierten die VPR die »Vorbeugung, Eindämmung und Beendigung von Krisen und Konflikten, die Deutschlands Unversehrtheit und Stabilität beeinträchtigen können«, die »Entwicklung einer europäischen Verteidigungsidentität« sowie die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt«. Die vom Bundespräsidenten und von hiesigen Spitzenpolitikern anläßlich der Münchner Sicherheitskonferenz vertretene Auffassung, die BRD müsse ihrer ökonomischen Potenz entsprechende militärische »Verantwortung« übernehmen, äußerte Rühe schon 1992: »Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muß Deutschland … militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.«

Auch als militärischer Praktiker hat sich Rühe bewährt. In seine Amtszeit als Verteidigungsminister fällt die Beteiligung der deutschen Kriegsmarine an der »Operation Sharp Guard«, mit der die NATO in den 1990er Jahren die Versorgung der Bundesrepublik Jugoslawien auf dem Seeweg blockierte. Wie Fregattenkapitän Rüdiger Schiel vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr erklärt, hatte der Einsatz »eine besondere Qualität, da in ihm erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg … ›reinrassige‹ Kampfeinheiten operierten«. Dadurch sei es der Berliner Führung gelungen, »›scheibchenweise‹ Tatsachen auf dem Weg zur Einsatzarmee (zu) schaffen« und die »Grenzen der zu akzeptierenden Normen unmerklich weiter und weiter hinaus(zuschieben)«. Es steht zu befürchten, daß sich Rühe dieser Salamitaktik auch in bezug auf das »Parlamentsbeteiligungsgesetz« solange bedienen wird, bis von diesem nichts mehr übrig ist. Denn der deutschen Weltmachtrolle ist kleinliches Gezänk nur abträglich, wie der CDU-Politiker unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wissen ließ: »Deutschland muß führen, damit Europa nicht schwächer wird.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. März 2014


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