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Bundeswehr am Ende? Verteidigungsfähigkeit gefährdet? Es gibt Profiteure der wiederkehrenden Horrormeldungen

Von René Heilig *

Alles marode, alles Schrott! Die Alarmrufe zum Bundeswehr-Einsatzstand nehmen zu. Es geht um die Zukunft – von Rüstungsprofiteuren und Hardcore-Politikern.

Risse bei den »Sea Lynx«-Marinehubschraubern, altersschwache »Sea King«- und CH53-Helikopter, »Eurofighter«-Kampfjets dutzendweise in der Instandsetzung, U-Boote im Reparaturdock. Von den im Ausland gestrandeten Transall-Maschinen gar nicht zu reden. Nicht einmal sechs Ausbilder konnte die Bundeswehrjüngst ins kurdische Erbil fliegen. Nun blieb eines dieser C-160-Transportflugzeuge, das zur geplanten Ebola-Luftbrücke abgestellt ist, auf dem Weg nach Afrika hängen. Nur eine Pechsträhne? Oder was ist los mit der deutschen Armee?

Im Gegensatz zu politischen Hintergründen ist das rein technisch und organisatorisch relativ simpel erklärbar. Beispiel Transall. Der Erstflug dieses Turboprop-Transporters, der von Frankreich und Deutschland gemeinsam entworfen und gebaut wurde, fand 1963 statt. Mancher, der Piloten ist folglich jünger als sein Gerät. Und das ist gerade seit der Jahrtausendwende neuen Belastungen unterworfen. Denn da änderte die plötzlich groß gewordene Bundesrepublik ihre Außenpolitik. Schluss mit Zurückhaltung, wir sind wieder wer! Aus der territorial und im NATO-Verbund aktiven Verteidigungsarmee wurde eine »Armee im Einsatz«. Seither fliegen die für mittlere Entfernungen konzipierten Transall im Dauerbetrieb auf Langstrecken Nachschub für deutsche Truppen Richtung Balkan, nach Afghanistan, Sudan, Mali, in die Türkei. Derzeit sind deutsche Soldaten – zumeist mit Zustimmung der Parlamentsmehrheit – in 17 Auslandseinsätzen unterwegs.

Neue Weltgeltung nutzt Material ab. Die sogenannten Standzeiten der Lastesel »Transall« sind seit Jahren überschritten. Eigentlich sollten die Lufttransportaufgaben längst von dem neuen Militärtransporter A400M übernommen worden sein. Doch Hersteller Airbus ist – freundlich gerechnet – mindestens vier Jahre in Verzug. Wenn es gut geht, kommt der erste von 53 A400M im November zur Luftwaffe. Einsatzfähig ist er damit noch lange nicht. Doch schon vor Jahren hat man – in Erwartung neuer Typen – die Bestellung von Ersatzteilen reduziert. Das geschah noch unter Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg. Der politische CSU-Schaumschläger brauchte Geld für die Bundeswehrreform. Aber Ersatzteile kauft man, wenn die Lager leer sind, nicht schnell mal im Supermarkt.

Ursula von der Leyens Vorgänger Thomas de Maiziere hat Material, das fehlte, wie schon SPD-Mann Peter Struck mit dem Hinweis auf den Afghanistankrieg als »einsatzbedingte Zusatzausgaben« beschafft. Am normalen Wehretat vorbei. Diese Praxis ist ausgelaufen. Auch das Kannibalisieren, also das Ausschlachten ausgemusterten Gerätes, hat Grenzen.

Kein Wunder also, dass von den 56 Transall, die in den Büchern der Deutschen Luftwaffe gelistet sind, nur 43 im sogenannten Verfügungsbestand und nur 24 für Ausbildung, Übungen und Einsätze verfügbar sind. Diese Zahlen nennt jedenfalls das Verteidigungsministerium im jüngsten internen Bericht über die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme. Nach dem Ampelsystem wird darin die Möglichkeit der Auftragserfüllung benannt. Die Transall bekommt einen grünen Punkt, womit nicht etwa das bekannte Verpackungsmüllsymbol gemeint ist. Rot – also nicht einsatzbereit – sind dagegen alle 31 Kampfhubschrauber vom Typ »Tiger« sowie die 33 vorhandenen NH90-Transport-Helikopter gekennzeichnet. Letztere sollten bereits seit sechs Jahren im Truppendienst sein. Von den 83 CH-53-Hubschraubern fliegen derzeit nur 16. Weitere 37 sind in der Industrieinstandsetzung.

Es muss schon sehr verwundern, wenn jetzt altgediente Abgeordnete des Bundestagsverteidigungsausschusses lamentieren, sie seien falsch, möglicherweise vorsätzlich falsch informiert worden. Denn Fachleuten sind die Probleme seit Jahren bekannt. Es hätte auch gereicht, im Bericht des Wehrbeauftragten zu blättern. Nicht dass Hellmut Königshaus gegen Auslandseinsätze wäre, doch »internationales Engagement« ist auch nach seiner Ansicht derzeit nur bedingt möglich. Denn neben dem Materialverschleiß gehe vieles auf die Knochen der Soldaten.

Weniger schaffen mehr. Dass diese Gleichung nicht aufgehen kann, hat die einstige Arbeits- und Sozialministerin von der Leyen, die seit gut neun Monaten versucht, den Bendler-Block samt Bundeswehr-Anhang unter ihr Kommando zu zwingen, seit langem begriffen. Doch Kindergärten in der Kaserne helfen nur bedingt. Sinnvoll wäre beispielsweise der Rückzug der Patriot-Raketenstaffel aus der Türkei. Die Niederländer machen das gerade vor. Doch die Merkel-Regierung will gegenüber den NATO-Partnern »keine falschen Zeichen« setzen.

Bei den laufenden Einsätzen sei die Bundeswehr »eine hoch anerkannte Armee« und von den »internationalen Verbündeten hoch geschätzt, also unverzichtbar«, sagt die Ministerin immer wieder. Und das sei nur so, weil Deutschland in den vergangenen Jahren so viel in Einsätze investiert hat, ergänzt man im Haus von der Leyen. Die Soldaten seien gut geschützt und hochmodern ausgerüstet. Freilich und leider »auf Kosten des Unterbaus«.

Die Folge: Nach dem faktischen Ende des Afghanistan-Kampfeinsatzes stehen Hunderte geschützte »Dingo«-Transporter herum. Ach, wenn die doch fliegen könnten ..., wünschen sich Luftwaffengenerale – die derzeit nicht alle 60 der NATO im Kriegsfall versprochenen »Eurofighter« aufbieten können. Warum? Auch Schrott? Nein! Man macht sie gerade erdkampffähig. Schluss mit der erzwungenen strukturellen Nichtangriffsfähigkeit! Geplant waren die Jets als Abfangjäger, und als solche haben die über 100 Jets schon 50 000 Flugstunden problemlos absolviert. Und das, obwohl die Piloten im Schnitt zu wenig Flugstunden absolvieren, wie es heißt.

Jüngst hat Luftwaffeninspekteur Karl Mullner der neuen, für Rüstung zuständigen Staatssekretärin Katrin Suder klar gemacht, dass in seinem Bereich nichts zu sparen ist. Das sagen die Herren vom Heer und von der Marine ebenfalls, und die Streitkräftebasis, die auch über Sanitätseinheiten gebietet, hat schon gar nichts abzugeben. Diese Argumentation passt bestens in das mediale Jammern über den angeblich katastrophal schlechten Zustand der Bundeswehr. Zu Monatsbeginn nämlich will von der Leyen eine Expertise von externen Wirtschaftsprüfern vorstellen. Denen vertraut die Ministerin und hat sie geholt, weil die wichtigsten Rüstungsgroßprojekte eine Gemeinsamkeit aufwiesen: zu spät, zu teuer, nicht zu der vereinbarten Leistung fähig. Angesichts des Trommelfeuers auf das Ministerium und deren Chefin wird es jetzt dennoch schwer für von der Leyen, Abstriche bei der Beschaffung von neuem, modernem, einsatzfähigem Material zu begründen.

Die CDU-Frau, die schon mal als Merkel-Nachfolgerin gehandelt wurde, nimmt das Messerwetzen ihrer Partei«freunde« wohl wahr und ist nur begrenzt in der Lage, der einflussreichen und in der Union bestens vertretenen Industrie ans Scheinbein zu treten. Der CDU-Obmann im Verteidigungsausschuss Henning Otte sagt es zurückhaltend, doch nachdrücklich: »Frau von der Leyen hat deutlich gemacht, dass sie den Ist-Zustand dargestellt haben möchte, und dass sie das Gutachten als Grundlage nehmen wird, die Beschaffungswege zu reformieren, nämlich dass bestelltes Gerät zur richtigen Zeit kommt und auch zum vereinbarten Preis.« Verzicht? Keinesfalls! Das Geld aus dem Etat müsse sinnvoll ausgegeben werden, rät Otte. Wenn neues Material nicht lieferbar ist, müsse auch in die Instandhaltung investiert werden. Dass in den vergangenen sechs Jahren offenbar fast vier Milliarden Euro aus dem Etat nicht abgerufen wurden, dürfe nicht wieder vorkommen.

Die Opposition aus Grünen- und Linksfraktion verlangt gleichfalls einen sorgsamen Einsatz der Mittel. Nur anders. Der Grüne Tobias Lindner hält den Verteidigungsetat für ausreichend bemessen. Kollege Alexander Neu, Obmann der Linksfraktion, findet es befremdlich, dass »es die Bundeswehr trotz eines Etats von 35 Milliarden Euro pro Jahr nicht schafft, ihre Einsatzfähigkeit herzustellen«. Das könne man »dem hart für sein Geld arbeitenden Steuerzahler wohl kaum plausibel zu erklären«. Die nun aus der CDU kommenden Forderungen nach einer Erhöhung des Wehretats wirkten angesichts dessen »wie blanker Hohn«, erklärte Neu gegenüber »nd«.

Ganz nebenbei wird Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) durch die medial vorgetragene Bundeswehr-Defizit-Attacke daran erinnert, dass Deutschland eine moderne und effiziente Rüstungsindustrie braucht, soll die Bundeswehr nicht weiter den Bach runter gehen. Effektiv ist die Produktion aber nur, wenn Gabriel nicht weiter über die Reduzierung von Rüstungslieferungen nachdenkt.

Doch jene, die die Anliegen der Rüstungsindustrie seit Jahren wohlwollend begleiten, geben sich nicht mit dem Alarmruf »Schrotthof Bundeswehr« zufrieden. Sie schwingen wie die Hardliner des Nordatlantik-Paktes die große Keule Bündnistreue und wollen die Führungsrolle der USA wieder stärker in Europa etablieren. Auf Kosten der europäischen Mitglieder, versteht sich.

Dabei kommt die Ukraine-Krise zupass. Wie auf der jüngsten NATO-Tagung in Wales betonen sie wider besseres Wissen: Wenn Putin jetzt angreift, steht die NATO wehrlos da, weil Deutschland seine Zusagen in Bezug auf Material und Mannschaften nicht einhält. Sie wollen die Bundesregierung so zwingen, sich mehr für eine neue Konfrontation im Osten Europas einzusetzen. Germans to the front! Und dafür reicht eben nicht, was von der Leyen und ihre angebliche »Landwehr« anbietet.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 30. September 2014


Vorschlag: Großer Topf für Krisenreaktionen **

Wie immer man zu den Einsätzen der Bundeswehr auch stehen mag, klar ist: Die Bundeswehr ist international engagierter denn je. Auch im humanitären Bereich, siehe Ebola-Hilfe. Per Tagesbefehl hatte Ministerin Ursula von der Leyen am Montag vor einer Woche ihre Unterstellten gebeten, zu überlegen, ob sie gegen die Seuche antreten wollen. Als Freiwillige. Bis Freitag hatten sich mehr als 4500 gemeldet.

70 Prozent der Freiwilligen sind Bundeswehrangehörige und Reservisten, 30 Prozent kommen aus dem zivilen Bereich. Nach den jetzigen Plänen will die Bundeswehr gemeinsam mit dem DRK und dem Technischen Hilfswerk in Liberia ein mobiles Krankenhaus mit 300 Betten betreiben. Auch solche Einsätze gehen an die Substand des »Konzerns Bundeswehr«. Und der Anlauf für solche Aktionen ist alles andere als reibungslos. Am gestrigen Montag musste eine Luftbrücken-Transall-Maschine in Gran Canaria am Boden bleiben.

Solche Einsätze lassen sich doch bestimmt effektiver gestalten, hofft der Bundestagsabgeordnete Michael Leutert von der Linksfraktion. Er ist Mitglied im Haushaltsausschuss, geht Probleme also von der Geldseite her an. Er sprach mit Verantwortlichen verschiedener an Katastrophenhilfen beteiligter Ministerien – für Äußeres, Gesundheit, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Verteidigung – und ernte Zustimmung für seinen Vorschlag. Er will im Einzelplan 60 des Bundeshaushaltes einen »Krisenreaktionsfond« einrichten. So könnte Deutschland rascher als bislang auf unvorhersehbare Katastrophen reagieren und Hilfe organisieren.

»Eine halbe Milliarde Euro könnte als Grundstock dienen«, erklärte Leutert am Montag gegenüber »nd«. Und natürlich hat er eine Idee, woher so viel Geld kommen soll. Mit der Lösung könnte sicher sogar auch Wolfgang Schäuble, der Schwarze-Null-Fetischist, leben.

Bislang habe Deutschland für den ISAF-Einsatz in Afghanistan 850 Millionen aufgebracht. Da der Militäreinsatz sich dem Ende neigt, sind für 2015 »nur« noch 315 Millionen Euro vorgesehen. »Ergo: Mit der Differenz ließe sich ein Gutteil des Krisenreaktionsfonds« füllen«, sagte Leutert und bereitet einen entsprechenden Parlamentsantrag vor. hei

** Aus: neues deutschland, Dienstag 30. September 2014


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