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Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Bundeswehr-Soldaten - Nachbesserung notwendig?

Ein Beitrag von Claudia Venohr in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Begehen Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen Straftaten, dann musste bisher die Staatsanwaltschaft am Standort oder am Wohnsitz des Soldaten ermitteln. Das konnte dauern, weil sich die Anklagebehörde erst mit Einsatzregeln und anderen militärischen Verfahren und Grundsätzen vertraut machen musste. Seit rund einem Jahr, seit dem 1. April 2013, ist daher für solche Fälle eine sogenannte Schwerpunktstaatsanwaltschaft zuständig. Die Staatsanwaltschaft Kempten im Allgäu arbeitet dabei mit dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr zusammen. Ist nun alles einfacher und besser geworden? Oder muss nachgebessert werden? Claudia Venohr ist diesen Fragen nachgegangen:


Manuskript Claudia Venohr

In einem Punkt sind sich offenbar alle Beteiligten einig: Die Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Kempten und dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam funktioniere bislang gut. Vor allem aufgrund der konzentrierten, fachlichen Kompetenz in Ermittlungsverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, so der Leitende Oberstaatsanwalt in Kempten, Herbert Pollert:

O-Ton Pollert
„Ich denke, die Spezialisierung hat sich bewährt. Es sind jetzt immer Staatsanwälte zuständig, die laufend diese Fälle bearbeiten. Es finden Dienstbesprechungen unter Beteiligung der Rechtsberater des Einsatzführungskommandos statt, teilweise unter Beteiligung eines Vertreters des Generalbundesanwalts. Und der ständige fachliche Austausch schafft die Nähe, um bestimmte Probleme gut zu erkennen und dann auch sachgerecht zu lösen.“

Nach bisher 23 Ermittlungsverfahren, die seit dem 1. April 2013 an Kempten abgegeben wurden, beurteilt der Leitende Rechtsberater des Einsatzführungskommandos, Johannes Heinen, die Situation ähnlich:

O-Ton Heinen
„Ziel war es, Fachexpertise bezüglich des Wehrrechts, des Einsatzrechtes, wie auch des völkerrechtlichen Umfeldes der Auslandseinsätze zu bündeln. Diese Staatsanwaltschaft sollte auch Kenntnisse von den besonderen Dienst- und Lebensverhältnissen in Auslandseinsätzen haben und nicht zuletzt sollte eine Verfahrensbeschleunigung erreicht werden. Nach einem Jahr kann ich insoweit eine positive Bilanz ziehen.“

Insgesamt zwölf Rechtsberater des Einsatzführungskommandos, Juristen mit der Befähigung zum Richteramt, sind für die Staatsanwälte in Kempten erste Ansprechpartner in Ermittlungsfällen. Bisher ging es meist um einfache Sachverhalte, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Pollert erklärt:

O-Ton Pollert
„Es geht um Straftatbestände, wie sie auch in Deutschland passieren durch Nicht-Bundeswehrangehörige: Unterschlagung, Untreue oder Diebstahl und es gab bundeswehrspezifische Straftaten zum Beispiel eine Bedrohung und endwürdigende Behandlung, sprich das Halten einer Pistole an den Kopf eines Soldaten und Missbrauch der Befehlsbefugnis.“

Sechs Verfahren endeten inzwischen mit Urteilen, einige Fälle wurden mangels Tatverdachts eingestellt und in anderen wird noch ermittelt. Darunter ein Vorfall, der sich im Juni vergangenen Jahres im afghanischen Mazar-i-Sharif, im Bundeswehr-Feldlager ereignete. Ein Soldat starb an den Folgen einer Schussverletzung am Kopf. Zunächst vermutete man einen Suizid. Die Staatsanwaltschaft Kempten ermittelt:

O-Ton Pollert
„Wenn ein Todesfall vorliegt, ein unnatürlicher Tod, dann haben wir zu ermitteln. Das gilt für Verfahren im Bundeswehrbereich genauso, wie auch sonst in Deutschland, um festzustellen, ob jemand den Tod verschuldet hat. Und diese Ermittlungen laufen noch. Ich kann ihnen dazu leider keine Einzelheiten mitteilen.“

Dieses Verfahren gehört eher zu den schwierigen Fällen, zumal die zuständigen Kemptener Staatsanwälte nicht selbst am Tatort ermitteln dürfen. Denn das deutsche Strafprozessrecht gilt nicht im Ausland. Tatsächlich ist die Aufklärung eines Sachverhalts am ausländischen Einsatzort daher zunächst allein Sache der Bundeswehr, wie der Leitende Rechtsberater Heinen erklärt:

O-Ton Heinen
„Straftaten im Auslandseinsatz sind zugleich Dienstvergehen. Liegt der Verdacht eines Dienstvergehens vor, muss der zuständige Disziplinarvorgesetzte ermitteln. Dazu steht ihm die Wehrdisziplinarordnung zur Verfügung. Auf das Ermittlungsergebnis greift dann die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts nach der Strafprozessordnung zurück.“

Da die Bundeswehr nur wegen disziplinarrechtlicher Verstöße ermitteln darf, kann es - aus strafprozessualer Sicht - unter Umständen zu Ermittlungslücken und –verzögerungen kommen, die später nicht mehr oder nur noch bedingt nachzuholen sind. Herbert Pollert, Leitender Oberstaatsanwalt der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Kempten, sieht aber noch weitere Ermittlungsschwierigkeiten:

O-Ton Pollert
„Wir sind abhängig von den Bundeswehrermittlungen und man muss auch auf eins hinweisen: die Bundeswehr kann bestimmte Ermittlungshandlungen nicht vornehmen. Sie kann keine Blutentnahme tätigen. Sie kann nicht gegen den Willen eines Soldaten eine körperliche Untersuchung durchführen. Aber das sind natürlich bei manchen Straftaten wesentliche Ermittlungsmöglichkeiten, die dann nicht vor Ort bestehen.“

Im Ausland greifen also strafprozessuale Zwangsmittel nicht, die jedoch gegen Soldaten im Inland jederzeit anwendbar sind. Mit der Folge, dass Ermittlungen möglicherweise im Sande verlaufen. Katja Keul, Mitglied im Verteidigungsausschuss und rechtspolitische Sprecherin der Grünen:

O-Ton Keul
„So ist es ja auch bisher in der Vergangenheit in manchen Fällen gewesen, dass Verfahren eingestellt worden sind, weil man eben letztlich das nicht so rekonstruieren konnte, dass man eine strafrechtliche Verurteilung darauf basieren kann. Ich meine, im Zweifel für den Angeklagten. Die Unschuldsvermutung gilt natürlich auch für Bundeswehrsoldaten.“

Die Unschuldsvermutung bedeutet, dass jeder Tatverdächtige während des Strafverfahrens als unschuldig zu gelten hat. Nicht er muss seine Unschuld beweisen, sondern die Strafverfolgung dessen Schuld.

Bei Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz können im Ermittlungsverfahren allerdings auch die Schutzrechte Beschuldigter mit ihren soldatischen Pflichten kollidieren. Denn sie müssen gegenüber Vorgesetzten die Wahrheit sagen. Dies verletzt das fundamentale Recht zu schweigen, und sich nicht selbst zu belasten. Bundeswehr-Rechtsberater Heinen weist zwar auf eine Besonderheit hin:

O-Ton Heinen
„Die Ermittlungen erfolgen auf Grundlage der Wehrdisziplinarordnung. So muss beispielsweise der beschuldigte Soldat nicht zur Sache aussagen.“

Doch wissen das alle Soldaten und ihre Einheitsführer? Und was, wenn Vorgesetzte bereits ohne förmliches Disziplinarverfahren versuchen, einen Sachverhalt aufzuklären und Stellungnahmen von ihren Soldaten fordern? Dies ist vor dem Hintergrund der Regelung in § 13 Soldatengesetz, wonach Soldaten verpflichtet sind, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen, problematisch. Für die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul ist klar: Es müsse eine Regelung für das Strafverfahren geschaffen werden, wenn Aussagen unter dem Eindruck von Befehl und Gehorsam entstanden seien:

O-Ton Keul
„In der Tat ist es natürlich ein Problem, wenn die Staatsanwaltschaft nachher auf Aussagen des Beschuldigten zurückgreift, die dieser gegenüber Feldjägern gemacht hat, weil er sich verpflichtet sah, diese Aussagen zu machen. Das ist natürlich schon ein Bruch.“

Mit der bloßen Zuständigkeit des Gerichtsstandorts Kempten und der dortigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft sei es allein nicht getan, meint der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Pollert. Er sieht gravierende Probleme, die nur durch klare gesetzliche Regelungen zu lösen seien:

O-Ton Pollert
„Die Strafprozessordnung müsste ausgedehnt werden auf die Einsatzgebiete. Es ist denkbar, dass dann Feldjäger ggf. in einzelnen Verfahren zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestellt werden und dass die Stationierungsabkommen anders gefasst werden, so dass keine Rechtshilfe in das Einsatzland notwendig ist, damit dort Polizei oder Staatsanwaltschaft ermitteln können. Nur unter diesen drei Voraussetzungen hätten wir eine Rechtslage, die den Ermittlungen im Inland entspricht.“

Fachjuristen sehen zwar die Problematik, diskutieren jedoch mögliche Nachbesserungen höchst kontrovers. Beispielsweise, ob Feldjäger quasi als Diener zweier Herren, gleichzeitig für Bundeswehr und Staatsanwaltschaft überhaupt ermitteln dürfen. In zuständigen Ministerien und im Bundestag drängt es offenbar niemanden nach Reformen, denn die Sache ist ziemlich heikel und recht kompliziert. Eine Lösung hat auch Katja Keul von den Grünen nicht parat:

O-Ton Keul
„Das muss man sich angucken. Sind das unzumutbare Gerechtigkeitslücken? Ich bin mir da ehrlich gesagt nicht so sicher. Und wenn es jetzt ständig so wäre, dass wir Tötungsfälle hätten, an denen Bundeswehrsoldaten beteiligt wären, die nicht aufgeklärt werden können, würde ich ja vielleicht anders reagieren. Aber ich meine, Gott sei Dank ist das jetzt auch kein Massenphänomen. So dass man sich fragen muss, schaffen wir hier wirklich völlig neue Institutionen, Ermittlungsverfahren jenseits der üblichen, um diese Lücke zu schließen? Dazu müsste die Lücke schon ganz schön groß sein, ehrlich gesagt.“

Vorerst müssen die Staatsanwälte wohl mit den diagnostizierten Mängeln der Verfahren leben. Jedenfalls solange es noch um sogenannte kleine Fische geht, die sich fangen lassen. Es ist zu vermuten, dass sich das sehr schnell ändern wird, wenn der erste große Hai, um im Bild zu bleiben, durch’s Netz geschlüpft ist. * Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN,22. März 2014; www.ndr.de/info


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