Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kriegsökonomie - Auslandseinsätze und ihre wirtschaftlichen Folgen

Ein Beitrag von Christoph Rasch in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
In Afghanistan geht im kommenden Jahr die ISAF-Mission zu Ende. Zeitweise waren mehr als 150.000 ausländische Soldaten am Hindukusch im Einsatz. Ihre Präsenz hat das Land geprägt, auch wirtschaftlich. Denn die Soldaten mussten versorgt werden, Stützpunkte wurden gebaut, viel Geld ist nach Afghanistan geflossen. Welche wirtschaftlichen Folgen wird der ISAF-Abzug für Afghanistan haben? Christoph Rasch ist dieser Frage nachgegangen:


Manuskript Christoph Rasch

Eine Bundeswehr-Patrouille, zu Fuß unterwegs in der afghanischen Provinz. Die deutschen Soldaten besuchen einen Dorf-Ältesten:

O-Ton (Soldat spricht ins Funkgerät)
„Lage-Information: Kurze Gesprächsaufklärung, dann setzen wir den Marsch weiter fort. Kommen.“

Tausende solcher Kontakt-Gespräche dürften Bundeswehr-Soldaten in zwölf Jahren ISAF-Einsatz bereits geführt haben – immer mit dabei: Ihre afghanischen Dolmetscher:

O-Ton (afghanischer Dolmetscher)
„Er sagt: Wegen des neuen Transformators haben auch die Deutschen uns geholfen…“

Die einheimischen Sprachmittler sind inzwischen selbst ein Sinnbild für den ökonomischen Faktor, den die Bundeswehr in Afghanistan darstellt: Allein im vergangenen Jahr gab die Truppe für Dolmetscher und andere einheimische Hilfskräfte, Wachleute oder Müllsammler etwa neun Millionen Euro aus. Viel Geld für eine Handvoll Dienstleister, speziell in Afghanistan:

O-Ton Bayer
„Das Durchschnitts-Einkommen in Afghanistan liegt bei etwa einem Dollar pro Tag, pro Kopf. Das ist nicht so viel. Wenn wir uns die deutschen Zahlungen an Übersetzer anschauen, da sind wir locker beim Faktor 5 bis 6. Das ist ein riesengroßer Einkommensunterschied…“

... sagt Stefan Bayer, Ökonom und Dozent an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Neben den ISAF-Truppen zahlen auch Vereinte Nationen oder zivile Hilfsorganisationen seit Jahren gute Gehälter. Der jetzt begonnene Abzug ausländischer Truppen und Helfer dürfte deshalb wirtschaftlich eine große Lücke reißen. Überhaupt ist das über Jahre entstandene Einkommens-Gefälle eines der großen Probleme dieser prekären „Kriegs-Ökonomie“:

O-Ton Bayer
„Man sollte natürlich aus einer ökonomischen Perspektive möglicherweise das lokale Lohn-Niveau dort bezahlen.“

In der Praxis aber zahlen ausländische Militärs und Helfer höhere Beträge. Ergebnis: Afghanistan gilt im Vergleich zu seinen Nachbarn inzwischen als „Hochlohnland“, lockt deshalb selbst Gastarbeiter aus Indien an. Für ausländische Investoren aber wird das Land am Hindukusch zunehmend unattraktiv, weil die Arbeitskosten als zu hoch gelten. Und auch für die Afghanen selbst wird die wirtschaftliche Ungleichheit immer mehr zum Problem – berichtet Conrad Schetter vom Internationalen Konversionszentrum Bonn, kurz BICC, das zu Sicherheitsfragen forscht und berät. In Kabul etwa hätten sich die Mieten mittlerweile verzwanzigfacht und, so Schetter:

O-Ton Schetter
„Dasselbe gilt für die Grundlebensmittelpreise, dass sich viele Afghanen die Dinge nicht mehr leisten konnten, die zum Überleben notwendig sind. Man hat das Ganze dann versucht, über Nahrungsmittelprogramme aufzufangen. Was dann wieder zum Problem hatte, dass die afghanischen Bauern, die die Nahrungsmittel verkauften, dann wieder darunter litten.“

Ein Teufelskreis, aus dem sich das Land alleine kaum befreien wird. Internationale Finanzhilfen und Investitionen machen mehr als zwei Drittel der afghanischen Wirtschaftsleistung aus, schätzt die Weltbank: Daneben blüht fast nur noch der Opium-Handel – während die ISAF-Truppen selbst kaum nachhaltige Impulse für die lokale Wirtschaft gesetzt haben, so Konfliktforscher Schetter:

O-Ton Schetter
„Insgesamt kann man sagen, dass gerade die Bundeswehr wie ein Raumschiff in Afghanistan gelandet ist. Sprich: Alles an Lebensmitteln, an Wasser, Baustoffen – das wird alles aus Europa importiert.“

Und dazu, glaubt Schetter, habe es aus militärischer Sicht auch kaum eine Alternative gegeben: So darf die Bundeswehr nur solche Waren kaufen oder Zulieferer engagieren, die bestimmten EU-Normen entsprechen. Aus dem Bundesverteidigungsministerium heißt es auf Nachfrage:

Zitat BMVg
„Eine Versorgung mit Lebensmitteln durch regionale Anbieter findet regelmäßig nicht statt, da die Einhaltung der deutschen Hygienevorschriften in den jeweiligen Einsatzgebieten nicht sichergestellt ist."

Dennoch, so ein Sprecher, habe die Bundeswehr ortsansässige Unternehmen beauftragt, wo immer dies - Zitat – „möglich sowie militärisch und wirtschaftlich sinnvoll" gewesen sei. Für den Unterhalt ihrer Feldlager etwa kauften die deutschen Streitkräfte allein 2012 für rund 35 Millionen Euro Waren und Dienstleistungen in Afghanistan ein – nur ein Bruchteil von den rund acht Milliarden Euro, die der Einsatz am Hindukusch seit 2002 den deutschen Steuerzahler kostet:

O-Ton Destradi
„Es gibt afghanische Unternehmen, die sehr viel verdient haben, an diesem Krieg oder dann auch an den Bauprojekten, die dort stattgefunden haben. Aber die Frage ist: Werden sie das Geld im Land investieren oder eher ins Ausland bringen?“

... fragt Sandra Destradi vom Hamburger GIGA-Institut für Asien-Studien. Ein Zweifel, den auch andere Experten hegen. Dass auch einheimische Geldgeber abgeschreckt werden, liegt vor allem an der noch immer prekären Sicherheitslage am Hindukusch. Und hier unterscheidet sich auch die Rolle und das Auftreten der Bundeswehr-Soldaten in ökonomischer Hinsicht von früheren Auslands-Einsätzen – etwa auf dem Balkan. Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

O-Ton Brzoska
„Wichtig ist eben, was die Leute privat machen – ob sie dann privat mal abends in die Stadt gehen, und da in die Kneipe gehen, Restaurants besuchen. Das ist in der Regel das, was da lokal an Geld hängenbleibt. Es ist mehr als wenn sie eben als Soldaten unterwegs sind.“

Der private Konsum der Einsatzkräfte: Ein Faktor, der in Afghanistan fast gänzlich fehlt. Viel zu gefährlich – eingekauft wurde und wird allenfalls bei ein paar fliegenden Händlern direkt in den Feldlagern. Und noch einen Unterschied gibt es zu früheren Missionen in Bosnien oder im Kosovo, sagt Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Gerade auf dem Balkan haben die deutschen Streitkräfte ja auch viel an nichtmilitärischen Aktivitäten entfaltet – Straßen gebaut, selber Häuser gebaut, Schulen gebaut. Aber auch mit lokalen Kräften zusammengearbeitet – so dass man durchaus sagen kann, damals war die Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft vielleicht noch höher als in Afghanistan.“

In Afghanistan hat die Bundeswehr nur relativ geringe Beträge in zivil-militärische Aufbau-Projekte investiert. Asien-Forscherin Sandra Destradi:

O-Ton Destradi
„Die verschiedenen Nato-Mitgliedstaaten haben zum Beispiel keine einheitliche Strategie zur zivil-militärischen Kooperation. Das heißt, es gibt dort verschiedene Konzepte, mit denen man arbeitet und die sind nicht unbedingt aufeinander abgestimmt.“

Experten wie Destradi glauben: Militärische Auslands-Missionen müssten auch ökonomisch intelligenter flankiert werden, um ein Land wie Afghanistan strategisch zu stärken – zum Beispiel für die Zeit nach dem ISAF-Einsatz:

Atmo Übersetzer/Patrouille

Die deutsche Patrouille setzt ihren Weg durchs Dorf fort – gemeinsam mit ihrem Dolmetscher, der bei der Bundeswehr weit mehr verdient als in seinem Job als Lehrer. Aber, auch das ist so ein Dilemma dieser afghanischen Kriegs-Ökonomie: Durch die hohen Löhne haben ausländische Arbeitgeber jahrelang einheimische Fachkräfte abgeworben: Dem Staat und der Wirtschaft fehlen jetzt Beamte und Wissenschaftler, Ingenieure und Juristen. Und dieser besatzungsbedingte „Brain Drain“ könnte sich sogar noch verschärfen, glaubt Stefan Bayer von der Universität der Bundeswehr in Hamburg:

O-Ton Bayer
„Wenn wir jetzt sogar noch im Zuge der Reduktion unserer Kampftruppen darüber nachdenken, dass wir den Menschen ein Bleiberecht oder ein Asylrecht einräumen – dann befürchte ich, dass diejenigen, die viel Geld bislang verdient haben, eher nach Europa auswandern, als mit vielen Mühen in Afghanistan eigenständig tätig zu werden.“

Großbritannien etwa plant ein Einwanderungs-Programm für afghanische Mitarbeiter – auch, um sie vor Racheakten zu schützen. Afghanistan dürfte deshalb noch viele seiner qualifizierten Köpfe - und deren Kaufkraft – verlieren. Und selbst ein logistisches Mammut-Projekt wie der Abzug der ISAF-Truppen dürfte kaum Impulse für die afghanische Wirtschaft auslösen. Profitieren dürften davon vor allem internationale Transport-Unternehmen, so Konversions-Experte Conrad Schetter. Selbst die von den ausländischen Streitkräften zurückgelassene Infrastruktur sei ökonomisch kaum von Wert:

O-Ton Schetter
„Nehmen Sie etwa die großen Lager in Mazar-i-Sharif und Kundus, die von der Bundeswehr geleitet werden. Die liegen außerhalb in der Wüste. Keine Anbindung mit dem jetzt der einfache Händler etwas anfangen kann. Und was in Afghanistan bleibt, wird dann wirklich eher als Schrott bezeichnet.“

Afghanistan steht mit dem Truppenabzug auch vor einer ökonomischen Belastungsprobe. Auch wenn die internationale Staatengemeinschaft bereits milliardenschwere Kompensations-Programme beschlossen hat: US-Studien haben berechnet, dass das Sozialprodukt des Landes nach dem Abzug der ISAF-Truppe um bis zu 40 Prozent einbrechen könnte.

* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 21. September 2013; www.ndr.de/info


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Interventions-Seite

Zurück zur Homepage