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Die Aufgabe ist die Stärkung des Friedens

Eine Stellungnahme der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler zur geplanten Bundeswehrreform. Von Martina Fischer

Im Folgenden dokumentieren wir im vollen Wortlaut eine Stellungnahme des VDW zur geplanten Bundeswehrreform. Martina Fischer hat sie verfasst, die Frankfurter Rundschau dokumentierte sie in ihrer Ausgabe vom 6.02.2004 in gekürzter Form.


Am 13. Januar 2004 stellte Bundesverteidigungsminister Struck "Wegmarken für den neuen Kurs der Bundeswehr" vor. Angekündigt wurde deren "Konzeption und Weiterentwicklung". Die Ausführungen des Verteidigungsministers werfen für uns eine Reihe von Problemen auf, die öffentlich diskutiert werden müssen.

1.Friedenspolitik ist nicht militärisch zu gestalten.

Der neue Kurs - so legt der Bundesverteidigungsminister in seinen Ausführungen am 13.1.2004 dar - sei "konsequent auf die wahrscheinlicheren Einsätze, nämlich Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus" ausgerichtet. Als weitere Aufgaben der Bundeswehr sollen "der Schutz Deutschlands, die Unterstützung von Bündnispartnern, die Rettung und Evakuierung und Hilfeleistungen durch die Bundeswehr" erhalten bleiben. (Rede von Bundesverteidigungsminister Dr. Peter Struck anlässlich der Pressekonferenz am 13.1.2004.) (Rede des Ministers)

Der neue Kurs - so heißt es weiter - bestimme sich daraus, dass bisher nicht vorhandene Fähigkeiten, "strategische Verlegung, weltweite Aufklärung sowie leistungsfähige und interoperable Führungssysteme" mit Priorität ausgebaut werden müssten, was sich aufgrund der Erweiterung der möglichen Einsatzgebiete ergebe - und, so führt der Minister aus: "mögliches Einsatzgebiet für die Bundeswehr ist die ganze Welt".

Als wichtigste Neuerungen werden aufgeführt:
  1. Der Aufbau von "Eingreifkräften" für "multinationale Operationen hoher Intensität", die "friedenserzwingende Maßnahmen gegen einen vorwiegend militärisch organisierten Gegner bei möglichst geringen eigenen Verlusten durchsetzen". 35.000 SoldatInnen sollen für diese "höchst modern ausgerüsteten und reaktionsfähigen Land-Luft- und Seestreitkräfte" bereitstehen.
  2. Die Einrichtung von Stabilisierungskräften (70.000 SoldatInnen für Einsätze mittlerer Intensität und längerer Dauer) soll sicherstellen, dass ca. 5 Einsätze, wie sie derzeit in Afghanistan und auf dem Balkan zur Überwachung von Friedensabkommen durchgeführt werden, gleichzeitig erfolgen können. Zwischen beiden Kategorien bestehe, so heißt es, ein "operatives Wechselspiel", also: eigentlich kein grundsätzlicher Unterschied, was die Einsatzziele anbelangt.
  3. Die Beibehaltung von Unterstützungskräften im Umfang von 137.500 SoldatInnen, die den Grundbetrieb der Bundeswehr samt Führungs- und Ausbildungseinrichtungen bilden.
Neben den seit Beginn der 90er Jahre durchgeführten Auslandseinsätzen im Rahmen von Nato, EU und OSZE, die friedensstabilisierende Wirkung haben und zum "Nationbuilding" beitragen sollen, so argumentiert der Minister, müsse Deutschland ein hinlängliches, aus allen Teilbereichen zusammengesetztes Streitkäftekontingent als Beitrag für den Fall kriegerischer Auseinandersetzungen vorhalten".

Diese Aussage steht in einem gewissen Widerspruch zu der in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" (VPR) vom Mai 2003 in Abschnitt 1.9. enthaltenen "Kernaussage": "Das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands ist durch veränderte Risiken und neue Chancen gekennzeichnet. Eine Gefährdung durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht."

Wir fragen uns, wie die Beschaffung von 180 Kampfflugzeugen des Prestigeprogramms Eurofighter und von Panzer- und Luftabwehrsystemen, von 30 Unterseebooten der Klasse U 212 A, der Fregatte F 125 angesichts des Wegfalls der Gefährdungen und nach Auflösung von Militärbündnissen aus der Zeit des kalten Kriegs sinnvoll begründet werden kann. Bei dem vom Verteidigungsminister deklarierten vorrangigen Auftrag der "Konfliktverhütung und Krisenbewältigung" können sie keine Funktion übernehmen, dasselbe gilt für Raketensysteme wie die Standard Missile 2, mit der lt. Angabe des BMVG "von Marineeinheiten anfliegende Luftfahrzeuge und gegnerische Flugkörper auf große Entfernung bekämpft werden" sollen. (http://www.bundeswehr.de/forces).

Auf der Suche nach weiteren Erläuterungen stößt man auf den verteidigungspolitischen Richtlinien, die der Minister am 21.05.2003 erlassen hat. Denenzufolge ist die "Verteidigung der Bundesrepublik" "geografisch nicht mehr eingegrenzt, sondern trägt zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist." (Abschnitt 1.5.) Die Verhütung und Bewältigung von Krisen wird überdies gleichzeitig zu einem Teil des Verteidigungsauftrags umdefiniert.

Im Zuge des geplanten Abbaus von 35.000 Haushaltsstellen der militärischen und 10.000 Stellen der zivilen Bundeswehrangestellten wird die Bundeswehr also zu einer etwas verkleinerten, allzeit bereiten und weltweit einsatzfähigen Armee umgebaut. Nennenswerte Einsparungskonzepte sind damit nicht erkennbar. Im Gegenteil ist absehbar, dass militärische Auslandseinsätze in Zukunft eher zunehmen und mehr Geld absorbieren werden als bisher. Gleichzeitig wird mit der von Struck angekündigten "Weiterentwicklung" ein fragwürdiges Instrumentarium geschaffen, das für militärische Interventionen und Angriffskriege einsetzbar ist. Wir sind besorgt darüber, dass Absichtserklärungen zur Krisenprävention und -bewältigung als Begründungen für militärische Potenziale herhalten müssen, die für diese Ziele ungeeignet und unangemessen sind oder sogar entgegengesetzte, krisenverschärfende Wirkung haben. Dass militärische Interventionen - auch wenn sie im Namen der Menschenrechte oder der Demokratieförderung geführt werden, diesen nicht gerecht werden, kann derzeit am Beispiel von Afghanistan und dem Irak beobachtet werden.

Wir meinen, dass weder die Intervention der Nato im Kosovo-Jugoslawienkrieg, noch die Interventionen in Afghanistan und im Irak überzeugende Beiträge im Dienst des "Nationbuilding" geleistet haben. Insofern denken wir, dass die Deutsche Bundeswehr für derartige Aktivitäten nicht gerüstet sein muss. Im Gegenteil, wir halten es sogar für friedenspolitisch bedenklich wenn sie es wäre. Die Vorhaltung offensivfähiger militärischer Kapazitäten beinhaltet immer ein großes Risiko und damit eine latente Friedensgefährdung. Auch wenn der gegenwärtigen Regierung der Bundesrepublik niemand ernsthaft militaristische Ziele und Tendenzen unterstellen wird, so kann niemand ausschließen, dass nachfolgende Regierungen derartige Ziele avisieren könnten.

In Anbetracht der Tatsache, dass in den Texten des BMVG nicht differenziert wird, welchen Auftrag die Bundeswehr an welchen Stellen der Welt mit welchen Mitteln erfüllen soll, ist die Sicherstellung der parlamentarischen Kontrolle (d.h., die Genehmigung von Auslandseinsätzen durch eine 2/3-Mehrheit des Deutschen Bundestages) um so wichtiger.

Die Bundeswehr kann nach unserem Dafürhalten durchaus eine konstruktive Rolle bei der Erhaltung von Frieden spielen - z.B. in Übergangssituationen nach vereinbarten Waffenstillständen bei der Überwachung und Durchsetzung vereinbarten Rechts. Sie kann einen Beitrag zur (Wieder-)herstellung von Sicherheit bis zum erfolgreichen Aufbau eigener Institutionen der Sicherheit leisten, indem sie die betroffenen Bevölkerungen vor Willkür und Gewalt schützt. Auch beim Aufbau solcher Institutionen und der Errichtung eines staatlichen Gewaltmonopols (Reform des Sicherheitssektors) kann die Bundeswehr wichtige Beratungsaufgaben übernehmen. Allerdings sollten die Kapazitäten der Bundeswehr dafür in den Dienst der Vereinten Nationen und ihrer Regionalorganisation, der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) gestellt werden. Unter solchen Bedingungen wäre zu wünschen, dass die Bundeswehr für Fähigkeiten der Überwachung von Demobilisierung, Rüstungskontrolle und Abrüstung auch weiterhin oder sogar noch stärker als bisher ausgebildet wird. Die Herstellung dieser Fähigkeiten erfordert eine deutlich andere Ausrüstung, als die Herstellung von Fähigkeiten für "vernetzte Operationen hoher Intensität", die im Klartext nichts anderes als Interventionskapazitäten bilden.

Nach Erkenntnissen der Friedens- und Konfliktforschung ergeben sich in vielen Teilen der Welt große Konfliktpotenziale aus Armuts- und Verelendungsprozessen, ökologischen Verwerfungen und Konkurrenz um begrenzte natürliche Ressourcen sowie aus der Schwäche von Institutionen und Staatszerfallsprozessen. Innerhalb dieser Szenarien gelingt es Diktatoren und undemokratischen Regierungen, ‚Warlords' und nichtstaatlichen Gewaltakteuren, Menschen entlang ethnischer, kultureller oder religiöser Unterschiede zu mobilisieren und für Kampfhandlungen zu aktivieren, die sich zu langandauernden Kriegen, Bürgerkriegen und Gewaltkulturen verstetigen. Innerhalb solcher Strukturen wiederum ergeben sich für staatliche wie nichtstaatliche Gewaltakteure viele Möglichkeiten, sich eigene Vorteile und Privilegien zu sichern, von Kriegsökonomien zu profitieren und diese am Laufen zu halten.

Es erscheint uns nicht ausreichend begründet und weiterhin fraglich, welche Rolle die Deutsche Bundeswehr bei der Reduzierung und Einhegung derartiger Gewaltspiralen spielen kann. Ein Weißbuch für die Bundeswehr wurde lange angekündigt, liegt jedoch bis heute nicht vor. Die oben geschilderten Konfliktszenarien erfordern vorrangig den Ausbau von Maßnahmen und Instrumenten, die auf die Bewältigung ihrer Ursachen abzielen. Hier hat die deutsche Bundeswehr jedoch nach unserer Einschätzung zunächst nichts Wesentliches beizutragen. Dies ist Aufgabe von Entwicklungs-, Handels-, Kultur-; Wirtschafts-, Agrar- und Finanzpolitik und des Auswärtigen Amtes sowie der Polizeieinrichtungen und nicht des Militärressorts.

2.Das internationale Gewaltmonopol für die Vereinten Nationen sollte die Orientierung sein.

Im Hinblick auf die multinationalen und bündnispolitischen Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr blieben die Ausführungen des Verteidigungsministers vom 13.1. ähnlich diffus wie der entsprechende Absatz (42.) der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom Mai 2003:

Darin heißt es:
"Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr - mit der möglichen Ausnahme von Evakuierungs- und Rettungseinsätzen - werden gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Rahmen von VN, Nato und EU stattfinden".

Hier wird zwar anerkannt, dass den VN bei der Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jh. eine "herausragende Rolle" zukomme und dass der VN-Sicherheitsrat die "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" trage. Das klare Bekenntnis dazu, dass die VN das einzige legitime Organ bilden, das über den Einsatz militärischer Gewalt entscheiden kann, bleiben die VPR allerdings schuldig, und auch in der Rede des Verteidigungsministers erscheinen die VN in einer Reihe mit anderen Partnern und Organisationen wie etwa der Nato und der EU, ganz als handele es sich um die wahlweise Vernetzung im Rahmen sogenannter "interlocking institutions". Das UN-System bildet jedoch - bei allen Unzulänglichkeiten - die zentrale zivilisatorische Errungenschaft im Dienste der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, eine Grundvoraussetzung der Eindämmung von Gewalt im internationalen System.

Die vorliegenden Texte lassen eine klare Aussage dazu, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich nur im Rahmen des geltenden Völkerrechts und legitimiert von den Vereinten Nationen vonstatten gehen dürfen, vermissen.

Von der Bundesregierung erwarten wir eindeutige Aussagen dazu, dass sie sich dafür stark macht, dass die neuen EU-Verbände eindeutig in den Dienst der Vereinten Nationen und/ oder der OSZE gestellt werden.

Der militärische Schulterschluss Großbritanniens mit den USA nach dem 11. September zeigte, wie weit die EU von einer eigenständigen und gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entfernt ist. In den vergangenen Jahren wurden militärische Interventionen mit unilateralem oder auch multilateralem Charakter mit unterschiedlichen Begründungen und Legitimationen (Schutz der Menschenrechte, Durchsetzung einer demokratischen Ordnung, Eindämmung von Massenvernichtungsmitteln etc.) durchgeführt. Die Interventionen wurden unter anderem auch damit begründet, Ansätze der Prävention hätten versagt bzw. alle zivilen Mittel seien ausgeschöpft. Bei genauerer Betrachtung kann man jedoch auch zu der Einschätzung gelangen, dass präventive Ansätze in entscheidenden Situationen nicht oder noch zu wenig zur Anwendung gekommen sind. Gerade an der Genese, dem Verlauf und dem Ergebnis des Kosovo-Krieges lassen sich Merkmale des Versagens von internationaler Politik studieren: Des Versagens europäischer Kooperationspolitik, die mit rechtzeitigen politischen Initiativen einer Eskalation hätte vorbeugen und nach friedlichen Lösungen hätte suchen müssen. Derartige Uneinigkeit und der Mangel an politischem Willen können auch durch den Aufbau weiterer effizienter und modern ausgerüsteter militärischer Verbände nicht ausgeglichen werden.

Die EU besitzt das Potenzial, wesentlich zur Bewältigung von Gewaltkonflikten und zur weltweiten Stärkung multilateraler Politik beizutragen. Das setzt aber zweierlei voraus: erstens die konsequente Absage an eigene Hegemonialbestrebungen und Militarisierung; und zweitens die Bereitschaft, sich dort, wo sich die US-Regierung dieser Zielrichtung verweigert und hegemoniale Sonderinteressen verfolgt, geschlossen dem transatlantischen Dissens zu stellen. Nur so können die politischen Kräfte innerhalb der USA, die sich für eine multilaterale Außenpolitik einsetzen, gestärkt werden. Statt im Bereich der militärischen Interventionskapazitäten aufzuholen, sollte die EU eigenständige friedenspolitische Initiativen in Krisenregionen wie dem Nahen und Mittleren Osten, in Zentralafrika und Lateinamerika ergreifen und sich gegenüber den USA nachdrücklich dafür einsetzen, dass Terrorismusbekämpfung unter der Autorität der VN und ihres Sicherheitsrates erfolgt.

Es ist das historische Verdienst der EU, dass sie es vermochte, den Frieden unter den Mitgliedstaaten zu sichern und ehemalige Weltkriegsgegner miteinander auszusöhnen. Dies gelang ihr nicht mit militärischen Mitteln, sondern durch Schritte zur politischen Integration und mithilfe wirtschaftlicher Kooperation. Um künftig in den Außenbeziehungen der EU den Primat der Politik und ziviler Krisenpräventionsmaßnahmen vor militärischen Interventionen zu sichern, sollte in die Europäische Verfassung eine ausdrückliche Ächtung des Krieges aufgenommen werden. Zudem wäre analog zu dem vorgesehen "Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" eine gleich gewichtige Institution zur Verhütung gewaltsamer Konflikte, Abrüstung und Rüstungskontrolle zu schaffen. Schließlich muss die in Art. I-40 des Verfassungsentwurfs vorgesehene Pflicht zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten gestrichen werden. Sie ist mit den in Art. I-3 vorrangig genannten Zielen , "den Frieden...zu fördern" nicht vereinbar.

3.Friedensfähigkeiten müssen stärker als militärische Potentiale gefördert werden

Es bleibt für uns ein Grundwiderspruch bestehen, der in der bundesdeutschen Gesellschaft - abgesehen von Friedensforschung und Friedensbewegung - bislang zu wenig diskutiert wird:

Obgleich - wie bereits festgestellt wurde - die Bundeswehr keine substanziellen Beiträge zur Bewältigung von Konfliktursachen leisten kann, erhält sie deutlich höhere öffentliche Investitionen und ein Vielfaches an finanzieller Unterstützung mehr als diejenigen Akteure, die sich ursachenorientiert der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung widmen. Das Budget des Entwicklungshilfeministeriums (BMZ) (Einzelplan 23) für 2004 weist nur 3,8 Mrd. Euro und damit nur knapp ein sechstel des militärischen Budgets aus. Die Vereinten Nationen haben eine Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7% des Bruttoinlandsprodukts gefordert. Davon ist die Bundesrepublik noch immer weit entfernt. Die Verantwortlichen des BMZ gehen davon aus, dass für 2006 gerade einmal die Hälfte der geforderten Erhöhung in Aussicht gestellt werden kann.

Wie passt es zusammen, dass im Bundeshaushalt für den Betrieb der Bundeswehr allein im Einzelplan 14 insgesamt 24 Milliarden Euro vorgesehen sind, dass aber der Ausbau der "Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung", der von der rot-grünen Regierung 1998 als ein wichtiges Ziel im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, nur mit jährlichen Beträgen gefördert wird, die eine zweistellige Millionensumme nicht übersteigen? Die Förderung des zivilen Friedensdienstes beim BMZ und der Haushaltstitel des Auswärtigen Amts für friedenserhaltende Maßnahmen, die als neue Instrumente der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung etabliert wurden, umfassen zusammen knapp 30 Mio. Euro.

Wie passt es zusammen, dass die "Deutsche Stiftung Friedensforschung" (DSF) mit einem Grundkapital von etwa 25 Millionen Euro wirtschaften muss, während der Verteidigungshaushalt/Einzelplan 14 allein für den Bereich "Forschung, Entwicklung und Erprobung" weiterhin stolze 952 Mio. Euro vorsieht? Wenn letzterer für dieses Haushaltsjahr eine Einsparung von 123 Mio. Euro in Kauf nehmen muss, so gefährdet das die Existenz der Rüstungsforschung kaum. Die DSF hingegen muss im Vergleich damit das Kunststück vollbringen, mit sehr bescheidenen Beträgen aus schrumpfenden Zinserträgen die dringend erforderlichen Forschungsarbeiten zu finanzieren, die sich der Analyse von Konfliktdynamiken und Ansätzen zu ihrer Überwindung, völkerrechtlichen und rüstungskontrollpolitischen Fragen sowie dem Aufbau von Friedensordnungen widmen. Überdies sind eine Reihe von Einrichtungen der Friedens- und Konfliktforschung von gravierenden Budgetkürzungen betroffen. Den Forschungsinstituten in Hamburg und Frankfurt/M. sowie der Landesarbeitsgemeinschaft Friedensforschung in Nordrhein-Westfalen haben die jeweiligen Landesregierungen dramatische Einsparungen angedroht, die - sofern sie realisiert würden - bestandsgefährdende Auswirkungen haben könnten.

Die Bundesregierung und das Parlament haben mit der Gründung der Bundesstiftung Friedensforschung im Jahr 2000 einen Schritt in die richtige Richtung getan. Aus dem Zinsertrag des Stiftungsvermögens konnten Forschungsprojekte finanziert, Tagungen unterstützt und neue für die Friedensforschung relevante Studiengänge eingerichtet werden. Jedoch zeigt sich, dass das Stiftungsvolumen bei weitem nicht ausreicht, um eine substanzielle Förderung zu gewährleisten. Nur wenn in den kommenden Jahren sowohl seitens der Länder als auch auf Bundesebene mit vereinten Kräften diesem Bereich die erforderliche materielle Zuwendung zuteil wird, können anspruchsvolle und fundierte Expertisen entstehen auf die sich die bundesdeutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik stützen kann, um internationale Aktivitäten sinnvoll und effektiv zu gestalten. Dafür bedarf es einer Förderung von Grundlagenforschung und konkreten Fallstudien, die nicht allein im Rahmen von Beratungsgremien, sondern im Kontext einer unabhängigen Wissenschaft erstellt werden können und müssen.

Der Friedens- und Konfliktforschung und den Regionalwissenschaften kommt die Aufgabe zu, 1. die Ursachenfaktoren und die Dynamik von Konflikten zu analysieren und 2. die Wirksamkeit von Instrumenten der Krisenbewältigung zu untersuchen. Dies ist um so nötiger, als auch nicht-militärische Ansätze der Krisenprävention oft eine "Intervention", das heißt einen Eingriff in existierende sozio-ökonomische Strukturen beinhalten, der von den Durchführenden - egal ob es sich um Staaten, Staatenorganisationen oder nicht-staatliche Akteure handelt, jeweils mit großer Sorgfalt zu gestalten und (selbst-)kritisch zu hinterfragen ist.

Schlussfolgerungen:

1. Obgleich die Forderung nach Krisenprävention bereits seit mehr als einem Jahrzehnt die politischen Verlautbarungen von Akteuren der internationalen Politik geprägt hat, kann man nicht davon sprechen, dass ein Paradigma des vorbeugenden Handelns das Prinzip des reaktiven Umgangs mit Gewaltkonflikten abgelöst hat. Die politische Praxis der vergangenen Jahre erweist sich stark an der Logik der militärischen "Krisenreaktion" orientiert. Weltweit - aber auch in der Bundesrepublik - werden weiterhin sehr viel mehr finanzielle Mittel für militärische Interventionspotenziale als für den Ausbau von zivilen Präventionsinstrumenten bereitgestellt. Es besteht ein massives Ungleichgewicht - sowohl in der Alimentierung als auch in der medialen Aufmerksamkeit - zwischen den zentralisierten und von einer starken Lobby unterstützen Militärapparaten auf der einen Seite und den schwachen, dezentralisierten Strukturen, mit denen zivile Instrumente der Krisenprävention bisher ausgestattet sind. Dieses Machtgefälle wirkt zugunsten des Militärapparats und des militärischen Umgangs mit Krisen, wie der Friedensforscher Harald Müller verdeutlichte und durch einen Vorschlag für die Einrichtung eines "Ministeriums für Krisenprävention" untermauerte. (Do not send the Marines! Plädoyer für die Einrichtung eines Ministeriums für Krisenprävention, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Jg.41, Heft 9/2000: 232-233)

2. Mit dem Plädoyer für die Schaffung verlässlicher Institutionen und Instrumente der Krisenprävention und Krisenbewältigung muss zwingend die Forderung nach einer Umschichtung finanzieller Mittel zugunsten des zivilen, präventiven Bereichs einhergehen, um das gegenwärtig vorhandene krasse Missverhältnis zu überwinden. Erst wenn in dieser Hinsicht "Chancengleichheit" besteht, können Erfolge und Misserfolge dieser Instrumente und Methoden bewertet werden.

3. Eine aktuelle Gefahr sehen wir darin, dass die Möglichkeiten des Einsatzes transnationaler Militärmacht, der Beachtung von Menschenrechten Geltung zu verschaffen, überschätzt werden. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass in der Diskussion um die Gestaltung einer Weltinnenpolitik" die Moral gegen das Recht ausgespielt wird. Der Soziologe Ulrich Beck wies - unter dem Eindruck des Kosovo-Kriegs - darauf hin, dass im Zuge der "neuartigen postnationalen Politik des militärischen Humanismus" der "Krieg zur Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln" werde, was es umso schwerer mache, der Eskalationslogik des Krieges einen politischen Riegel vorzuschieben. Er sagte daher für das 21. Jahrhundert eine wachsende Zahl von Kriegen voraus, die mit dem Ziel der Pazifizierung und Sicherung von Menschenrechten begründet würden.

In der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ließ sich ein verstärkter Trend hin zu einer unkritischen Akzeptanz des Konzepts präventiver militärischer Intervention beobachten (und dieser Trend wurde in Deutschland durch den Irakkrieg möglicherweise nur kurzfristig unterbrochen): Indem außenpolitische Berater und politische Entscheidungsträger in einigen westlichen Gesellschaften die Einschätzung vertraten, terroristischen Strukturen sei am ehesten durch einen "frühzeitigen" Einsatz von Militär beizukommen, kam es auch hierzulande zu einer Vereinnahmung des Präventionsgedankens durch militärische Logik.

Dieser Tendenz versuchten Friedens- und Konfliktforscher mit dem Hinweis entgegenzuwirken, dass die Bekämpfung von Terrorismusgefahren nicht in erster Linie eine militärische Aufgabe ist, sondern eine umfassende Strategie erfordert, die folgende Maßnahmen beinhaltet: 1) präventive Ansätze im Rahmen von Außen- und Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zur Transformation von Gewaltökonomien; 2) den Entzug von Ressourcen wie Geld und Waffen; 3) eine effizientere Zusammenarbeit der Geheimdienste; sowie 4) präventive polizeiliche Maßnahmen. Mit dem Ausbau und Einsatz offensivfähiger Interventionspotentiale im Rahmen von Militärbündnissen ist diesen Problemen ihrer Ansicht nach kaum beizukommen.

4. Wir sind der Meinung, dass der von der Bundesregierung eingeschlagene Trend zur Modernisierung der Bundeswehr in eine völlig falsche Richtung geht. Sie enthält keine Tendenz zur Abrüstung sondern basiert auf dem Konzept einer Umrüstung, die auf Interventions- und Offensivfähigkeit zielt. Aus dieser Logik leitet sich das Plädoyer für Flexibilität, Mobilität, Durchhaltefähigkeit und weiträumige Verlegbarkeit ab. Wir können dieser Logik nicht folgen.

Wenn diese Fähigkeiten aus- und aufgebaut werden, so ist dies mit dem Anspruch, Instrumente der Krisenprävention und Krisenbewältigung weiter zu entwickeln, nicht zu vereinbaren. Die Absichtserklärungen der Bundesregierung für den Ausbau einer "Infrastruktur der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung" werden dadurch unglaubwürdig. Eine Realisierung der von Verteidigungsminister Struck vorgestellten "Weiterentwicklung" wäre gleichbedeutend damit, dass zivile Ansätze ein Anhängsel militärisch gestützter Sicherheitspolitik blieben. Nur ein Verzicht auf Offensiv- und Interventionsfähigkeit kann sicherstellen, dass den zivilen Ansätzen der Primat beigemessen wird.

Forderungen:

1. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich von einem militärisch dominierten "Sicherheitsverständnis" zu distanzieren und für die Zukunft durch eindeutige Aussagen in den verteidigungspolitischen Richtlinien und dem angekündigten Weißbuch zur Bundeswehr sicherzustellen, dass deutsche Streitkräfte nicht in völkerrechtswidrigen und völkerrechtlich zweifelhaften militärischen Interventionen zum Einsatz kommen. Der Artikel 26 des Deutschen Grundgesetzes, der die Beteiligung an einem Angriffskrieg verbietet, darf nicht fragwürdigen Bündniszwängen geopfert werden. Einsätze, die das Mandat zur Gewaltanwendung einschließen, dürfen nur im Kontext von Missionen der VN und nur nach Ausschöpfung aller zivilen und diplomatischen Mittel und unter Wahrung des Gebots der Verhältnismäßigkeit der Mittel erfolgen.

2. Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen Kurs in einer grundsätzlich veränderten Bundeswehrbeschaffungs- und Ausrüstungspolitik zu dokumentieren sowie endlich spürbare finanzielle Umschichtungen zugunsten des Ausbaus der zivilen Instrumente der Konfliktbearbeitung und Krisenprävention vorzunehmen und auch im europäischen Rahmen voranzutreiben. Auf die Ausrüstung offensivfähiger Eingreifkräfte sollte verzichtet werden, ebenso auf Waffen und Streitkräftestrukturen, die die Bundeswehr interventionsfähig machen. Anstrengungen für den Aufbau von Instrumenten ziviler Krisenprävention und -bewältigung können nur Glaubwürdigkeit beanspruchen, wenn sie parallel zu einer Politik der Abrüstung und militärischen Selbstbeschränkung erfolgen.

3. Wir fordern von der Bundesregierung die Stärkung von Frühwarninstrumenten, von Initiativen der präventiven Diplomatie, von Maßnahmen zur Stabilisierung zerfallsgefährdeter Staatswesen und zivilgesellschaftlicher Strukturen, von Prozessen der regionalen politischen und ökonomischen Integration und von Dialogstrukturen in Systemen gemeinsamer Sicherheit. Es bedarf weiterhin einer restriktiven Rüstungsexportpolitik und wirksamer Mechanismen zur Eindämmung der Weiterverbreitung von Waffen, der Rüstungskontrolle und Abrüstung wie auch zur Eindämmung des Handels von kriegswichtigen Ressourcen. Die politischen Mandats- und Entscheidungsträger hierzulande - und weltweit - sind gefordert, die bei den VN und deren Regionalorganisationen, bei der Europäischen Union und auf nationaler Ebene hierfür bereits existierenden Instrumente weiter auszubauen und - in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren der Friedens-, Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit - stärker zum Einsatz zu bringen.

4. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Friedensforschung endlich finanziell und personell in die Lage zu versetzen, die - so gestärkten - Methoden und Instrumente der Krisenprävention und konstruktiven Konfliktbearbeitung einer begleitenden kritischen Analyse zu unterziehen und zu empirisch fundierten Aussagen zu gelangen, welche Instrumente sich am besten zum Umgang mit den so genannten "neuen Kriegen" und Gewaltkonflikten eignen. Dabei geht es auch um die Auswertung der Erfahrungen, die zahlreiche grenzüberschreitend arbeitende zivilgesellschaftliche Organisationen (NRO, kulturelle und gemeinnützige Stiftungen u.a.) in den vergangenen Jahren in der Friedens-, Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit gewonnen haben. Zum andern müssen Militärinterventionen endlich in gleicher Weise einer kritischen Wirkungsanalyse unterzogen werden. Eine ehrliche und umfassende Bilanz der Folgen der militärischen Interventionen im Kosovo, Afghanistan und dem Irak steht bislang noch aus. Eine solche Bilanz müsste in seriöser Weise Auskunft darüber geben, ob diese Interventionen die Ziele einzulösen vermochten, die sie zu erfüllen ankündigten (darunter die Eindämmung von Menschenrechtsverletzungen, Gewalteskalation und Friedensgefährdungen, Einhegung terroristischer Bedrohungen und Schaffung der Voraussetzungen für Demokratisierung). Eine solche Untersuchung darf auch die durch Kriegseinsätze verursachten menschlichen, politischen und ökologischen Kosten für die betreffenden Gesellschaften, ihre Nachbarregionen und für die internationalen Beziehungen insgesamt nicht verschweigen. Da die Befürworter militärischer Interventionen diese im Nachhinein oft unhinterfragt als Erfolgsgeschichten präsentieren und selten selbstkritisch bilanzieren, ist hier besonders die Expertise der Friedens- und Konfliktforschung gefragt.

Berlin, Februar 2004

Lesen Sie hierzu auch
Friedensbewegung: "Struck übt sich im Tarnen und Täuschen".
Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zur neuen Bundeswehrkonzeption von Verteidigungsminister Peter Struck (14. Januar 2004)


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