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Umbau der Bundeswehr - Neuausrichtung unzureichend koordiniert?

Ein Beitrag aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Von Andreas Flocken *

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, ist seit einem hal¬ben Jahr im Amt. Anders als sein Vorgänger Wolf¬gang Schneiderhan scheut Wieker soweit es geht die Öffentlichkeit. Er hat bisher kaum Interviews gegeben, der ranghöchste Soldat der Bundeswehr agiert lieber im Hintergrund. In der Bevölkerung ist Wieker weitgehend unbekannt, und selbst in der Truppe hält sich sein Bekanntheitsgrad in Grenzen. Zu hören ist, eigentlich wollte er gar nicht Generalinspekteur werden. Aber nach dem Rauswurf seines Vorgängers hat sich Volker Wieker von Ver¬teidigungsminister zu Guttenberg in die Pflicht neh¬men lassen. Damals war noch nicht absehbar, was für eine Herkules-Aufgabe auf den Generalinspek¬teur zukommen würde. Wieker steht vor einer rie¬sigen Herausforderung: Die Bundeswehr muss wegen der Spar¬zwänge drastisch reduziert und ganz neu ausgerichtet werden. Zurzeit haben die deutschen Streit¬kräfte einen Umfang von 250.000 Soldaten. Doch diese Stärke wird sich nicht halten lassen, genauso wenig wie die Wehrpflicht - bisher eine zentrale Säule der Bundeswehr. Die neue Formel für den Umfang der Streitkräfte heißt 150.000 plus X.

Der Umbau wird weitreichende Folgen haben. Miteinander in Einklang ge-bracht werden müssen der Auftrag der Bundeswehr, die militärischen Fähigkeiten, die Struktur und die hierfür benötigten Finanzmittel. Im September soll das Konzept für die neue Bundeswehr stehen, so hat es der Verteidigungsminister angekündigt.

Doch ob alles so glatt verlaufen wird, ist keineswegs sicher. So wurde in der vergangenen Woche bekannt, auf welche der geplanten milliardenteuren Waffensysteme die Streitkräfte künftig verzichten sollen. "Priorisierung Materialinvestitionen", so der offizielle Titel des vertraulichen Papiers. Vorgesehen ist u.a. der Verzicht auf 37 weitere Eurofighter, die Zahl der bestellten 80 Kampfhubschrauber Tiger soll halbiert werden, es wird weniger Puma-Schützen¬panzer geben, und die Bundeswehr wird sich offenbar nicht an der von dem Rüstungskonzern EADS angepriesenen Aufklärungsdrohne Talarion beteiligen. Dafür will man aber, so heißt es, an dem umstritte¬nen Luftverteidigungssystem MEADS festhalten.

Das Verteidigungsministerium betont zwar: Ent¬schieden sei noch nichts. Trotzdem verwundert die Vorgehensweise des Ministeriums. Schließlich wäre zu erwarten gewesen, dass man sich zunächst nicht über Rüstungsprojekte, sondern über den Auftrag und die dafür benötigten Fähigkeiten der Bundeswehr verständigt hätte. Daraus lassen sich dann in einem zweiten Schritt die erforderlichen Waffensysteme ableiten. Die Bundeswehr - so der Eindruck - macht es aber genau umgekehrt: Zuerst Verständigung über die Waffensysteme und dann über die benötig¬ten Fähigkeiten.

Verwunderlich ist aber auch ein anderer Punkt: Die Streichliste entstand unter Federführung des neuen Staatssekretärs Walther Otremba. In der Bundes¬wehr gibt es allerdings ein eigenes Gremium, das sich mit Beschaffungsfragen befasst: den soge¬nannten Rüstungsrat. Er untersteht dem Generalin¬spekteur. Die Aufgaben des Gremiums sind in dem vor fünf Jahren in Kraft gesetzten Berliner Erlass fol¬gendermaßen definiert:

Zitat Berliner Erlass:
"Der Rüstungsrat erörtert grundsätzliche und bedeutsame Fragen der Rüstung. Insbesondere werden rüstungsplanerische Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung, Erfordernisse zur Weiterentwicklung oder veränderten Schwerpunktsetzung der Fähigkeiten der Bundeswehr und wesentliche Einzelprojekte der Rüstung behandelt."

Doch der Rüstungsrat ist zuletzt im März vergangenen Jahres zusammengekommen. Das Gremium hat sich also mit der jetzt diskutierten Streichung von Beschaffungsprojekten bisher überhaupt nicht befasst.

Offen ist auch, welchen Beitrag die im April eingesetzte Reformkommission unter Frank-Jürgen Weise zur Neuausrichtung der Bundeswehr leisten wird. Bisher hat die Kommission fünf Mal getagt. Frank-Jürgen Weise leitet im Hauptberuf die Bundesagentur für Arbeit. Mit der Neustrukturierung der Bundeswehr wollte er sich zusätzlich und auch an den Wochenenden befassen. Als Reserveoffizier hat Weise Anfang des Monats im Zusammenhang mit der Kommissionsarbeit außerdem eine dreitägige Kurzwehrübung im Führungsstab der Streitkräfte absolviert.

Bei der Einsetzung der Reform-Kommission im April machte zu Guttenberg deutlich, dass die Wehrform und der Bundeswehr-Umfang keine Themen für die Reformkommission sind:

O-Ton Guttenberg:
"Die Gesamtpersonalgröße der Bundeswehr - in meinen Augen kann das kein prioritäres Ziel sein. Wie ich gesagt habe geht es darum, die vorhandenen Strukturen effizienter zu gestalten."

Es ist also unklar, wie weit die Vorschläge der Reformkommission gehen werden. Emsig werden zurzeit auf den verschiedensten Baustellen der Bun-deswehr Papiere und Vorschläge ausgearbeitet - unabhängig voneinander. Wie sie zu einem gemeinsamen Konzept zusammengefügt werden, ist nicht erkennbar.

Der Eindruck bleibt, dass bei der überfälligen Neuausrichtung der Bundeswehr das Pferd vom Schwanz aufgezäumt wird. Zu der wün-schenswerten Reform aus einem Guss wird es wohl nicht kommen. Auch, weil es um die Wehrpflicht geht. Mit dieser Frage wollen sich außerdem Ende Oktober und Mitte November die Parteitage von CSU und CDU befassen. Und schließlich wird es noch beträchtliches Störfeuer von Gemeinden und Kommunen geben. Denn von den derzeit rund 400 Bundeswehr-Standorten könn¬ten bis zu 200 geschlossen werden. Damit aber sind Proteste programmiert. Bei dem Umbau der Streitkräfte werden Verteidigungsminister zu Guttenberg und vor allem sein in der Öffentlichkeit nicht präsenter Generalinspekteur einen schweren Stand haben.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 17. Juli 2010; www.ndrinfo.de


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