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Scheitern als Sieg

Analyse. In christlicher Tradition: In den Reden der Bundeskanzlerin Angela Merkel wird das Bild des Bundeswehrsoldaten als Märtyrer für die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" immer deutlicher entwickelt

Von Eugen Januschke *

Der Versuch, seit 1996 in Berlin ein öffentliches Gelöbnis am 20. Juli zu etablieren, diente zunächst vorrangig der Normalisierung der Bundeswehr als Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Nachdem in Afghanistan immer mehr Bundeswehrsoldaten zu Tode kommen, stellt sich die Frage, ob das Gelöbnis die zusätzliche Aufgabe erhält, die Inkaufnahme der Todesgefahr von Soldaten zu legitimieren. Wenn auch noch nicht direkt so benannt, werden die in Afghanistan gestorbenen Bundeswehrsoldaten zu eine Art Märtyrer für »Frieden, Recht und Freiheit« aufgebaut. Erste Anhaltspunkte gab es bereits in der Rede der Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gelöbnis vom Vorjahr, weitere bei ihrer Trauerrede zu den am Karfreitag diesen Jahres zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten.

Zur Normalisierung der Bundeswehr und zur Heroisierung ihrer Soldaten bietet sich das Gelöbnis zum 20. Juli besonders an, da es die beiden Ziele über das historische Referenzereignis des Gelöbnisses zu verknüpfen erlaubt. Zunächst diente die Wahl des 20. Juli 1944 vor allem dazu, eine Verbundenheit zwischen Soldaten und demokratischer Gesellschaft zu inszenieren. Für die Bundeswehr wurde mit dem Offiziersattentat ein geschichtliches Ereignis gefunden, das trotz aller ihrer bestialischen Taten den Bezug auf die Wehrmacht an sich erlaubt. Diese Anknüpfung an die verbrecherische Wehrmacht wird demokratisch verbrämt, indem suggeriert wird, die Attentäter des 20. Juli hätten neben der Beseitigung Hitlers vorrangig die Durchsetzung demokratischer Werte im Sinn gehabt. Nun liegen schon seit längerer Zeit historische Untersuchungen vor, die zweifelsfrei belegen, daß zahlreiche von ihnen nicht nur tief in die verbrecherische Kriegführung des deutschen Faschismus verstrickt waren. Sondern sie haben diese Verbrechen auch aktiv betrieben und selbst gewollt. Seit Jahren wird nicht zuletzt von den Festrednern des Gelöbnisses dieser Umstand relativiert, kleingeredet, historisiert und bagatellisiert. Wenn schon öffentlich der Mythos der »sauberen Wehrmacht« nicht mehr haltbar ist, so soll zumindest der Mythos der »sauberen Offiziersattentäter« verteidigt werden.

Doch Kriegskanzlerin Angela Merkel hat es bei ihrer Rede zum Gelöbnis im letzten Jahr nicht hierbei belassen. Es läßt sich zeigen, daß im gegenwärtigen politischen Diskurs ein weiterer Mythos um den deutschen Soldaten aufgebaut wird. Dabei werden die Soldaten zu besonderen Trägern des Gedankens der »Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung« gemacht. In Merkels Worten 2009: »Das aktive Einstehen (der Bundeswehrsoldaten - E.J.) für unsere Sicherheit und unsere Werte gehört für mich zu den Grundpfeilern unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung. (...) Jeder, der Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten genießt, sollte diejenigen wertschätzen, die unsere Freiheit schützen.«

Kreuzritter als Märtyrer

Es drängt sich sie Frage auf: Haben die Soldaten einen Anspruch auf besondere Ehrung durch die Gesellschaft, weil ihnen unterstellt wird, daß sie mit ihrem Leben für diese Werte einstehen? Bei Merkel selbst lassen sich Tendenzen ausmachen, diese Forderung nach Wertschätzung der Soldaten in die Behauptung eines Märtyrertums für »Frieden, Recht und Freiheit« weiter zu entwickeln. Und für diese Vorarbeit zur Installierung eines neuen Mythos der »sauberen Bundeswehr« ist der 20. Juli ebenfalls bestens geeignet. Nun scheint es zunächst sehr fremd, Bundeswehrsoldaten mit dem Märtyrerbegriff in Verbindung zu bringen. Hingegen geläufig ist er im »islamischen Kulturkreis« für Selbstmordattentäter und bewaffnete Kämpfer, die für diverse Befreiungs- und Vergeltungsziele ihr Leben lassen. Doch auch im »christlichen Kulturkreis« ist das Märtyrertum nicht unbekannt.

Die frühchristlichen Märtyrerinnen und Märtyrer legten eine »Blutzeugenschaft« für die Göttlichkeit Christi und den christlichen Glauben ab. Die blutige und tödliche Bestrafung für das religiöse Bekenntnis hinzunehmen, wird dadurch erhöht, daß sie als »Nachahmung Christi« in dessen Leiden für die Erlösung der Welt verstanden wird. Die Märtyrer »vervollständigen« sogar das Leiden Jesu, so Paulus: »Nun freue ich mich über meine Leiden für euch und ergänze das, was an Christi Drangsalen noch aussteht, an meinem Fleisch für seinen Leib, welcher die Kirche ist« (Kolosserbrief 1,24). Damit erfahren die Märtyrer höchste Ehrung als Figuren des Frühchristentums, weil sie in nicht überbietbarer Weise Christus nachgefolgt sind. Doch wie soll es hier eine Verbindung zum Soldatentum geben? Die Antwort kann auf eine direkte historische Linie verweisen: die Kreuzzüge.

Diese waren eine Erfindung des ausgehenden 11. Jahrhunderts. Deren vorgebliches Ziel war die »Rückeroberung« des »Heiligen Landes« mit den für die Christenheit wichtigen Pilgerstätten aus dem islamischen Herrschaftsbereich. Weniger bekannt ist der Umstand, daß die Kreuzzüge eine entscheidende Wendung im Rittertum, verstanden als das mittelalterliche Soldatentum, darstellen. Vorher kämpften die Ritter für ihren Lehnsherrn, was mehr oder weniger profitabel war, aber kein besonderes Seelenheil versprach. Maßgeblicher Propagandist des ersten Kreuzzuges war Papst Urban II. Von ihm wurde die Verheißung von ewiger Ehre, die den frühchristlichen Märtyrern galt, auf die Kreuzritter übertragen, inklusive einer direkten Eintrittskarte für das Paradies. Dies mag überraschend erscheinen, da das Bild der frühchristlichen Märtyrer wesentlich davon geprägt ist, daß diese ohne Gegenwehr ihre Ermordung hingenommen haben. Aber in der Logik des Papstes zählte eben nicht die Gewaltlosigkeit, sondern der Fokus seiner Argumentation lag auf dem Einsatz des eigenen Lebens als extreme Form des Glaubensbekenntnisses. In diesem Sinne sollten die Kreuzritter, die für die Eroberung des »Heiligen Landes« ihr Leben ließen, mit den frühchristlichen Märtyrern gemein gemacht werden. Im weiteren Verlauf erfuhr der Kampf um das »Heilige Land« eine Säkularisierung. Wie der deutsch-jüdische Historiker und Mediävist Ernst Hartwig Kantorowicz gezeigt hat, erlaubte diese weitergehende Säkularisierung des Kampfes um das »Heilige Land«, jene Ehre auch im Kampf für die jeweilige »Nationalmonarchie« zu erlangen. Mit Bezug auf dieses Märtyrerbild lassen sich einige Passagen in Merkels Rede als Indizien eines entstehenden Märtyrerbildes für die in Afghanistan zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten deuten, auch wenn diese bisher noch nicht explizit als Märtyrer bezeichnet werden.

Victima und sacrificium

Dagegen werden die getöteten Bundeswehrsoldaten durchaus als Opfer benannt. Daß dies semantisch überhaupt möglich ist - und weitergehend am Volkstrauertag oder an der Neuen Wache sowohl den Opfern des Genozids an den europäischen Juden und Sinti und Roma als auch den »Opfern des Bombenkrieges« oder sogar der zu Tode gekommenen Wehrmachtssoldaten zusammen gedenken zu können -, wird vielfach der mangelnden Differenzierung der deutschen Sprache angelastet. Diese unterscheidet nicht wie das Latein zwischen victima und sacrificium. Denn die Formel »Den Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft« meint zunächst Opfer im Sinne von victima, die unwillentlich einem fremden Geschick ausgeliefert waren, als passives und wehrloses Objekt von Gewalt.

Bundeswehrsoldaten fallen zwar bisweilen auch »feigen und hinterhältigen Anschlägen« zum Opfer. Sie aber als Opfer im Sinne von victima zu verstehen, unterschlüge nicht nur den Umstand, daß diese nicht gezwungen sind, Soldaten zu sein mit dem dazugehörigen Risiko, dabei getötet zu werden. Sondern die Bestimmung als victima wäre kaum staatstragend, denn die Soldaten sollen ein Opfer als sacrificium tätigen.

Sacrificium bezieht sich im heutigen Sprachgebrauch auf den selbstbestimmten Einsatz des eigenen Lebens in einem heroischen Sinne für Ziele, hinter denen man selbst steht. Wäre der Bundeswehrsoldat »lediglich« victima, so stünde dies im Kontrast zur offiziellen Vertretung des grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechtes, für das er auch zu kämpfen hat. In Merkels Worten 2009: »Sie (die zum Gelöbnis angetretenen Bundeswehrsoldaten - E.J.) stehen hier, um gemeinsam dem Recht und der Freiheit zu dienen. Gleichzeitig - und das ist mir sehr wichtig - steht jeder hier als eigenständige, verantwortliche Persönlichkeit.« Und in Hinblick auf die Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz fügt Merkel hinzu: »Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihren Dienst für Stabilität und Frieden, für Sicherheit und Wiederaufbau an vielen Orten der Welt: Auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika, vor der Küste des Libanon und als Militärbeobachter im Sudan und in Georgien. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr dienen dort in einer vorbildlichen und tapferen Weise, oft unter schwierigen Bedingungen und mit hohen Risiken.« Mit dieser Charakterisierung des Opfers der Bundeswehrsoldaten als sacrificium läßt es Merkel allerdings nicht bewenden.

Fremdopfer und Selbstopfer

Dabei wird der fließende Übergang von sacrifi­cium zum Märtyrertum ermöglicht durch die sich heute herausgebildete Verwendung des Begriffes »sacrificium« als Lehnwort in der deutschen Sprache. Das ursprüngliche Latein ist hier klarer. Dort bezeichnet »sacrificium« die Vornahme der Opferhandlung und steht in dieser Weise der victima als dem, wer oder was geopfert wird, gegenüber. Wenn der Geopferte und der Opferer nicht in einer Person zusammenfallen, kann von einem Fremdopfer gesprochen werden, das sich gut mit dem Begriffspaar »sacrificium/victima« in seiner ursprünglichen lateinischen Bedeutung erfassen läßt. Verdeutlicht werden kann die Sinnfälligkeit dieser semantischen Gegenüberstellung am paradigmatischen Opfer des Alten Testaments. Indem Abraham seinen Sohn Isaak opfern soll, beabsichtigt er ein sacrificium, und Isaak ist hierbei victima. Der unbedingte Gehorsam Abrahams ist dabei die höchste Form religiösen Zeugnisses vor Gott, sich und anderen.

Nun ist das Märtyrertum an sich keine Erfindung des Christentums. Neu ist allerdings, daß es dort ins Zentrum des Heilsgeschehens rückt. Dem passiv Geopferten Isaak und dem lediglich die Opferhandlung vornehmenden Abraham steht der sich aktiv selbstopfernde Jesus gegenüber. An diesem Selbstopfer Jesu hängt aus christlicher Sicht die Erlösung der Menschheit. Damit erfährt dieses und die ihm folgenden Selbstopfer eine dramatische sakrale Aufwertung; auch bei den Selbstopferern, die selbst keinen expliziten Bezug zu dem von Jesus herstellen. Eben ein solches Selbstopfer wird den zu Tode gekommenen Soldaten unterstellt. So Merkel in ihrer Trauerrede zu den am Karfreitag diesen Jahres getöteten Bundeswehrsoldaten: »Sie waren gestorben, weil sie Afghanistan zu einem Land ohne Terror und Angst machen wollten und dabei ihr Leben ließen.« Diese wären vor allem jenes einsatzbedingte Todesrisiko eingegangen, weil sie selbst darin ein Bekenntnis für die demokratischen Grundwerte sahen; analog den christlichen Märtyrern mit ihrer »Blutzeugenschaft« für die Göttlichkeit Jesu und den christlichen Glauben.

Erlösung und Missionsauftrag

Zusätzlich wurde beim Gelöbnis 2009 an einer weiteren Parallele zu den Märtyrern als Nachahmer Christi in deren Leiden zur Vervollständigung der Erlösung der Welt bereits fleißig gebastelt. In dieser Weise kann man zumindest auch das offizielle Gedenken zum 20. Juli verstehen. Die Bundeswehrsoldaten werden zu Nachfolgern Stauffenbergs und seiner Jünger. Merkel 2009: »In einer Extremsituation stellten sich die Männer und Frauen des 20. Juli ihrer Verantwortung und wagten die Tat, wo andere zum Abwarten rieten. Heute, unter ganz anderen Umständen, stellen Sie sich, liebe Rekruten, der Verantwortung, die aus der Freiheit herrührt. Sie tun dies mit Ihrem Dienst in der Bundeswehr.« Oder an anderer Stelle derselben Rede sagt sie: »Stauffenbergs Name steht für eine gültige Definition der Grenzen des Gehorsams - nämlich dort, wo heute unser Grundgesetz unveränderliche Grundwerte setzt. Daraus erwächst sein Verdienst. Genau damit begründen Stauffenberg und seine Weggefährten im Widerstand eine der wesentlichen Traditionslinien für die Bundeswehr. Sie sind uns heute Vorbild, Leitbild und Verpflichtung.« Die gelobenden Soldaten sollen den Attentätern des 20. Juli folgen, die in staatstragender Lesart die Deutschen vor der Gefahr bewahrt haben, der Welt als das einig kollektive Tätervolk des Holocausts zu erscheinen. Merkel 2009: »Es waren leider nicht viele - die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes und die Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg -, die sich gegen den Nationalsozialismus auflehnten. Aber diese Wenigen haben unserem Land Würde und Ehre bewahrt.«

Die Bundeswehrsoldaten dürfen nun mit ihren Auslandseinsätzen heute, dank u.a. Exaußenminister Joseph Fischer, drohende Holocausts sonstwo auf der Welt verhindernd, Deutschland endgültig in den Rang normaler Nationalität zurückführen. Merkel 2009: »Wir leben heute als Deutsche in Frieden mit unseren Nachbarn in einem vereinten Europa ohne Mauern und Stacheldrähte. Das ist alles andere als selbstverständlich nach den Katastrophen und Verbrechen in unserer Geschichte. Umso mehr sollten wir uns heute dieses hohen Gutes bewußt sein. Es ist unsere geschichtliche Verantwortung, aber auch unser ureigenes Interesse, die uns zu einer engen und vertrauensvollen europäischen und transatlantischen Partnerschaft verpflichten. Sicherheit ist niemals selbstverständlich. Neue Herausforderungen, neue Risiken verlangen von uns neue Antworten: Internationaler Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, zerfallende Staaten und die Folgen des Klimawandels - all dem können wir nicht allein, sondern nur gemeinsam mit unseren Partnern in Europa und der Welt wirksam begegnen.«

Und auch das Missionsziel legt Merkel in ihrer Rede dar: »Heute sind Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit das Fundament unseres Landes. Diese Werte sind jedoch auch in unserer heutigen Welt keine Selbstverständlichkeit. Der Blick über Deutschland und Europa hinaus belegt dies. (...) Der Respekt vor der Würde des Menschen bei uns und überall auf der Welt ist und bleibt für mich Kern unserer Politik. Er gilt in den Elendsquartieren dieser Welt genauso wie in ihren Villenvierteln. Er gilt im Umgang mit Kindern, mit Frauen, mit Andersdenkenden, mit Zuwanderern und Flüchtlingen. Er gilt in den Ländern Europas genauso wie in den Tälern von Tibet oder den Straßen von Teheran. Um diesen Werten Geltung zu verschaffen, bedarf es vieler Anstrengungen. Es gibt sie nicht zum Nulltarif.«

Unter diesem Blickwinkel gibt es im Märtyrertopos eigentlich nur noch einen wesentlichen Punkt, der bisher davon abhält, die in Afghanistan umgekommenen Bundeswehrsoldaten als Märtyrer zu benennen: das Scheitern. Beim Selbstopfer Jesu wird dessen Unterlegenheit in ein aktives Handeln und religiöse Überlegenheit umgedeutet. In diesem Schema lassen sich die »Männer des 20. Juli« problemlos anordnen. Merkel 2009: »Das Attentat scheiterte. Viele derer, die Widerstand leisteten, verloren ihr Leben. Aber ihre Gedanken und ihr Anliegen haben gesiegt. Dafür können wir heute zutiefst dankbar sein.« Und spätestens wenn der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan endgültig gescheitert ist, steht auch für diese Toten die Märtyrerverklärung offen.

Das tatsächlich größte Problem für die explizite Benennung der in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten als Märtyrer dürfte allerdings darin liegen, daß der Begriff vom Gegner bereits besetzt ist. Und hier möchte man doch tunlichst vermeiden, mit seinen eigenen Toten in dessen Nähe gerückt zu werden. Sonst würden die umgekommenen Bundeswehrsoldaten entweder als arme verführte Selbsmordattentäter oder als fanatische Killer erscheinen.

Mobilisierung sakraler Kräfte

Auch wenn es hier in Deutschland bis jetzt keine explizite und konsistente Wiedereinführung des säkularisierten Märtyrertums ins Soldatenbild gibt, so läßt z.B. der Bau des Ehrenmals als Tempels erahnen, welche sakralen Kräfte hier mobilisiert werden sollen (siehe jW-Thema vom 8.9.2009). Und auch eine implizite Propagierung des Märtyrerbildes für die durch eine Mine umgekommenen Bundeswehrsoldaten kann durchaus versucht werden. So wurde verdächtig oft und penetrant der Umstand ins Feld geführt, daß die drei ersten in diesem Jahr in Afghanistan zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten am Karfreitag starben.

Es wäre falsch, dieses im Entstehen begriffene Märtyrertum für Bundeswehrsoldaten als antiquiert oder lediglich als folkloristischer Mummenschanz abzutun. Gerade nach dem Massaker von Kundus des letzten Jahres bedarf es zunehmend des Mythos einer »sauberen Bundeswehr«: Die Opfer in der afghanischen Bevölkerung durch deutsches Militär werden kleingerechnet, indem behauptet wird, die sie ermordenden Bundeswehrsoldaten hätten doch eigentlich für sie und deren Zukunft gekämpft - und nicht etwa für die wirtschaftlichen oder machtpolitischen Interessen aus Deutschland. Zusätzlich wird der Wert der ermordeten Bundeswehrsoldaten hochgerechnet, indem aus diesen Märtyrer für die freiheitlich-demokratische Grundordnung gemacht werden. Oder wie es das letzte Jahr eröffnete Ehrenmal der Bundeswehr auf goldener Wand als einzige Inschrift des Gebäudes predigt: »Den Toten unserer Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit.«

* Eugen Januschke ist Philosoph mit dem Schwerpunkt Semiotik und engagiert sich in der DFG-VK Berlin-Brandenburg

Aus: junge Welt, 20. Juli 2010



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