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Unteroffiziersschule mit falschem Namen? Initiative fordert Umbenennung der Marseille-Kaserne in Schleswig-Holstein

Ein Beitrag von Julia Weigelt in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Können Soldaten aus der Wehrmacht oder aus der Kaiserzeit Vorbilder für Bundeswehr-Soldaten sein? Mit dieser Frage tun sich die Streitkräfte weiterhin schwer – trotz eines Traditions-Erlasses. Das Problem wird immer wieder deutlich am Streit um Kasernen-Namen. So auch im schleswig-holsteinischen Appen in der Nähe von Hamburg. Dort steht die Unteroffiziersschule der Luftwaffe. Julia Weigelt hat sich dort umgesehen:


Manuskript Julia Weigelt

Sie liegt am Ortsausgang von Appen. Wie sie heißt, das wissen die Menschen hier in der 5.000-Einwohner-Gemeinde im Kreis Pinneberg.

O-Ton Umfrage:
„Die Kaserne heißt Marseille-Kaserne.“ / „Marseille-Kaserne.“

Aber woher kommt der Name?

O-Ton Umfrage:
„Nee, das weiß ich nicht.“ / „Das ist ja ne Stadt in Frankreich. Vielleicht waren die hier während des Zweiten Weltkrieges stationiert oder so?“

Appen – die nördlichste Exklave der französischen Besatzungszone? Oder ist die Namensgebung der Appener Kaserne gar ein Zeichen der großen deutsch-französischen Freundschaft? Nein. Die Marseille-Kaserne, in der heute Unteroffiziere der Luftwaffe ausgebildet werden, erinnert an den Wehrmachts-Kampfflieger Hans-Joachim Marseille.

O-Ton Appenerin:
„Ich denke mal, der wird dann bestimmt irgendwas Tolles gemacht haben, sonst hätten sie sie bestimmt nicht danach benannt.“

Vermutet eine Appenerin.

O-Ton Appenerin:
„Vielleicht hatte er irgend ´ne besondere Auszeichnung, oder hat was ganz besonderes geleistet, irgendwelche ausgeflogen oder so.“

Auszeichnungen hatte Hans-Joachim Marseille wirklich jede Menge, bis hin zum Ritterkreuz mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten. Hitler und Mussolini ehrten den Kampfflieger für seine Erfolge, die allerdings nicht in humanitären Hilfsleistungen bestanden.

Bei Einsätzen über England und Nordafrika schoss der junge Hauptmann 158 Flugzeuge ab, bis er 1942 bei Rommels Afrika-Feldzug mit 22 Jahren starb. Ein Wehrmachts-Flieger als Namensgeber einer Bundeswehrkaserne? Für die Appener kein Problem.

O-Ton Umfrage:
„OK. Ja, nicht schlecht. Hört sich doch gut an. Passt, ja.“ / „Da bin ich leidenschaftslos.“

Fehlende Leidenschaft – das kann man Jakob Knab sicher nicht vorwerfen. Der Pädogoge aus Bayern ist Gründer der „Initiative gegen falsche Glorie“. Sie setzt sich seit Jahren dafür ein, dass deutsche Kasernen an Widerstandskämpfer erinnern, und nicht an Soldaten eines fatalen Vernichtungsfeldzuges. Jakob Knab:

O-Ton Knab:
„Es ist nicht damit vereinbar, Kriegshelden der Wehrmacht, die im Auftrag von Hitler, von Göring, töteten, heute als geschichtliche Vorbilder hinzustellen. Es ist ein offenkundiger Verstoß gegen den gültigen Traditionserlass.“

Der Traditionserlass der Bundeswehr: 1982 wurde er neu gefasst. Und dort heißt es – Zitat:

Zitat Traditionserlass:
„Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.“

Und weiter ist dort zu lesen:

Zitat Traditionserlass:
„Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr können mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben.“

Verdienste für Freiheit und Recht – dem Wehrmachtspiloten Hans-Joachim Marseille kann dies nicht nachgewiesen werden, wie das damalige Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr vor einiger Zeit recherchierte. Marseille war für die Nationalsozialen ein Kriegsheld. In dem Gutachten heißt es, die ldealisierung handwerklichen Könnens, die ausschließliche Orientierung an den Erfolgreichen statt auch am Leiden der Verfolgten stehe in der Tradition von NS-Propaganda. Den historischen Zusammenhang auszublenden, zeuge demnach von einem unkritischen Verhältnis zur deutschen Geschichte, wie es die Traditionsrichtlinien ausdrücklich ablehnen. Die Marseille-Kaserne - ein Kasernenname, der also seit über 30 Jahren nicht im Einklang steht mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr.

Ändern könnte das Oberst Klaus-Christian Kuhle, Kommandeur der Unteroffizierschule der Luftwaffe, die in der Appener Kaserne untergebracht ist. Denn die Initiative für eine Namensänderung muss von der Truppe vor Ort und dem jeweiligen Standort ausgehen. Doch Oberst Kuhle will zum Thema nichts sagen. Stattdessen antwortet das Verteidigungsministerium auf die Anfrage von NDR Info. Demnach liegen dem Kommandeur die kritischen Recherchen der Militärhistoriker vor. Ob die Marseille-Kaserne bald anders heißen wird, bleibt unklar. Den Namen von Feldwebel Anton Schmid wird die Liegenschaft laut Ministerium auf jeden Fall nicht tragen. Den mutigen Wehrmachtssoldaten hatte der Friedensaktivist Jakob Knab vorgeschlagen. Feldwebel Schmid hatte im Zweiten Weltkrieg im litauischen Vilnius über 300 Juden gerettet und den jüdischen Widerstand unterstützt, was er mit seinem Leben bezahlte. Eine Kaserne in Rendsburg, die seinen Namen trug, wurde 2010 geschlossen.

Jakob Knab und seine „Initiative gegen falsche Glorie“ kämpfen deshalb dafür, die Kaserne im schleswig-holsteinischen Appen in Feldwebel-Schmid-Kaserne umzubenennen. Doch bei seinem Vorschlag hatte der Lehrer aus Kaufbeuren nicht beachtet, dass der mutige Feldwebel Schmid in der Wehrmacht der Teilstreitkraft Heer angehörte: Ein Heeressoldat als Namensgeber für eine Luftwaffenkaserne? Das geht auch 2013 nicht. Nun hat Knab einen neuen Vorschlag gemacht: Die Appener Kaserne soll nach dem früheren Bundeswehr-Oberleutnant Ludger Hölker benannt werden. Der Luftwaffenpilot stürzte 1964 im schwäbischen Bobingen wegen eines Triebwerkschadens ab. Um einen Absturz auf besiedeltes Gebiet zu verhindern, stieg der Bundeswehr-Offizier erst im letzten Moment mit dem Schleudersitz aus – und starb. Ein heldenhaftes Verhalten, das nach Knabs Ansicht jungen Luftwaffen-Unteroffizieren ein deutlich besseres Vorbild sein könnte als das des Wehrmachts-Piloten Marseille. Doch ein Offizier als Namensgeber für eine Unteroffiziersschule? Auch das geht heute offenbar nicht.

Der Bundeswehr-Standort in Appen heißt seit 1975 Marseille-Kaserne. Mit dem damals gültigen Traditionserlass von 1965 sei das durchaus vereinbar gewesen, teilte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums mit. Spätestens seit der Traditionsdebatte von 1997 habe sich die Bundeswehr allerdings einer kritischen Betrachtung geöffnet. Weiter hießt es aus dem Ministerium: „Viele aus heutiger Sicht problematische Namen wurden aufgegeben; Neubenennungen erfolgen auf Grundlage des geltenden Traditionserlasses von 1982 unter Anlegen eines strengen Maßstabes“.

Bei manchen Kasernennamen ist der Maßstab anscheinend aber nicht ganz so streng. Auch Appens Bürgermeister Hans-Joachim Banaschak stört sich nicht an dem Namen Marseille. Die Kaserne umzubenennen – das war bislang kein Thema in seiner Gemeinde. Die Appener Kaserne nach einem Widerstandskämpfer zu benennen – für Bürgermeister Banaschak keine gute Idee:

O-Ton Banaschak:
„Dann fände ich es noch besser, wenn man einen Namen finden würde, der sich der Umgebung der Kaserne anpasst. Es muss ja nicht unbedingt eine Person sein, nach der so eine Kaserne benannt wird. Sie könnte ja auch zum Beispiel Tävsmoor-Kaserne heißen, weil die Kaserne hier in Appen direkt am Tävsmoor liegt, am Naturschutzgebiet. Dann wär´s ganz neutral.“

Doch so weit wird es nach Ansicht des Bürgermeisters nicht kommen. Er glaubt, die Appener wollen den Kasernennamen behalten.

O-Ton Banaschak:
„Das glaub ich, weil die Appener auch ein bisschen traditionsbewusst sind. Das ist so ein prägender Begriff hier im Ort, dass auch dran festgehalten werden wird.“

Genau das will die Linkspartei in der Region aber ändern. Seit fünf Jahren setzte sie sich für eine Umbenennung der Marseille-Kaserne ein. Bisher vergeblich. Klaus-Dieter Brügmann, Abgeordneter der LINKEN im Pinneberger Kreistag, hat eine Vermutung, warum die Bundeswehr an dem Namen Marseille festhält:

O-Ton Brügmann:
„Ich glaube, die tun sich mit der Umbenennung der Marseille-Kaserne schwer, weil sie eher das Vorbild des Funktionierenden haben wollen. Ich möchte keine Soldaten, die funktionieren, die einfach Befehlen gehorchen, und nicht hinterfragen. Das sollten wir uns heute nicht mehr leisten. Für mich ist der Soldatenberuf auch kein Beruf wie Maler oder Maurer, sondern da muss ich im Zweifelsfalle wirklich individuell entscheiden, ob ich töten werde zur Durchsetzung von Zielen. Und da erwarte ich, dass im Zweifel auch gesagt wird: Nein, das mach ich nicht.“

Klaus-Dieter Brügmann und Aktivisten wie Jakob Knab werden weiter dafür kämpfen, dass die Luftwaffenkaserne nach einem echten Vorbild benannt wird. An eine eigene Initiative der Bundeswehr glauben sie schon längst nicht mehr.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 16. November 2013; www.ndr.de/info


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