"Als erstes die Standorte der Krisenreaktionskräfte schließen!"
Stellungnahmen aus der Friedensbewegung zum Ressortkonzept des Verteidigungsministers
Am 29. Januar 2001 verkündete Rudolf Scharping das Ressortkonzept zur Schließung und Umstrukturierung einer Anzahl von Bundeswehrstandorten. Hierzu verfassten das IMI-Tübingen und die DFG-VK kritische Stellungnahmen, die wir im Folgenden dokumentieren.
IMI-Stellungnahme vom 29. Januar 2001
Nach Lektüre des uns seit dem Morgen vorliegenden 63-Seiten
Papieres "Die Bundeswehr der Zukunft - Feinausplanung und
Stationierung" - Entwurf eines Ressortkonzeptes" gibt Tobias
Pflüger, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.* folgende
Erklärung ab:
-
Die heute vorgestellten Schließungen von Bundeswehr-Standorten
führen konsequent den Weg weiter, die Bundeswehr
"kriegsführungsfähiger" zu machen. So heißt es z.B. in der
Feinausplanung: "Wesentliche Leitgedanken dieser Umstrukturierung
sind die Bündelung von Aufgaben ... und die Konzentration der
Streitkräfte auf den Einsatz". Und weiter: "Die Bundeswehr wird
kleiner, im Hinblick auf die gewandelten Anforderungen jedoch
moderner und leistungsfähiger." Das ist das, was die
Informationsstelle Militarisierung seit langem als qualitative
Aufrüstung bezeichnet.
-
Eine kontextlose Debatte über Standortschließungen, wie sie
insbesondere CDU und CSU, aber auch in anderer Form von Seiten des
Bundeswehrverbandes geführt wird, ist unpolitisch.
Pflüger: "Die Aufgabe der Bundeswehr ist nicht, in der Fläche
Menschen wirtschaftlich zu versorgen, die jetzige Aufgabe der
Bundeswehr ist es, zukünftig weitere Kriege führen zu können
oder daran teilzunehmen". Und weiter: "Es ist falsch, nur über
Standortschließungen zu diskutieren, ohne zu fragen, warum denn
Standorte geschlossen werden sollen. Die Standorte werden
geschlossen, weil sie nicht notwendig sind für die neue Inte
rventions-Bundeswehr." -
Diese Entwicklung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee
kritisieren wir seit langem.
a. Eine Interventionsarmee Bundeswehr ist grundgesetzwidrig: "Der
Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf" (Art. 87a 1), Verbot
eines Angriffskrieges (Art 26.1.) u.a.
b. Die Umwandlung der Bundeswehr zur Interventionsarmee führt
zudem wieder Krieg als Mittel deutscher Politik ein, das lehnen wir
entschieden ab.
c. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien war ein Grundmuster
zukünftiger Kriege (auch der Bundeswehr), so heißt es z.B. im
neuen Strategischen Konzept der NATO: "In diesem Zusammenhang
erinnert das Bündnis an seine späteren Beschlüsse in bezug auf
Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan" (Ziffer 31)
-
Neu im vorliegenden "Entwurf eines Ressortkonzeptes" ist die
Einführung mehrere spezieller (Kampf)-Divisionen: "Das Heer
verfügt in Zukunft über fünf mechanisierte Divisionen, eine
Division für Luftbewegliche Operationen (DLO) sowie eine Division
für Spezielle Operationen (DSO). ... Der DSO unterstehen zwei
Luftlandebrigaden und das Kommando Spezialkräfte." Dies ist eine
Fortführung des Aufbaus von speziellen Bundeswehr-Kampfeinheiten
für Kriegseinsätze.
-
Zu den konkreten Auswirkungen der Effektivierung der Bundeswehr
(sprich Standortschließungen): Das Bundesland Bayern würde bei
den Standortschließungen besonders getroffen heißt es. Dazu
muß die Ausgangsbasis berücksichtigt werden, Bayern hatte bisher
nach den Zahlen von 1991 und 1995 mit Abstand den größten
Bundeswehr-Umfang. Gerechnet zur Bevölkerungszahl hat nun
Niedersachsen am meisten Soldat/inn/en pro Einwohner. In
Baden-Württemberg wird der Standort Münsingen so gut wie
geschlossen (er wird von 1.000 auf 170 Soldaten reduziert).
-
Wer sich nun auf politischer Seite und bei der Bundeswehr gegen
Standortschließungen ausspricht, müßte sich für den Erhalt
der alten Bundeswehr zur Landesverteidigung einsetzen und mit uns
gegen die neue Bundeswehr als Interventionsarmee politisch
kämpfen.
"Über die letzten Jahre haben wir allerdings genau das schmerzlich
vermißt, daß von Soldat/inn/en und aus dem politischen Raum
mehr Widerstand gegen die Herausbildung der neuen kriegsfähigen
Interventions-Bundeswehr gekommen wäre."
-
In der Friedensbewegung wurde zu Jahresbeginn eine Kampagne
gestartet: "Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen", die
immer mehr Unterstützer/innen findet. Als erstes müßten die
Standorte der früheren Krisenreaktionskräfte und jetzigen
Einsatzkräfte geschlossen werden.
* Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. hat ihren
Sitz in Tübingen und ist eine Organisation im Zwischenfeld von
Friedensbewegung und kritischer Friedensforschung.
Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK):
59 Standorte zu - und kein bisschen abgerüstet
Pazifistische Kritik an Scharpings Bundeswehr"reform"
Die beabsichtigte Schließung von 59 Bundeswehrstandorten ist
für die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) kein Schritt zur Abrüstung.
Auch wenn Bundeswehrminister Scharping durch diesen Schritt
Milliarden Steuergelder einspart, so kommen diese doch weder
der Bevölkerung, noch den von Arbeitslosigkeit bedrohten
Zivilbeschäftigten noch einer Friedenspolitik zu Gute, die diesen
Namen verdienen würde. Im Gegenteil: Mehr als die eingesparten
Summen werden für die technische Aufrüstung der Bundeswehr
mit neuen Waffensystemen und die Vorbereitung und Führung
von Angriffskriegen der NATO ausgegeben, die
Rüstungsausgaben in Deutschland steigen wieder. Scharpings
Verkleinerungskonzept dient lediglich dazu, die Bundeswehr zu
effektivieren und für künftige Auslandseinsätze
„kriegsverwendungsfähig" zu machen.
Dagegen wollen die Pazifistinnen und Pazifisten in der DFG-VK
die Bundeswehr durch schrittweise Verkleinerung abschaffen.
Dass dabei auch immer mehr Militärstandorte geschlossen
werden würden, wird von uns nicht nur in Kauf genommen,
sondern im Gegenteil begrüßt.
Schon lange jedoch weisen wir darauf hin, dass es nicht angeht,
die von Schließungen betroffenen Menschen im Regen stehen zu
lassen. Aktive Programme zur Standortkonversion und zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen sind
erforderlich, um den Mythos zu zerstören, die Bundeswehr
sichere Arbeitsplätze und sei ein Arbeitgeber wie jeder andere.
Kommunalpolitiker, Soldatenfunktionäre und Gewerkschafter, die
nun, angesichts der längst absehbaren Einschnitte in die
Personalstärke der Bundeswehr, entsetzt aufschreien, müssen
sich vorwerfen lassen, dass sie im vergangenen Jahrzehnt die
Notwendigkeit von Standortkonversion schlicht verschlafen
haben. Um nun das Schlimmste für die betroffenen Regionen
abzuwenden, sollten sie sich gemeinsam mit der
Friedensbewegung für wirkliche Abrüstung einsetzen.
Die Kampagne „Fünf für Frieden" fordert die jährliche
Verringerung der Rüstungsausgaben um mindestens fünf Prozent.
Dadurch frei werdende Gelder sollten sowohl für die Konversion
von Rüstungsbetrieben und Militärstandorten, als auch für soziale
Projekte und zivile Friedens- und Entwicklungsarbeit zur
Verfügung gestellt werden. Diese Idee hatte z.B. Bündnis 90/Die
Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm aufgegriffen. Nach
mehr als der Hälfte der Legislaturperiode haben die Grünen
jedoch noch keine Anstalten gemacht, dieses Wahlversprechen in
die Tat umzusetzen. Damit wird deutlich: Diese Bundesregierung
braucht Druck von unten, Druck für Abrüstungsschritte!
29. Januar 2001
Kathrin Vogler, Bundessprecherin der DFG-VK
Weitere Artikel, Dokumente und Berichten zum Thema Bundeswehr auf der
Bundeswehr-Seite
Zur Seite "Appell Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen"
Zurück zur Homepage