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Krokodilstränen um Standortschließungen

Scharping hat entschieden - Ein Kommentar von Johannes M. Becker



Die letzten Entscheidungen über Standortschließungen und Standortverkleinerungen (teileise auch Aufstockungen) sind gefallen. Am 16. Februar 2001 gab Verteidigungsminister die Ergebnisse seiner Überlegungen bekannt. Lesen Sie dazu einen Bericht aus der jungen welt sowie einen uns freundlicherweise zur Verfügung gestellten Kommentar von Johannes M. Becker (Marburg).

Standortschach mit Scharping

Verteidigungsminister schließt 38 Kasernen für effektivere Vorbereitung auf neue Bundeswehreinsätze

Nach einwöchigen Gesprächen mit den Ministerpräsidenten der Länder hat Verteidigungsminister Rudolf Scharping seine Pläne für Standortschließungen nur in Teilen revidiert. Der SPD-Politiker erklärte am Freitag in Berlin, insgesamt würden 38 Standorte geschlossen, vor der Revision seien es 39 gewesen. Die Union hielt dem SPD-Politiker »kosmetische Korrekturen« vor, die den »Kahlschlag« bei der Bundeswehr nicht verdecken könnten. Kritik am Konzept einer kleineren und schlagkräftigeren Bundeswehr, die einmal fähig sein soll, zwei große Kriegs- oder Kriseneinsätze am Rande Europas gleichzeitig zu führen, war am Freitag von den Standortstrategen nicht zu vernehmen.

Nach Angaben Scharpings bleibt das ursprünglich zur Schließung anstehende Gebirgsjägerbataillon Schneeberg in Sachsen nun komplett erhalten. Dies sei angesichts der hohen Investitionen dort in die »Hochgebirgskampffähigkeit« zu rechtfertigen.

In Schneeberg jubelte darauf förmlich ein Sprecher des Bataillons 571: »Wir freuen uns über die Entscheidung des Ministers.« An dem Standort gibt es insgesamt 1100 Soldaten und Zivilangestellte. Die Erhaltung der Garnison sei für die Wirtschaft in der Region von außerordentlicher Bedeutung, sagte der Sprecher.

Nach Scharpings Angaben bleibt es aber bei den »sehr schmerzhaften« Schließungen von Eggesin und Stavenhagen in Mecklenburg-Vorpommern. Dafür werde Torgelow zu einem der fünf größten Standorten bundesweit erweitert. Vertreter der betroffenen Orte, wo zuvor mit Straßenblockaden, Lichterketten und Mahnwachen gegen den Abbau von rund 2500 »Arbeitsplätze« protestiert worden war, zeigten sich schockiert. Der Vorsitzende der oppositionellen CDU- Landtagsfraktion in Schwerin, Eckhardt Rehberg, kommentierte Scharpings Festhalten an den Plänen mit den Worten, dies sei »ein schwarzer Tag für das Land und eine Katastrophe für die Kommunen Stavenhagen/Basepohl und Eggesin«. Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) räumte ein, daß die Nachverhandlungen mit der Aufstockung des Standortes Torgelow um 300 Dienststellen für das Land nur »geringfügige Verbesserungen« gebracht hätten. Sein Stellvertreter Helmut Holter (PDS) bezichtigte Scharping des Wortbruchs. In den betroffenen Landkreisen Uecker-Randow und Demmin, wo eine Arbeitslosigkeit von fast 30 Prozent herrscht, wurden weitere Proteste angekündigt.

In Bayern, so Scharping in Berlin, werde das Fernmeldebataillon Bad Dillingen an der Donau nunmehr nicht geschlossen, dafür aber der Standort Murnau. Scharping wies die Kritik der bayerischen Staatsregierung zurück, wonach das CSU-regierte Land aus politischen Gründen am stärksten von Standortschließungen betroffen sei. Richtig sei, daß Bayern vor und nach der Standortplanung und deren Revision auf Platz fünf der sogenannten Stationierungsdichte liege. Mit der höchsten Dichte habe Schleswig-Holstein auch die meisten Schließungen hinnehmen müssen. Die notwendigen Konversionen, die durch die Schließungen und Verlagerungen entstehen, sollen vom Bund finanziell abgefedert werden. Damit verfügt die Bundeswehr künftig über 461 Standorte sowie 81 Kleinststandorte. Durch die Reform würden auch Einsparungen bei Material und Betriebsausgaben im Wert von 200 Millionen Mark im Jahr erwartet.
Aus: junge welt, 17. Februar 2001

Berechtigte Standort-Tränen?

Von Johannes M. Becker*

Nun fließen sie wieder, die Krokodilstränen über die vom Berliner Scharping-Ministerium verkündeten Standortschließungen. Auch in unserem Kreis. Und natürlich ist auch die christlich-demokratische Opposition lautstark dabei, wenn es gilt, sich mit billiger Polemik in den Windschatten der sozialen Ängste der Betroffenen zu stellen. Von "Chaos" ist da die Rede, das der Minister produziere, und gar vom "Ruin der Bundeswehr".

Das eine wie das andere ist falsch. Die Planung der Generalität um Minister Scharping produziert weder ein Chaos, noch ruiniert sie die Bundeswehr. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr ist dabei, von einer Verteidigungsarmee, die überdies von unseren franzö-sischen und US-amerikanischen Verbündeten (von den NVA-Truppen zu schweigen) gerne als "Feierabend-" oder auch "Sandkasten-Armee" bezeichnet wurde, sich zu einem hochmobilen und interventionsfähigen Instrumentarium zu entwickeln. Dies kann man be-dauern. Dies kann man auch politisch bekämpfen. Mit Chaos und Ruin hat die Arbeit des BMVg jedoch nichts zu tun.

Die Krokodilstränen werden noch weniger verständlich, ja sie sind verlogen, analysiert man, welche politischen Kräfte es waren, die die Umstrukturierung der Bundeswehr denn begonnen haben. Da stößt man dann auf die Regierung Kohl und ihren Verteidigungsmini-ster Stoltenberg, der bereits im Jahr 1992, der Warschauer Vertrag hatte sich gerade auf-gelöst, in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" die Abkehr von der Verteidigungslo-gik fixierte und die Hinwendung zur "Wahrnehmung von Interessen". Was ein gewaltiger Unterschied ist.

Eine hochmobile, interventionsfähige Armee benötigt keine Truppen- und Panzermassen mehr. Sie benötigt ein kleines, dafür hochprofessionelles und high-tech-bewehrtes Perso-nal. Nicht mehr der Massenangriff aus dem Osten bestimmt das Selbstverständnis der Bundeswehr (und der im Entstehen begriffenen Schnellen Eingreiftruppe der EU). Rasche Einsätze mit wenigen tausend Soldaten zur Sicherung bspw. "unserer" Öl- oder Erdgas-quellen werden das Geschäft der Zukunft ausmachen.

Die Reduktion der Truppenstärke wird noch weitergehen, in wenigen Jahren wird die Bun-deswehr eine professionelle Armee sein. Dies zu sehen, muß man kein Prophet sein. An-statt weiter zu lamentieren, sollten sich die betroffenen Kommunalpolitiker schon heute Gedanken machen über realistische Konversionspläne. Oder, noch besser, ihre verantwort-lichen Bundespolitikerinnen und -politiker zu einer grundsätzlichen Umkehr in der Sicher-heitspolitik unsere Landes zu bewegen versuchen.

* Privatdozent Dr. Johannes M. Becker lehrt Politikwissenschaften an der Philipps-Universität

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