Das Paradoxon Bundeswehr: Weniger, kleiner, teurer
Die Schließung von Kasernen führt zur Aufrüstung - die Verkleinerung der Bundeswehr zum verschärften Sozialabbau
Von Anne Rieger*
Wer glaubt, durch die Verkleinerung der Bundeswehr würde Geld frei für den Erhalt oder gar Ausbau sozialer Leistungen, irrt gewaltig. Während die Schließung von 59 Standorten, die Verringerung der Zahl der Soldaten um 55 000 und die des zivilen Personals um ca. 30 000 angekündigt werden, wird gleichzeitig der Rüstungshaushalt ausgeweitet. Während die Budgets von Riester (Arbeit und Soziales), Schmidt (Gesundheit) und Bergmann (Familie und Frauen) zusammen um ca. 1,1 Mrd. gegenüber dem Vorjahr gekürzt werden, wird Scharpings Etat (im Einzelplan 14) um 1,5 Mrd. DM ausgeweitet. In absoluten Zahlen ist das der höchste Zuwachs eines Ressorts. Bei einem insgesamt gesunkenen Bundeshaushalt (477 Mrd. DM) eine beachtliche Weichenstellung in Richtung Aufrüstung.
Zusätzlich darf der Minister beinahe jede durch Personalabbau, Verkäufe von Grundstücken und Material eingesparte Mark für die Aufrüstung seiner Interventionsarmee wieder ausgeben: "Wir haben mit dem Finanzminister eine Vereinbarung getroffen... Die eingesparten Mittel aufgrund besserer Wirtschaftlichkeit werden zu 100 Prozent in Investitionen gesteckt. ... Die Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung oder Ver-kauf von Grundstücken und Liegenschaften verbleiben zu 80 Prozent im Haushalt des Verteidigungsministers," schmettert der Minister für Aufrüstung triumphierend seinem Widerpart von der CDU, Paul Breuer, im Bundestag bei den Haushaltsberatungen entgegen (BT 29.11.2000). Es handelt sich um zusätzliche ca. 2 Mrd. DM für den investiven Bereich, also für Kriegsgerät. "Mit dem jetzt zu verabschiedenden Haushalt können alle wichtigen Programme begonnen und auch durchfinanziert werden."
Sparkurs ermöglicht neue Prioritäten in der "Sicherheitspolitik"
Diese Programme dienen der "Neuausrichtung der Bundeswehr von Grund auf". Grundlage ist der Beschaffungsplan der Bundeswehr aus dem Jahr 1997. Etwa 540 Mrd. DM für Beschaffung und Nutzung neuer Kriegsgeräte werden danach innerhalb von 15 Jahren ausgegeben werden. Unter dem Blickwinkel dieses rüstungspolitischen Mammutprogramms, bekommt das sogenannte "Sparpaket" von 160 Mrd DM, das die Bundesregierung uns nur zwei Jahre später aufgedrückt hat, einen faden Finanzierungsgeschmack.
Wir erinnern uns: Weil die Wirtschaft und entscheidende Teile der Regierung Lafontaines Finanzpolitik nicht mittrugen, wurde er im März 1999 "zurückgetreten". Neueinsteiger Eichel änderte das Ziel der Finanzpolitik sofort: Nicht mehr Abbau der Arbeitslosigkeit war oberstes Ziel, sondern plötzlich war es der Abbau der Schulden. Alle Ressorts sollten 7% "sparen". Das Arbeits- und Sozialministerium, dort also, wo in Jahrzehnten erkämpfte soziale Errungenschaften finanziert werden, musste am meisten hergeben: in vier Jahren 68 Mrd DM (nach Zirkular der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 9/1999). Scharping aber blieb verschont. Für den Jugoslawienkrieg wurden ihm sogar zusätzliche zwei Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Noch im Herbst 2000 lobte der scheidende BDI-Chef Henkel gegenüber der Stuttgarter Zeitung die Nachhaltigkeit von Eichels Sparpaket: "Er (Eichel) benutzt sogar unsere Formulierungen zur Rechtfertigung des Pakets."
Ein Jahr später deckte Außenminister Joseph Fischer die Karten auf. Der Sparkurs, so hieß es in der Financial Times Deutschland (23.02.2000) werde es der Bundesregierung ermöglichen, die Prioritäten neu zu bestimmen. Fischer: "Dazu gehört, dass Deutschland seiner Verantwortung in der Sicherheits- und Außenpolitik ... gerecht wird. Wir müssen über alles reden". Der Sozialabbau, genannt Sparpaket, wird sich im "sicherheitspolitischen" Beschaffungsprogramm des Aufrüstungsministers wieder finden. Die Finanzierung von Kriegen und Kriegsgerät durch Umverteilung ist keinesweg eine neue Erfindung der Rot-Grünen Regierung. Schon für den Golfkrieg zahlte die Kohlregie-rung 16 Mrd. DM an die USA und erhöhte danach die Mehrwertsteuer dauerhaft.
Verdreifachung der Interventionskräfte
Wir zahlen - andere bomben, das soll jetzt anders werden. Scharping hat volle Rückendeckung. Schon im November 1999, auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr erläuterte der Bundeskanzler die "Neuausrichtung der Bundeswehr". Den Spitzen des deutschen Militärs teilte er mit, dass wir "vor einer entscheiden-den Weichenstellung deutscher Sicherheitspolitik" stünden, die "durchaus verglichen werden ... kann ... mit der Situation in den 50er Jahren, als es darum ging, Deutschland verteidigungsfähig zu machen." Jetzt soll Deutschland angriffsfähig gemacht werden: "Mögliche Einsätze der Bundeswehr" werden "in Zukunft ... bis hin zu militärischen Optionen bei humanitären Einsätzen oder bei der Durchsetzung von Bündnisverpflichtungen reichen".
Das geht nicht mit einer Panzerarmee von Wehrpflichtigen. Die Verkleinerung der Bundeswehr um Wehr-pflichtige, Zivilbeschäftigte und Standorte ist verbunden mit ihrer Professionalisierung und der Konzentration auf ihre "Kernaufgaben" (Kriegführen also). Dazu wird die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten auf 200 000 aufgestockt, ein Plus von 12 000. Entscheidend aber ist, dass die Zahl ihrer "Einsatzkräfte" ihrer Inter-ventionskräfte also, verdreifacht wird von ca. 53 000 im Jahre 1999 auf 150 000 Mann und Frau. Die Stutt-garter Nachrichten klassifizieren die "Neustruktur" als "Teil einer historischen Reform. Niemals zuvor sind die deutschen Streitkräfte so grundlegend neu ausgerichtet worden." (Stuttgarter Nachrichten, 30.01.2001)
Das entspricht dem neuen Auftrag der Bundeswehr. Bisher galt sie als Armee der Bündnis- und Landesverteidigung. Seit 1992 lautet der Auftrag u. a. "... Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehin-derten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt ... ." Die verteidigungspolitischen Richtlinien von Volker Rühe gelten weiterhin, die Bundesregierung hat sie nicht zurückgenommen. Vielmehr bestätigte Scharping diesen Auftrag mit anderen Worten: "Unsere ... sicherheitspolitischen Ressourcen müssen wir auch an anderen Stellen dieser Welt ... einbringen." (Zit.n. Welt am Sonntag, 18.09.2000) Sicherheitspolitische Ressourcen - das Weißwäscherwort für militärische Ressourcen.
Sozialabbau für Aufrüstung
Um an andere Stellen dieser Welt zu kommen, um einen Einsatzradius von 4000 km abzudecken, wird neue Transportkapazität gekauft.
Deutschland will 73 militärische Airbusse kaufen. Während im November dafür eine Verpflichtungserklärung über 10 Mrd. DM in den Rüstungsetat der kommenden Jahre eingestellt wurde, verabschiedete der Bundestag nur zwei Monate später die Rentenkürzung, über die Eichel in seinem "Deutschen Stabilitätsprogramm" im Oktober 2000 schrieb: "Der Bund wird durch die Beitragssatzsenkung in der Rentenversicherung langfristig beim allgemeinen Bundeszuschuss und den Beiträgen für Kindererziehungszeiten entlastet und zwar im Jahr 2030 um 16,3 Mrd. DM."
Um "sicherheitspolitische" Ressourcen auch an andern Stellen dieser Welt einzubringen, wird ein Paket von 215 Rüstungsprojekten bestellt. Darunter
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180 Eurofighter für 40 Mrd. Dieses Geld würde ausreichen, um ca. 6 Jahre lang das Haushaltsdefizit der Kommunen von 5,6 Mrd. auszugleichen. So einfach wären Leistungseinschränkungen bei Musikschulen, Museen, Stadteilbibliotheken bis hin zum Sozialbereich und zur Straßenunterhaltung verhinderbar. Auch Sozialhilfe und Gehälter müssten nicht mehr auf Kredit überwiesen werden. (Stuttgarter Zeitung, 24.01.2001)
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Während die Bundesregierung eine Vereinbarung über 137 NATO-Transporthubschrauber (NH 90) mit einem Betrag von etwa 5,6 Mrd. DM abgeschlossen hat (FAZ, 09.06.2000), wurde der Zuschuss des Bundes zur Bundes-anstalt für Arbeit im 2000 "deutlich weniger als die im Haushaltsjahr veranschlagten knapp 7,8 Mrd. DM" benötigt und im Jahr 2001 letztendlich auf nur noch 1,2 Mrd. zusammengestrichen.
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Während 212 Kampfhubschrauber Tiger, 3 Fregatten für 3,9 Mrd., 15 Korvetten und ein eigenes Satellitenkommunikationssystem mit Kommunikation, Spionage und Zielsteuerung geplant und bereits teilweise in Auftrag gegeben sind, ohne dass Empörung laut wurde, kritisieren die Medien 50 Mrd. Sozialhilfegelder.
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Während ohne öffentliche Debatte für die Nachrüstung von vier fliegenden Tankstellen 250 Mio. DM locker gemacht wurden, für Tornados und Eurofighters 3,5 Mrd. DM (Stuttgarter Zeitung, 16.11.2000), stritt der Bundestag mit umfassender Begleitung der Medien darüber, ob 900 Mio. DM für die Entfernungspauschale zu genehmigen seien.
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Während die Wehrtechnische Industrie fordert, den Rüstungshaushalt von derzeit 47 auf 60 Mrd. DM anzuheben, und den Investitionsanteil von derzeit 21 % auf 40 % zu verdoppeln (FAZ, 24.05.2000), hält BDA-Präsident Dieter Hundt 2-3 Mrd. DM für die Rente jährlich für nicht bezahlbar, die ausreichen würden, alle Rentnern, die 45 Versicherungsjahre eingezahlt haben, abschlagsfrei vor dem 65 Lebensjahr in Rente gehen zu lassen.
Interessen der Rüstungsindustrie
Die wehrtechnisch Industrie nimmt kein Blatt vor den Mund, um was es ihr geht: "Wer nur die wirtschaftli-che Bedeutung der deutschen wehrtechnischen Industrie im Auge hat, übersieht diese politisch-strategische Funktion" erklärt Ludolf von Wartenberg, vom Bundsverband der Deutschen Industrie. "Deutsche Mitspra-che bei der Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der EU und der Sicherheitspolitik des Bündnisses wie deutsche Mitsprache im Rahmen der europäischen und transatlantischen Rüstungszu-sammenarbeit setzen voraus, dass Deutschland auch Rüstungsfähigkeiten einbringen kann." (Zit. n. Soldat und Technik, 6/2000)
So verwundert es nicht, dass Sparkommisar Eichel beim "Wehretat gesprächsbereit" ist und öffentlich äußert, die "Bundeswehrreform soll nicht am Geld scheitern." (stuttgarter Zeitung, 03.03.2000) Und deswegen liegt die Wehrexpertin der Grünen, Angelika Beer - wie in vielen anderen Fällen auch, völlig daneben, wenn sie glaubt, "Das Ziel für die Bundeswehr laute 'weniger, kleiner und billiger'" (ebd.). Nur wenn, wie die IG Metall Verwaltungsstelle Stuttgart 1999 auf dem Gewerkschaftstag gefordert hat (Antrag 108), der Vorstand der IG Metall (und natürlich andere Gewerkschaften) mit uns gemeinsam auf die Bundesregierung einwirken, "dass die Beschaffung neuer Waffensysteme gestoppt und insbesondere auf den Bau des Eurofighters verzichtet wird", wird es möglich sein, dass
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die zusätzlichen Kosten von 50 Mio. DM für Lernmittelfreiheit in Baden-Württemberg problemlos finanziert werden können
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der Unterrichtsausfall in Stuttgarter Berufschulen von 11 % durch attraktivere Besoldungs- und Arbeits-bedingungen verhindert werden kann
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die Hinterbliebenenrente insbesonderefür Frauen von 55 wieder auf 60 % erhöht werden kann
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an der Krankenversicherung für Arbeitslose nicht mit 1,2 Mrd. gekürzt werden muss
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fehlenden Gelder bei der Krankenversicherung durch einen Bundeszuschuss abgesichert werden.
Beispiele werden jedem täglich genügend einfallen. Notwendig ist es, sie in den Zusammenhang zur Aufrü-stung zu bringen. Geld ist genug da - es darf nicht für todbringenden Rüstungsschrott verwendet werden.
Neue Spirale de Wettrüstens verhindern
Auf der Internationalen Sicherheitskonferenz in München erklärten der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der republikanische Senator John MacCain, dass die Entscheidung in Washington gefallen sei, ein amerikanisches Raketensystem zu entwickeln und zu bauen. Bundeskanzler Schröder äußerte "Bedenken" und forderte einen "intensiven Meinungsaustausch" (Financial Times Deutschland, 05.02.2001). Der russische Sicherheitsrat kritisierte die Pläne, sie untergrüben "das Fundament der strategischen Sicherheit" Mit diesen Plänen droht die Gefahr eines neues Wettrüstens - aber nicht nur durch amerikanische, russische, chinesische Regierung, wie allenthalben in der Presse zu lesen ist. Auch die europäischen Regierungen, mit Deutschland an der Spitze drohen der Aufrüstungsspirale beizutreten. Javier Solana, der Hohe Kommissar für Gemeinsame Außen- und Sicher-heitspolitik, der Aufrüstungsminister der EU also, interpretierte die Kritik von Rumsfeld auf der Konferenz an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik( ESVP) nach mehr Geldern für Kriegsgerät: "Rumsfelds Sorge zielt möglicherweise darauf, dass wir Europäer nicht in der Lage sein werden, die militä-rischen Fähigkeiten aufzubauen, die wir zum vollen Krisenmanagement brauchen". (Ebd.) Er vermutet in den ame-rikanischen Äußerungen Druck auf die EU-Staaten, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen.
* Anne Rieger, 2. Bevollmächtigte IG Metall Waiblingen; Landessprecherin VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg
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