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Reservisten-Kompanien – nur bedingt einsatzbereit?

Ein Beitrag von Christian Peter in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderation):
Früher waren die Reservisten der Bundeswehr eine Art stille Reserve. Im Falle eines Krieges konnten sie schnell eingezogen und ohne langwierige Ausbildung eingesetzt werden. Dafür mussten sie in regelmäßigen Abständen zu sogenannten Wehrübungen. Seit dem Fall der Mauer und der Bundeswehrreform werden jedoch nur noch wenige Reservisten gebraucht. Deshalb wurde vor knapp zwei Jahren eine neue Reservisten-Konzeption erlassen. Im Zentrum stehen sogenannte Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte. Doch bei der Aufstellung der Kompanien gibt es Schwierigkeiten. Christian Peter berichtet.


Manuskript Christian Peter

O-Ton Militärmusik

Marinestützpunkt Kiel, am 24. Mai dieses Jahres. Zwei neue Reservisten-Einheiten werden feierlich in Dienst gestellt. Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte, RSU, so die offizielle Bezeichnung dieser neuen Einheiten. Oberst Hannes Wendroth, Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein ist zufrieden.

O-Ton Oberst Wendroth:
„Diese RSU-Einheiten rekrutieren sich aus Männern, die in der Bundeswehr gedient haben. Als Zeitsoldaten oder als Wehrpflichtige, die aus Schleswig-Holstein kommen. Wir stellen zwei Kompanien auf, nämlich eine Kompanie „Schleswig“ und eine Kompanie „Holstein. Die Kompanien haben eine festgelegte Struktur. Sie werden geführt von einem Oberstleutnant, ein Stellvertreter, und haben am Ende auch einen Spieß, die Mutter der Kompanie. In diesen Stellenplan, in diesen Stellenkegel, bringen wir die Reservisten ein und wir werden Erfahrungen sammeln, ob das so funktioniert, oder ob wir für den einen oder anderen Dienstgrad mehr Stellen brauchen. Aber das muss die Erfahrung dann lehren.“

Bundesweit sollen 30 solcher Reservisten-Einheiten aufgestellt werden. Die erste Kompanie wurde im April vergangenen Jahres in Bremen in Dienst gestellt. Die jeweils rund 100 Mann starken Reservisten-Einheiten sollen die durch die Auflösung der sogenannten Heimatschutzbataillone entstandene Lücke im Bereich des Heimatschutzes schließen. Deren ehemalige Hauptaufgabe, die Landesverteidigung auf dem Gebiet der Bundesrepublik, war dabei nach Ende der Ost-West-Konfrontation faktisch weggefallen. In der Bevölkerung wird der Begriff „Heimatschutz“ daher häufig gleichbedeutend mit „Katastrophenschutz“ verwendet.

Die im vergangenen Jahr vorgelegte neue Reservisten-Konzeption definiert Heimatschutz jedoch anders: Es handele sich um Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei Auflösungserscheinungen des Staatsapparates durch militärisch bewaffnete Aufstände oder ähnliche Fälle des Inneren Notstandes. Damit ist das gesamte Spektrum verfassungsgemäßer militärischer Einsätze im Inland abgedeckt. Diskutiert wird aber meist nur der Einsatz von Reservisten bei Katastrophenfällen. Oberst Wendroth:

O-Ton Wendroth
„Diese Kräfte sind vorrangig dazu da, uns aktive Soldaten zu unterstützen. Nehmen wir mal ein Beispiel: ein Verband ist im Einsatz. Er braucht zusätzliche Kräfte um seine Kaserne zu sichern. Dann kommt die Regionale Sicherungs- Unterstützungskompanie ins Spiel. Und im Rahmen der Amtshilfe ist es durchaus möglich, dass diese Kräfte natürlich auch im Katastrophenschutz eingesetzt werden. Zum Beispiel bei einem Hochwasser oder einer Schneekatastrophe.“

Zu einem Einsatz seiner beiden Reservisten-Kompanien beim diesjährigen Hochwasser kam es jedoch nicht, weil sie nicht angefordert wurden. Von den rund 20.000 helfenden Soldaten waren nach Angaben der Bundeswehr etwa 520 Reservisten. Davon waren 350 in den Büros der sogenannten -Kreisverbindungskommandos tätig, als Berater und Informationsübermittler bei den Landräten und bei den kommunalen Katastrophenschutzstäben. Während der Hochwasser-Katastrophe wurden bundesweit nur etwa 170 Reservisten der neu aufgestellten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien direkt an den Deichen eingesetzt. Der Hintergrund: Die offizielle Indienststellung der Reservisten-Einheiten heißt noch lange nicht, dass sie von diesem Zeitpunkt an auch voll einsatzfähig sind. Denn Probleme gibt es für diese Einheiten genug.

Außer der persönlichen Ausstattung, also der Uniform, verfügen die Reservisten-Kompanien über keinerlei Gerät, Waffen oder Kasernenbereiche. Jede Reservisten-Einheit erhält daher einen aktiven Truppenverband als Pate zugeteilt. Der Patenverband soll das Gerät stellen. Oberstleutnant der Reserve Wolfram Fischer, Chef der Schleswig-Holsteinischen Reservisten-Kompanie „Holstein“:

O-Ton Fischer
„Material ist ja da, zunächst virtuell. Es ist da aber nicht für uns direkt vor Ort. Das funktioniert eben durch diese Patenverbände, die uns für die Ausbildung eben in der Form unterstützen, dass das Material, das wir benötigen eben über diese Patenverbände zur Verfügung gestellt wird.“

Der SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich hält diese Grundkonstruktion jedoch für unrealistisch. Es gebe noch viele offene Fragen:

O-Ton Hellmich
„Wie wird ein solcher Verband, der über kein eigenes Material und nichts verfügt in Übung gehalten? Kann der überhaupt mit dem Material, das irgendwo steht, umgehen? Mir sagen die Kompaniechefs oder Kasernenchefs, wenn da irgendjemand vorbei kommt und will einfach mal mit meinem Material hier arbeiten, da haben die höchste Bedenken. Was dann nämlich wieder die Einsatzfähigkeit angeht. Und wie gesagt, das geht so eigentlich gar nicht. Und bei dem Material, das es inzwischen gibt, das ist zum Teil inzwischen so hochspezialisiert, dass es für Aufgaben dieser RSU-Kompanien gar nicht zur Verfügung steht.“

Hinzu kommt, dass viele aktive Verbände im Zuge der Bundeswehrreform oder durch Auslandseinsätze selbst personell und materiell ausgedünnt sind. Es fällt dann also schon schwer beispielsweise Fahrzeuge für ein Wochenende abzugeben. Gerät ist teilweise durch Pool-Lösungen bereits aufgeteilt. Die Bürokratie der Bundeswehr erfordert zudem zeitintensive Überprüfungen bei der Materialrücknahme. Im Ergebnis steht also nur einfaches Gerät und dies nur in eingeschränktem Umfang zur Verfügung.

Handelt es sich bei der Sparversion mit Patenverbänden für die neuen Reservisten-Kompanien also um eine Fehlkonstruktion? Nicht ganz. Denn für den Hauptauftrag der Reservisten, die Übernahme von Wach- und Sicherungsaufgaben militärischer Einrichtungen, wird in der Regel kein Großgerät benötigt. Wegen fehlender eigener Transportfahrzeuge und dem wenigen ausleihbaren Gerät oder Material sind die Reservisten-Einheiten bei Einsätzen außerhalb von Kasernen aber immer fünftes Rad am Wagen aktiver Einheiten und von deren Vorgaben abhängig. Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, warum dann eigentlich nicht gleich mehr Reservistenstellen zur Ergänzung aktiver Einheiten geschaffen wurden. Wofür braucht man eigens geschaffene Reservisten-Kompanien, wenn diese gar nicht eigenständig agieren können? Die Reservisten werden sicher ihre Erfahrungen sammeln. Kompaniechef, Oberstleutnant Fischer:

O-Ton Fischer
„Also wir sind sicherlich noch in einer Anfangsphase. Wir werden in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren vielleicht auch noch viel lernen müssen.“

In der Tat. Und das betrifft sicher auch die Umsetzbarkeit von Ausbildungsvorhaben für den Hauptauftrag des Wachdienstes. Das Unmittelbare Zwangsgesetz der Bundeswehr (UZwGBw) ermächtigt die Wachsoldaten der neu aufgestellten Reservisten-Kompanien dabei zum Schusswaffengebrauch. Eine rechtlich fundierte Ausbildung, der sichere Umgang und das Training mit Waffen, Ortskenntnis und körperliche Fitness sind daher unerlässlich. Dafür ist jedoch regelmäßiges Üben erforderlich. Kann man angesichts des Freiwilligkeitsprinzips das überhaupt sicherstellen? Auch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Durchhaltefähigkeit der Reservisten-Einheiten bei längeren Einsätzen. Ein weiteres Problem bereitet den Reservisten Kopfzerbrechen. Kompaniechef Fischer:

O-Ton Fischer
„Also wir teilen natürlich das Schicksal der Kameraden vom THW, von den Feuerwehren und von den vielen, vielen anderen ehrenamtlichen Helfern, die eben sich in ihrer Freizeit sich engagieren und dann mit mehr oder weniger Akzeptanz des Arbeitgebers rechnen können.“

Das Beispiel eines Reservisten, dem von seinem Arbeitgeber gekündigt wurde, weil er freiwillig bei der Hochwasserkatastrophe Unterstützung leistete, sorgte für großen Unmut. Ein Beispiel, das nicht gerade motiviert, meint Georg Kaster von der Pressestelle des Reservistenverbandes:

O-Ton Kaster
„Gut. Inzwischen ist diese Kündigung auch zurückgenommen worden. Aber das kommt natürlich auch auf die Reservisten-Kameraden zu, die einer RSU-Kompanie angehören, die dann einberufen werden würde, wenn sie zum Einsatz käme bei einer nächsten Flutkatastrophe.“

Anreize für Arbeitgeber, die Reservisten ggfs. freizustellen, oder neue gesetzliche Regelungen gibt es nicht. Reservisten sind letztlich vom guten Willen ihres Arbeitgebers abhängig.

Die bisher aufgestellten 19 Reservisten-Kompanien sehen sich mit vielen Ungereimtheiten und Problemen konfrontiert. Zurzeit sind sie nur bedingt einsatzbereit.

* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 5. Oktober 2013; www.ndr.de/info





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