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Umbau der Bundeswehr – mit unzureichender sicherheitspolitischer Begründung?

Ein Beitrag von Otfried Nassauer aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderation):
Die Bundeswehr steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte. In dieser Woche hat Verteidigungsminister zu Guttenberg dargelegt, wie die deutschen Streitkräfte in Zukunft aussehen könnten. Doch es bleiben noch viele Fragen offen. Einzelheiten von Otfried Nassauer:

Manuskript Otfried Nassauer

Die Katze ist aus dem Sack. Mit dem sogenannten Modell 4 favorisiert Verteidigungsminister zu Guttenberg eine Verkleinerung der Bundeswehr von heute 252.000 auf künftig 163.500 Soldaten. Nicht morgen, nicht übermorgen, sondern in sieben Jahren - 2017. Vorausgesetzt, dass ihm CDU und CSU nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen und die Zielgröße nach oben verschieben: auf 170 – oder 180.000 Soldaten – das ist der „Spielraum“, den sich der Minister selbst gegeben hat. Oder gar gleich auf 210.000. Das ist das Modell 1, in dem es noch 30.000 Wehrpflichtige gibt. Zu Guttenberg will die Wehrpflicht aussetzen, nicht aufheben. Ob er auch das teure und personalintensive System der Wehrerfassung und Musterung abschaffen will, ist noch unklar. Vorläufig soll nur noch zum Bund, wer freiwillig geht – für 12-23 Monate einschließlich eines möglichen Auslandseinsatzes.

Kanzlerin Merkel scheint zu Guttenberg zu unterstützen, legt sich aber in der vergangenen Woche in einem ZDF-Interview nicht endgültig fest:

O-Ton Merkel
„Ich habe ihn beauftragt, zusammen mit dem ganzen Kabinett dafür Sorge zu tragen, dass wir eine fundierte Grundlage für unsere Bundeswehr haben, um die Sicherheitsanforderungen der Zukunft zu bewerkstelligen. Und da macht er diese Vorschläge und ich werde jede Entscheidung befördern, die wirklich für zukunftsfähige Sicherheit steht. Da ist ein Neudenken, sage ich mal, der Rolle der Wehrpflicht nicht ausgeschlossen.“

Die Wehrpflicht dominiert die Debatte über die Bundeswehrreform. Ihre Befürworter und damit die Kontrahenten des Ministers sitzen in der eigenen Fraktion. Parteitage der CSU und der CDU werden im Oktober und November über die Zukunft der Wehrpflicht entscheiden. Zu Guttenberg favorisiert den großen Einschnitt, damit die Bundeswehr wieder auf längere Sicht planen kann und nicht von Reformschritt zu Reformschritt stolpern muss:

O-Ton zu Guttenberg
„Das ist ein Modell, bei dem die Bundeswehr kleiner, allerdings auch besser werden wird. Sie wird einsatzfähiger werden.“

Rund 8 Milliarden Euro soll die Bundeswehr bis 2014 einsparen. Das hält so mancher für unmöglich und fürchtet, die Bundeswehr werde kaputtgespart. Sicherheitspolitik werde nach Kassenlage gemacht. Die Bundeswehr sei bereits chronisch unterfinanziert und könne nicht so viel sparen, wie der Finanzminister fordert. Oberst Ulrich Kirsch vom Bundeswehrverband:

O-Ton Kirsch
„Das ist wie bei einem Schwamm auf den Sie drücken, in dem kein Wasser mehr drin ist. Dann kommt auch nichts raus."

Jammern auf hohem Niveau gehört zum Geschäft. Die Bundeswehr beherrscht traditionell diese Kunst. Verbunden ist damit die Hoffnung, letztlich gebe es doch mehr Geld. Einsparmöglichkeiten aber gibt es in der Bundeswehr auch heute noch zuhauf. Manch guter Reformvorschlag war bislang nicht durchsetzbar. Die Schließung unwirtschaftlicher Standorte scheiterte an der Lokal- Landes- und Bundespolitik. Rüstungsprojekte wurden aus industriepolitischen Gründen nicht ernsthaft angetastet. Die bisherigen Reduzierungen der Bundeswehr gingen weitgehend zu Lasten der Wehrpflichtigen. 1992 hatte die Bundeswehr noch weit über 500.000 Soldaten. Damals gab es 209 Stellen für Generale und Admirale. Knapp 20 Jahre später ist die Bundeswehr nur noch halb so groß, verfügt aber immer noch über 202 Dienstposten für Generale und Admirale. Warum das so ist, wird selten gefragt. Auch Zeit- und Berufssoldaten wurden kaum abgebaut. Mitte der 90er Jahre gab es 200.000, in der aktuellen Personalstruktur sind es noch 195.000. Da mit der Verringerung der Wehrpflichtigen viele Verbände aufgelöst wurden, musste für viele Berufssoldaten eine neue Tätigkeit in Stäben und Ämtern erfunden werden. Davon gibt es heute weit mehr als genug. Zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer – so könnte die Diagnose vereinfacht lauten. Und solange die Luftwaffe noch fast 9 Millionen Euro erübrigen kann, um mit drei Eurofighter-Jets bei einer Luftfahrtschau in Bangalore für den Export dieses Kampfflugzeugs nach Indien zu werben, ist die Bundeswehr auch mit Sicherheit kein trockener Schwamm, aus dem man keinen Euro an Einsparungen mehr herauspressen kann.

Der finanzielle Druck kommt vor allem von innen: Beschaffungsprojekte wurden überdimensioniert, dauerten zu lange und wurden immer teurer. Ob Eurofighter, Transportflugzeug A400M oder die Hubschrauber der Typen Tiger und NH90 – keines dieser Milliarden-Vorhaben blieb im Kosten- oder Zeitrahmen. Teure Überraschungen bietet auch der Betrieb der Waffensysteme: Der Eurofighter kostet mit 74.000 Euro pro Flugstunde 30.000 Euro pro Stunde mehr als das Kampfflugzeug Tornado. Mit Kosten wie beim Tornado hatte die Luftwaffe auch für ihr neues Jagdflugzeug gerechnet. Mit so hohen Mehrkosten sicher nicht. Nun wird der Betriebskostenhaushalt der Luftstreitkräfte heftig durcheinander gewirbelt.

Der Haushalt kommt auch unter Druck, weil die Bundeswehr an überkommenen und nicht mehr zeitgemäßen Strukturen festhält. Wieder liefert die Luftwaffe ein besonders drastisches Beispiel: Noch im Juni bestand sie darauf, auch künftig noch 46 Tornados für die „Dauereinsatzaufgabe Nukleare Teilhabe“ zu benötigen. Nukleare Teilhabe heißt: Deutsche Kampfflugzeuge werden im Ernstfall als Trägersysteme für US-Atombomben eingesetzt. Im rheinland-pfälzischen Büchel werden aber nur noch 10 bis 20 Atombomben für diese Aufgabe gelagert. Wofür also mehr als zwei Flugzeuge pro Atombombe? Zur Erinnerung: Es gilt der Primat der Politik Und alle Fraktionen des Bundestages haben sich im Frühjahr dieses Jahres für einen Abzug der Nuklearwaffen ausgesprochen.

Das Gefecht um die Wehrpflicht, das Minister Guttenberg mit CDU und CSU bevorsteht, ist nicht der einzige Konflikt. Weitere werden folgen: Die Auseinandersetzungen um die Standorte, um die Rüstungsvorhaben, um die Ämter und Stäbe, um die Generalssterne und die Zivilbeschäftigten sind absehbar. Erst dann wird sich zeigen, ob dem Minister ein großer Wurf gelingen kann oder ob die große Reform, die er anstrebt, buchstäblich kleingehäckselt wurde.

Dann wird auch deutlich werden, ob der Minister seinem Anspruch gerecht wurde, eine sicherheitspolitisch begründete neue Bundeswehr-Struktur zu planen. Dieses hehre Ziel wird zwar immer wieder formuliert. Der Eindruck aber bleibt, dass es der Reform an klaren sicherheitspolitischen Vorgaben mangelt. Was soll die Bundeswehr künftig leisten? In welchem Umfang und warum? Und vielleicht noch wichtiger: Was muss sie nicht können? Auf welche Fähigkeiten kann sie verzichten? Was soll sie alleine können und was nur gemeinsam mit Verbündeten? Werden umstrittene Auslandseinsätze – wie in Afghanistan – im kommenden Jahrzehnt noch das gleiche Gewicht haben wie heute?

Die Bundeswehr für solche Einsätze leistungsfähiger und effizienter zu machen, ist das eine. Sie auf die Anforderungen einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit und Integration in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorzubereiten, ist etwas anderes. Diese Aufgabenstellung wird erheblich an Gewicht gewinnen, sobald ein Abzug aus Afghanistan erfolgt. Denn langfristig ist die europäische Integration ohne Alternative. Sie bietet zugleich das größte Potenzial für künftige Effizienzsteigerungen und Einsparungen in den Streitkräften. Doch die absehbare Herkules-Aufgabe spielt derzeit beim Nachdenken über die Bundeswehr der Zukunft bestenfalls eine untergeordnete Rolle.

Wird die Hausaufgabe einer sicherheitspolitischen Begründung nicht rasch erledigt, droht Ungemach. Im November will die NATO ein neues strategisches Konzept verabschieden. Daraus werden sich die künftigen Anforderungen an den deutschen Beitrag ableiten. Wird die deutsche Reformplanung nicht rechtzeitig und gut begründet in die NATO-Debatte eingebracht, so können die Anforderungen der Allianz schnell den einen oder anderen Baustein der Bundeswehrreform zertrümmern. Die Luftwaffe hat das bereits erkannt und will die Diskussion über ein neues strategisches Konzept der NATO für ihre Interessen nutzen: Sie möchte 2011 mit der Beschaffung von acht Luftverteidigungssystemen MEADS beginnen – erneut ein Milliardenprojekt. Damit könne Deutschland seinen Beitrag zur künftigen NATO-Raketenabwehr leisten, so ist zu hören. Denn in MEADS könne man künftig vielleicht auch leistungsfähigere US-Abfangraketen wie THAAD oder SM-3 integrieren. Teure Raketen, von denen bisher nichts in der Bundeswehrplanung steht.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 28. August 2010; www.ndrinfo.de


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