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"Schnelle Kräfte" bekommen alles, der Rest Probleme

Verteidigungsministerium erarbeitete "klare" Vorgaben für Bundeswehrreform – doch das reale Leben hat anderes vor

Von René Heilig *

Vier Monate nach der ersten großen Reformrede von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ist »das Basislager gegründet«, sagte sein Staatssekretär Stéphane Beemelmans. Doch vor dem Gipfelsturm hat man erst einmal den Verteidigungsausschuss des Parlaments informiert und in ratlose Gesichter geblickt.

»Durch die Priorisierung der Fähigkeiten wird die Durchhaltefähigkeit für den Einsatz abgestuft gestärkt.« Alles klar? Nicht? Klar ist lediglich: Im Zentrum der Reform steht weiterhin der Einsatz deutschen Militärs im Ausland.

Um den sicherzustellen, ist das »Basislager« für 185 000 Soldaten ausgelegt. Das sind etwa 15 000 weniger, als bei der Bundeswehr derzeit noch in Reih' und Glied stehen. Die Masse des Truppenabbaus wurde durch das Ende der Wehrpflicht erreicht: Minus 35 000. Künftig sollen bis zu 170 000 Berufs- und Zeitsoldaten und mindestens 5000 freiwillig Wehrdienst Leistende verfügbar sein. Man plant die tägliche Anwesenheit von 2500 Reservisten ein.

Die Hauptlast des Schrumpfprozesses trägt das Heer: Es muss auf mehr als 25 000 Soldaten verzichten. Statt fünf wird es nur noch zwei Divisionen mit jeweils drei Brigaden geben. Sie fächern sich unter anderem in vier Panzer-, neun Panzergrenadier-, sechs Aufklärungs-, sechs Pionier- und sieben Versorgungsbataillone auf. Alle drei Gebirgsjägerbataillone bleiben erhalten. Dazu kommt eine weitere Division »Schnelle Kräfte«, die aus den Fallschirmjägern, Kommandosoldaten und den Heeresfliegern gebildet wird.

Während das Heer demnach über mindestens 57 570 Soldatinnen und Soldaten verfügt, bekommt die Luftwaffe 22 550, die Marine 13 050, der Sanitätsdienst 14 620 und die Streitkräftebasis 36 750 »Mann«. In der Ausbildung und in den Organisationsbereichen werden 30 460 Dienstposten vergeben. Dazu wünscht man sich weitere 10 000 FWD(flex) genannte Interessenten, die auf die Teilstreitkräfte aufgeteilt würden.

Doch die Zahlenspiele wären nichts ohne Umgruppierungen. Die CH-53-Hubschrauber wechseln vom Heer zur Luftwaffe, die geplanten NH-90 gehen dafür von der »Luft« zum Heer, die ABCAbwehr gehört demnächst zur Streitkräftebasis, die auch die vereinigte Militärmusik durchfüttern muss. Modern klingt, dass man ein neues Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen schaffen will. Seltsam, von Konversionsbemühungen ist da nichts zu lesen. Für die Industrie ist dagegen wichtig, dass ein Projekt namens »Rüstung, Nutzung IT« initiiert wird. Ziel: Ein effizientes Ausrüstungs-, Beschaffungs- und Nutzungsmanagement soll geschaffen werden. Davon haben schon viele Minister geträumt. Nun unternimmt de Maizière seinen Anlauf, um mit der Industrie auf Augenhöhe zu sein. Knapp 10 000 zivile und militärische Mitarbeiter werden dafür sorgen, dass die Truppe genügend Nachschub, also die Wirtschaft Aufträge bekommt.

Allgemeines Ziel ist es, bis zu 10 000 Soldaten in zwei größere Operationen schicken zu können. Wo immer die stattfinden, vor Ort müssen die Einheiten eine 100-prozentige Ausstattung mit den modernsten Waffen und Geräten vorfinden. Auch die schnellen Eingreifverbände haben alles, was sie brauchen, am »Mann«. Nicht so die Normalo-Militärs, die in der Heimat auf Auslandseinsätze vorbereitet werden. Für die reichen 80 Prozent – Meier tauscht mit Schulze, Schulze mit Krause ... Bei der Marine setzt man vor allem auf das einst in der Hochseefischerei erprobte Modell der Wechselbesatzungen. Eine Crew »verteidigt« Deutschland auf fernen Ozeanen, die zweite macht Ernstfall-Trockenübungen daheim.

Soweit die Theorie. Die Praxis schaut anders aus. Da sind zwar zwei deutsche Fregatten zur Piratenjagd vor Somalia und zwei weitere vor Südafrika zum Schießtraining, doch etwas Wesentliches fehlt ihnen: die Versorger. Das Flottenkommando musste alle Auslandseinsätze der Tanker »Spessart«, »Rhön«, »Ammersee« und »Tegernsee« sowie dreier Schlepper aussetzen. Grund ist der anhaltende Streit um die rechtliche Auslegung des Arbeitszeitgesetzes. Die 329 Seeleute auf den Hilfsschiffen sind keine Soldaten, sondern Zivilangestellte mit einem Tarifvertrag.

De Maizière steht noch manche »Schlacht« bevor, dabei ist über Standorte noch gar nicht befunden. Diese Attacke gegen Länder und Kommunen will der Minister ab 26. Oktober reiten.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2011


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