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Outsourcing in Afghanistan ein Flop? Bundeswehr-Feldköche müssen Küchenbetrieb in Masar-i-Scharif übernehmen

Ein Beitrag von Andreas Dawidzinski in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Die Bundeswehr befindet sich im Umbruch. Nach dem Willen von Verteidigungsminister de Maizière sollen sich die Streitkräfte stärker auf militärische Kernfähigkeiten konzentrieren. Andere Aufgaben will man möglichst privaten Unternehmen übertragen. Das kann aber manchmal unangenehme Folgen haben. Andreas Dawidzinski weiß mehr:


Manuskript Andreas Dawidzinski

In Afghanistan ist die Anspannung bei den Soldaten oft groß - und zwar nicht nur bei denen, die immer wieder auf Patrouille gehen müssen und nicht wissen, mit welchen Gefahren sie dann konfrontiert werden. Auch die monatelange Trennung von der Familie, von den Angehörigen und Freunden, kann bei Auslandsmissionen schnell auf die Stimmung schlagen. Dabei ist eine gut motivierte Truppe die Voraussetzung für den Erfolg einer Mission. Ein für viele Soldaten nicht zu vernachlässigender Faktor ist dabei auch die Verpflegung. Nicht umsonst haben Soldaten-Sprüche wie „Ohne Mampf, kein Kampf“ und „Ohne Verpflegung, keine Bewegung“ nach wie vor Konjunktur in der Einsatzarmee Bundeswehr.

Am Hindukusch setzt die Bundeswehr bei der Verpflegung auf zivile Dienstleistungsunternehmen - genauso wie fast alle anderen ISAF-Truppensteller. „Outsourcing“ heißt das Zauberwort, von dem sich die Bundeswehr seit einiger Zeit weitere Einsparungen und zugleich mehr Effizienz verspricht. Militärische Truppenküchen sind bei den Streitkräften ein Auslaufmodell – auch bei Auslandseinsätzen.

In Afghanistan ging das mehrere Jahre gut. Doch nun die Ernüchterung: Seit Anfang des Jahres hat im Feldlager Masar-i-Scharif die Bundeswehr das Kommando über die Herdplatten und den Küchenbetrieb übernommen. Mehr als 40 Bundeswehr-Köche sind im vergangenen Monat nach Afghanistan eingeflogen worden. Sie kümmern sich jetzt zusammen mit rund 80 Küchenhilfen und Reinigungskräften um das leibliche Wohl der ISAF-Soldaten im Camp Marmal – allerdings nur übergangsweise, wie man im Verteidigungsministerium betont. Für die nächsten Monate gilt es, täglich rund 2.500 Soldaten zu verpflegen.

Der Grund für den Blitz-Einsatz der Bundeswehrköche am Hindukusch: Die Bundeswehr hat den erst kürzlich geschlossenen Vertrag mit dem Bonner Logistik-Unternehmen LOG nicht mehr verlängert und zum 31. Dezember auslaufen lassen. Diese Entscheidung hat das Verteidigungsministerium dem Dienstleister bereits Anfang September mitgeteilt – also neun Monate nach Inkrafttreten des Vertrages. Eine ungewöhnliche Entscheidung. Denn üblicherweise werden derartige Verträge im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten mehrmals verlängert. Das Auslaufen der Vereinbarung ist insofern offenbar das Eingeständnis, dass man mit der Leistung des Vertragspartners unzufrieden ist.

Über den genauen Grund für die Nichtverlängerung will das Verteidigungsministerium allerdings keine konkreten Angaben machen. Auf Anfrage von NDR Info, ob es Vorfälle gegeben habe bzw. welche Erwartungen von der Firma LOG nicht erfüllt worden seien, teilt das Verteidigungsministerium lediglich mit - Zitat:

Zitat BMVG
„Der Vertrag hat eine Laufzeit von einem Jahr. Die Entscheidung, die darüber hinaus bestehende Verlängerungsoption nicht auszuüben, ist Ergebnis der auf Seiten des Auftraggebers vorzunehmenden umfassenden Abwägung, auf welche Art und Weise die Verpflegung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz am besten sichergestellt werden kann.“

Konkrete Gründe werden also nicht genannt. Geplant ist allerdings auch keine Abkehr vom bisherigen Grundsatz, Soldaten im Auslandseinsatz durch private Dienstleister zu verpflegen. Denn der Auftrag ist Ende vergangenen Jahres bereits neu ausgeschrieben worden. Im Mai – so die Erwartung der Bundeswehr – wird die Verpflegung der Soldaten in Masar-i-Scharif dann erneut in zivilen Händen liegen. Die Feldköche würden dann wieder abgezogen werden.

Und was sagt die betroffene Firma LOG? Auch sie lässt die Hintergründe über das Ende der Zusammenarbeit im Dunkeln. Keine Stellungnahme gegenüber NDR Info. Man verweist auf das Bundesamt für Wehrverwaltung. Diese in Bonn ansässige Behörde gehört zur Bundeswehr und ist u.a. für die Verpflegung der Streitkräfte zuständig. Das Bundesamt für Wehrverwaltung kümmert sich beispielsweise um die Ausschreibung und die Ausgestaltung der Verträge mit privaten Firmen. Offenbar haben sich beide Seiten vertraglich zu Stillschweigen verpflichtet. Möglicherweise deshalb die Zurückhaltung.

Probleme mit der Küche in Masar-i-Scharif gibt es schon seit einiger Zeit. Geklagt wird, das Essen sei schlechter geworden. Bemängelt werden nicht nur Qualität, sondern auch Vielfalt und Abwechslung. Zudem ist von hygienischen Problemen die Rede. Aus Sicht der Bundeswehr offenbar Gründe genug, den Vertrag nach nur einjähriger Laufzeit nicht zu verlängern.

Allerdings war das Verteidigungsministerium Ende 2010 zunächst sehr zuversichtlich, mit dem Bonner Logistiker LOG den richtigen Dienstleister gefunden zu haben. Damals musste der Vertrag über die Verpflegung in Masar-i-Scharif aus vergaberechtlichen Gründen neu ausgeschrieben werden. Das Angebot der Firma LOG war etwas günstiger als das Angebot des bisherigen Unternehmens, das sich zuvor mehrere Jahre um das leibliche Wohl der Soldaten gekümmert hatte. NDR Info berichtete damals über den Wechsel des Verpflegungs-Dienstleisters und die damit verbundenen Befürchtungen der Soldaten. Im Bundesamt für Wehrverwaltung kümmert sich Jürgen Pohl um diesen Komplex. In der Sendung Streitkräfte und Strategien hatte er solche Sorgen und Bedenken zurückgewiesen. Über die Bonner Firma LOG war der Beamte voll des Lobes, sprach von einem sehr erfahrenen Unternehmen:

O-Ton Pohl
„Die Firma ist gut aufgestellt. Die Firma hat verschiedene Unterauftragnehmer. Das ist z.B. in dem Fall die Firma ESKO, die sich auf Catering-Dinge spezialisiert hat. Und diese Firma ist auch im internationalen Bereich aufgestellt, z.B. werden bei den Vereinten Nationen Catering-Leistungen erbracht oder für Streitkräfte verschiedener Nationen."

Jürgen Pohl vom Bundesamt für Wehrverwaltung im Dezember 2010 auf NDR Info. Inzwischen hat die Bundeswehr ihm offensichtlich einen Maulkorb verpasst. Ein von der Pressestelle bereits zugesagtes Interview wurde abgesagt - ohne Begründung. Dabei gibt es Fragen genug: Hat die Bundeswehr damals auf den falschen Dienstleister gesetzt? Hat man sich von dem günstigen Angebot blenden lassen? Hat die Bundeswehr andere wichtige Faktoren bei der Auftragsvergabe vernachlässigt bzw. falsch gewichtet? Welche Konsequenzen werden aus dem aktuellen Fall für künftige Ausschreibungen gezogen? Wie werden Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Dienstleister künftig geprüft? Fragen, die einer Antwort bedürfen.

Die Firma LOG gibt es bereits seit mehr als 20 Jahren. An der Spitze des Unternehmens stehen Männer, die lange Zeit in der Bundeswehr gedient haben, u.a. im Bereich der Versorgung. Die Geschäftsleitung weiß also, wie die Bundeswehr „tickt“ und funktioniert. Trotzdem: Der Vertrag mit einem Auftrags-Volumen von rund 12 Mio. Euro wurde von der Bundeswehr nicht verlängert.

Auch wenn der Bonner Dienstleister LOG jede offizielle Stellungnahme zu dieser Entscheidung ablehnt – man ist zweifellos enttäuscht. Zum Ausdruck kommt der ganze Frust in einem Schreiben an den Verteidigungsausschuss im vergangenen Monat. Der Brief ist eine Reaktion auf eine Meldung der BILD am SONNTAG. In dem Kurzbericht hatte es geheißen, in Afghanistan laufe der Vertrag des bisherigen externen Kantinenpächters aus. Grund der Nichtverlängerung seien hygienische Mängel und massive Beschwerden über das Essen. Weiter wird in der Meldung erwähnt, dass sich zuletzt über 100 Soldaten in der Kantine wegen einer Ekel-Bolognese-Nudelsoße eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hätten.

Der Dienstleister fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In dem Schreiben an den Verteidigungsausschuss macht die LOG-Geschäftsführung letztlich das Bundesamt für Wehrverwaltung für diese Meldung verantwortlich. Der Vorwurf: das Amt informiere bewusst selektiv über die LOG-Leistungen.

Das Unternehmen weist insbesondere eine Verantwortung für die Lebensmittelvergiftung am 12. Oktober in Masar-i-Scharif zurück. Betroffen waren damals insgesamt 202 Personen. Sie klagten nach Einnahme des Mittagessens in der Kantine u.a. über Übelkeit. Die Truppenküche wurde vorsorglich gesperrt und desinfiziert, konnte aber am Abend wieder in Betrieb genommen werden. Wenig später teilte der Parlamentarische Staatssekretär Kossendey schriftlich mit – Zitat:

Zitat Kossendey
„Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Einnahme der Mittagsverpflegung und der vorherrschenden Symptomatik sowie des perakuten und milden Erkrankungsverlaufs erscheint eine lebensmittelbedingte Intoxikation durch ein Toxin bakteriellen Ursprungs wahrscheinlich.“

Eine klare Schuldzuweisung an den Kantinenpächter gab es aber nicht. In dem Schreiben des Verteidigungsministeriums heißt es – Zitat:

Zitat Kossendey
„Der Betreiber der Einrichtung kann aufgrund teilweise fehlender Rückstellproben und der mangelnden Zuordnungsfähigkeit derselben nicht vollständige entlastet werden. Ein Verschulden des Betreibers der deutschen Verpflegungseinrichtung im Camp Marmal ist nicht nachweisbar.“

Als wolle man dem Untersuchungsergebnis nicht richtig trauen, heißt es allerdings nur einen Satz weiter – Zitat:

Zitat Kossendey
„Die bereits bestehende – zusätzliche – Kontrolle des Auftragsnehmers durch die Territoriale Wehrverwaltung wurde weiter intensiviert.“

Nicht gerade ein Vertrauensbeweis.

Hygienische Mängel hat es in der Küche im Camp Marmal offenbar häufiger gegeben. Aus Sicht des Betreibers LOG sind diese aber auf nichtfunktionierende Großgeräte wie Spülmaschinen und die Infrastruktur zurückzuführen. Dafür aber sei die Bundeswehr verantwortlich. In dem LOG-Schreiben an den Verteidigungsausschuss ist von erheblichen infrastrukturellen Mängeln die Rede. Sie hätten es praktisch unmöglich gemacht, die Hygienevorschriften einzuhalten. Das Unternehmen will die Bundeswehr unmittelbar nach Beginn ihrer Tätigkeit in Masar-i-Scharif über die vorgefundenen Mängel informiert haben.

Das aber wird vom Verteidigungsministerium bestritten. Eigenständige frühzeitige Hinweise der Firma LOG auf hygienische Mängel seien nicht bekannt, heißt es auf eine Anfrage von NDR Info. Bei der Infrastruktur habe das Unternehmen in einigen Fällen auf Mängelfeststellungen in Inspektionsberichten der Bundeswehr reagiert. Infrastrukturelle Mängel am Wirtschaftsgebäude im Camp Marmal seien erstmalig im August gemeldet worden. Die notwendigen Gegenmaßnahmen seien daraufhin unverzüglich eingeleitet worden, behauptet das Verteidigungsministerium. Die Bundeswehr räumt allerdings ein, dass über Wochen und Monate Geschirrspülmaschinen und andere Küchengroßgeräte nicht funktionierten. Die Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten seien jedoch Mitte Oktober abgeschlossen worden. Alle Küchengroßgeräte seien nun einsatzbereit, teilt das Verteidigungsministerium mit. Zugleich räumte man ein, dass wegen der Probleme Plastikessbesteck und Styropor-Teller ausgegeben werden mussten.

Nach Informationen von NDR Info ist kurz vor Weihnachten allerdings erneut in der Kantine mit Einweggeschirr gegessen worden. Offenbar waren die Wartungsarbeiten an den Geschirrspülmaschinen doch nicht so erfolgreich.

Im Mai soll nun ein neuer Dienstleister die Verpflegung in Masar-i-Scharif übernehmen – möglicherweise unter besseren Voraussetzungen als sein Vorgänger. Ob bei plötzlich auftretenden Problemen künftig dann erneut jeweils militärische Feldköche einspringen können, ist keineswegs sicher. Denn die Bundeswehr wird bekanntlich verkleinert und will sich auf militärische Kernfähigkeiten beschränken. Die Verpflegung der eigenen Soldaten gehört aus Sicht des Verteidigungsministeriums nicht zu den Kernfähigkeiten. Auch wenn es noch keine Zahlen gibt: sicher ist, dass die Truppenküchen und damit auch ihr Personal im Zuge der Bundeswehrreform reduziert werden. Die Streitkräfte lassen sich lieber von externen Dienstleistern bekochen – auch im Einsatzgebiet.

Das Outsourcing ist jedoch riskant und kann schnell schief gehen, wie sich nicht nur in Afghanistan gezeigt hat. Große Probleme gab es beispielsweise vor sechs Jahren bei der Kongo-Mission der Bundeswehr. Es ist eben ein Unterschied, ob private Firmen das Catering von Soldaten in Deutschland übernehmen oder aber in einem mehrere tausende Kilometer entfernten Kriegsgebiet.

Flocken:
Die Ausschreibung für den Küchenbetrieb im afghanischen Masar-i-Scharif ist inzwischen abgeschlossen. Nach Informationen von NDR Info soll die Bundeswehr dort künftig von dem italienischen Dienstleister Ciano-Trading verpflegt werden.


* Aus: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 14.01.2012; www.ndrinfo.de


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