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Mummenschanz in Mittenwald

Immer wieder gerät die idyllische Alpengemeinde in die Schlagzeilen

Von Rainer Funke *

Gespenster gingen diese Woche wieder um in oberbayerischen Mittenwald. Mit geschnitzten, gruselig ausschauenden Masken zogen sie lärmend durch die Straßen. Schon vor 500 Jahren wurden so Dämonen verjagt. Auf Geist und Geister der Wehrmachtszeit, auf dem Hohen Brendten am Ortsrand seit 1954 mit einem Ehrenmal bedacht, scheint die Narretei nicht zu zielen ...

Mittenwald, 912 Meter hoch gelegen, umgeben von bis zu 2537 Meter aufragenden Alpengipfeln, nennt sich Marktgemeinde. Was in Bayern bedeutet, dass die 8000- Seelen-Ortschaft irgendwo zwischen Dorf und Stadt rangiert. Die märchenhafte Idylle trägt dazu bei, dass man zuvörderst vom Tourismus leben kann. Hier gibt es 450 Hotels und Pensionen mit gut 4800 Betten. Wie der Erste Bürgermeister Adolf Hornsteiner (CSU) dem ND sagt, sieht er nach jahrelanger Stagnation Grund zur Freude. Anno 2008 hatte die Marktgemeinde 90 000 Touristen angezogen. Für das vorige Jahr geht man von einer sechsprozentigen Steigerung aus. Hornsteiner führt dies darauf zurück, dass Mittenwald und andere Alpenorte viel dafür getan haben, die Vorzüge der Natur erlebbar ins Bild zu setzen. Zuletzt wurde ein Rad- und ein Barfußwanderweg geschaffen, dazu Öko-, Naturwald- und Flußlehrpfade entlang der Isar. Das Brauchtum wird gepflegt. »Unsere Alpenregion hat sich gut aufgestellt«, sagt Hornsteiner.

Ein geschenkter Gedenkstein

Zu den Bewohnern der Marktgemeinde zählen auch die Gebirgsjäger - wohl knapp 1500 derzeit. Die vielleicht rund 200 zivilen Beschäftigten in der Edelweiß-Kaserne kommen aus Mittenwald und Umland. Das Bataillon ist ein potenter Arbeitgeber, nährt Bäcker, Fleischer, Ärzte, Schreiner, Wirte. Manch Rekrut oder Feldwebel bleibt nach seiner Dienstzeit im Ort. Man ist versippt und verschwägert, kennt alle und jeden.

Die Nazizeit in Mittenwald hat man mit einem Tabu belegt. Können sich deshalb hier Mythen so hartnäckig halten? Immerhin versammeln sich seit 1952 im Orte und droben am sogenannten Ehrenmal auf dem Hohen Brendten - einem riesigen Kreuz, das von zwei Pfeilern gesäumt wird - alte Kameraden aus Wehrmacht und SS, manche von ihnen an Kriegsverbrechen beteiligt. Man huldigt sich selbst und toten Gebirgsjägern aus zwei Weltkriegen als Helden. Ausgediente und aktive Bundeswehroffiziere nehmen ebenfalls Haltung an.

Nein, in Mittenwald ist nicht alles Idylle. Der Bürgermeister spielt auf das Mahnmal »Stein des Anstoßes« an, den der bundesweite Arbeitskreis »Angreifbare Traditionspflege« der Marktgemeinde im Mai vorigen Jahr gestiftet und auf dem Bahnhofsvorplatz aufgestellt hatte. Auf einer Metallstele befindet sich eine Vitrine, in der Steine aus den Trümmern des italienischen Dorfes Falzano di Cortona liegen. Gebirgsjäger hatten im Juni 1944 den Ort zerstört und 14 Bewohner umgebracht. Voriges Jahr verurteilte ein Münchner Gericht den damaligen Kompanieführer Scheungraber zu lebenslanger Haft. Die Blutspur deutscher Gebirgsjäger zog sich über den gesamten Kontinent. 50 Massaker in Griechenland, Italien, Frankreich, Finnland, Jugoslawien, Polen, Albanien und der Sowjetunion wurden bekannt. Im nordgriechischen Dorf Kommeno richtete man 317 Zivilisten hin, auf Kephallonia, einer Insel bei Korfu, mehr als 5000 längst entwaffnete italienische Soldaten.

Ringsum trägt die Vitrine die Inschriften: »In Trauer um die Opfer der Kriegsverbrechen, die im 2. Weltkrieg von Gebirgsjägern der deutschen Wehrmacht in ganz Europa begangen wurden. In Gedenken an die unter Beteiligung der Gebirgstruppe deportierten Jüdinnen und Juden. In Erinnerung an den Todesmarsch aus dem KZ Dachau, der am 1. Mai 1945 in Mittenwald befreit wurde ...«

Die Stele aufzustellen, das sei wider geltendes Recht gewesen, sagt Bürgermeister Hornsteiner. Niemand dürfe auf Gemeindegrund ohne Genehmigung irgendein Bauwerk errichten, auch kein Mahn- oder Denkmal. Deshalb habe man den Stein »in Verwahrung genommen«. Der Arbeitskreis »Angreifbare Traditionspflege« sah dies anders. Und erklärte, die Gemeinde habe das Opfer-Mahnmal einfach mit der Karre abtransportiert. Nahezu zeitgleich mit der »Festnahme« des Denkmals bot der Gemeinderat dem Arbeitskreis Gespräche über eine einvernehmlichen Lösung an.

Und die sah schließlich so aus: Mittenwald nimmt die Schenkung des Mahnmales an. Nach Gesprächen mit Vertretern des Arbeitskreises wurde vor der Schule ein geeigneter Platz gefunden. Die Lehrerschaft stimmte mit deutlicher Mehrheit zu. Am 21. März soll es eine feierliche Einweihung geben. »Mittenwald wird damit seiner moralischen Verpflichtung gerecht, einen historischen Erinnerungsort zu schaffen«, meint Hornsteiner.

Nach seinen Vorstellungen werden alle wichtigen Gruppen der Gemeinde anwesend sein. Vermutlich auch Vertreter der ortsansässigen Edelweiß-Kaserne der Bundeswehr und der Kameradschaft der Gebirgsjäger. In Uniformen und altmilitärischen Trachten? »Dann wären wir gezwungen, eine geeignete Form der Kommunikation zu suchen«, denkt Markus Mohr, Sprecher des Arbeitskreises. Mozart, Bach und Vivaldi werden intoniert. Es soll Ansprachen von Bürgermeister und Landrat geben, von einem Vertreter des Arbeitskreises, von Andrea Vignini, Bürgermeister Cortonas, und Maurice Cling aus Paris, einstmals Häftling in Konzentrationslagern der Nazis. Schließlich ist eine ökumenische Weihe des Mahnmals durch die Ortskirchen vorgesehen.

Der »Stein des Anstoßes« habe durch einen angemessenen Konsens mit der Gemeinde seinen Platz gefunden, sagt Mohr. »Ein Teil von uns wird damit nach achtjährigem Protest in Mittenwald das Engagement vorläufig einstellen.« Der Sprecher fasst zusammen: Antifaschisten und Autonomen sei es gelungen, eine Schneise in das nationalsozialistisch kontaminierte Erinnerungsregime am Truppenstandort Mittenwald zu schlagen.

»Auf der anderen Seite haben wir damit auf dem Niveau der bundesdeutschen Staatsreligion operiert, die allerdings für den Truppenstandort bislang keine wirkliche Geltung beanspruchen konnte.« Die Gründe für Proteste gegen die militaristische Traditionspflege des Kameradenkreises an diesem Ort bestünden fort. Deshalb will der andere Teil des Arbeitskreises weitermachen. »Dafür haben sie unseren Respekt«, meint Markus Mohr.

Lange Liste von Skandalen

Die aktuellen Geschehnisse in der Mittenwalder Kaserne der Gebirgsjäger, bei denen es um Mutproben mit roher Schweineleber, Alkohol, Hefe sowie diverse Nacktszenen geht, nennen die weiter Hartnäckigen des Arbeitskreises Zeremonien, die in soldatischen Männerbünden durchaus üblich sind, nicht nur hier. Die Liste der Skandale in Mittenwald und den anderen Gebirgsjägergarnisonen sei lang: Foltervideos, Naziorden und Hitler-Grüße, der Totenkopfskandal in Afghanistan vom Oktober 2006. Dies habe auch damit zu tun, dass die Gebirgsjäger seit 50 Jahren von Greisen der Wehrmacht sozialisiert werden.

Derweil bleibt der Kameradenkreis in der ihm eigenen Unverfrorenheit ganz legal aktiv. Weil er sein Ehrenmal sanieren möchte, hat er voriges Jahr anliegende Gemeinden um Fördergelder ersucht, den oberbayrischen Bezirkstag mit Sitz in München um Zuschüsse von knapp 800 Euro, die auch bewilligt wurden. Einen Antrag der Linkspartei-Bezirksräte Klaus Weber und Beate Jenkner, diese Entscheidung des Kulturausschusses zu missbilligen, wurde gegen die Stimmen auch der neun Grünen-Vertreter von CSU und SPD abgelehnt. Beide müssten sich fragen lassen, inwieweit sie »die Täterverherrlichung der Demut und Reue gegenüber den Opfern« vorziehen, kommentierten Weber und Jenkner.

Für das nächste Treffen auf dem Hohen Brendten hat sich der Kameradenkreis eine besonders verderbte Provokation ausgedacht, die seinem Geiste entspricht: Es soll am 8. und 9. Mai stattfinden, exakt 65 Jahre nach der Befreiung.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2010


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