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Guttenbergs Ministerium meutert

Tödliche Unfälle bei der Bundeswehr – Parlament und Öffentlichkeit wurden belogen

Von René Heilig *

Die aktuellen Meldungen über den durch einen Kameraden verschuldeten Tod eines Gebirgsjägers in Afghanistan, über geöffnete Soldatenbriefe und über eine angebliche Meuterei auf dem Segelschulschiff »Gorch Fock« haben zumindest eines gemeinsam – sie kamen nicht aus dem Verteidigungsministerium.

Ein 21-jähriger Hauptgefreiter aus dem Gebirgsjägerbataillon 232 war kurz vor dem Weihnachtsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel – wie es verdächtig unpräzise hieß – mit einer Schussverletzung in einem Außenposten aufgefunden worden. Er sei, so berichtete die Bundeswehr weiter, bei einer Notoperation im Feldlager Pol-e-Chomri gestorben. Erst war von einem Unfall beim Waffenreinigen die Rede, dann suggerierte man die Möglichkeit einer Selbsttötung. Rund einen Monat später kam heraus, dass sich ein Schuss »aus der Waffe eines anderen Soldaten« gelöst hat. Das teilte der ermittelnde Geraer Oberstaatsanwalt, Thomas Villwock, mit und verwies auf Schwierigkeiten bei der Aufklärung dieser »Waffenspielerei«.

Der Vorfall ereignete sich am 17. Dezember. Feldjäger ermittelten, ohne dass Resultate bekannt gemacht wurden. Hat das Verteidigungsministerium die Familie des Soldaten, die Öffentlichkeit und das Parlament bewusst getäuscht? Wollte man nicht, dass die Gebirgsjäger-Elite nach Schweineleber- und anderen Ekelritualen schon wieder in die Schlagzeilen kommt? Befürchtete jemand, dass der Vorfall Abzugsdebatten belebt?

Merkel jedenfalls sprach bei ihrem Besuch in Afghanistan nur von einem tragischen Unglücksfall. Was aber wusste Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)? Es gibt Hinweise darauf, dass er frühzeitig – und zwar bereits während des Merkel-Besuchs – Hintergründe kannte. Gegenüber dpa hatte er geäußert: »Selbstverständlich ist es auch eine Herzensfrage, diesen Kameraden, von dem das Unglück ausging, und seine Familie aufzufangen.«

Auch über das Geschehen auf der »Gorch Fock« nach dem Tod der Offiziersanwärterin Sarah Lena Seele im Oktober berichtete das Ministerium nur Halbwahrheiten. Nun ist bekannt: Nach ihrem tödlichen Sturz wollten offenbar einige ihrer Crew-Kameraden nicht mehr in die Segelanlagen klettern. Vier Offiziersanwärter wurden deshalb zusammengestaucht. Man warf ihnen Meuterei und Aufhetzen der Offiziersanwärter vor und schickte sie zurück nach Deutschland. Für die zuständige Staatsanwaltschaft in Kiel ist der bisherige Vorwurf der Meuterei allerdings noch kein Thema.

Auf dem Segelschulschiff – über dessen Nützlichkeit ohnehin ein Streit entbrannt ist, weil es im Grunde nur der Repräsentation Deutschlands in fremden Häfen dient – hatte es in jüngster Vergangenheit bereits mehrere tödliche Unfälle gegeben. Im September 2008 fiel eine 18-Jährige bei der Seewache über Bord in die Nordsee, 2002 starb ein 19-Jähriger nach einem Sturz aus der Takelage. Vier Jahre zuvor hatte es einen ähnlichen Zwischenfall gegeben.

Vertuschen hat Tradition bei der Marine. Während des NATO-Manövers »Strong Resolve 2002« ertranken zwei Matrosen der Fregatten »Mecklenburg-Vorpommern«. Der juristisch bislang nicht geahndete Vorwurf: inkompetente Schiffsführung und untaugliches sowie nicht einsatzfähiges Rettungsmaterial. Nach wie vor sind Vorwürfe nicht entkräftet, dass die Deutsche Marine 1999 den Sassnitzer Kutter »Beluga« versenkt hat. Drei Fischer ertranken damals.

Weiter unklar ist, wer die Post von Angehörigen eines sogenannten Ausbildungs- und Schutzbataillons in Afghanistan geöffnet hat. Der Zensurverdacht ist nicht vom Tisch. In allen Fällen hat Minister zu Guttenberg Aufklärung versprochen. Der Verteidigungsexperte der Linksfraktion, Paul Schäfer, forderte von der Bundesregierung, ihrer Bringeschuld nachzukommen und »künftig eine raschere, umfassendere und transparente Information des Parlaments sicherzustellen«. Seine FDP-Kollegin Elke Hoff kritisierte gleichfalls die interne Aufarbeitung der Vorfälle. Die SPD will Guttenberg wegen der Vorgänge am Mittwoch vor den Verteidigungsausschuss zitieren.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Januar 2011


Wen trifft es diesmal?

Von René Heilig **

Geöffnete Soldatenbriefe, »Meuterei« nach einem tödlichen Unfall auf der »Gorch Fock«, ein umgekommener Afghanistan-Kämpfer, über dessen Tod Lügen verbreitet wurden – und ein Minister, der doppelzüngig Transparenz verspricht und hinterrücks das Gegenteil praktiziert?

Als zu Guttenberg frisch ins Amt gestoßen wurde, hat man ihm angeblich nicht gesagt, wie vermutlich 140 Zivilisten im Kundus-Fluss von einem deutschen Oberst umgebracht worden sind. Dann spürte der Minister, dass er mit der Tradition seiner Vorgänger, Unliebsames zu vertuschen, weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit punkten kann. Umgehend hielt zu Guttenberg sein Fähnchen in eine andere Richtung, suchte und fand Schuldige. Der Generalinspekteur und ein Staatssekretär wurden gefeuert.

Wie wird der Minister nun seinen Hals retten? Mit der forsch-dynamischen Versicherung, alles untersuchen zu lassen, ist die Schlinge nicht durchtrennt. Wen also trifft diesmal die Schuld? Seit den Kundus-Vorgängen hatte zu Guttenberg eineinhalb Jahre Zeit, um Ordnung in »seinen Laden« zu bringen. Ist er dazu nicht fähig oder verweigert die Kriegerkaste den Gehorsam? Einerlei. Klar ist: Das Militär und sein Minister müssen strenger kontrolliert werden. Doch dazu sind Parlamentarier, die in blinder Parteigefolgschaft Jahr um Jahr Kriegsmandate verlängern, denkbar ungeeignet.

** Aus: Neues Deutschland, 21. Januar 2011 (Kommentar)


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