Mehr Truppen nach Afghanistan, um schneller abzuziehen? Die Schwächen der US-Strategie
Von Andreas Flocken. Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *
Den Irak-Krieg hat Barack Obama immer abgelehnt und für falsch gehalten
- auch, weil er vom Konflikt in Afghanistan abgelenkt hat. Denn den
Militärein-satz am Hindukusch hält Obama für notwendig. Der
Afghanistan-Krieg dauert nun schon mehr als acht Jahre und der
US-Präsident will endlich eine Entscheidung erzwingen. In der
vergangenen Woche hat Obama seine erst im März verkündete
Afghanistan-Strategie korrigiert. Die Entsendung von weiteren 30.000
US-Soldaten soll das Blatt wenden. Obama greift damit auf ein
vermeintliches Patent-Rezept seines Vorgängers zurück. Denn auch
Präsident Bush hatte damals die US-Truppen im Irak aufgestockt, um eine
Wende zu erzwingen.
Obama hat sogar erheblich mehr Truppen als George W. Bush in Marsch
gesetzt. Außerdem hat er ein Abzugsdatum genannt. In 18 Monaten, im Juli
2011 soll der Rückzug der Soldaten beginnen:
O-Ton Obama
"As Commander-in-Chief, I have determined that it is in our vital
national interest to send an additional 30.000 US troops to Afghanistan.
After 18 months, our troops will begin to come home."
Die Bekanntgabe eines Abzugsdatums hat Obama viel Kritik eingebracht -
auch in der NATO. Kritiker sagen, die Aufständischen könnten sich nun
erst einmal zurückhalten, quasi "Urlaub" machen, um dann 2011 gestärkt
den Kampf wiederaufzunehmen. Doch Pentagonchef Gates will die
Obama-Ankündigung nicht als Exit-Strategie verstanden wissen. Der
US-Verteidi-gungsminister spricht lieber von einem veränderten Ansatz,
von einem Übergang, um den Afghanen schrittweise die Verantwortung für
ihre eigene Sicherheit zu übertragen:
O-Ton Gates
"Well, I don't consider this an exit strategy. And I try to avoid using
that term. I think this is a transition... it will be the same kind of
gradual conditions-based transition province by province, district by
district, that we saw in Iraq."
Der Irak als Vorbild für Afghanistan. Dort haben ISAF-Befehlshaber
McChrystal und vor allem sein Vorgesetzter, General Petraeus, ihr
Konzept zur Aufstandsbekämpfung entwickelt. Doch sind die Grundlinien
der Counter-Insurgency-Strategie wirklich auf Afghanistan übertragbar?
Afghanische Sicherheitskräfte sollen nach diesem Konzept nach und nach
die US- und NATO-Truppen am Hindukusch ablösen. Die USA und auch das
Bündnis wollen dafür noch mehr Ausbilder nach Afghanistan schicken. Eine
schwierige Aufgabe. Denn die Zahl der Analphabeten in den afghanischen
Sicherheitskräften ist hoch. Ihre Loyalität gilt zudem in erster Linie
den Clanchefs ihrer Region und nicht dem afghanischen Präsidenten.
Karsais Legitimität ist durch die Wahlfälschungen zudem erheblich
geschwächt worden. Ob die im Aufbau befindlichen Sicherheitskräfte ein
effektives Instrument einer schwachen und korrupten Zentralregierung in
Kabul werden können, ist daher zweifelhaft. Auf die immer wieder
propagierte selbsttragende Sicherheit in Afghanistan wird man noch sehr
lange warten müssen. Präsident Karsai teilte diese Woche mit, die
afghanischen Sicherheitskräfte seien noch 15-20 Jahre auf Hilfe von
außen angewiesen.
Aber es gibt noch andere Schwächen und Widersprüche in dem von
ISAF-Befehlshaber McChrystal angekündigten Aufstandsbekämpfungs-Konzept.
Schwerpunkt der Militäroperationen soll danach der Schutz der
afghanischen Bevölkerung sein und nicht der Kampf gegen die
Aufständischen. Man will nicht als Besatzer wahrgenommen werden.
Gleichzeitig wollen die USA mit der Entsendung zusätzlicher Soldaten
aber die militärische Initiative zurückgewinnen. Der Druck auf die
Taliban soll also erhöht werden.
Klar ist auch, dass das Konzept der Aufstandsbekämpfung für die
eingesetzten Soldaten mit erheblichen Gefahren verbunden ist. Denn
Einheiten sollen direkt in die Dörfer und Städte gehen, dort wo die
Menschen leben. Die Afghanen sollen geschützt werden, das heißt, die
Soldaten müssen ihre schwer bewachten Feldlager verlassen. Die Folge
ist, dass seit Mitte des Jahres die Zahl der getöteten Soldaten
erheblich angestiegen ist. Eine Entwicklung, die die Öffentlichkeit in
den USA nicht lange hinnehmen wird.
Bei der Befriedung Afghanistans spielt Pakistan ein Schlüsselrolle. Das
wird von der US-Regierung und auch den Verbündeten immer wieder betont.
Denn das Grenzgebiet dient den Aufständischen als Rückzugsraum. Hier
findet das von ISAF-Befehlshaber McChrystal hochgelobte Konzept der
Aufstandsbekämpfung allerdings praktisch keine Anwendung. Die
pakistanischen Streitkräfte führen vielmehr einen konventionellen Krieg
gegen die Taliban. Diese Kriegsführung kann aber nach den Vorstellungen
McChrystals gegen Aufständische nicht erfolgreich sein. Entgegen dem
Konzept der Aufstandsbekämpfung setzen die USA in Pakistan zudem selbst
verstärkt auf Angriffe mit Predator-Drohnen - anders als in Afghanistan.
Das neue US-Konzept für den Hindukusch ist also alles andere als eine
Strategie aus einem Guss. Ob die mit der Truppenaufstockung verbundenen
Erwartungen erfüllt werden, ist daher ungewiss.
* Aus: NDR Forum "Streitkräfte und Strategien"; Sendetermin 12.
Dezember 2009
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