Tränendrüsendemokratie - Scharping bekommt nun doch mehr Geld
Belohnt wird, wer am lautesten heult - und wer auch sonst gute Freunde hat
Nun bekommt er doch fast, was er will, Verteidigungsminister Scharping. Man muss eben nur lange und hartnäckig genug auf die Tränendrüsen drücken, den Bundeswehrverband gezielt für seine Zwecke einspannen und genügend Freunde nicht nur in den Koalitions-, sondern auch in den so genannten Oppositionsparteien haben, dann lässt sich selbst ein so eingefleischter Obersparlehrer wie Hans Eichel erweichen. Zwar muss er nicht schon im nächsten Jahr mehr Geld für die Bundeswehr auf den Tisch legen, aber in den folgenden Jahren soll es dann wieder aufwärts gehen mit dem Einzelplan 14, in dem haushaltsrechtlich die wichtigsten Ausgaben für das teuerste Spielzeug und Prestigeobjekt des Staates zusammengefasst sind.
Folgendes soll in Berlin zwischen Schröder, Scharping und Eichel am 29. Mai 2001 ausbaldowert worden sein:
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Zunächst werden die offiziell ausgewiesenen Militärausgaben für das kommende Jahr 2002 vereinbarungsgemäß um 300 Millionen DM reduziert. Einzelplan 14 sinkt also auf etwa 46,2 Milliarden DM.
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Ab 2003 soll der Etat um jährlich 500 Millionen angehoben werden - nicht real, sondern im Vergleich zu den bisherigen Planzahlen der Mittelfristigen Finanzplanung, die eine jährliche Absenkung des Etats vorgesehen hatte. Mit anderen Worten: Scharpings Haushalt wird nicht sinken, sondern auf der Höhe von 46,2 Milliarden DM bleiben.
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Das Verteidigungsministerium kann aber auch schon in diesem Jahr und im Jahr 2002 seinen Etat aufstocken, und zwar durch Erlöse aus Verkäufen von Liegenschaften. 80 Prozent der Verkaufserlöse fließen in Scharpings Taschen, über den Rest darf sich Eichel freuen. Wie viel Grundstücke und Kasernen tatsächlich verhökert und in klingende Münze bzw. Waffen und Material für die Truppe umgesetzt werden, weiß niemand so genau. Scharping darf ohnehin nur eine Höchstgrenze von 1 Milliarde DM behalten. Diese Regelung gilt für 2001 und 2002.
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Ab 2003 soll diese Höchstgrenze auf 1,2 Milliarden DM angehoben werden.
Deutschland auf "Kleinstaaten-Niveau"? Das können die Grünen nicht zulassen
Besonders spektakulär ist das Ergebnis der Ministerrunde bei Schröder also nicht gewesen. Seit Monaten pfeifen es in Berlin die Spatzen von den Dächern, dass die Bundeswehr mehr erhalten würde, als ihr ursprünglich zugedacht war. Begründet wurde dies mit den Anforderungen und Erwartungen der "Bündnispartner", mit der Umstrukturierung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee und mit den damit zusammen hängenden riesigen Beschaffungsmaßnahmen - der SPIEGEL sprach von 220 Milliarden DM, die in den nächsten Jahren in neue Waffensysteme investiert werden müssten (2. April 2001). In einem früheren
Beitrag haben wir auf die gängigen "Argumente" hingewiesen, die von den Militärbefürwortern ins Feld geführt wurden, um die Öffentlichkeit für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben reif zu schießen. Die Frankfurter Allgemeine setzte sich an die Spitze der Rufer nach mehr Geld für die Bundeswehr und kommentierte die jetzige Regelung mit gebremster Freude: "Immerhin haben sich der Kanzler und sein Finanzminister nicht völlig der Einsicht in die Modernisierungsnotwendigkeit der Streitkräfte und deren Finanzbedarf widersetzt. Es war schließlich die von Schröder geführte Bundesregierung, die in Nato und EU militärische und sicherheitspolitische Verpflichtungen eingegangen ist, die nicht zu erfüllen sind, wenn gleichzeitig eine Politik des Sparens um jeden Preis Maßstab der Umstrukturierung der Bundeswehr ist. Nicht erfüllen hieße, die Partnerschaftsfähigkeit Deutschlands auf Kleinstaaten-Niveau zu verringern just zu dem Zeitpunkt, da die Erwartungen an Berlin eher größer werden. (FAZ, 31.05.2001) Die großkotzige FAZ sieht also "Kleinstaaten-Niveau" am Horizont heraufziehen, wenn sich ein Staat hinter den USA die viertteuerste Armee der Welt leistet! Doch es war beileibe nicht die FAZ allein, die in dieses Horn stößt und stieß. Schon im März befand beispielsweise die ansonsten zuweilen auch kritische Süddeutsche Zeitung: "Rot und Grün sollten ihrer Klientel besser schnell klar machen, dass die Bundeswehr mehr Geld braucht, und dass Sicherheit nicht dadurch entsteht, dass man weniger ausgibt." (SZ, 08.03.2001)
Angesichts solch massiver medialer Assistenz für den Militarismus wird wohl auch der kleine grüne Koalitionspartner ein Einsehen haben und Scharping das Geld gönnen. Immerhin können die bündnisgrünen Sicherheitsexperten Beer und Nachtwei darauf verweisen, was ihnen und uns allen blühen würde, wenn sich die CDU/CSU mit ihrer Forderung nach drei Millarden DM Aufgeld durchsetzen würde. (Diese Forderung bewegte sich übrigens verdächtig nahe an Scharpings ursprünglichem Wunsch von 2,7 Milliarden DM!) Der CDU-Verteidigungsexperte Paul Breuer nannte die geplante Erhöhung ein "Blendwerk". "Wer im kommenden Jahr", so referiert die SZ am 31. Mai 2001 Breuers Haltung, "den Verteidigungshaushalt senke, um ihn danach wieder zu erhöhen, verspiele jeglichen Kredit." Es gibt eben immer ein kleineres Übel bzw. eine etwas weniger fette Kröte, die es zu schlucken gilt. Und die Grünen haben in den zweieinhalb Jahre Regierungsbeteiligung viel Erfahrung darin gesammelt.
Die undurchsichtigen Geschäftsgebaren der GEBB
Schwierigkeiten von den Grünen sind also nicht zu erwarten. Eher könnte es haushaltsrechtliche Probleme für den Teil der Vereinbarung zwischen Scharping und Eichel geben, der das Einsacken der Verkaufserlöse vorsieht. Im Berliner "Tagesspiegel" heißt es hierzu: "Laut Scharping hat Eichel in seinen Plan eingewilligt, die privatrechtliche Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb (GEBB) zu einer Art Service-Agentur der Bundeswehr umzubauen. Die GEBB soll für die vier Tätigkeitsfelder Liegenschaften, Fahrzeug-Management, Bekleidung und Informationstechnik Tochtergesellschaften gründen. Diesen Gesellschaften überträgt die Bundeswehr ihre Gebäude, Autos und Computer -
und mietet sie dann wieder von ihnen zurück. Mit dieser Privatisierung zum Beispiel der Kasernen
fallen Verwaltungskosten, aber auch Aufwendungen für Instandhaltung oder Neubau weg. Eine
Privatgesellschaft kann aber noch mehr - sie kann zum Beispiel überflüssige Immobilien verkaufen
oder Hypotheken auf ihren Besitz aufnehmen. ... Der
Clou aus Sicht des Verteidigungsministers aber ist: 'Das gesamte Ergebnis der wirtschaftlichen
Tätigkeit der GEBB kommt uneingeschränkt dem Einzelplan 14 zu'..." Der Haken könnte nun darin liegen, dass mit dieser Konstruktion der GEBB eine Art Neben-Haushalt geschaffen würde. Das ist mit dem Haushaltsrecht aber nicht leicht in Übereinstimmung zu bringen. "Eichel wird daher beim nächsten Treffen mit Scharping klare Vorgaben fordern, um das Projekt als eine Art zeitlich und im Umfang begrenzten Modellversuch einstufen zu können. Andernfalls drohe Ungemach: 'Niemand kann ja wollen, dass der Haushaltsausschuss Nein sagt', heißt es mahnend im Hause Eichel." (Tagesspiegel, 31.05.2001)
Das ist das eine. Ein weiteres Problem könnte aber darin liegen, dass das Geschäftsgebaren der GEBB nicht transparent genug ist. Vielleicht war auch mehr als Zufall im Spiel, dass just in dem Augenblick, da Scharping seine Finanzzusagen erhalten hat, die obersten Kassenprüfer des Staates, der Bundesrechnungshof, massive Kritik an eben dieser GEBB üben. Die Frankfurter Rundschau berichtet am 31. Mai 2001, ihr läge ein Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags vor, in dem sich der Rechnunghof darüber beklagt, dass er mit der am 17. Mai 2000 gegründeten GEBB "noch keine Prüfungsvereinbarung habe erzielen können". "Trotz Aufforderung" habe sich die GEBB dazu noch nicht einmal geäußert, heißt es in dem Bericht des Bundesrechnungshofs. Und, was mindestens ebenso schwer wiegt: Das Verteidigungsministerium ist "offenkundig nicht bereit", die GEBB anzuweisen, eine Prüfungsvereinbarung abzuschließen. In dem Rundschau-Artikel heißt es dann weiter: "Der Rechnungshof mahnt 'eindeutige Regelungen' für eine 'sach- und zeitgerechte Prüfung der Gebb' an - auch deshalb, weil das Verteidigungsministerium selbst 'einige Mühen' gehabt habe, 'von der Gebb prüfungsrelevante Unterlagen zu erhalten'. So habe die Behörde etwa Ablichtungen der Anstellungsverträge der Geschäftsführer sowie leitender Gebb-Mitarbeiter angefordert, dann aber Unterlagen erhalten, in denen die Vergütungsregelungen teilweise geschwärzt waren. Auch nach Anmahnung vollständiger Unterlagen durch den Rechnungshof sei die Gebb nicht bereit gewesen, Kopien der Verträge zuzuschicken, sondern habe nur eine Einsichtnahme in ihren Büros angeboten." (FR, 31.05.2001)
Nun sind das trotz allem natürlich Peanuts angesichts der Gesamtausgaben für die "Verteidigung" oder besser: für den Angriff. Denn der Teil der Bundeswehr, der den Staatshaushalt in den nächsten Jahren am stärksten belasten wird, wird einzig und allein zu Zwecken der militärischen Intervention gebraucht. Die "Einsatzkräfte" sind es, die im Zentrum der Gelüste der Militärs und ihres obersten Dienstherren stehen. Die Bundeswehr, so beschrieb ein hoher General die Lage, bewältige derzeit den "Übergang von der Friedens- zur Einsatzarmee" (FR, 01.06.2001). Auch ein Grund, diesen sündhaft teuren Aufbau einer deutschen Interventionsarmee zu bekämpfen. Und über eines muss sich die Friedensbewegung im Klaren sein: Die Tränendrüsendemokratie funktioniert nur in einer Richtung. Der Friedensbewegung hilft kein Weinen und Klagen, keine Heulen und Zähneklappern. Was die Regierenden allenfalls zur Vernunft bringt, ist einzig und allein der geballte Protest und Widerstand aus der Bevölkerung gegen ihre Hochrüstungspläne.
Peter Strutynski
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