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Marine in der Defensive - immer weniger Übungsgebiete durch Offshore-Windparks

Ein Beitrag von Ute Hempelmann aus der Sendereihe des NDR "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Energiewende mit Folgen. In der Nord- und Ostsee entstehen immer mehr Offshore Windparks. Sehr zum Verdruss der Bundeswehr. Denn die Marine kann ihre bisherigen Übungsgebiete nicht mehr nutzen wie bisher. Erste Übungsraume mussten bereits aufgegeben werden. Die deutschen Seestreitkräfte sind in der Defensive. Ute Hempelmann berichtet:


Manuskript Ute Hempelmann

Ein Blick auf die Karte des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie-BSH zeigt die Brisanz der Lage. Die Weite des Meeres? Das war einmal. Nord- und Ostsee sind vermessen, verplant. Auch die hohe See außerhalb der 12 Meilen-Zone. Das sichtbare Resultat auf der Karte des BSH ist ein Gewirr farbiger Punkte, Linien und Raster über dem Blau der Nordsee - jeder Eintrag ein Indiz für Schutz- und Nutzungsansprüche. Christian Dahlke vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie ist zuständig für die Erfassung:

O-Ton Dahlke
„Wir haben diese Schifffahrtsautobahnen parallel zur ostfriesischen Küste, die zu den Häfen führen in der Ems, in der Elbe und in der Weser. Daneben haben wir eine ganze Menge Kabel, an denen wir dranhängen. Die ganzen Kommunikationskabel, die uns internetfähig verbinden mit Amerika und England. Dann gibt es Sand- und Kiesabbaugebiete, militärische Übungsgebiete und Gebiete, die nach Natura 2.000 als Schutzgebiete an die EU gemeldet worden sind.“

Jetzt melden die Offshore-Windkraftbetreiber ihre Ansprüche an. Wenn 15 Prozent des deutschen Strombedarfs aus Windenergie kommen sollen, müssten in den kommenden zwei Jahrzehnten ca. 4.000 Windkraftanlagen auf hoher See errichtet werden. Sie würden rund 15 Prozent der Meeresfläche in Anspruch nehmen wie aus einer Studie europäischer Offshore-Windparkbetreiber hervorgeht. Fast eben so viel, rund 14 Prozent, beansprucht danach das Militär schon heute. Oder auch: heute noch? In der symbolträchtigen Tarnfarbe „Grau“ sind auf der Karte militärische Routen der Deutschen Marine und der NATO verzeichnet, gewissermaßen als Nutzungsanspruch sind auch U-Boot-Tauchgebiete, Torpedo-, Schieß-, Minenjagd- und Flugübungsgebiete eingezeichnet. Doch vielfach überlappt sich das Grau des Militärs mit dem Rot und Grün der genehmigten oder in Planung befindlichen Offshore-Windparks. Jede Überschneidung ein potenzieller Konfliktfall, weiß Christian Dahlke vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie:

O-Ton Dahlke
„Ja, es gibt in den Bereichen, die die Militärs für sich als Übungsgebiete beanspruchen eine Reihe von Offshore-Windparkplanungen. Diese sind allerdings bisher nicht so weit gediehen als dass sie beschieden werden können, so dass wir auch noch nicht in der Bredouille waren, diesen Interessenkonflikt letztendlich zu entscheiden.“

Doch genau diese Aufgabe muss das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie als „verlängerter Arm“ des Verkehrsministeriums in den kommenden Monaten und Jahren leisten. Ein zäher Kampf, bei dem es eine klare politische Prioritätenliste gibt, glaubt jedenfalls Andreas Wagner von der Stiftung Offshore-Windenergie: erst die Schifffahrtswege, dann der Ausbau der Windkraftanlagen. Dann alles andere. Zum Beispiel Naturschutz und Militär.

Mit anderen Worten: Die Bundeswehr hätte das Nachsehen. Denn während sie an Land Eigentümer ihrer Nutzungsflächen ist, kann sie sich auf hoher See nur auf ein Gewohnheits-Nutzungsrecht berufen. Und das hat nicht viel Gewicht, wenn es um Deutschlands Energieversorgung geht, wie der Fall „Ostseepipeline“ beweist. Die Bundeswehr hatte gegen den Betreiber geklagt, die Firma Nordstream. Nicht weil sie prinzipiell ein Problem mit der Pipeline hätte. Aber sie verläuft durch Artillerie-Übungsgebiete der Marine. Ein Übungsbetrieb sei allenfalls eingeschränkt bzw. gar nicht mehr möglich, argumentierte die Wehrbereichsverwaltung als Vertreter der Bundeswehr vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald. Man stritt, auch über Haftungsfragen. Was wäre, wenn ein großkalibriges Geschoss versehentlich die Pipeline träfe? Die Richter entschieden gegen die Bundeswehr. Im Juni begründete das Gericht weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit sein Urteil, das sich kaum anders interpretieren lässt als eine schallende Ohrfeige für die Bundeswehr. Der amtierende Befehlshaber der Flotte, Konteradmiral Michael Mollenhauer, fasst die Konsequenzen für die Marine zusammen:

O-Ton Mollenhauer
„Durch den Bau der Ostseepipeline haben wir das Artillerieschießgebiet Pommersche Bucht beispielsweise verloren. Wir können hier mit keinerlei Kaliber von 76 Millimeter aufwärts angefangen mehr schießen. Das ist uns zurzeit aus Sicherheitsgründen untersagt. Das sind erhebliche Einschränkungen, die wir hier haben.“

Die könnten in absehbarer Zeit sogar noch größer werden. Nordstream plane den Bau einer dritten und vierten Pipeline, weiß Peter Hensel von der Wehrbereichsverwaltung Nord. Im Falle der Genehmigung neuer Pipelines wird es dann in der Ostsee noch enger für die Bundeswehr, die diese Entwicklung nicht ohne weiteres hinnehmen will. Mit Hilfe einer Ummantelung der Pipeline könne das Risiko eines Treffers auch durch großkalibrige Querschläger möglicherweise minimiert werden, erläutert Hensel. Doch solche Sicherheitsvorkehrungen machen das Projekt teuer. Und wer zahlt das?

Bedenklich für die Bundeswehr: Mit dem Gerichtsurteil zur Ostseepipeline könnte ein Präzedenzfall geschaffen worden sein. Möglich, dass die Marine auch in der Nordsee das Nachsehen hat, weil Deutschland nach dem Atom-Ausstieg die Windenergie dringend braucht. Möglich aber auch, dass sich die Bundeswehr und die Offshore-Windparkbetreiber Gebiete teilen. Und das wird für einen der Beteiligten oder beide teuer. Denn die Windräder stören das Radar von Marine und Luftwaffe - technische Lösungen müssen her. Und wer haftet bei Unfällen?

Öffentlich geben sich alle Beteiligten moderat. Energiegewinnung oder Landesverteidigung? Das sei in letzter Konsequenz eine politische Abwägung erklärt Andreas Wagner, Geschäftsführer der Offshore-Windparkstiftung. Wobei für ihn klar ist, wie diese letztlich aussieht:

O-Ton Wagner
„Die Hauptaktivität der Marine ist ja gar nicht mehr vor den deutschen oder europäischen Küsten, sondern vor Somalia oder in anderen Weltgegenden. Also von daher stellt sich schon die Frage, ob das unbedingt so erforderlich ist wie vor zwei drei Jahrzehnten, dass man alles unbedingt vor den deutschen Küsten machen muss.“

Lösungen zu Gunsten der Militärs seien im Rahmen einer europäischen Verteidigungspolitik denkbar, ergänzt Wagner und schlägt vor: Man könne die Übungen zum Beispiel auch nach England verlagern, denn im europäischen Vergleich hätten Länder wie Großbritannien reichlich große und noch freie Meeresflächen. Der amtierende Befehlshaber der Flotte, Michael Mollenhauer, hält diese Idee jedoch für wenig praktikabel:

O-Ton Mollenhauer
„Wer garantiert mir denn, dass dies überhaupt in England möglich ist? Nicht dass dann jemand sagt, jetzt haben wir nicht nur Ölplattformen, sondern wir wollen auch Windparks haben und nun liebe Deutsche, geht Ihr mal woanders suchen. Wir werden also immer weiter von unseren Gebieten vertrieben. Und das ist aus meiner Sicht mit den operativen Erfordernissen, die ich für die Flotte habe, nicht vereinbar.“

Die operativen Erfordernisse, das sind zum Beispiel tägliche militärische Übungen der Marine in Nord- und Ostsee. Zur Ausbildung des Personals sei das ebenso unverzichtbar wie zur Neueinrüstung von Waffen und technischen Veränderungen, argumentiert Konteradmiral Mollenhauer. Wegen Routinearbeiten wie einem Rohrwechsel könne nicht das gesamte Schiff mit Personal auslaufen und möglicherweise Wochen unterwegs sein zur irgendeinem entfernten Übungsgebiet.

Der Admiral rechnet vor: Auch nach der Verkleinerung der Bundeswehr soll die Marine stetig 1.000 von circa 10.000 Soldaten der Flotte für die Einsätze bereit halten. Bei einer Obergrenze von 180 Abwesenheitstagen pro Mann und Frau und allein gut 40 Tagen Transit hin und zurück in das Einsatzgebiet „Atalanta“ wird die Personaldecke dann so schnell dünn, dass lange Anfahrtswege weder wirtschaftlich rentabel noch personalpolitisch förderlich sind. Darum muss die militärische Führung neben allen anderen Fragen beschäftigen, wie zu vermeiden ist, dass aus dem Platzproblem auf der Nord- und Ostsee ein Personalproblem für die Marine wird.

Entsprechend deutlich wird der amtierende Befehlshaber der Flotte, Michael Mollenhauer, wenn es um mögliche weitere Einschränkungen der Marine auf Nord und Ostsee geht. Die rote Linie sei erreicht, erklärt er. Nicht nur in den Übungsgebieten:

O-Ton Mollenhauer
„Wir haben Tauchquadrate, wir müssen auch U-Boot-Abwehr üben. Wir brauchen für die Luftverteidigung ausreichend Möglichkeiten, das üben zu können. Und all das wird für uns mehr und mehr eingeschränkt. Darüber hinaus ist es schlicht und ergreifend aus meiner Sicht eine Frage, was die Bundesrepublik Deutschland an Sicherheit verlangt: Will sie einen Schutz ihrer eigenen Küsten haben? Will sie verteidigungsbereite Kräfte, wie sie im Grundgesetz verankert sind? Dann muss sie auch die dazu erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen Wir haben schon eine Menge an Übungsgebieten in Nord- und Ostsee verloren. Ein Mehr geht nicht. Wir sind schon in unserer Flexibilität stark eingeschränkt. Noch mehr können wir nicht verantworten.“

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 8. September 2012; www.ndrinfo.de


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