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Rauf aufs Riff mit dem Schiff!

Anspruch und Wirklichkeit in der Deutschen Marine

Von René Heilig *

Neben Luftwaffe und Heer bereitet sich auch die Marine auf weltweite Kampfeinsätze vor. Das Material und die Ausbildung der Matrosen scheint darauf nicht vorbereitet zu sein. »Havarien« sind alles andere als selten.

Geostrategisch liegt Afghanistan ungünstig. Jedenfalls aus Sicht der deutschen Marineführung. Sie würde so gern beweisen, dass man mit ihren Schiffen mehr kann als vor Libanon rumdümpeln oder zum Gespött der Nation zu werden.

Gemessen am relativ kleinen Marineanteil der Bundeswehr hat die Truppe im vergangenen Jahr Überdurchschnittliches geleistet. Von den 7000 ständig weltweit eingesetzten Bundeswehrangehörigen wurden 1200 von der Marine gestellt. Die Operationen Enduring Freedom, Active Endeavour und UNIFIL (Interimstruppe der Vereinten Nationen in Libanon) forderten Menschen und Material einiges ab. Nur ließ sich damit nicht viel Ruhm ernten. Doch irgendwann, so wissen die Strategen, wird es nicht mehr ohne Marine gehen. Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Nolting, umschrieb das zu Jahresbeginn auf einer Kommandeurstagung in Warnemünde so: »Wir müssen unsere Marine ergo darauf ausrichten, dauerhaft im multinationalen Rahmen auch in großer Entfernung und vor allem unter Bedrohung eingesetzt werden zu können, um damit letztendlich die freie Nutzung der See und von maritimen Verkehrswegen sicherzustellen. Im Bewusstsein der aktuellen Einsatzlage wird mehr als deutlich, dass die Marine der Politik das zur Verfügung stellt, was erforderlich ist, um nationale Interessen durchzusetzen.«

Und nationale Interessen können darin bestehen, dass man ein fremdes Land von See her angreift. Dazu bastelt man an einem »Konzept Basis See«. Definiert wird das als »konzeptioneller Ansatz zur Nutzung der See, um eigene Kräfte im Rahmen streitkräftegemeinsamer Operationen über und von See rechtzeitig, flexibel und weitgehend unabhängig verlegen, bereit halten, führen, schützen und unterstützen zu können«. Dabei werden die neuen U-Boote der 212A-Klasse als Aufklärer und Transporter von Spezialkräften ebenso einbezogen wie Einsatzgruppenversorger, Fregatten und Korvetten. Zumindest theoretisch, denn noch ist die Marine weit entfernt von ihren behaupteten Möglichkeiten.

Gerade die neuen Korvetten der 130er Klasse, die für Einsätze in küstennahen Gewässern fern der Heimat optimiert sind, bereiten Sorgen. Nolting: »Obwohl beabsichtigt, konnte in 2007 keine Korvette K130 in Dienst gestellt werden.« Es gibt bei dem als Wunderding gepriesenen Dampfer »ca. 30 abnahmehemmende Punkte«, ärgert sich der Admiral. Doch auch bei den anderen Neubauten regt sich Unmut. Man habe zwar mit den K-130, den 124er Fregatten und dem 2. Los der U212 »Verträge für hochmoderne Einheiten abschließen können«, aber »die Qualität der abgelieferten Einheiten bereitet uns fast regelmäßig Kopfzerbrechen«.

Was die deutsche Werftindustrie mit ihrem Pfusch nicht schafft, zerstören die »blauen Jungs« selbst. Da schickte man Fregatten zum Manöver aus, deren Rettungsmittel nicht funktionieren, weshalb junge Matrosen ertranken. Da manövrierte man einen Minenjäger für mehrere Tage auf einen norwegischen Felsen (Spottspruch: »Grömitz on the rocks«), da »geigelten« Schnellbootfahrer im Mittelmeer so lange herum, bis sich zwei Boote in voller Fahrt rammten. Und als seien die Kritikpunkte in Sachen 130er-Korvetten nicht ausreichend, donnerte man die »Braunschweig« bei einer Erprobungsfahrt Mitte Dezember gegen die Böschung des Nord-Ostsee-Kanals. Ergebnis: Ein zerstörter Propeller, man musste ein im Bau befindliches Schwesterschiff als Ersatzteilspender benutzen.

Der Befehlshaber der Flotte will in Sachen »Havarien« nichts beschönigen. Sie haben »ihre Ursache oder Mitursache zu 67 Prozent in menschlicher Unzulänglichkeit«. Das unzureichende Führungsverhalten sei dabei »doppelt so häufig vertreten, wie das unzureichende Handlungsverhalten«. Im vergangenen Jahr hatte das Flottenkommando rund zehn Prozent mehr Eingaben von Wehrpflichtigen zu bearbeiten als noch 2006. Man werde, so die Schlussfolgerung, »wieder mehr Zeit in die Fachausbildung investieren müssen«.

Obwohl immer wieder in seiner Bedeutung herausgehoben, hat die Marineführung den »Faktor Mensch« offenbar nicht im Griff. Das beginnt mit Sicherheit ganz oben.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2008


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