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Seefahrt tut wieder not

Auf Kreuz- und Feindfahrt: Die Marine erhält die teuersten Waffensysteme seit langem und kann rund um den Globus vor jeder Küste auftauchen

Von Hermannus Pfeiffer *

2008 wird die Deutsche Marine einen entscheidenden politischen Wendepunkt erreichen. Das Flottenprogramm verwandelt eine betagte Heimatschutzflottille in eine global operierende Offensivwaffe - Rückenwind für eine entsprechende deutsche Außenpolitik?

Die wendigen, im Marinejargon Boote der Klasse 130 genannten Korvetten haben es in sich: Wenn die fünf Schiffe bis Ende 2008 bei Blohm & Voss in Hamburg vom Stapel gelaufen sind, werden sie über vorzügliche Tarnkappen-Eigenschaften verfügen und damit für Radar- wie Infrarotschirme nahezu unsichtbar sein. Und das nicht ohne Grund, denn diese Korvetten sollen nicht mehr brav auf der Ostsee kreuzen, sondern globale Kampfeinsätze bestreiten. Erstmals seit 1945 können sie wieder Landziele von See aus beschießen. Die K 130 werden "zur präzisen Bekämpfung von Landzielen befähigt sein", macht denn auch die Marine kein Geheimnis aus der neuen Qualität ihrer militärischen Kapazitäten.

Kein Zweifel, mit den Hochtechnologie-Korvetten beginnt die "Neuausrichtung der Deutschen Marine", wie Marineinspekteur Wolfgang Nolting es nennt - der Sprung von einer begrenzt operierenden Küstenverteidigung zu einer Flotte mit nahezu unbegrenztem Horizont auf allen sieben Weltmeeren. Mindestens ebenso ambitioniert wie das Leistungsprofil ist der Preis für 90 Meter geballte Kampfkraft: 250 Millionen Euro plus Waffen, alles in allem also weit mehr als 1,5 Milliarden.

Werden hier - markiger als bei der Transformation von Heer und Luftwaffe - bewusst Fakten geschaffen für die künftige deutsche Außenpolitik? Anders als Politiker in Berlin redet die Chefetage der Marine Klartext. Diese Aufstockung folge zwei Leitlinien, heißt es aus dem Flottenkommando in Glücksburg bei Hamburg. Internationale Krisenbewältigung werde künftig stärker auf gemeinsame Aktionen von Heer, Luftwaffe und Marine setzen - dabei solle die von keinerlei Landesgrenzen gehinderte Marine eine Schlüsselrolle spielen. Mit dem Heer arbeitet die Marineführung bereits an der Strategie "Führen von See". Zudem - so Admiral Nolting - sollten Flottenverbände fähig sein, "Kräfte an Land von See aus zu unterstützen". Dazu würden die neuen Kriegsschiffe mit Schiffskanonen und schwedischen Allwetter-Flugkörpern RBS 15 MK3 ausgestattet. Es wird gar laut über einen Einsatz der Panzerhaubitze 2000 an Bord nachgedacht.

Außerdem will sich die Marine der transkontinentalen Schifffahrtsrouten annehmen. Als handels- und rohstoffabhängige Nation hänge Deutschland in der "maritimen Abhängigkeit" fest, meint Inspekteur Nolting. Mit der angestrebten Neuausrichtung könnte die Marine erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm vor einem Jahrhundert wieder ins Zentrum der Militärstrategie rücken. Seefahrt tut wieder not.

Nonstop auf Patrouille

Die neuen Möglichkeiten werden neue Begehrlichkeiten bei Politikern und NATO-Partnern wecken, befürchtet Otfried Nassauer: "Das Kreuzen vor fremden Küsten könnte zur Standardaufgabe der Bundeswehr werden. Und es könnte jemand auf die Idee kommen" - setzt der Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) hinzu - "verstärkt Rohstofflieferungen 'abzusichern'". Nassauer schätzt, dass jedes Barrel Öl weltweit für mindestens 20 Dollar Kosten beim Militär sorgen dürfte. Ganz anderer Meinung ist Hans-Peter Bartels, Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen und Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Die neuen Marinesysteme lieferten keine neuen Fakten für die Außenpolitik, sondern seien "eine Vorsorgemaßnahme". Das gelte auch für die geplanten Marathon-Fregatten der Klasse 125, die eine übergroße Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP im Haushaltsausschuss pünktlich zur Sommerpause und öffentlich nahezu unbemerkt in Auftrag gab.

Das teuerste Kriegsgerät in der deutschen Militärgeschichte kostet 650 Millionen Euro - pro Stück. Vier davon hat die Regierung Merkel bei Thyssen-Krupp bestellt, macht zusammen 2,6 Milliarden plus x, denn der Preis darf jährlich um bis zu drei Prozent nach oben klettern. Das Kürzel der neuen Wunderwaffe: "F 25". Auch diese 150 Meter langen Fregatten können Landziele bekämpfen, vor allem aber zwei Jahre lang nonstop auf See operieren. Dagegen müssen die jetzt vor der Küste des Libanons unter UNIFIL-Kommando schwimmenden Kriegsschiffe bereits nach zwei bis drei Monaten wieder auf Heimatkurs gehen.

Den Verdacht, dass die Marine der Politik Wind in die Segel bläst und nicht umgekehrt, wie es seit dem Militärphilosophen Carl von Clausewitz als üblich gilt, nährt ein Blick in die Beschaffungsgeschichte. Der Kaufvertrag für die Tarnkappen-Korvetten wurde im Dezember 2001 unterschrieben, bereits 2004 stand die Strategie für die Marathon-Fregatten weitgehend fest - aber erst im Herbst 2006 gab die Bundesregierung mit dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik zu verstehen, wie die Marine als Teil einer "Transformation" der gesamten Bundeswehr zu einer "Expeditionary Navy" umgebaut werden soll.

Dankeschön an Thyssen-Krupp

Das Flottenprogramm beschert Thyssen-Krupp ein Riesengeschäft - es hätte selbstverständlich wohlfeilere Lösungen gegeben. Für den Mega-Preis der Marathon-Fregatten sprechen allerdings zwei industriepolitische Gründe. Zunächst dürfte der Aufschlag ein Dankeschön an Thyssen-Krupp sein, mit Blohm &Voss einen deutschen Werftgiganten unter seinem Konzerndach geschaffen zu haben. Zudem wird das technologische Know-how in Deutschland gesichert und so Thyssen-Krupp für die anstehende Konsolidierung der europäischen, weitgehend staatlichen Werftindustrie gestärkt. Fusionen erscheinen vielen Politikern als unumgänglich, soll Europa seinen Vorsprung im zivilen und militärischen Schiffbau absichern. Von daher könnte der Preis hoch genug sein.

* Aus: Freitag 1, 4. Januar 2008


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