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Krieg als Sachzwang

Verteidigungsminister de Maizière erläuterte in einer Kirche die künftigen Aufgaben der Bundeswehr und erklärte, warum "wir" uns "nicht heraushalten" können

Von Jana Frielinghaus *

Thomas de Maizière ist Angela Merkels bester Mann: Solide, fleißig, korrekt bei vollkommener Abwesenheit von Profilierungssucht. Es wäre ein herber Verlust, müßte die Kanzlerin ihn wegen der Euro-Hawk-Affäre um verschleuderte Millionen gehen lassen. Am Montag abend bewies der CDU-Verteidigungsminister einmal mehr, daß kaum jemand so geschickt wie er auf die verbreitete Skepsis in der Bevölkerung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingehen und sie so peu à peu verringern kann. Sein Ton war zurückhaltend, nüchtern, ja im Rückblick auf die Entscheidung für die Truppenentsendung nach Afghanistan sogar kritisch, als er in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin-Mitte – allerdings vor ausgewähltem Publikum – eine eher rhetorische Frage erwartungsgemäß beantwortete. Der evangelische Altbischof Wolfgang Huber und die von ihm geführte Stiftung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam hatte ihn eingeladen, zum Thema »Dürfen wir uns heraushalten? Künftige Aufgaben der Bundeswehr und die deutschen Debatten über Krieg und Frieden« zu sprechen.

Die Veranstaltung hatte den Titel »Freiheitsdiskurs 2013«, nach Angaben von Huber war es die dritte ihrer Art. Bei der vorherigen hatte kein geringerer referiert als Matthias Döpfner, Chef der Axel-Springer-AG. Thema: »Braucht Freiheit Grenzen? Was geschieht, wenn nichts geschieht?«. Der Vortrag de Maizières war nur in der Kirchenpresse annonciert, Zutritt erhielt nur, wer sich bei der Stiftung angemeldet hatte. Die erste Sitzreihe war für Prominenz wie Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und den ehemaligen brandenburgischen Innenminister und General Jörg Schönbohm reserviert. Die weiteren Plätze in der Kirche waren überwiegend für Soldaten und für die Schüler von vier evangelischen Gymnasien in Potsdam, Brandenburg, Neuruppin und Kleinmachnow vorgesehen. Weiter waren einige Gegner und etliche Unterstützer des Garnisonkirchenneubaus gekommen.

Der Minister begann mit einer Aufzählung sämtlicher Regionen der Welt, in denen die deutsche Armee mittlerweile präsent ist, vom »Balkan« über mehr als zehn Jahre Afghanistan bis zu den jüngsten Exkursionen in die Türkei und nach Mali. Insgesamt seien seit Anfang der 90er Jahre mittlerweile mehr als 300000 deutsche Soldaten an den Auslandseinsätzen auf drei Kontinenten beteiligt gewesen. Das Heraushalten stehe gar nicht zur Debatte, erklärte de Maizière, denn schließlich stelle sich die Bundesrepublik seit nunmehr gut 20 Jahren ihrer »Verantwortung«, die sie als »wichtiges Land« nun einmal trage, gerade wegen seiner schwierigen Geschichte. Die Entscheidung, »ob wir mitmachen«, sei nicht immer nur die eigene, sondern habe auch mit Bündnisverpflichtungen zu tun. Sie werde in jedem Einzelfall getroffen, und natürlich könne sich im Nachhinein erweisen, daß sie falsch gewesen sei. Vor der Truppenentsendung nach Afghanistan hat es nach Einschätzung des Ministers bei deren Begründung eine »gewisse Überhöhung« von seiten der Politik gegeben. Der Anspruch, mit dem Einsatz für Demokratie und Einhaltung von Menschenrechten am Hindukusch zu sorgen, sei so von vornherein nicht einzulösen gewesen. Nichtsdestotrotz könne man, wenn man einmal »dort« sei, »nicht einfach wieder rausgehen«.

Für ihn »als Christ« bleibe »Gewalt immer ein Übel«, auch, »wenn sie »einem wichtigen Zweck« diene, nämlich der »Überwindung von Gewalt«, betonte der Minister. Militäreinsätze müßten die ultima ratio bleiben, denn gerechte Kriege gebe es nicht – wohl aber »gerechtfertigte« bzw. »legitime«. Gerechtfertigt ist für den Protestanten de Maizière nicht nur der Schutz der eigenen Bevölkerung vor unmittelbaren Bedrohungen – die, wie er einräumte, derzeit nicht existieren –, sondern auch »legitime« deutsche Interessen. Etwas verklausulierter sagte der Minister das gleiche wie der vor drei Jahren dafür heftig gescholtene Exbundespräsident Horst Köhler – und wie sein Amtsvorgänger Volker Rühe (CDU) schon Anfang der 90er Jahre: Für Deutschland sei international politische Stabilität wichtig, weshalb die Regierung auch einen »umfassenden Sicherheitsbegriff im geographischen Sinne« vertrete, der auch »soziale, demograpische, ökologische und wirtschaftliche Aspekte umfasse«. Ja, auch die wirtschaftlichen Interessen, die manche »anrüchig« fänden, seien legitim. Und es geht selbstredend nicht nur um deutsche Interessen, sondern auch um die der NATO, manchmal auch um Beschlüsse der UNO, die man mit durchzusetzen habe, auch, wenn »wir uns nicht danach drängen«. Die »Pflege und Weiterentwicklung« der transatlantischen Partnerschaft als »Wertegemeinschaft« habe »für uns höchste Priorität«, erklärte der Minister und fügte hinzu: »Die Amerikaner haben für uns allzu oft die Kohlen aus dem Feuer geholt.«

Welche Kohlen das waren und wer »wir« ist, sagte er nicht, wie er auch später im Gespräch mit Wolfgang Huber und der Moderatorin Anke Plättner sehr im Allgemeinen verblieb. Auch nur an einem Punkt über die Folgen von Kriegs­einsätzen für Menschen in den davon betroffenen Ländern zu sprechen, hieße ja, Verantwortliche zu nennen oder rundheraus zu sagen, daß es nie um diese Menschen gegangen ist, sondern eben um »Interessen«, und daß Vorgänge wie der Luftangriff von Kundus 2009 mit bis zu 142 Todesopfern einfach dazugehören.

In Sachen Euro Hawk brach der Minister erstmals sein Schweigen. Beim teuer gescheiterten Drohnenkauf, für den nach bisher veröffentlichten Daten bereits knapp 660 Millionen Euro in den Sand gesetzt wurden, handle es sich um einen »Beschaffungsvorgang, der seit mehr als zehn Jahren andauert, mit einer Technologie, für die es keine Regelung gab«, so de Maizière. Angesichts »eines so komplizierten Sachverhalts« sei sein Weg »legitim«, sich »zwei Wochen Zeit zu nehmen, um zunächst einmal für mich den Sachverhalt aufzuklären«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. Mai 2013


Der Verantwortungspazifist

Altbischof Huber und seine Mission

Von Jana Frielinghaus **


Für den Verteidigungsminister war die Einladung in die Französische Friedrichstadtkirche eine willkommene Gelegenheit, an einer besseren Akzeptanz für deutsche Kriegsbeteiligungen zumindest in einem Teil der Bevölkerung zu arbeiten. Es war auch nicht das erste Podium, das er dafür zu nutzen wußte. Auf dem Kirchentag Anfang Mai in Hamburg sprach er zum Thema, wenn auch unter Schwierigkeiten, aber auch auf einer Veranstaltung im Rahmen der evangelisch-lutherischen Synode im April im Dresdener Bundeswehrmuseum.

Für Wolfgang Huber, bis 2009 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, war der erneute demonstrative Schulterschluß mit Verteidigungsministerium und Militär vor allem Mittel zum Zweck. Ihm geht es seit langem um mehr Macht für die großen Kirchen. Eine besondere Herzensangelegenheit ist ihm der Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam. Dafür ist ihm jede Kooperation recht, die Zugang zu staatlichen Geldern verspricht – und jede noch so absurde Geschichtsklitterung.

In der Garnisonkirche wurde vor 80 Jahren, am 21. März 1933, symbolisch das Bündnis zwischen Nazis und dem nationalkonservativen Preußen besiegelt. Otto Dibelius, völkisch-nationalkonservativer Generalsuperintendent und späterer Bischof von Berlin-Brandenburg, hatte jener Zeremonie seinen Segen gegeben. Huber und seine Stiftung für den Wiederaufbau erklären die Kirche dennoch unverfroren zum Naziopfer. In einem Faltblatt der Stiftung ist von einem »Mißbrauch der Kirche für den Staatsakt zur Reichstagseröffnung« 1933 die Rede.

Unermüdlich strickt Huber auch an der Legende von der »Schule des Gewissens«, die die Garnisonkirche für jene Offiziere gewesen sei, die nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 hingerichtet wurden. In ungezählten Interviews – und auch am Montag – erzählte er, an diesem Ort hätten sie »ihr Gewissen geschärft und sich auf ihre Taten des Widerstands vorbereitet«. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, kommentierte dies im Deutschlandfunk vor einem Jahr milde, aber unmißverständlich: Dergleichen könne man »als einen liebenswürdigen, aber doch untauglichen Versuch zur geschichtspolitischen Reinigung durch Gegengift ruhen lassen«. Von einer Bedeutung der Garnisonkirche als Ort der Vorbereitung des Widerstandes gegen Hitler sei ihm nichts bekannt.

In der Diskussion am Montag auf christliche Grundsätze zum Krieg und zum Töten angesprochen, antwortete Huber mit einem sinngemäßen Zitat des von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer: »Nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehen kann, sondern wie eine zukünftige Gesellschaft leben kann, ist die entscheidende Frage.« Widerstand gegen die Nazibarbarei also gleich Krieg gegen Taliban und »Achse des Bösen«? Weil er das so sieht, vertritt Huber heute eine »verantwortungspazifistische Position«. Den Text zur Melodie des Glockenspiels der Garnisonkirche, »Üb immer Treu und Redlichkeit«, übersetzt er mit »Handle verläßlich und zeige Verantwortung«. Verlaß ist auf Wolfgang Huber seit mindestens 20 Jahren, wenn es um die christlich-ethisch verbrämte Erklärung und Rechtfertigung des Handelns der Herrschenden und der Wirtschaftseliten dieses Landes geht

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. Mai 2013


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