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Neuer Generalstab

Hintergrund. Die "Streitkräftebasis" macht die Bundeswehr für ihre Auslandseinsätze fit

Von Jürgen Heiser *

Für Friedrich Engels war die 1814 gesetzlich eingeführte allgemeine Wehrpflicht »die einzige demokratische Institution, welche in Preußen, wenn auch nur auf dem Papier«, bestand.[1] Knapp zweihundert Jahre später wollen die »von der Bourgeoisie geführten antinationalen, imperialistischen und militaristischen Kräfte«[2] in der Bundesrepublik Deutschland die Wehrpflicht abschaffen. War diese allgemeine Wehrpflicht für Engels noch Ausdruck der »Herstellung der nationalen Einheit«[3] in Deutschland, setzt die seit 1990 wieder über Gesamtdeutschland herrschende politische Elite auf einen Kanon tiefgreifender Reformen des Militärapparates, die ihn befähigen sollen, in einer veränderten Welt neue Aufgaben zu erfüllen.

Ende der Zurückhaltung

Der aktuelle Umbau der Bundeswehr wird in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem an der zum 1.Juli 2011 in Kraft tretenden Aussetzung der Wehrpflicht festgemacht. Die im Kalten Krieg gepflegte Propaganda vom »Bürger in Uniform« findet damit ihr Ende. Der eigentliche Grund für die Abschaffung der Wehrpflicht wird jedoch kaum zur Kenntnis genommen: Die politische Führung schafft damit Strukturen für eine schlagkräftige Berufs- und Freiwilligenarmee, die nicht mehr mit Wankelmut und Widerspruchsgeist des »Menschenmaterials« der alten Wehrpflichtigenarmee zu kämpfen hat.

Die Bundeswehr wandelt sich von einer Armee zur Landesverteidigung – im Rahmen des NATO-Bündnisses und als Frontstaat im Kalten Krieg bis etwa 1989/90 – in eine Armee mit weltweiter Interventionsfähigkeit.

Die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« (VPR) vom 26. November 1992, erlassen vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), »stellen das erste offizielle Dokument dar, in dem mit der militärischen Zurückhaltung der Alt-BRD gebrochen wird«. So bewertete die Berliner Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung e.V. den Erlaß und führte zu den VPR weiter aus: »Deutschland wird zu einer ›kontinentalen Mittelmacht mit weltweiten Interessen‹ erklärt. Angekündigt wird eine Kriegführung, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Alles, was möglicherweise negativen Einfluß auf die hiesige ›hochentwickelte Gesellschaft‹ haben könnte, erhält eine militärische Dimension.«[4] Und so hieß es in den VPR denn auch im Klartext, daß »sich die deutsche Politik von vitalen Sicherheitsinteressen leiten« läßt, wenn es um die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« geht.

Achtzehn Jahre später hielt der noch amtierende Verteidigungsminister Freiherr von und zu Guttenberg heroisch die Fahne der Interventionspolitik wieder hoch. Die FAZ meldete am 10. November 2010: »Die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands müssen aus Sicht von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auch militärisch abgesichert werden. Dies müsse ›offen und ohne Verklemmung‹ angesprochen werden, forderte der Minister bei der Berliner Sicherheitskonferenz.«

Mit der erneuten Präsenz deutscher Truppen auf der Weltbühne zeigte sich den Strategen in den militärisch-politischen Führungsstäben die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Bundeswehr. Die starre Aufteilung in die drei Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe hatte unter dem Einfluß des Verharrens im Ost-West-Konflikt zu großen Unterschieden in den Ausbildungsgängen und bei den Standardausrüstungen geführt. Außerdem herrschten eine jeweils darauf zugeschnittene Logistik und Nachschubversorgung sowie nicht immer kompatible Kommunikationsmittel und Softwareausstattungen vor. Hier zeigten sich erhebliche Bruchstellen bei der Planung und Durchführung von Kommandoeinsätzen, bei denen innerhalb kurzer Frist möglichst reibungslos Menschen und Material über Tausende Kilometer in andere Erdteile zu verlegen wären. Es reichte nicht, nur Schnelle Eingreiftruppen der Bundeswehr oder der NATO aufzustellen. Die Armee der Zukunft sollte in ihrer Gesamtheit beweglich und kurzfristig einsetzbar sein.

Als Lösung boten sich weder eine partielle Auflösung der Teilstreitkräfte noch eine Aufweichung ihrer Hierarchien an. Es mußte vielmehr zum einen eine zentrale Kommandostelle für die Auslandseinsätze geschaffen und zum anderen eine neue Art der Organisation entwickelt werden, die es erlaubte, die für die Auslandsoperationen notwendigen Einheiten der Teilstreitkräfte im Querschnitt neu zu strukturieren und zusammenzufassen.

Diese Aufgabe erfüllt seit ihrer Gründung im Oktober 2000 die »Streitkräftebasis« (SKB) als völlig neuer Organisationsbereich der Bundeswehr. Sie wurde zum »Mastermind« hinter allen Auslandseinsätzen und ihren Bereitstellungsräumen im Inland mit außerordentlich weitreichenden Kompetenzen.

Entgrenzte Operationen

Welchen Zweck der Umbau der Bundeswehr hat, spricht der derzeitige Verteidigungsminister, Thomas de Maizière (CDU), in seiner Rede vom 18. Mai 2011 offen aus: »Sicherheit ist wichtig. Ich sage sogar: Sicherheit ist prioritär. Es ist die erste Staatsaufgabe.« Da aber nun die Interessen der BRD und ihr »Platz in der Welt (...) wesentlich von unserer Rolle als Exportnation und Hochtechnologieland« bestimmt würden, müsse man, so die interventionistische Logik, global auch mit militärischen Mitteln für »einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen« kämpfen. »Die Sicherheit Deutschlands«, so de Maizière, »ist heute nicht mehr geographisch zu begrenzen«.

Mit dem Einsatzführungskommando in Potsdam stellt die SKB die zentralen Führungsstrukturen für die Auslandseinsätze und damit faktisch ein gemeinsames Oberkommando, das unmittelbar dem Verteidigungsminister untersteht. Alle auswärtigen Einsätze der Bundeswehr – ob im nationalen oder multinationalen Rahmen – werden seit April 2002 zentral vom Einsatzführungskommando in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Geltow bei Potsdam, einer ehemaligen Kaserne der Luftkriegsschule III der Wehrmacht, geplant und geführt.

Mit der Potsdamer Leitzentrale trägt die SKB zur »Sicherstellung der nationalen Führungsfähigkeit und Unterstützung des Bundesministers (...) bei der Ausübung der Befehls- und Kommandogewalt im In- und Ausland bei«, während sie gleichzeitig für die Einsatzkräfte die Versorgung mit der Basislogistik im Inland und »die Anschlußversorgung in den Einsatzgebieten« sicherstellt. Der SKB obliegt die »Sicherstellung der strategischen und operativen Mobilität der Streitkräfte«, wo auch immer sie sich befinden mögen.

Die Einrichtung des Einsatzführungskommandos im Juli 2001 war zentrales Element der grundlegenden Erneuerung der Bundeswehr unter dem damaligen Verteidigungsminister der SPD/Grünen-Koalition Rudolf Scharping (SPD). Dieser hatte die Truppe 1999 im NATO-Verbund gegen die Föderative Republik Jugoslawien in den ersten Krieg seit Gründung der Bundeswehr geführt. Sein Amt zog die Lehren aus dieser Kriegsbeteiligung. »Dieser Erneuerungsprozeß dauert bis in die Gegenwart an. Er ermöglicht den Streitkräften die schnelle Anpassung an sich verändernde sicherheits- und militärpolitische Erfordernisse.« (Originalton Bundeswehr)

Bereits im Januar 2002 kritisierte der Friedensaktivist Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung die einschneidenden Veränderungen dieser Umstrukturierungen. Seiner Ansicht nach knüpft die Bundeswehrführung damit an eine gefährliche Tradition an: »Das politisch Gefährliche an diesem Einsatzführungskommando ist, daß man im Grunde genommen wieder politisch-militärische Befehlsstrukturen innerhalb einer deutschen Armee aufgebaut hat. Was man nie mehr haben wollte, gibt es nun wieder, einen deutschen Generalstab.«[5]

»Motor der Transformation«

Nach den Worten des seit 2006 amtierenden Inspekteurs der Streitkräftebasis, Vizeadmiral Wolfram Kühn, der gleichzeitig Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und damit zweithöchster Soldat der BRD ist, unterstützt die Streitkräftebasis »bedarfsgerecht (…) alle Einsätze der Bundeswehr. Nicht nur aus Deutschland heraus, sondern auch direkt in den Einsatzgebieten«. Dazu wurden »die Territorialen Kommandobehörden neu ausgerichtet und das territoriale Netzwerk (...) verdichtet«.

Für Kühn ist die SKB »wesentlicher Motor der Transformation in der Bundeswehr«. Mit diesen Worten bot er im Dezember 2008 Wirtschaftsvertretern auf der 22. Sicherheitspolitischen und Wehrtechnischen Tagung in Bonn die Zusammenarbeit an. »Regelmäßig finden Übungen statt«, so Kühn, »um die Schnittstellen zu den übrigen Teilstreitkräften und der zivilen Wirtschaft zu testen.« Gleichzeitig orientiere sich die SKB bei militärischen Lehrgängen »schon längst an den Erfordernissen der Wirtschaft«.

Dies und mehr erfährt man auf der Website www.streitkraeftebasis.de, auf der die SKB sich unter dem Menüpunkt »Unser Leitbild« mit den Grundzügen ihrer Dienste anpreist (Auszug):

»Wir ...
  • leisten vielfältige streitkräftegemeinsame Unterstützung zu jeder Zeit an jedem Ort
  • gewährleisten wesentliche Verbindungen zwischen Bundeswehr, ausländischen Streitkräften, Politik und Gesellschaft
  • liefern Qualität und steigern Wirtschaftlichkeit
  • handeln zukunftsorientiert und setzen auf vertrauensvolle Kommunikation, eindeutige Verantwortlichkeiten und Stärkung der Eigenverantwortung
  • sehen den gemeinsamen Einsatz von motiviertem Personal aus allen Bereichen der Bundeswehr als Garanten für die Auftragserfüllung der Streitkräftebasis.«[6]
Das wirklich Neue an der SKB ist, daß sie keine Einheit für sich ist, sondern ein Netzwerk, in das Angehörige aller Gattungen der Streitkräfte integriert sind. Die SKB »ist heute mit ihren rund 70000 Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der zweitgrößte Organisationsbereich der Bundeswehr«.

Nach ihrem Selbstverständnis stehen »Fähigkeiten und nicht Strukturen im Vordergrund«. Folglich ist der Leistungskatalog, mit dem Auftrag und Aufgaben der SKB beschrieben werden, umfassender, als öffentlich wahrgenommen wird. Während sich die bürgerlichen Medien mit dem Parteienstreit um Sinn oder Unsinn der Abschaffung der Wehrpflicht, dem Ausbleiben eines Freiwilligenansturms, Zahlenspielen um die künftige Truppenstärke und drohenden Kürzungen des Wehretats aufhalten, haben sich mehrere Bundesregierungen während der letzten zwölf Jahre ohne Ansehen von Parteibuch und Koalitionsfarbenspielen mit Planung und Umsetzung der Struktur der SKB eine effektive Basis für militärische Interventionen im Rahmen künftiger Rohstoff- und Verteilungskriege geschaffen.

Die SKB ist wahrlich mehr als die »Logistiktruppe«, als die sie bislang in der Berichterstattung über die Bundeswehrreformen nebenbei Erwähnung findet. Sie dient von ihrem ganzen Ansatz her der Erlangung höchster Effizienz und temporeicher Schlagkraft in den Auslandseinsätzen. An ihren weitreichenden Kompetenzen zeigt sich sehr deutlich sowohl die Politisierung des Militärischen im nationalen wie im transnationalen Rahmen als auch der Versuch der Durchdringung der Gesellschaft durch die breitgefächerte Politik des militärisch-industriellen Komplexes.

Operative Medienmacher

Das Fundament der SKB sind ihre zentralen Dienstleistungs- und Koordinierungsaufgaben, mit denen sie alle Bereiche der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung »in Frieden, Krise und Krieg« unterstützt. Die Verwaltung soll mittels moderner Managementformen und Kooperationen mit der Wirtschaft zu einer personalreduzierten »modernen Dienstleistungsverwaltung« werden.

Der SKB unterliegen Forschung und Ausbildung im Bereich der »streitkräftegemeinsamen« Aufgaben, wozu sie ein »übergreifendes, einsatzorientiertes Ausbildungssystem« stellt. Sämtliche Truppenübungsplätze werden von der SKB verwaltet und als militärische Sicherheitsbereiche überwacht.

Auch die Bundeswehruniversitäten in München und Hamburg sowie die Sportförderungsstätten unterstehen der SKB. Aktuell sind rund 740 Sportlerinnen und Sportler in den unterschiedlichen Sportfördergruppen – Fußballerinnen der Frauennationalmannschaft ebenso wie Sportler von Randsportarten. »Die Hälfte der deutschen Medaillen bei den olympischen Winterspielen in Vancouver haben Sportsoldaten gewonnen. Somit sind wir ein wichtiges Aushängeschild der Nation«, erklärt der Leiter der Sportfördergruppe, Stabsfeldwebel Maximilian Küblböck.

Die SKB kümmert sich um die »Wehrdienst- und Karriereberatung«. Werbeslogan: »Ihr Weg zur Bundeswehr führt über die Streitkräftebasis.« Damit die neuen Generationen das früh genug erfahren, gehen Jugendoffiziere an die Schulen, und die SKB lädt zum »Girls’ Day« ein. Am 14. April 2011 besuchten 40 Schülerinnen aus dem Raum Bad Ems das Bataillon für Operative Information 950 in Koblenz. Neben »spannenden Vorträgen über ihre Arbeit im Einsatz in Afghanistan« erfuhren die Schülerinnen von Kompaniechefin Major Alina Astalosch, daß die über 1200 Frauen und Männer der Operativen Information die Aufgabe haben, »die Kommunikation mit der Bevölkerung in Einsatzgebieten« durch geeignete Medien aufzubauen.

»Durch Überzeugen gewinnen« ist ein anderes griffiges Motto der SKB. Für den Einsatz in Ländern mit »kulturell bedingtem Konfliktpotential« stellt sie den Operationsführungsstäben Interkulturelle Einsatzberater (IEB) zur Verfügung, die Soldaten oder Zivilangestellte sein können. Ihre Aufgabe vor Ort: »Konflikte reduzieren, Vertrauen schaffen«.

Die IEB gehören zum Zentrum Operative Information, auch »Die Medienmacher« genannt. Das ZOpInfo »wirkt auf gegnerische Streitkräfte, Konfliktparteien und Bevölkerungsteile fremder Staaten ein«. Dazu werden Hörfunk, Zeitungen, Videos, Internet und Handys als Medien genutzt.

Der Sender »Radio Andernach« betreut deutsche Soldaten weltweit und unterhält in Einsatzländern wie Afghanistan eigene Studios. Die Operative Information setzt in Krisen- und Kampfgebieten Einsatzkameratrupps (EKT) ein, deren Dokumentationen entweder Auswertungszwecken oder der Belieferung der Medien dienen. »Multimedia, Internet, Radio und TV – die Kommunikation der Zukunft ist grenzenlos.« Die SKB hält deshalb den Einsatz ihrer »Mediensoldaten« für äußerst wichtig.

Feldpost und Feldjäger

Ein Medium anderer Art untersteht ebenfalls der SKB: Die Feldpost. Wer nach dem Skandal um geöffnete Feldpostsendungen aus Afghanistan dachte, es ginge nur um ein paar Umschläge aus wenigen Postsäcken, wird sich wundern: Das Feldpostaufkommen umfaßt rund eine Million Briefe und 600000 Päckchen pro Jahr, Tendenz steigend. Egal woher sie kommen, wohin sie gehen, alle Sendungen laufen von den mit Reservisten besetzten Feldpostdienststellen über die zentrale Feldpostleitstelle in Darmstadt. Bundeswehr und Deutsche Post AG arbeiten bei den Versandwegen der Feldpost im In- und Ausland Hand in Hand. Für die SKB ist Feldpost »gelebte Fürsorge und so wichtig wie kaum eine andere Betreuungsmaßnahme der Bundeswehr«.

Zur Unterstützung der Angehörigen von Soldaten im Auslandseinsatz unterhält die SKB im Bundesgebiet 31 hauptamtliche »Familienbetreuungszentren« und 50 nebenamtliche Betreuungsstellen, die dem Einsatzführungskommando in Potsdam unterstehen. Rund um die Uhr sollen die Angehörigen Hilfe finden; die Zentren sollen aber auch Bindeglied zwischen militärischen und zivilen Stellen wie Behörden, Schulen etc. sein.

Für Konflikte mit Soldaten, Zivilisten und der Bevölkerung in den »Zielgebieten« wird eine andere Art der »Betreuung« gebraucht. Aus diesem Grund unterstehen die Feldjäger, die deutsche Militärpolizei, der SKB. Sie sind bundesweit mit 30 Feldjägerdienstkommandos stationiert und rund um die Uhr einsatzbereit. Bei Auslandseinsätzen »sind die Feldjäger integraler Bestandteil bei Operationen der Land-, See- und Luftstreitkräfte«. In den Einsatzgebieten arbeiten sie mit Behörden und Sicherheitsapparaten zusammen. Sie nehmen Aufgaben als Verkehrs- und Ordnungsdienst wahr und ermitteln wie die zivile Polizei. Spezialisten sind als Personenschützer und Scharfschützen ausgebildet. Für den Einsatz gegen Demonstrationen, Blockaden, zivilen Ungehorsam (SKB: » Ein feierliches Gelöbnis kann dazu ein Anlaß sein«) unterhalten die Feldjäger sogenannte CRC-Einheiten (Crowd and Riot Control / Einheiten zur Kontrolle von Menschenmengen und Aufruhr). Im In- und Ausland sollen sie gegen »gewalttätige Ausschreitungen« vorgehen und haben dazu neben ihren scharfen Waffen vom CRC-Kampfanzug bis zum Wasserwerfer alle Mittel zur Hand.

Auf der weltpolitischen Ebene gehört es zum Auftrag der SKB, im Rahmen »der militärpolitischen Interessenvertretung bei UNO (Vereinte Nationen), NATO (Nordatlantisches Bündnis), WEU (Westeuropäische Union), EU (Europäische Union), OSCE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) sowie bi- und multinational« mitzuwirken. Das heißt, die hier beschriebene Neustrukturierung der Bundeswehr ist eingebettet in die veränderte Militärstrategie des Westens im Zeitalter des Imperialismus. Dabei steht trotz aller internen Widersprüche in NATO und Vereinten Nationen außer Frage, daß die USA als stärkste Militärmacht im Bündnis den Ton angeben.

Auch für die Erfüllung dieser hochpolitischen Aufgaben bringt Vizeadmiral Wolfram Kühn beste Voraussetzungen mit. Der an der Bundeswehr-Universität Hamburg in Wirtschafts- und Organisationswissenschaften ausgebildete Offizier hat 1997–98 am National War College (NWC) der National Defense University (NDU) in Washington D.C. (USA) seinen Master in den Wissenschaften der Nationalen Sicherheitsstrategie (National Security Strategy) gemacht. Er war als Konteradmiral seit 2004 bis zur Amtsübernahme als SKB-Inspekteur und seiner Beförderung zum Vizeadmiral 2006 Stabschef des Führungsstabes der Streitkräfte (Fü S) im Verteidigungsministerium in Bonn.

»Einsatz ist die Regel«

Wie unter Federführung der SKB ein Auslandseinsatz abrollt, läßt das in der Zeitschrift Europäische Sicherheit veröffentlichte Strategiepapier einer von Inspekteur Kühn beauftragten Autorengruppe des Führungsstabes nachvollziehen.[7] In der Einleitung erklärt Kühn: »Der Einsatz [der Bundeswehr] ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel und damit Richtschnur für die Ausrichtung auch der Streitkräftebasis. Dabei darf der Blick keinesfalls auf die derzeit laufenden Einsätze und Operationen beschränkt bleiben.«[8]

Die Autorengruppe geht von einem Bundeswehreinsatz in einem auswärtigen Konflikt aus:[9]
  1. Das Kommando Strategische Aufklärung (KSA) bringt Ergebnisse seiner signalerfassenden und satellitengestützten Aufklärung und Nachrichtengewinnung in die Lagebeurteilung aller Führungsebenen ein.
  2. Das Zentrum Operative Information (ZOpInfo) steuert die Fachexpertise seiner Interkulturellen Einsatzberater hinsichtlich der Kommunikation und Interaktion mit der örtlichen Bevölkerung des Ziellandes bei. Die Einsatzkräfte werden auf ihr Verhalten gegenüber Einheimischen sowie die dortigen sozialen, historischen und kulturellen Aspekte vorbereitet.
  3. Das Amt für Geoinformationswesen (AGeoBw) stellt Kartenmaterial und landeskundliche Informationen in Form digitaler Datenbanken und dreidimensionaler Geländeunterlagen bereit.
  4. Krisenunterstützungsteams (KUT) erkunden Gefährdungspotentiale in der Zielregion und bereiten mögliche Evakuierungen vor.
  5. Hochwertige und aktuelle Informationen über die krisenhaften Entwicklungen des Ziellandes kommen von den Militärattachéstäben deutscher Vertretungen und Botschaften. Die Attachés gehören der SKB an und sind truppendienstlich dem Streitkräfteamt (SKA) unterstellt.
  6. Zu Beginn des Konflikts wird unter Rückgriff auf alle genannten Informationen die Lage permanent beurteilt, unabhängig von Entscheidungen über einen möglichen Einsatz.
  7. Nach der Entscheidung Deutschlands und seiner Verbündeten für den Einsatz stimmen das Potsdamer Einsatzführungskommando (EinsFüKdoBw) und das Streitkräfteunterstützungskommando (SKUKdo) als verantwortliches Führungskommando der Streitkräftebasis die Koordination mit dem Verteidigungsministerium (BMVg), den Teilstreitkräften, dem Zentralen Sanitätsdienst sowie der Wehrverwaltung ab.
  8. Auf Grundlage der strategischen und operativen Planungsergebnisse erfolgt die Aufstellung des Einsatzkontingents.
  9. Das Einsatzführungskommando übernimmt die zentrale Verantwortung für die Truppenverlegung, unterstützt vom Logistikzentrum der Streitkräftebasis (LogZBw). Mit der Entsendung der Vorauskräfte beginnt der Einsatz der Streitkräftebasis im Zielland. Sie schafft die Voraussetzungen für RSOI (Reception, Staging, Onward Movement and Integration), also den Aufmarsch, die Etablierung und Integration aller Kräfte.
  10. Die Streitkräftebasis garantiert die strategische Kommunikation zwischen dem Führungskommando in Deutschland und den Einsatzkräften vor Ort.
  11. Die Streitkräftebasis ist zuständig für die gesamte Logistik und Truppenversorgung im Einsatzgebiet und baut dazu mit Hilfe der Spezialpioniere Basisstützpunkte auf (inklusive Brunnenanlagen für die eigene unabhängige Wasserversorgung) [10]. Kräfte des Geoinformationswesens unterstützen durch ihre Bodenuntersuchungen den Feldlager- und Brunnenbau. Ihre Wetterdaten dienen der Flugsicherung und aktuelles Kartenmaterial den Einsatzkräften insgesamt. Für die See-, Luft- und Landtransporte greift die Streitkräftebasis auch auf Verträge mit gewerblichen Partnern zurück. Das Führungs- und Informationssystem der Streitkräfte (FüInfoSysSK) garantiert den Aufbau der im Einsatzgebiet betriebenen Kernnetze und ihre Verbindung mit dem Netz IT-SysBw in Deutschland und jenen der Verbündeten.
  12. Die Zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) soll, die Zivilbevölkerung im Einsatzgebiet für die Ziele der Operation gewinnen. »Quick Impact Projects« (Projekte mit sofortiger Wirkung) zur Verbesserung der Lage der Einheimischen sollen Vertrauen des zivilen Umfelds schaffen, was wiederum auch der Sicherheit der Einsatzkräfte dient.
  13. Das Feldjägerwesen Bundeswehr (FJgWesBw) übernimmt polizeiliche Aufgaben, macht Sicherheitskontrollen und Zugriffsdurchsuchungen, setzt Spezialkräfte der Crowd and Riot Control (CRC) sowie Sprengstoffspürhundeteams ein. Letztere werden von Kampfmittelbeseitigungskräften unterstützt, die mit den Mitteln eines asymmetrisch kämpfenden Gegners vertraut sind.
  14. Das Kommando Strategische Aufklärung (KSA) stellt Kräfte zur Nachrichtengewinnung und Aufklärung im Einsatzgebiet und faßt Kräfte und Mittel der Fernmelde-/Elektronischen Aufklärung (Fm/EloAufkl), des Elektronischen Kampfes des Heeres (EloKa) sowie der Satellitengestützten Aufklärung (SGA) zusammen.
  15. Kräfte des Zentrums Operative Information (ZOpInfo) vermitteln der Bevölkerung Auftrag und Ziele des Einsatzes unter Nutzung des gesamten Medienspektrums (z.B. Zeitungen und Radiosendungen oder Projektionen auf Großbildleinwänden in Landessprache). Ziel: Unterstützung des Einsatzes durch die Bevölkerung.
Am Ende kommen die Autoren des Strategiepapiers zu dem Schluß: »Ohne die Streitkräftebasis ist heute kein Einsatz der Bundeswehr möglich.« Durch die konsequente Wahrnehmung der »streitkräftegemeinsamen und querschnittlichen Einsatzaufgaben« halte die SKB den Einsatzkräften »den Rücken frei«.

Die Autoren haben auch die mit der noch nicht abgeschlossenen Bundeswehrreform verbundenen Veränderungen im Blick und sind deshalb der Meinung, daß alle militärischen Bereiche »noch intensiver und reibungsloser zusammenarbeiten müssen«. Damit würden die »streitkräftegemeinsamen Elemente», die in besonderem Maße in der SKB verwirklicht seien, »und damit die Streitkräftebasis als Ganzes weiter an Bedeutung gewinnen«.

Fußnoten
  1. Friedrich Engels, Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei, Berlin/DDR 1972, S. 15
  2. Engels, a.a.O., Vorbemerkung des Verlags, S. 6
  3. Ebd., S. 3
  4. www.asfrab.de/vpr-1992-verteidigungspolitische-richtlinien-1992.html
  5. »Generalstab in Aktion«, junge Welt 12.1.2002
  6. Quelle der nachfolgend verwendeten Zitate: www.­streitkraeftebasis.de
  7. Vgl. Autorenteam, Der Beitrag der Streitkräftebasis zu Operationen der Bundeswehr, in: Europäische Sicherheit, Nr. 8/2010, S. 16–20
  8. Ebd., S. 16
  9. Nachfolgend wird der Inhalt des Papiers grob skizziert. Die Gliederung stammt vom Verfasser.
  10. Hier erweist sich der »humanitäre Einsatz« in Afghanistan, u.a. zum Brunnenbauen, als Propaganda, da damit vor allem die eigene Wasserversorgung gesichert wurde.
* Aus: junge Welt, 20. Mai 2011


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