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Zu Guttenberg, um wahr zu sein

Aussage vor dem Untersuchungsausschuss, der dem Begriff "Ausschuss" gerecht werden wird

Von René Heilig *

"Ich sehe, dass Völker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend, unwissend, töricht gehorsam, unschuldig töten. Ich sehe, dass die klügsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und länger dauernd zu machen."
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues, 1928


Es gibt solche Typen. Die legen ihrem Lehrer einen nassen Schwamm auf den Stuhl und bekommen Lob, wenn sie ihn - kurz bevor er sich ins Feuchte setzt - pflichtschuldigst warnen. Diese Typen holen die schönsten Mädchen auf die Tanzfläche, gehen aus fast jeder Klausur mit einem »Einser« raus. Obwohl sie von dem, was sie den Prüfenden erzählten, nicht die geringste Ahnung haben. Und diese Typen verlieren nie einen Staffelstab. Schon gar nicht auf der Zielgeraden - oder im Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Was? Alte Klischees aus Peter-Alexander-Filmen? Von wegen! So etwas lebt. Unter anderem als Freiherr Karl-Ferdinand zu Guttenberg: geboren 1971, Studium der Rechts- und Politikwissenschaften. 2007 Promotion summa cum laude. Zu Guttenberg ist kein erziehbarer Schulrowdy. Er ist Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland, einer, der sich und seine Auftritte, also Politik, inszeniert.

Guttenberg ist einer, von dem man einfach nicht sagt, dass er seine Soldaten nach Afghanistan in den Tod schickt. Nein, den lobt man, weil er sein gewinnendes Lächeln zurückstellen kann und ihre Leichen mit so viel erkennbarer innerer Anteilnahme nach Hause fliegt. Gerade so, als sei er Mann, Vater, Bruder ... Er lässt seinen Sprecher sagen, dass die Teilnahme an der Trauerfeier für die »gefallenen« Soldaten in Ulm am Freitag »für den Minister selbstverständlich ist«. Verantwortung verpflichtet. So steht es über seiner Website.

Zuvor wird er aber in Berlin eine seiner medial-geölten Vorstellung geben. Den Mitgliedern des sogenannten Kundus-Untersuchungsausschusses soll er Auskunft geben über den Luftschlag, den ein deutscher Oberst in der Nacht zum 4. September 2009 in der Nähe von Kundus befohlen hat. Zur Sache und ihrer Darstellung, die seinen Vorgänger Jung das Amt gekostet hat, kann er nichts sagen. Sehr bewusst hat zu Guttenberg sich darum nicht gekümmert. Erst als die Medien Fragen stellten, sah er sich im Scheinwerferlicht.

Warum stiehlt der Ausschuss dem Minister die Zeit? Der »Vorfall« bei Kundus ist angeblich doch geklärt. Die Bundesanwaltschaft hat das Verfahren gegen den Oberst Georg Klein eingestellt. Weder hat der gegen das Kriegsvölkerrecht noch gegen das deutsche Strafrecht verstoßen, als er mal schnell Bomben werfen ließ - und vermutlich um die 140 Menschen zerfetzte oder als Fackeln zu Klumpen verbrennen ließ. Nicht nur zu Guttenberg lobte die Entscheidung der als Ermittler bezahlten Juristen als eine »sehr gute«.

Auch im Kanzleramt nahm man die Nachrichten aus Karlsruhe mit Freude zur Kenntnis. Schließlich überlegen Einige im Ausschuss bereits, ob man nicht die Kanzlerin herbeizitieren müsse, um zu klären, wer wann was in der hohen Regierungsebene tat, um den »Vorfall« im Kundus-Fluss zu vertuschen.

»Ich sehe inzwischen keine Notwendigkeit, dass man diesen Untersuchungsausschuss fortsetzt«, sagt CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Der Vize-Unionsfraktionschef, Andreas Schockenhoff will die Beweisaufnahme nach der Guttenberg-Aussage beenden, denn der »Untersuchungsgegenstand sei erschöpfend erörtert«. Die FDP? Die hat keinerlei Anlass, sich gegen die großen Koalitionspartner aufzulehnen.

Bleibt die Opposition. Allen voran die SPD, die so tut, als wäre es nicht sie gewesen, die Truppen ins Afghanistan-Verderben geschickt hat. Die Sozialdemokraten wissen genau: Spricht man über Opfer, muss man die benennen, die ihren Tod mit zu verantworten haben.

Überhaupt: Was soll da das ganze Geschrei um ein paar tote Afghanen? Nicht einmal, wenn sechs afghanische Verbündete im »friendly fire« der Bundeswehr sterben, kann das deutsche Politiker und Medien dazu bewegen, deren Tod im selben Atemzug mit dem von drei Bundeswehrsoldaten zu beschreiben, die gleichfalls am Karfreitag ihr Leben verloren. Wohl aber beschreibt man die Aufständischen als heimtückisch, brutal. Der Kanzlerin hat man ein Bild eingeredet, vom Bauern, der nach dem Pflügen die Kalaschnikow packt. Wann holt man den Begriff der »Bandenbekämpfung« wieder aus dem Hetz-Kästchen?.

Sind die deutschen Freiwilligen Opfer hinterlistiger Terroristen? Sind sie Gefallene für ihr Land? »Deutschland verneigt sich vor ihnen«, hat Merkel in der weiß gekalkten Dorfkirche von Selsingen behauptet. Warum hat sie nicht auch gesagt, Deutschland weigert sich, bescheidene Entschädigungssummer auszuzahlen, die man den Hinterbliebenen der unschuldigen Toten vom Kundus-Fluss vor Monaten versprochen hat?

Dass jeder getötete Bundeswehrsoldat wichtiger ist als das Leiden und Sterben der afghanischen Bevölkerung, daran haben wir uns - verdammt noch mal - so gewöhnt wie an den Tod Deutscher in Afghanistan überhaupt. Die Kanzlerin, eine Pfarrerstochter, macht keinen Auslandsbesuch mehr ohne schwarzen Hosenanzug im Gepäck. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Leichenzähler bereits bei der Zahl 43 angekommen sind und weitere Leichensäcke bereit liegen.

So ist das im Krieg. Deutschland führt Krieg. Zu Guttenberg, das muss man ihm lassen, war der erste verantwortliche Regierungsmensch, der sich dem Begriff angenähert hat. Und doch - auch er hatte nicht den Mumm, das K-Wort mit den fünf Buchstaben ohne Einschränkungen auszusprechen. Und so befinden wir uns politik-amtlich in einem »nicht-internationalen bewaffneten Konflikt«. Dessen Zerstümmelungen, Vergewaltigungen, dessen tausendfache Tode sind deshalb nicht minder grausam.

Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin - Brecht, wie irrst du! Doch Deutsche Soldaten ziehen nicht einfach so in den Krieg. Sie werden vom Bundestag mit einem Mandat ausgeschickt. Im Parlament sitzen Vertreter von sechs Parteien. Nur eine von denen kann für sich die Unschuld grundsätzlicher Ablehnung in Anspruch nehmen. Die anderen beugen sich Mal für Mal der Verteidigung deutscher Interessen. CDU-Rühe schickte 1992 als Symbol der wiedergewonnenen deutschen Verantwortung Soldaten nach Kambodscha und Somalia. Den »Blauhelmen« gab man Palmenwedel und Brunnenbohrer mit. Dort war Tod noch Unfall.

SPD und Grüne ließen auf dem Balkan bomben, auch um - wie der Grünen-Chef Fischer behauptete - ein neues Auschwitz zu verhindern. Zu Beginn des dritten Jahrtausends folgte man den USA in den angeblichen Anti-Terror-Feldzug. Verteidigungsminister Struck von der SPD erfand die Lüge, dass am Hindukusch Deutschlands Sicherheit verteidigt wird. Merkel, Westerwelle und auch zu Guttenberg reden den Menschen seit der Konferenz von London ein, man sei nur zum Schutz friedlicher Afghanen im Bürgerkriegsland. Was erfindet man noch, um zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist?

Wir werden es erleben, denn auch mit dem jetzt zu beerdigenden Untersuchungsausschuss vergeben sich die Parlamentarier eine Möglichkeit zur eigenen Pflichterfüllung. Denn sie sind es, die das Handeln der Regierung kontrollieren und leiten sollen. Was auch bedeutet, künftigen Übeltaten vorzubeugen.

Minister zu Guttenberg wird mit den meisten Mitgliedern des Ausschusses nicht nur ob der Ermittlungsverweigerung Karlsruher Bundesanwälte leichtes Spiel haben. Viele von denen, die ihn befragen sollen, akzeptieren Guttenberg - mangels eigener Courage - als Primus. Er wird es genießen und ihnen mit überlegenem Blick aus der Brille erklären, warum er Ende November Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert rausgeworfen hat. Und auch, was ihn seinerzeit zur Umdeutung des Luftschlages »militärisch angemessen« zu »militärisch nicht angemessen«" bewogen hat. Aber das ist nur noch eine marginale Frage - jetzt, wo das Bombardement nach Lesart der Bundesanwälte kein Kriegsverbrechen gewesen sein kann.

Aber war es wirklich keines? Vielleicht stellt sich der Ausschuss ja doch noch seiner Pflicht - fernab parteipolitischer Vorgaben. Wie das gehen kann? Vielleicht einfach dadurch, dass man Zeugen benennt, die vor Ort waren, als deutsches Unheil vom Himmel kam. Oder zählen betroffene Afghanen in einem Ausschuss des Deutschen Bundestages nichts?

* Aus: Neues Deutschland, 22. April 2010


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