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Zeugin Merkel: Alles richtig gemacht

Bundeskanzlerin und Ex-Außenminister Steinmeier hatten ihren Auftritt vor "Kundus"-Ausschuss

Von René Heilig *

Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie der SPD-Fraktionschef und frühere Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagten am Donnerstag als letzte Zeugen vor dem sogenannten Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Dabei geht es um den Luftangriff am 4. September 2009, bei dem auf Befehl eines Bundeswehrobersten mehr als 140 Menschen umgebracht wurden.

Medienauftrieb im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Fast eineinhalb Jahre sind seit dem Bombardement auf zwei von Aufständischen entführte und im Kundus-Fluss festgefahrene Tanklaster vergangen. Der Angriff, befohlen vom deutschen Oberst Georg Klein, ist weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt. Nicht zuletzt deshalb, weil Union und FDP ihre Vereinbarung mit der Opposition aufgekündigt hatten, zumindest die politisch wichtigen Zeugen des zum Untersuchungsausschuss mutierten Verteidigungsausschusses öffentlich zu befragen.

Zunächst Steinmeier, dann Merkel sollten gestern erklären, wann wer in der damaligen schwarz-roten Regierung davon Kenntnis hatte, dass bei der Attacke zahlreiche Zivilisten umgebracht worden sind. Das Verteidigungsministerium unter dem damaligen Minister Franz Josef Jung (CDU) hatte stur an der Behauptung festgehalten, dass nur Taliban getötet wurden. Auch Jungs Nachfolger im Amt, Karl-Theodor zu Guttenberg, hatte den Bombenwurf zunächst als militärisch angemessen bezeichnet.

Merkel dagegen hatte als Reaktion auf Medienberichte leicht modifiziert gesagt: Falls Zivilisten getroffen worden seien, würde die Regierung dies bedauern. In einer Regierungserklärung am 8. September versprach sie lückenlose Aufklärung durch die Bundesregierung. Doch bis nach der Bundestagswahl am 27. September 2009 gab es für die Öffentlichkeit keine wahrheitsgemäßen Informationen von der Bundesregierung.

Dabei geht bereits aus dem ersten Bericht der ISAF, der am 6. September im Verteidigungsministerium vorlag, hervor, dass mit zivilen Opfern gerechnet werden müsse und es vermutlich Verstöße gegen Einsatz- und Verfahrensregeln der NATO gegeben habe. Das Bundeskanzleramt hat sich internen Dokumenten zufolge bereits frühzeitig wegen der schlechten Unterrichtung durch das Verteidigungsministerium beklagt.

Im Ausschuss herrschte auch gestern eiserne Parteiräson. Die SPD wollte auf die Verantwortung von Verteidigungsministerium und Kanzlerin hinaus, die Union hatte die Gesamtverantwortung des damals SPD-gelenkten Außenamtes für den Afghanistaneinsatz im Visier. 45 Minuten brauchte Kanzlerin Merkel, um scheinbar minutiös die Reaktionen der schwarz-roten und der ihr folgenden schwarz-gelben Regierung auf das Bombardement zusammenzufassen. Dabei verwahrte sie sich gegen Unterstellungen im In- und Ausland, die Bundesregierung habe die Aufklärung verhindern oder gar im Wahlkampf etwas vertuschen wollen. Sie stehe zu ihren in der Regierungserklärung vom 8. September 2009 erhobenen Forderungen. Dabei hatte sie schonungslose Aufklärung versprochen und sich gegen Vorverurteilungen ausgesprochen.

Fehler in der Informationspolitik schob Merkel indirekt auf das Verteidigungsministerium unter der damaligen Leitung von Franz Josef Jung. Der war in Folge der Vorwürfe zurückgetreten, sein Nachfolger hatte schließlich – offenbar nicht ohne Zutun des Kanzleramtes – eine Neubewertung des Angriffs als militärisch unangemessen vorgenommen. Merkel gab am Donnerstag ihrer Hoffnung Ausdruck, dass solche »gravierenden Ereignisse« künftig zu vermeiden seien. Ihr Ex-Vizekanzler Steinmeier, der von der Union als Retourkutsche auf die Ladung der Kanzlerin einbestellt worden war, hatte zuvor betont, ihm sei »von Anfang an« klar gewesen, dass es sich bei dem Bombenangriff um »ein einschneidendes Ereignis« gehandelt habe. Auch mit Blick auf »sinkende Zustimmung der Bevölkerung« für den Afghanistaneinsatz kurz vor der Bundestagswahl.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Februar 2011


Ja und? Zuhören!

René Heilig **

Der Bombenangriff vom 4. September 2009 war »ein schwerwiegender Vorfall«. Wenn unsere Regierungschefin so etwas sagt, sollte man genau hinhören. Das wurde am Donnerstagabend bei der Vernehmung vor dem sogenannten Kundus-Untersuchungsausschuss immer schwerer. Was weniger an der Zeugin Dr. Angela Merkel als vielmehr an der über weite Strecken ziemlich hilflosen Fragerei von Oppositionsabgeordneten lag. So packt man keine Merkel! Und so verhindert man auch nicht, dass es beim Untersuchen kaum noch um die »unschuldig verletzt und zu Tode gekommenen Menschen« geht, mit denen Merkel am 8. September 2009 Mitleid zeigte.

Damals versprach sie »lückenlose Aufklärung«, das sei »ein Gebot der Selbstverständlichkeit«. Hat sie diese Zusage eingehalten? Merkel sagt Ja. Steht alles im Com–ISAF-Bericht. Selbst wenn's stimmt, ist anzumerken, dass der Bericht von der NATO als »geheim« eingestuft ist und selbst Abgeordnete ihn nur in der Bundestag-Geheimschutzstelle einsehen können.

Ja und? Zuhören! Merkel hat am 8. September 2009 nicht versprochen, dass es eine öffentliche Aufklärung gibt. Und obwohl sie aus Respekt vor dem Parlament nicht behauptet hat, dass die Untersuchung abgeschlossen sei, ist auch von den damit befassten Parlamentariern kaum mehr Transparenz zu erwarten. Union und FDP werden in ihrem Mehrheitsbericht, der noch vor der Sommerpause fertig sein soll, schwarz-gelbe Solidarität beim Kaschieren deutscher Schuld beweisen.

Wenn es also um eine Bewertung der Tötung von vermutlich weit über 100 Unschuldigen geht, bleiben der Öffentlichkeit nur die Äußerungen des Verteidigungsministers. Der hielt die Attacke zunächst für militärisch angemessen, dann erzählte er das Gegenteil. Letzteres kann die befragte Kanzlerin »sehr gut nachvollziehen«, doch seien, so betonte sie, beide Bewertungen möglich. An dem Punkt hilft dann nicht einmal mehr genaues Zuhören.

** Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2011 (Kommentar)


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