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"Es ist schon gut zu wissen, ob man erwünscht ist oder nicht"

Deutsche Truppen in den Kongo? Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler antwortet dem BT-Abgeordneten Paul Schäfer (Linke)

In der 18. Bundestags-Sitzung am 15. Februar 2006 kam in einer Fragestunde auch der mögliche Einsatz europäischer Truppen im Kongo zur Sprache. Wir dokumentieren das Frage-und-Antwort-Spiel zwischen dem Abgeordneten Paul Schäfer (Linke) und dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler.



Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich rufe Frage 41 des Kollegen Paul Schäfer auf:
Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung gegen einen UN-geführten Einsatz zur Sicherung der Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik Kongo?

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Schäfer, zum Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die VN-Operation in der Demokratischen Republik Kongo, MONUC, gehört die Aufgabe, für ein sicheres Umfeld für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu sorgen. Der Leiter des Department for Peacekeeping Operations der Vereinten Nationen, Jean-Marie Guéhenno, hat Ende 2005 die EU-Ratspräsidentschaft schriftlich um EU-Unterstützung für MONUC während des Wahlzeitraums gebeten. In seinem Schreiben brachte er die Sorge der Vereinten Nationen zum Ausdruck, dass es bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu neuerlichen Ausbrüchen von Gewalt kommen könnte, die weder MONUC noch die kongolesischen Streitkräfte und Polizeikräfte eindämmen könnten. Eine Deterrent Force, die, falls nötig, während der Wahlen in die Demokratische Republik Kongo verlegt werden könnte, solle die Reaktionsfähigkeit von MONUC stärken. Diese Einschätzung wurde seitens der Vereinten Nationen in New York wie seitens MONUC in Kinshasa gegenüber den beiden Erkundungsmissionen des EU-Ratssekretariats bestätigt, als diese dort in der vorvergangenen Woche sondierende Gespräche führten. Die Bundesregierung nimmt diese Einschätzung ernst.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Kollege Schäfer, bitte.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Herr Staatsminister, lieber Kollege Erler, trifft es denn zu, dass in der Vergangenheit eine Aufstockung bzw. eine Verstärkung von MONUC im Rahmen der Vereinten Nationen blockiert wurde, und befinden sich eventuell EU-Mitgliedsländer unter denen, die das blockiert haben?

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Schäfer, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass MONUC mit einer Gesamtstärke von 16 700 Mann im Augenblick in der ganzen Geschichte des Peacekeepings die umfangreichste und auch die kostenträchtigste Mission ist, sodass man hier keinesfalls von einer Verweigerung irgendeiner Seite bei der Bereitstellung der notwendigen Mittel und Kräfte sprechen kann.
Das Problem ist ganz anders gelagert: MONUC ist schwerpunktmäßig im Ostteil des Landes aktiv; dort sind nämlich 15 000 der 16 700 Kräfte stationiert. Dementsprechend ist die Hauptstadt Kinshasa in der entscheidenden Phase der Wahlkämpfe, was das internationale Peacekeeping angeht, zu schwach abgesichert.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)

Die Ängste des Beauftragten der UN bestehen darin, dass die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen - das sind der amtierende Präsident Kabila und zwei seiner Stellvertreter, die auch über bewaffnete Einheiten verfügen - das Wahlergebnis vielleicht nicht anerkennen, was den ganzen Friedensprozess, der am 30. Juni zu einem Abschluss kommen kann, gefährden könnte. Das ist der Hintergrund der Nachfrage an die EU, ob im Rahmen der ESVP vorübergehend eine zusätzliche Sicherung dieses Wahlprozesses stattfinden kann.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ihre zweite Zusatzfrage.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Erler, wäre in den Augen der Bundesregierung eine vorübergehende Aufstockung der UNO-geführten MONUC eine realistische Option, um den Wahlprozess zu stabilisieren?

Gernot Erler (SPD):
Das könnte überhaupt nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Vereinten Nationen darum bitten würden. Aber es ist nicht irgendeine andere Organisation, sondern das Department for Peacekeeping Operations der Vereinten Nationen, das sich mit dem Brief vom 27. Dezember von Jean-Marie Guéhenno an die EU gewandt hat und etwas ganz anderes wollte. Hintergrund ist sicherlich, dass man hofft, dass die Autorität der EU und die Verfügung der EU über schnell einsetzbare Kräfte tatsächlich eine entmutigende Wirkung auf eventuelle Störer dieses Wahlprozesses aus-üben; Guéhenno nennt das eine Deterrent Force. Die MONUC - sie ist ausreichend stark vertreten; ich habe Zahlen genannt - ist genau dazu nicht in der Lage. Insofern gibt es gute Gründe dafür, dass die Nachfrage eben nicht auf eine Erweiterung der MONUC zielt, sondern auf eine vorübergehende Zurverfügungstellung einer Deterrent Force durch einen anderen Organisator, in diesem Fall durch die EU.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Schäfer auf:
Welche besonderen militärischen Gründe sprechen für eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Militäreinsatz zur Sicherung der Parlamentswahlen der Demokratischen Republik Kongo?

Gernot Erler (SPD):
Herr Kollege Schäfer, in den Brüsseler Gremien wird derzeit die Frage eines militärischen Einsatzes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ESVP - ich habe es gerade angesprochen -, zur Unterstützung von MONUC bei den Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo behandelt. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht getroffen worden. Gestern hat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU, PSK, darüber beraten. Dabei hat es beschlossen, den EU-Militärausschuss als das zuständige militärische Gremium der EU zu beauftragen, einen Ratschlag auf der Basis des vorgelegten Optionenpapiers zu geben. Dieser Ratschlag wird die weitere Entscheidungsfindung der EU prägen.
Sollte ein ESVP-Einsatz nach umfassender Abwägung, wozu neben der Einschätzung der Lage in der Demokratischen Republik Kongo auch das in der europäischen Sicherheitsstrategie niedergelegte Bekenntnis der EU zur Stärkung der Vereinten Nationen gehört, beschlossen werden, wäre es ein Gebot europäischer Solidarität, die Verantwortung und die Kosten auf mehrere Mitgliedstaaten zu verteilen. Das ist die Auffassung der Bundesregierung.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ihre Zusatzfrage.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Danke. - Sie haben das Kriterium "europäische Solidarität" genannt. Welche anderen Kriterien müssten Ihrer Meinung nach erfüllt sein, um einen Einsatz der Bundeswehr als zwingend und unabweisbar erscheinen zu lassen?

Gernot Erler (SPD):
Herr Kollege Schäfer, ich möchte noch einmal betonen, dass wir mitten in einem Klärungs- und Entscheidungsprozess sind. Ich wiederhole ausdrücklich: Es gibt noch keine Entscheidung dieser Art. Wichtig sind Klärungen der Rahmenbedingungen. Zum Beispiel wäre es wichtig, zu wissen: Wie verhält sich eigentlich die amtierende Regierung, der so genannte Espace présidentiel, also der Präsident des Kongo und seine Stellvertreter, zu diesem Vorschlag der Vereinten Nationen? Ist man bereit, eine solche Mission zu akzeptieren? Es sind noch wichtige Fragen der Sicherheit vor Ort zu klären: Wie ist eigentlich das Gefährdungspotenzial einzuschätzen? Es ist auch wichtig, zu wissen und zu klären: Was sollen denn die eigentlichen Aufgaben sein? In dem Optionenpapier, das gestern Grundlage der Beratung des PSK war, sind sieben verschiedene Einsatzmöglichkeiten genannt, aber zum Teil noch nicht klar definiert. All diese Dinge soll jetzt das Sicherheitskomitee der EU dort klären, um dann die Mitgliedstaaten zu beraten bzw. ihnen eine Empfehlung zu geben.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ihre zweite Zusatzfrage.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Habe ich Sie richtig verstanden, dass nach Meinung der Bundesregierung eine Zustimmung der kongolesischen Regierung für eine eventuelle EU-Militärmission unverzichtbar ist? Bislang hörte man nur, Präsident Kabila habe aus der Zeitung erfahren, dass so etwas diskutiert wird.

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Dies ist ein Zustand, den wir schon überwunden haben. Das heißt, es hat Kontakte gegeben und es hat von der Präsidentschaft Äußerungen gegeben, die schon wesentlich freundlicher waren. Besonders freundlich hat sich der Außenminister geäußert. Auch hat ein Telefongespräch zwischen Javier Solana und dem kongolesischen Präsidenten stattgefunden. Aber es ist schon sehr wünschenswert, dazu eine noch deutlichere Äußerung des Präsidenten zu haben; denn in der Regel ist es natürlich eine wichtige Basis, zu wissen, ob man bei einer solchen Maßnahme - um es einmal unwissenschaftlich auszudrücken - erwünscht ist oder nicht. Dabei ist natürlich klar, dass in dieser Region - das ist eine Region, in der seit 1994 Krieg bzw. Bürgerkrieg geherrscht hat, und zwar mit einer unvorstellbaren Zahl von Opfern, nämlich von 3,8 Millionen Menschen - allein durch Initiativen aus der Region heraus ein solcher Friedensprozess nicht hätte in Gang gebracht werden können. Für uns ist es, wie gesagt, sehr wünschenswert, wenigstens eine klare Antwort auf diese Frage zu bekommen.

Quelle: BT-Protokolle; www.bundestag.de


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