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Mehr als fragwürdig – ein "überschüssiges“" Vorhaben der schwarzen-gelben Koalition

Gesetzentwurf zum Bundeswehr-Gerichtsstand in der Sachverständigen-Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags

Von Günter Knebel, Bremen *

Am 26. September 2012 fand im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages die Anhörung des Rechtsausschusses statt zu dem „Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr“ (hier geht es zum Gesetzentwurf: BT DS 17/9694, pdf [externer Link]. Das Bundeskabinett hatte die Vorlage aus dem Bundesjustizministerium, das derzeit von einer über die bayerische Landesliste der FDP in den Deutschen Bundestag gewählten Abgeordneten geführt wird, am 28. März 2012 beschlossen und am 11. Mai 2012 über den Bundesrat in die Parlamentarische Beratung eingebracht. Dort wurde sie – bei nur einer Gegenstimme – „durchgewinkt“, woraufhin sie am 24. Mai 2012 im Deutschen Bundestag in erster Lesung ohne mündliche Aussprache „beraten“ wurde. Statt die von der Bundesregierung beabsichtigte kurzfristige 2. und 3. Lesung noch vor der Sommerpause durchzuführen, damit das Gesetz wie vorgesehen zum 1. November 2012 in Kraft treten und der neue Gerichtsstand in Kempten/Allgäu seine – noch zu definierende – „Arbeit“ aufnehmen können würde, hatte der Rechtsausschuss am 13. Juni 2012 die Durchführung dieser Anhörung beschlossen.

Neun Sachverständige wurden vom Vorsitzenden des Rechtsausschusses, MdB Siegfried Kauder (CDU/CSU), begrüßt, der die Anhörung - vor zeitweise bis zu ebenfalls fast neun - Abgeordneten des Rechtsausschusses und einem Mitglied des Verteidigungsausschusses moderierte. Der Gesetzentwurf für den insbesondere von der FDP-Bundestagsfraktion und ihrem derzeitigen parlamentarischen Geschäftsführer Jörg van Essen, Oberstaatsanwalt a.D. und Oberst der Reserve, angestrebten und seit über einem Jahrzehnt durch parlamentarische Anfragen ins Visier genommenen Gerichtsstand sieht die Verfolgung spezieller, mit dem militärischen Einsatz im Ausland verbundener Straftaten von Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr vor. Konkret geht es um die „sachgerechte Prüfung und Ahndung der Anwendung militärischer Gewalt“ aber nur in solchen Fällen, wenn die Bundeswehr – anders als in Afghanistan - nicht an einem erklärten „bewaffneten Konflikt“ teilnimmt. Denn für Straftaten, die unter das Kriegsvölkerrecht fallen, das heute augenscheinlich als Konfliktvölkerrecht bezeichnet wird, ist und bleibt in Deutschland die Generalbundesanwaltschaft zuständig. Für Fälle von „Gelegenheitskriminalität von Soldatinnen und Soldaten“ im Ausland wie im Inland bleibt der vom Grundgesetz (Art. 101 Abs. 1 GG) vorgesehene „gesetzliche Richter“ zuständig, d.h. die für den jeweiligen Heimatstandort zuständige Gerichtsbarkeit.

Insoweit brachte bereits die Stellungnahme des alphabetisch ersten Sachverständigen, des Vertreters der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, etwas mehr Licht ins Dunkel der Reichweite des regierungsgewollten Gesetzes und der zu erwartenden Zahl der vom künftigen „Gerichtsstand“ zu bearbeitenden Fälle. Deren bis heute „sehr überschaubares Mengengerüst“, das in den vergangenen zehn Jahren auf die Zahl von knapp 200 Ermittlungsverfahren summiert wird und von denen über 110 auch ohne den angestrebten Gerichtsstand eingestellt wurden, ficht dessen Befürworter aber nicht an. Voll des Lobes über die bisher relativ und absolut geringe Zahl von Ermittlungsfällen gegen Soldatinnen oder Soldaten in Auslandsverwendung, die im Umkehrschluss ganz viele brave Soldaten belegt, soll mit dem Gesetz Vorsorge getroffen werden für die Zukunft, in der die „Fallzahlen einer nicht zu prognostizierenden Dynamik unterliegen“ könnten. Die damit geäußerte Befürchtung, wenn nicht das Misstrauen gegen künftige Entwicklungen bei einem verstetigten und vermehrten weltweiten Einsatz der deutschen Parlamentsarmee und deren Auswirkungen auf das mögliche Verhalten bis dahin rechtstreuer „Staatsbürger in Uniform“, ließ sich in der Anhörung ebensowenig quantifizieren, wie künftig erwartete Bearbeitungszahlen für den vorgeblich benötigten bundeszentralen Gerichtsstand in Kempten. Zu dessen Aufgaben dürfte eine Art meditativer Konzentration und Spezialisierung auf bevorstehende Aufgaben gehören, zu der allein eine Fülle zu lernender Abkürzungen beitragen soll, von der öfter die Rede war.

Unklar und offen blieb auch nach der Anhörung, ob eine solche Ergänzung der Bundesjustiz tatsächlich die von ihren Initiatoren beklagten „unübersichtlichen Zuständigkeitsverteilungen“ vermindern oder diese – ganz im Gegenteil – noch erhöhen würde. Die Feststellung des Lehrstuhlinhabers für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Hamburg, dass die vom Gesetzgeber geforderte „Darlegungs- und Begründungspflicht für Veränderungen im System rechtlicher Zuständigkeitsverteilung im föderalen Rechtsstaat“ sich aus dem Gesetzentwurf weder ersehen noch erschließen lasse, wurde von der Vertreterin der in der Strafrechtspflege tätigen Praktiker zu der so eingängigen wie plausiblen Konsequenz geführt, dass die vorgeschlagene Regelung „weder erforderlich noch geeignet ist, die tatsächlichen Probleme zu lösen.“

Vor dem Hintergrund, dass - sogar dem Vorhaben wohlgesonnene (sic!) - Sachverständige verfassungsrechtliche Probleme aufzeigten und des Weiteren mit - auch für Laien - überzeugenden Argumenten vor der Beschädigung des Vertrauens in die justizielle Aufarbeitung von Tatvorwürfen gewarnt wurde, kann der interessierte Beobachter als Fazit von 98 Seiten Sachverständigen-Gutachten und 2 ½ Stunden mündlicher Erörterung nur zustimmend resümieren, was ein Sachverständiger in der abschließenden Fragerunde mit wenigen Worten auf den Punkt brachte: Die vorgeschlagenen Regelung sei ein „überschüssiges“ Vorhaben. Es trage weder zur behaupteten „Effektivierung und Beschleunigung des Strafverfahrens“ bei, noch beseitige es objektiv vorhandene Schwierigkeiten einer effektiven Verfolgung und Ahndung der Straftaten, die bei der Auslandsverwendung der Bundeswehr entstehen.

Der als Besucher aus dem Deutschen Bundestag, dem „Herzen der Demokratie“, zurückgekehrte Bürger fühlt sich durch die höchst informative Anhörung um eine sachbezogene Erfahrung reicher. Allerdings fragt er sich nun umso mehr, wie der Eindruck entstehen konnte, dass ein so fragwürdiges Gesetzesvorhaben, das im Blick auf die deutsche Historie besondere Sensibilität verlangt, Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit haben kann - womöglich unterstützt von einem Teil der Opposition im Deutschen Bundestag?

Bremen, 27. September 2012

* Günter Knebel, Jahrgang 1949, von 1982-2010 Geschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung (EAK) in der EKD: www.eak-online.de; ehrenamtlich seit 1998 Schriftführer der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V., Bremen; www.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de


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