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Teurer "Schnupperkurs"

Bundeswehr beruft mehr Minderjährige ein. Viele der »Freiwilligen« springen jedoch vorzeitig ab. Werbung blendet Kriegsrealität aus

Von Frank Brendle *

Die Bundeswehr als Arbeitgeber erweckt unter jungen Erwachsenen so wenig Interesse, daß die Rekrutierung von Minderjährigen ausgeweitet wurde. 1216 Jugendliche heuerten im vergangenen Jahr im Alter von 17 Jahren bei der Truppe an, entweder als Zeitsoldaten oder als »freiwillig Wehrdienstleistende«. Das waren 50 Prozent mehr als 2011. Linken-Verteidigungspolitiker Paul Schäfer, auf dessen Anfrage die Bundeswehr umfangreiches Zahlenmaterial herausgab, nennt es gegenüber jW »erschütternd«, daß so viele Minderjährige an der Waffe ausgebildet werden.

Aus dem Regierungsdokument geht hervor, daß der »freiwillige« Wehrdienst, der den Wegfall der Wehrpflicht als Rekrutierungsinstrument ersetzen soll, keine Erfolgsgeschichte ist. Zwar haben im Jahr 2012 knapp 10000 junge Menschen tatsächlich einen solchen Dienst angetreten, aber ein Viertel stieg während der sechsmonatigen Probezeit wieder aus, weitere 403 wurden von der Bundeswehr entlassen. Das ergibt eine Quote von 28,8 Prozent, die vorzeitig ausscheiden. Das deutet darauf hin, daß dieser Militärdienst für viele nur eine Zwischenlösung ist, auf die gerne verzichtet wird, sobald sich andere Jobperspektiven auftun. Zudem werden etliche Jugendliche, die auf die Verheißungen von »Fun und Action« des militärischen »Jugendmarketings« hereingefallen sind, kalt erwischt, wenn sie in der Grundausbildung gleich behandelt werden wie richtige Soldaten. Zwei von drei Soldaten, die wegen Disziplinarverstößen zu Arreststrafen verdonnert werden, sind »Freiwillige« – obwohl diese weniger als zehn Prozent des Gesamtpersonalbestandes der Bundeswehr ausmachen.

Freiwillig Wehrdienstleistende können sich für Dienstzeiten zwischen sechs und 23 Monaten verpflichten. Besonders beliebt sind Zeiträume von elf bzw. zwölf sowie zwischen 18 und 23 Monaten. Längere Dienstzeiten bedeuten höhere Soldzuschläge, als Maximalvergütung gibt es 1146 Euro. Bemerkenswert ist, daß sich fast alle (rund 98 Prozent) schriftlich für eine besondere Auslandsverwendung verpflichten, obwohl dies erst bei Dienstzeiten über zwölf Monaten obligatorisch ist. Der Grund dürfte darin liegen, daß bei Einsätzen im Ausland steuerfreie Zuschläge bis zu 110 Euro pro Tag winken.

Die soziale Herkunft der Rekruten wird zwar nicht erfaßt, die Angaben zur Schulbildung zeigen aber, daß sie sich mehr oder weniger im gesellschaftlichen Durchschnitt bewegen. Ein Drittel hat Abitur, ein Viertel die Mittlere Reife und ein weiteres Drittel entweder den Hauptschul- oder überhaupt keinen Schulabschluß. Angaben darüber, wie sich die Quote der vorzeitigen Abbrecher zum Bildungsgrad verhält, liegen nicht vor.

Ähnlich wie früher die Wehrpflicht hat auch der freiwillige Dienst die Funktion, Jugendliche schrittweise an die Bundeswehr zu gewöhnen und sie schließlich für eine mehrjährige Verpflichtung zu gewinnen. Tatsächlich entschied sich im vergangenen Jahr fast die Hälfte der Freiwilligen, in ein Dienstverhältnis als Zeitsoldat zu wechseln. Damit tragen sie zu einem Drittel zum von der Bundeswehr genannten jährlichen Ersatzbedarf von 13000 Zeitsoldaten bei. Schäfer nennt den Freiwilligendienst einen »überteuerten Schnupperkurs«, denn die Truppe kalkuliert mit fast 22000 Euro Kosten pro Person und Dienstjahr – nur 4500 Euro weniger als für »richtige« Soldaten.

Um sich diesen personellen Zufluß zu sichern, wurde bei der Abschaffung der Wehrpflicht eigens das Meldegesetz geändert. Die Meldebehörden übermitteln einmal jährlich die Daten all jener Jugendlichen mit deutscher Staatsbürgerschaft an die Bundeswehr, die im darauffolgenden Jahr ins einberufungsfähige Alter kommen. Das waren voriges Jahr 720000 Minderjährige, und sie alle erhielten Reklame von der Bundeswehr: »Profitieren Sie von den attraktiven Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie den guten Sozialleistungen eines zukunftsorientierten und modernen Arbeitgebers«, heißt es in den bunten Anschreiben. Wie viele der Umworbenen Interesse an weiteren Informationen bekundet haben, wird allerdings nicht erhoben. »Wie menschenverachtend die Bundeswehr ist, zeigt sich schon an dieser Reklame«, empört sich der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK), Monty Schädel: »Kein Wort über die blutige Kriegsrealität. Abgesehen davon können die Opfer der deutschen Waffen von jeglichen Sozialleistungen nur träumen.«

* Aus: junge Welt, Montag, 1. Juli 2013

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