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High-Tech-Kriege: Die Bundeswehr ist dabei

Von Lühr Henken, Bundesausschuss Friedensratschlag, Berlin

In den seit Mai 2011 gültigen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) hat Thomas de Maizière wirtschaftliche Interessen definiert: „Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört, [...] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“ (VPR, Seite 5) Das Interesse am „freien Zugang [...] zu natürlichen Rohstoffen“ verlangt eine weltweit einsetzbare kampfbereite Truppe. Folglich fallen seine Aufforderungen entsprechend markig aus: „Vom Einsatz her denken“ und „Die Befähigung zum Kampf als höchster Anspruch an Personal, Material und Ausbildung muss [...] der Maßstab für die Einsatzbereitschaft sein – die Befähigung zum Kampf.“ Seine Orientierungen richtet er nicht nur an das Offizierskorps, die Soldatinnen und Soldaten und an die Rüstungsindustrie, sondern auch an die deutsche Bevölkerung, um den vor über 20 Jahren eingeschlagenen Weg weg von der Landesverteidigung hin zu Militärinterventionen tatsächlich mit Erfolg und störungsfrei gehen zu können.

Die Bevölkerung ist überhaupt nicht für diesen Kurs zu begeistern. Die Bundeswehr ist rüstungstechnisch noch nicht auf dem Stand, der dafür notwendig wäre, aber bis zur Auslieferung der seit langem bestellten High-Tech-Waffensysteme ist es nicht mehr weit hin. Die Bundeswehr wird in den nächsten fünf Jahren eigens verschlankt, damit die neuen Waffen und Ausrüstungen auch schlagkräftig zur Anwendung gebracht werden können.

Mehr Soldaten für Auslandseinsätze

Der Hauptzweck der Bundeswehrreform ist die Vergrößerung der im Auslandseinsatz dauerhaft (also über Jahre) zur Verfügung stehenden Soldaten von 7.000 auf 11.000 (also um 57 Prozent mehr). Die hauptsächlichen Veränderungen betreffen das Heer und die Marine. Die Luftwaffe besitzt seit Ende 2010 bereits die Möglichkeit mittels 600 Marschflugkörpern TAURUS, aus Hunderten Kilometer Entfernung abgefeuert, Ziele zu zerstören. Auch die Trägerschaft von US-Atomwaffen im Zuge der „nuklearen Teilhabe“ der NATO im Kriegsfall ist ihnen nicht genommen, obwohl es lediglich eine Sache der Bundesregierung wäre, diese Massenvernichtungswaffen aus Deutschland zu verbannen. Die Luftwaffe profitiert von den beiden teuersten Rüstungsprojekten: EUROFIGHTER und AIRBUSSE A 400 M. Allerdings werden beide Programme abgespeckt. Statt 177 wird es nur 140 EUROFIGHTER geben und statt 60 „Kampfzonentransportern“ sollen es nur noch 40 sein.

Nicht vor 2016 werden die AIRBUSSE für logistische Zwecke einsatzbar sein. Aber dann kommt das abgestimmte Konzept der weltweiten strategischen Transportkapazität zum Vollzug: die speziellen Abmessungen der Maschinen machen den Transport von zwei Kampfhubschraubern TIGER, einem Transporthubschrauber NH-90, einem Schützenpanzer PUMA, einem GTK BOXER oder 116 Soldaten mit Ausrüstung möglich. Fallschirmspringer und Lasten können während des Fluges abgesetzt werden. Mit 30 Tonnen Zuladung fliegen die AIRBUSSE 4.500 km am Stück. Mit den AIRBUSSEN können erstmals Infanteristen – inklusive ihrer schweren Waffen - weltweit schnell verlegt werden. Damit das noch schneller geht als bisher, wurden die Fähigkeiten zweier Heeresdivisionen unter einem Dach gebündelt.

Ab 2014 werden die „Division Spezielle Operationen“ (DSO), dessen Motto „einsatzbereit – jederzeit – weltweit“ Programm ist, und die „Division Luftbewegliche Operationen“ (DLO) zusammengefasst zur „Division Schnelle Kräfte“ (DSK). Die 8.600 SoldatInnen der DSK werden vom hessischen Stadtallendorf aus geführt und vereinen das geheim agierende „Kommando Spezialkräfte“ (KSK), zwei Fallschirmjägerregimenter, die zwei Transporthubschrauberregimenter mit 40 neuen NH-90-Hubschraubern und das Kampfhubschrauberregiment mit 40 neuen Kampfhubschraubern TIGER in Fritzlar.

Weniger Personal mit mehr Fähigkeiten

Insgesamt wird das Heer verkleinert und gestrafft. Aus fünf werden drei Divisionen. Neben der DSK wird es zwei „Mechanisierte Divisionen“ geben, denen jeweils drei Brigaden unterstehen. Hier finden sich unter anderem Infanteriebataillone mit 350 Schützenpanzern PUMA und 272 Radpanzern GTK BOXER, beides die „Mutterschiffe“ der Infanteriegruppe. Infanteristen sind speziell ausgebildet im Häuser-, Straßen- und Ortskampf. Damit dies in größerem Stil als bisher trainiert werden kann, soll für 100 Millionen Euro auf dem Truppenübungsplatz Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide (Sachsen-Anhalt) bis 2017 eine sechs Quadratkilometer große Übungsstadt mit 500 Häusern, Kellern, Autobahn, Flusslauf und Elendsviertel entstehen. Für die Infanteriegruppen werden jeweils neue Kampfausrüstungen hergestellt. In diesem Jahr beginnt die Auslieferung von insgesamt 9.000 Ausrüstungen „Infanterist der Zukunft- Erweitertes System“ (IdZ-ES), das der Generalunternehmer Rheinmetall GLADIUS getauft hat. Das betrifft die Bekleidung, Schutz- und Trageausstattung, Waffen, Optik und Optronik sowie Führungs- und Kommunikationsmittel. Insbesondere die Führungsfähigkeit des Infanteristen soll mittels Aufklärungsdrohnen gewonnener digitaler Lagebilder, die sämtlichen Führungsebenen ohne Zeitverzug zugänglich sind, revolutioniert werden, so dass er auch in der Nacht kämpfen kann. Der Soldat ist an die „Vernetzte Operationsführung“ angebunden.

Zusätzlich zu den schon vorhandenen Aufklärungsdrohnen in Entfernungen bis zu 100 km und dem nationalen hochauflösenden Radarsatellitensystem SAR Lupe sollen fünf von der NATO betriebene Großdrohnen des Typs GLOBAL HAWK speziell in der Lage sein, „Einzelpersonen darzustellen und Bewegungen über Zeiträume nachzuzeichnen.“ (FAZ 19.4.2012) An dieser großräumigen Bodenüberwachung „Alliance Ground Surveillance“ (AGS) der NATO, die ab 2016 einsatzbereit sein soll, beteiligt sich die Bundesregierung zu einem Drittel. Insgesamt wird die größte Teilstreitkraft der Bundeswehr, das Heer, im Zuge der Reform zwar etwa 30 Prozent seiner SoldatInnenzahl verlieren, aber die infanteristischen Fähigkeiten werden dabei absolut gestärkt.

Marine als Basis für Landoperationen

Die Zahl der SoldatInnen der Marine dagegen wird lediglich um 15 Prozent abgebaut. Die kleinste Teilstreitkraft erfährt somit eine relative Aufwertung innerhalb der Bundeswehr. Neben der Seeraumüberwachung und der Bekämpfung der Piraterie soll die deutsche Marine künftig weltweit von See aus auf Land einwirken können. Als erstes wurden für diesen Zweck fünf hochseegängige Korvetten hergestellt, die mit über 250 km weit reichenden Marschflugkörpern bestückt sind, mit denen nicht nur Schiffe versenkt, sondern Ziele im Binnenland zerstört werden können. Aufgrund gravierender technischer Probleme wird derzeit davon ausgegangen, dass die fünf Kriegsschiffe erst 2014 einsatzfähig sein werden.

Zwischen 2016 und 2018 werden vier neue Fregatten des Typs F 125 in Dienst gestellt. Die 150 m langen Schiffe werden die größten Fregatten der deutschen Marine. Sie sind auf Multifunktionalität ausgelegt. Zur Piratenbekämpfung dienen zwei Bordhubschrauber und außenbords hängende Speedboote können mit Kampfschwimmern und Bordingteams schnell zu Wasser gelassen werden. Für den Landbeschuss sollen die Fregatten F 125 mit einem Geschütz ausgerüstet werden, das einen Granatenbeschuss bis zu 100 km Entfernung ermöglicht. Darüber hinaus sollen die Fregatten mit einer Kommandozelle ausgestattet sein, von denen aus Heer und Luftwaffe für Landoperationen geführt werden können („Basis See“). Die Klasse F 125 ist der Einstieg in ein neues Antriebssystem für Überwasserkriegsschiffe, was einen ununterbrochenen Aufenthalt auf See von 24 Monaten erlauben soll (bisher maximal neun Monate). Konkret geplant wird darüber hinaus, Mehrzweckkampfschiffe herzustellen (MKS 180). Größenmäßig zwischen Korvette und Fregatte angesiedelt, sollen sie die multifunktionalen „Arbeitspferde“ der Marine werden. Das MKS 180 soll einen Hubschrauber und zwei senkrechtstartende Flugdrohnen sowie zwei Speedboote erhalten. Das Einsatzprofil soll dem der Fregatte F 125 entsprechen. Die Marine wünscht sechs MKS 180. Die Bauverträge sollen 2016 unterzeichnet werden, die Auslieferung 2020 beginnen.

Die deutsche Marine verfügt über vier der kampfstärksten konventionell angetriebenen U-Boote der Welt. Von der Außenluft unabhängige Brennstoffzellen sorgen für den Antrieb, wodurch bis zu drei Wochen lange ununterbrochene Tauchfahrten um den halben Globus ermöglicht werden. Die U-Boote sind leiser als US-amerikanische Atom-U-Boote. Von Marinen außerhalb der NATO sind sie bisher nicht zu orten. Mit ihren 50 Kilometer weit reichenden Schwergewichtstorpedos SEEHECHT stellen sie damit eine strategische Waffe dar. Sie können nicht nur Überwasserschiffe versenken, sondern auch U-Boote. Bis Ende 2013 sollen zwei weitere U-212 in Dienst gestellt werden.

Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre wird die vor knapp zwei Jahrzehnten eingeleitete technologische Erneuerung der Bundeswehr Realität. Nicht nur bisher ungeahnte Kriegsabenteuer werden dann möglich, auch dienen die High-Tech-Waffen als Referenzsysteme, um die Rüstungsexportoffensive auszuweiten. Es wird verstärkter Anstrengungen von Seiten der Bevölkerung bedürfen, um diese Absichten zu durchkreuzen.


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 5, September 2012, S. 3-4

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