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Bundeswehrreform: Humanitäres Bomben für die Wirtschaft?

Von Lühr Henken *

Schwarz-Gelb hatte im Koalitionsvertrag 2009 festgelegt, eine Kommission einzurichten, die bis Ende 2010 einen Vorschlag für eine Straffung der Bundeswehr bei Beibehaltung der Wehrpflicht vorlegt. Im April 2010 nahm die Strukturkommission unter der Leitung des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, ihre Arbeit auf und legte im Oktober 2010 ihre Ergebnisse vor. Die Debatte um den Beitrag des Verteidigungsressorts zur Schuldenbremse führte im Juni 2010 zur Einsetzung einer zweiten Kommission unter der Leitung des Generalinspekteurs Volker Wieker, der seinen Bericht bereits im August 2010 vorlegte. Als Sparbeitrag war dem Einzelplan 14 von 2011 bis 2014 der Betrag von 8,3 Mrd. Euro auferlegt worden.

Als Ergebnis dieser Vorarbeiten legte sich das Bundeskabinett im Dezember 2010 auf einen Bundeswehrumfang von damals etwa 240.000 auf „bis zu 185.000“ Soldatinnen und Soldaten fest. Davon sollen 170.000 Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie maximal 15.000 Freiwillige sein. Dabei blieb es auch. Dazu kam die Aussetzung von Wehrdienst und Zivildienst zum 1.7. 2011.

Im Mai 2011 erließ Minister de Maizière neue Verteidigungspolitische Richtlinien (Kurz: VPR), die nahtlos an ihre Vorgänger anknüpfen.

Neue Richtlinien

Ab jetzt wird „vom Einsatz her“ gedacht, wenn es heißt, „die wahrscheinlicheren Aufgaben der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bestimmen die Grundzüge der neuen Struktur der Bundeswehr.“ An erster Stelle unter den Aufgaben der Bundeswehr steht zwar die „Landesverteidigung als Bündnisverteidigung“, noch vor der „internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus“ (VPR: 11) - es ist jedoch nicht so gemeint. Mit der seit Jahren verwendeten inhaltsleeren Zauberformel „internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ hält man sich sämtliche Handlungsoptionen offen. Zur Antwort auf die Frage, nach welchen Kriterien denn Pro oder Kontra Einsatz entschieden wird, gibt es einen Kernsatz in den VPR:

„In jedem Einzelfall ist eine klare Antwort auf die Frage notwendig, inwieweit die Interessen Deutschlands und die damit verbundene Wahrnehmung internationaler Verantwortung den Einsatz erfordern und rechtfertigen und welche Folgen ein Nicht-Einsatz hat.“(VPR: 5) Die nationalen Interessen sind also ausschlaggebend. Reinhard Mutz [1] macht zu Recht darauf aufmerksam wie angreifbar, aber auch anmaßend, diese Position ist, „behauptet sie doch, die Vertretung deutscher Interessen mit militärischen Mitteln sei gleichbedeutend mit der Wahrnehmung internationaler Verantwortung.“ (Mutz: 11)

In den VPR sind einige bedrohende Aussagen enthalten, die durch kleine sprachliche Kunstgriffe erst richtig deutlich werden. Man ersetze die Wörter „Deutschland“ und „deutsches“ durch Namen anderer Staaten. Dann lauten zwei Passagen so:

„Russland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften.“ (VPR: 5) Im zweiten Beispiel wird das Aggressionspotenzial noch deutlicher:

„Zu den chinesischen Sicherheitsinteressen gehört, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“ (VPR: 5)

Dieser Punkt ist das wichtigste sicherheitspolitische Interesse. Das zeigt die Debatte darum. Hier ein kurzer Rückblick.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte diese imperialistische Linie im Mai 2008 in ihrer „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ festgelegt. Darin heißt es: „Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc.“ [2] Diese Festlegung der größten Regierungspartei blieb damals in der Öffentlichkeit weit gehend unbemerkt. Eine Debatte dahingehend zu entfachen, in der Bevölkerung eine Akzeptanz der Kriegsführung für wirtschaftliche Interessen voranzutreiben, fand nicht statt. Im Mai 2010 fühlte sich der damalige Bundespräsident Köhler bemüßigt, dem Volk diese Debatte schmackhaft machen zu müssen und gab auf dem Rückflug von einem Truppenbesuch in Afghanistan im Radio einige verschwurbelte Sätze zum Besten. Heftige Reaktionen von Politikern aus SPD, Grünen und Linken zwangen den beliebtesten Politiker zu einem dramatischen Abgang. Köhler verlangte den Diskurs darüber, dass „ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“ [3] Wie umstritten dieses Anliegen ist, zeigte beispielsweise die Reaktion des bündnisgrünen Fraktionsvorsitzenden, Jürgen Trittin, der einen Vergleich zu historischer Kanonenpolitik zog. Der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg strickte weiter an diesem Thema. Überliefert sind von ihm folgende Aussagen: „Die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen sind ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten“ (Junge Welt, 10.11.10). Und: „Der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steigt ständig und tritt damit mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz. […] Der Zusammenhang von regionaler Sicherheit und hiesigen Wirtschaftsinteressen muss offen und ohne Verklemmung angesprochen werden.“ [4] Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte dazu richtigerweise: „Das Grundgesetz erlaubt keine Wirtschaftskriege.“ [4]

Den Bellizisten geht es darum, in der Bevölkerung die Akzeptanz der militärischen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, wie sie schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 unter Minister Volker Rühe formuliert sind, zu erhöhen. Dort wurde erstmals in einem offiziellen Dokument als „vitales Sicherheitsinteresse“ Deutschlands, „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ [5] definiert.

Denn, wie sagte Brigadegeneral a.D. Klaus Wittmann: „Rückhalt in der Bevölkerung ist für die Bundeswehr von entscheidender Bedeutung.“ (FAS, 21.8.11)

Hingewiesen werden muss zudem auf neue Töne de Maizières in der Diskussion um die Neuausrichtung der Bundeswehr.

De Maizière sagt: „Militärische Mittel sind 'äußerstes', nicht erst 'letztes' Mittel. Es ist also immer auch zu prüfen, ob ein frühzeitiger, dosierter Einsatz von Streitkräften oder seine Androhung eine Eskalation verhindern können.“ (IP: 15) An diesen Formulierungen wird deutlich, dass Militär als Mittel der Politik eingesetzt wird.

De Maizière sagt „der Einsatz von Streitkräften im Ausland (ist) immer auch Instrument der Außenpolitik.“ (FAZ, 27.5.2011) Das bedeutet, dass die deutsche Außenpolitik immer mehr militarisiert werden soll.

De Maizière sagt: „Die Befähigung zum Kampf als höchster Anspruch an Personal, Material und Ausbildung muss […] der Maßstab für die Einsatzbereitschaft sein – die Befähigung zum Kampf.“ [6] Und an anderer Stelle versucht er den Paradigmenwechsel auf den Punkt zu bringen: „Die Bundeswehr ist keine Armee der Brunnenbohrer, und sie ist auch kein gepanzertes Technisches Hilfswerk. Das wäre ein Missverständnis, das leider hie und da immer noch anzutreffen ist.“ (IP: 11) Klar ist: Die Truppe und auch die Öffentlichkeit sollen auf die Befähigung zum Kampf eingeschworen werden. Wobei Kampf synonym für Krieg steht. Der stellvertretende Heeresinspekteur Kasdorf beispielsweise stellte „'die Befähigung zum Kampf' als Kernfähigkeit des Heeres […] in den Mittelpunkt (s)einer Rede.“ (S & T, 8/11: 76) Es geht hier also um die Fähigkeit der Bundeswehr zum Krieg. Der einzelne Soldat, die einzelne Soldatin soll kriegstüchtig werden.

Der nach dem Ende der Blockkonfrontation eingeschlagene Weg weg von der Landesverteidigung hin zur Militärintervention wird systematisch fortgesetzt. Das Grundgesetz wird weiter ignoriert. Denn darin heißt es im Artikel 87 a: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“.

Mutz macht auf den Unterschied zwischen der Landesverteidigung und der Militärintervention deutlich, wenn er sagt: „Verteidigung heißt Abwehr eines Angriffs auf ein eigenes Rechtsgut, Intervention bedeutet Angriff und Eingriff in Rechtsgüter anderer. Wenn dazu als Legitimation das Eigeninteresse ausreichen sollte, verschwimmt die Grenze zwischen Recht und Faustrecht.“ (Mutz: 13)

„Schutzverantwortung“

So ganz allein auf das Recht des Stärkeren möchte man zur Sicherung oder Durchsetzung der Interessen denn doch nicht setzen, sondern sucht nach Legitimität für den Krieg. Der Krieg soll als gerecht oder zumindest gerechtfertigt erscheinen. Diese Debatte fand bereits Einzug in das Weißbuch der Bundeswehr von 2006: „Als Reaktion auf die Intervention im Kosovo 1999 ist die völkerrechtliche Lehre von der ‚Responsibility to protect’ entstanden. Auch wenn die Staaten, die sich diese Lehre zu Eigen gemacht haben, wahrscheinlich noch nicht in der Mehrheit sind, prägt die Debatte um die ‚Responsibility to protect’ doch zunehmend das Denken westlicher Länder. Dies wird langfristig Auswirkungen auf die Mandatierung internationaler Friedensmissionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben. Denn gerade, wenn es zum Einsatz militärischer Gewalt kommt, ist die völkerrechtliche Legitimation entscheidend.“ (Weißbuch: 51)

Gemeint ist die 2005 von der UN-Generalversammlung angenommene Resolution der „Schutzverantwortung“. Die besagt, dass die „Schutzverantwortung“ für die eigenen Bürgerinnen und Bürger auf die internationale Staatengemeinschaft für den Fall übergehen kann, dass der Staat seine Bevölkerung nicht mehr vor Völkermord, Krieg, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen zu schützen vermag. Diese Resolution ist allerdings nicht rechtsverbindlich, sondern sie bleibt eine Art politisches Programm, dessen Konkretisierung die Generalversammlung weiter prüfen will. Nach wie vor liegt die Entscheidung selbstverständlich allein beim UN-Sicherheitsrat.[7]

Hoch gefährlich sind Bestrebungen, humanitäre Interventionen von Einzelstaaten oder Staatengruppen zu befürworten, die ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats erfolgen. Insbesondere in EU und NATO sind solche Bestrebungen im Gange.

Kein geringerer als der NATO-Generalsekretär äußerte sich dementsprechend. Von der Diskussion im Anschluss an sein Referat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin am 27. Oktober 2011 berichtet die Financial Times Deutschland: „Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen macht künftige Auslandseinsätze der Militärallianz nach dem Modell der Libyen-Operation nicht von einem Mandat des Uno-Sicherheitsrats abhängig. Ein solches Mandat sei zwar wünschenswert, sagte Rasmussen. Aber auch klare moralische Prinzipien könnten einen Einsatz legitimieren. […] Rasmussen argumentierte dagegen, ein Uno-Mandat zur notwendigen Bedingung für solche Einsätze zu machen. 'Das würde den Mächten in die Hände spielen, die unsere Werte nicht teilen', sagte er. 'Wenn der Zweck gerechtfertigt und die rechtliche Grundlage stark ist, können wir unsere Werte mit Gewalt verteidigen.“[8]

Der NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999 – ohne UN-Mandat – soll somit kein Einzelfall gewesen sondern Musterfall sein. Ein Widerspruch von Seiten der Bundesregierung ist bisher nicht zu vermelden. Der Generalsekretär des größten Militärpakts aller Zeiten – er tätigt drei Viertel der weltweiten Militärausgaben – ruft mal eben so im Vorbeigehen dazu auf, die UN-Charta außer Kraft zu setzen. Dies fällt nicht mehr unter das Recht auf freie Meinungsäußerung, sondern hier wird der Rechtsbruch offen vorbereitet. An dieser Stelle muss noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es neben, über oder unter dem UN-Sicherheitsrat keine Instanz gibt, die eine Entscheidung für Krieg fällen kann – außer der UN-Sicherheitsrat selbst.

Da die Bestrebungen der NATO nach Durchsetzung des Faustrechts so offenkundig wie nie zuvor sind, kommt es im Vorfeld der Entscheidung zu Militärinterventionen sehr darauf an, wie über den Konflikt in den Medien berichtet wird. Wir erinnern uns, dass vor der Entscheidung zum Libyenkrieg von Massakern und Völkermord die Rede war, die es durch militärisches Eingreifen von außen vorgeblich zu verhindern galt.

Zu den Voraussetzungen für Militärinterventionen stellen sich entscheidende Fragen wie diese: Stimmen überhaupt die Meldungen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord oder Krieg? Wer hat sie wie verifiziert? Wenn sie denn stimmen: Lassen sich diese Art Gräuel militärisch überhaupt angemessen verhindern oder eindämmen? Und vor allem: Kann die Hoffnung auf militärisches Eingreifen von außen nicht sogar eskalierend auf einen latenten Konflikt wirken? Nach dem Motto: Durch Provokationen Überreaktionen des Staates auslösen, um damit ein ausländisches Eingreifen zu bewirken. (Beispiel UCK im Kosovo) In jedem Fall bietet die sogenannte humanitäre Intervention einen willkommenen Deckmantel für andere Kriegsgründe, die im ökonomischen und geostrategischen Bereich liegen.

11.000 + Soldaten dauernd im Auslandseinsatz

Zurück zu den VPR. Sie legen fest, dass die Bundeswehr künftig mindestens 10.000 Soldatinnen und Soldaten dauerhaft, d.h. über Jahre, im Ausland einsetzen kann. Im Oktober 2011 machte de Maizière klar, dass damit lediglich Heereseinsätze gemeint sind, und zwar in bis zu zwei Einsatzgebieten. Hinzu könnte noch ein Marineeinsatz kommen. (IP: 14) Marineinspekteur Axel Schimpf präzisierte, dass die Marine künftig „bis zu 1.000 Soldaten dauerhaft in den Einsatz schicken“ [9] könne. Der Bundeswehr war es mit der letzten Reform nicht gelungen, ihr Ziel umzusetzen, dauerhaft im Ausland 14.000 Soldaten einzusetzen. Allenfalls 7.000 waren möglich. Die Steigerung um 4.000 scheint auf den ersten Blick wenig. Es sind jedoch immerhin 57 Prozent mehr. Diese Steigerung muss als zentrales Anliegen der Reform gewertet werden. Von Guttenberg hatte den Kommissionen diesen Auftrag mit höchster Priorität vorgegeben. [10] Die Wehrpflicht stand diesem Ziel im Wege. Denn Wehrpflichtige dürfen im Ausland nicht eingesetzt werden. Außerdem binden sie unnütz Ausbildungs- und Kasernenkapazitäten. De Maizière machte darauf aufmerksam, „dass auf 60.000 Wehrpflichtige 15.000 bis 20.000 Ausbilder kommen.“ (FAS, 4.12.2011)

Die Zahl 11.000 muss aber durchaus nicht die Obergrenze sein. In der Bundeswehr dürfen Soldaten in der Regel nur vier von 24 Monaten im Einsatz sein, also in einem Sechstel der Zeit. Großbritannien beispielsweise hat den Richtwert 13 von 36 Monaten [11], also mehr als einem Drittel der Zeit. Würde auch die Bundeswehr diesen britischen Richtwert anwenden, würde sich die Zahl der eingesetzten Soldaten schlagartig von 11.000 auf 22.000 verdoppeln lassen. Dies beabsichtigt zurzeit keiner. Das würde auch mit einer Zunahme von PTBS, Alkoholismus und familiären Problemen erkauft werden, wie britische Studien zeigen.

Die Bundeswehr soll in den kommenden sechs Jahren von 330.000 Dienstposten (das sind Soldaten und Zivilpersonal zusammen) auf 230.000 bis 240.000 schrumpfen. Die verbleibenden 240.000 Dienstposten sind maximal 185.000 Soldaten und 55.000 Zivilbeschäftigte. 185.000 ist eine Höchstgrenze. Darin enthalten sind 167.500 Berufs- und Zeitsoldaten sowie mindestens 5.000, höchstens 15.000 Freiwillige, je nachdem, wie viele sich anwerben lassen. Im Bundeshaushalt 2012 sind 12.500 Freiwillige eingeplant. Dazu kommen noch 2.500 Wehrübungsplätze für 90.000 Reservisten im Jahr. Die Rolle der Reservisten wird zukünftig aufgewertet. Sie sollen verstärkt Freiwillige anwerben.

Der beabsichtigte Aderlass von 90.000 Dienstposten – immerhin ein Personalabbau bis zu 30 Prozent – ist ungleich verteilt. Die meisten Dienstposten verliert Bayern mit knapp 20.000 (19.700), gefolgt von Niedersachsen (10.800), Schleswig-Holstein (10.700), Baden Württemberg (9.700) und Nordrhein-Westfalen (9.600) mit jeweils um 10.000. 90 Standorte sollen um mehr als 50 Prozent des Personals oder um mehr als 500 Dienstposten reduziert werden. Nach Abschluss der Reform – spätestens 2017 - wird es noch 264 Standorte geben.

Unberührt von der Reform bleibt eine zweite Kategorie von Soldaten. Das sind jene insgesamt 50.000, die der EU und der NATO für deren schnelle Eingreiftruppen zugeordnet sind. 25.000 davon können gleichzeitig, aber maximal nur für sechs Monate eingesetzt, werden. [12]

De Maizière hat Gespräche mit Rüstungsfirmen aufgenommen. Er will zu viel bestellte Hauptwaffen nicht mehr haben und dafür eventuell andere Waffen kaufen. Wie werden sich diese Vorhaben und der beabsichtigte Personalabbau auf die Funktionsweise der Bundeswehr auswirken? Oder anders ausgedrückt, welche Rüstung wird beibehalten, welche auf- und welche abgebaut? Wofür könnten die Waffen eingesetzt werden? Beginnen wir im Weltraum.

Global Player

Im Weltraum ist die Bundeswehr zum Global Player geworden. Seit Ende 2008 hat das „Kommando Strategische Aufklärung“ der Bundeswehr das Satellitenaufklärungssystem SAR- Lupe für sich und den Bundesnachrichtendienst übernommen. SAR-Lupe basiert auf der Radartechnik und erlaubt eine vom Wetter und von der Tageszeit unabhängige präzise Erdbeobachtung weltweit. Objekte der Größe eines halben Meters sind damit identifizierbar. Jeder Punkt der Erde ist damit beobachtbar. Zwischen Bestellung und Lieferung von Bilddaten liegen meistens 19 Stunden. [13] Über die außerordentliche Bedeutung von SAR Lupe sagte der damalige stellvertretende Generalinspekteur Kühn: „Militärpolitisch bringt uns das in der satellitengestützten Aufklärung auf Augenhöhe mit anderen Staaten, im Radarbereich sogar in eine Spitzenposition.“ [14] Spitzenposition meint: Deutschland liegt vor den USA und wird damit zum Global Player. Diese nationale weltweite Aufklärungsfähigkeit aus dem Weltraum ist die Voraussetzung für die weltweite Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Daran werden keine Abstriche vorgenommen.

Die Luftwaffe

Der zentrale technologische Schlüsselbegriff für eine schlagkräftige Bundeswehr ist die so genannte Vernetzte Operationsführung. Sie dient dazu, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Das soll den entscheidenden Vorteil im Krieg bringen. Technisch bedeutet das: Alle Führungs- und Einsatzebenen verfügen gleichzeitig über dasselbe Lagebild auf ihrem Display. Entscheidend dafür sind Aufklärungsdaten, die zukünftig von Unbemannten Flugkörpern (UAV, Drohnen) geliefert werden sollen.

Großdrohnen
Die Einführung von Drohnen wird im offiziellen Sprachjargon der Bundeswehr als „Kristallisationspunkt für die Transformation in Bundeswehr und Luftwaffe“ (S&T, 11/05: 41) angesehen. Die Bundesregierung will sich sowohl am Drohnensystem der NATO, dem AGS, aktiv beteiligen als auch, unabhängig davon, Großdrohnen in nationaler Regie führen (Euro Hawk).

Die Bundeswehr will bis 2014 zunächst fünf Drohnen des Typs Global Hawk in den USA kaufen. Der Stationierungsort wird ab Sommer 2012 Jagel (Schleswig-Holstein). Die Drohnen haben eine Spannweite von etwa 40 Metern und sind damit größer als ein Airbus A 320. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Stéphane Beemelmans, sagt, damit sei die Bundeswehr „der erste Betreiber eines unbemannten Flugzeugs dieser Größenordnung in Europa und übernehme damit eine Vorreiterrolle“. (S &T, 11/11: 36) Die mit einem Radarsystem ausgestattete Langstrecken-Großdrohne Global Hawk kann binnen 24 Stunden ein Gebiet von der Größe Nordkoreas ausspionieren – und dies 5.500 km von seinem Startplatz entfernt. Global Hawk ist eine SIGINT-Drohne. SIGINT steht für Signals Intelligence, hört Funksprüche und Befehlscodes ab, kann über die Feststellung der Betriebsmodi der Radare auf den Einsatzbefehl der im Bild dargestellten Einheiten/Fahrzeuge/Systeme schließen [15]. Global Hawks sind in der Lage die gesamte Kommando- und Befehlsstruktur eines Landes auszuspionieren und zu analysieren. Die SIGINT-Technik wird nicht aus den USA bezogen, sondern von EADS eingebaut. Aus Global Hawks werden so Euro Hawks. Auch hier gibt es keine Abstriche. Darüber hinaus will man jedoch noch mehr Global Hawks in den USA kaufen. Statt sechs will man aber nur noch vier.

Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland an der NATO-eigenen luftgestützten Bodenbeobachtung (Alliance Ground Surveillance, AGS), das aus fünf Großdrohnen Global Hawk besteht, mit einem Anteil von 33 Prozent. Das System, das ab 2016 im italienischen Sigonella einsatzbereit sein soll, koste insgesamt 1,2 Milliarden Euro, könne „Einzelpersonen darstellen und Bewegungen über Zeiträume nachzeichnen.“ (FAZ 19.4.2012) EADS Deutschland soll eine führende Rolle bei der Entwicklung der Bodenstationen übernehmen.

Airbus A 400 M
Ein weiteres Schlüsselprojekt auf dem Gebiet der Luftwaffenrüstung sind die Transportflugzeuge des Typs Airbus A 400 M. Sie werden für den strategischen Lufttransport eigens so konstruiert, dass einer jeweils entweder zwei Kampfhubschrauber TIGER, einen Transporthubschrauber NH-90, einen Schützenpanzer PUMA, einen GTK BOXER oder 116 Soldaten mit Ausrüstung weltweit transportieren kann. Fallschirmspringer und Lasten können während des Fluges abgesetzt werden. Mit 30 Tonnen Zuladung fliegen die Airbusse 4.500 km am Stück, leer sogar 8.700 km weit [16]. Zehn Airbusse werden für die Luftbetankbarkeit ausgelegt, so dass sie nonstop um die Welt fliegen können. Als Start- und Landebahn genügen ein Kilometer Sand- oder Lehmpiste. Sie gelten als „Kampfzonentransporter“.

Ende 2012 sollten eigentlich planmäßig zwölf von insgesamt 60 Airbus A 400 M an die Bundeswehr ausgeliefert sein, um so eine vorläufige Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Jedoch sind aus technischen Gründen Verzögerungen eingetreten. Inzwischen hinkt die Produktion etwa vier Jahre hinter der Planung hinterher. Der erste Military-Airbus für die Bundeswehr ist für November 2014 vorgesehen. (FAZ, 8.11. 2010) Derzeit wird davon ausgegangen, dass die A 400 M „für logistische Zwecke nicht vor 2016 und für das operativ/taktische Einsatzspektrum unter Bedrohung nicht vor 2018 einsetzbar sein werden.“ (S&T, 6/11: 46) Die Verzögerungen wirken sich auf den Preis aus. Statt 19,2 Milliarden Euro würde die Herstellung der insgesamt 184 Maschinen rund 30,4 Milliarden kosten. (FAZ, 25.2.10) Nach langwierigen Verhandlungen hat man sich darauf verständigt, nur noch 170 Maschinen abzunehmen. Für die Bundeswehr heißt das: 53 statt 60. De Maizière will nur nun noch 40. Dreizehn sollen weiterverkauft werden. (FAZ, 26.1.11). Die Serienfertigung ist angelaufen. (S&T, 4/11: 6)

Kampfflugzeuge, Marschflugkörper
Ende Juni 2003 gingen die Eurofighter in Serienproduktion. Der Eurofighter ist ein britisch- deutsch-italienisch-spanisches Projekt. Bestellt sind 707 Stück, Mitte Oktober 2011 waren 300 davon hergestellt. (S&T, 11/11: 68) Bis zu 177 Maschinen soll die Bundeswehr in drei Tranchen bis 2015 erhalten. Bis Ende November 2011 sind etwa 70 Kampfflugzeuge an die deutsche Luftwaffe ausgeliefert. Die Herstellungskosten inklusive Bewaffnung für das deutsche Kontingent belaufen sich derzeit auf 23,3 Milliarden Euro. Fest bestellt sind bisher 140 Maschinen. Für die restlichen 37, das ist die Tranche 3 b, fehlen drei Mrd. Euro. Eine Entscheidung darüber, ob diese bestellt werden, müsste bis Mai 2012 fallen. De Maizière möchte auf diese Tranche verzichten. [17]

2002 hat die damalige (rot-grüne) Bundesregierung erstmals in der deutschen Militärgeschichte Marschflugkörper bestellt. Seit Ende 2010 verfügen Tornados und Eurofighter über 600 TAURUS. Der deutsch-schwedische Marschflugkörper kann, aus einer Entfernung von über 350 Kilometer vom einprogrammierten Ziel abgesetzt, mittels der 500 Kilogramm schweren Gefechtsladung noch vier Meter dicken Beton durchschlagen. Seine Aufgaben: Er soll „verbunkerte Führungsgefechtsstände, Fernmeldezentren, Versorgungseinrichtungen, Brücken, Flugzeuge am Boden, Flugplatzinfrastruktur und Luftverteidigungsstellungen präzise zerstören“ können (S&T, 1/11: 6). Offensichtlich handelt es sich bei TAURUS um eine Angriffswaffe. Die TAURUS sind beim Jagdbombergeschwader 33 in Büchel stationiert. (S&T, 12/11: 6)

Die Reform der Luftwaffe sieht vor, dass von den sieben Kampfflugzeuggeschwadern eins aufgelöst wird (Lechfeld / Untermeitingen) und die Divisionsebene wegfällt. Die Luftwaffe verliert 35 Prozent ihrer Soldaten.

Das Heer

Das Heer verliert 30 Prozent seiner Soldaten, bleibt aber stärkste Teilstreitkraft. Es wird künftig nur noch drei statt fünf Divisionen haben und nur noch neun statt bisher 12 Brigaden umfassen. Die Aufgaben der Division Luftbewegliche Operationen (DLO) und der Division Spezielle Operationen (DSO) werden zukünftig in nur einer Division unter dem Namen „Division Schnelle Kräfte“ zusammengefasst. Sie hat ihren Sitz im hessischen Stadtallendorf. Ihr sind die zwei Fallschirmjägerregimenter, das geheim operierende KSK und das TIGER-Regiment unterstellt. Hinzu kommen die beiden NH-90-Regimenter. Die TIGER sind ein deutsch-französisches Projekt der Firma Eurocopter. Beide Länder haben je 80 TIGER bestellt, wobei der Vertrag über die zweite Tranche (je 40 Ex.) noch nicht unterzeichnet ist. De Maizière möchte statt 80 nur noch 40 Kampfhubschrauber kaufen. Mitte September 2011 waren 20 TIGER ausgeliefert (S&T, 11/11: 31). Ab dem dritten Quartal 2012 ist für vier TIGER der Kampfeinsatz in Nord-Afghanistan geplant.

Die TIGER, die die kampfstärksten Hubschrauber überhaupt sind, können zusammen mit Infanteristen, die an Gleitschirmen einfliegen, eingesetzt werden. Diese Jägerbataillone, dessen Kern die TIGER bilden, werden so zu sagen aus dem Stand einsetzbar.

Die Transporthubschrauber NH-90 sind ein deutsch-französisch-italienisch-niederländisches Projekt. Insgesamt liegen für ihn 665 Bestellungen vor, davon für die Bundeswehr 134. Bis zum Jahresende 2012 sollen erst 28 NH-90 an die Bundeswehr ausgeliefert sein. (S&T, 12/11: 48) De Maizière will nur noch 80 NH-90. Damit sollen die beiden vorgesehenen NH-90-Regimenter ausgerüstet werden.

Während im Heer im großem Umfang Feldjäger- und Artilleriekapazitäten sowie zwei Kampfpanzerbataillone abgebaut werden, wird es im Infanteriebereich einen Zuwachs von drei Bataillonen geben. Infanteristen sind Jäger (vier Bataillone), Fallschirmjäger (drei Bataillone + ca. zwei Kompanien), Gebirgsjäger (drei Bataillone) und Panzergrenadiere (acht Bataillone) [18]. Das sind die Kampftruppen, die mit neuen A-400M weltweit schnell verlegt werden sollen. Sie sind im Stadt-, Orts- und Häuserkampf ausgebildet und sollen Aufstände niederschlagen oder unterstützen. Das werden etwa 11.000 Soldaten sein. 9.000 von ihnen werden ab 2012 mit dem Hightech-System „Infanterist der Zukunft – Erweitertes System“ (IdZ-ES) ausgerüstet. Diese Technik ermöglicht die Anbindung der Infanteriegruppe an die so genannte Vernetzte Operationsführung. Die „Infanteristen der Zukunft“ erhalten für den Stadt-, Orts- und Häuserkampf spezialisierte Kampffahrzeuge wie GTK BOXER oder Schützenpanzer PUMA. De Maizière will die Zahl der bestellten PUMA von 410 auf 350 senken, dafür aber mehr BOXER als die bestellten 272 anschaffen.

Die Marine

Die Marine soll im Zuge der Reform mit 15 Prozent den geringsten Personalabbau erfahren. Innerhalb der Bundeswehr wird sie damit relativ aufgewertet, bleibt aber die kleinste Teilstreitkraft. Eines der beiden Minengeschwader und das Schnellbootgeschwader werden stillgelegt. Um die deutsche Marinerüstung einzuordnen, hilft ein Blick auf die Globalstrategie der deutschen Marineführung. Kurz gesagt: Sie konzentriert sich auf fremde Küstengewässer und auf das Land dahinter. Der damalige Marineinspekteur Wolfgang Nolting drückte sich so aus: „Die See wird zu einem Wirkraum, der nicht mehr durch die unmittelbare Küstenlinie selbst begrenzt wird, sondern weit darüber hinaus ins Hinterland reicht, um so die Unterstützung von Landoperationen zu ermöglichen.“ Landkrieg von der See. Warum? Auch das erklärt der Marineinspekteur: „Über den möglichen Schutz ziviler Schifffahrt in gefährdeten Regionen hinaus, müssen wir die Weltmeere auch als größtes militärisches Aufmarsch- und Operationsgebiet begreifen. Nach Schätzung von Experten werden 2020 über 75 Prozent der Weltbevölkerung innerhalb eines nur 60 km breiten Küstenstreifens leben. Wir reagieren auf diesen Umstand, indem wir unsere Marine aktuell zu einer ‚Expeditionary Navy’ weiterentwickeln. Wir müssen Fähigkeiten entwickeln, die uns künftig die Teilhabe an teilstreitkraftgemeinsamen und multinationalen Szenarien bis in entfernte Randmeerregionen ermöglichen.“ (S&T, 4/07: 10)

Korvetten
Zu diesem Zweck wurden für die deutsche Marine fünf Korvetten hergestellt. Über sie ist im Weißbuch zu lesen: „Mit den Korvetten K 130 verbessert die Marine künftig ihre Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit. Diese Eingreifkräfte der Marine werden zur präzisen Bekämpfung von Landzielen befähigt sein und damit streitkräftegemeinsame Operationen von See unterstützen.“ (Weißbuch, S. 113). Die Korvetten haben Tarnkappeneigenschaften und sind jeweils mit vier Marschflugkörpern bestückt, die aus 250 Kilometer Entfernung (S&T, 11/11: 57) auch an Land treffen können. Sie fliegen in einem Meter Höhe über der Wasseroberfläche, sind extrem störsicher, können in Salven verschossen werden und ermöglichen damit der deutschen Marine sogar Überraschungsangriffe. Allerdings haben Konstruktionsfehler dazu geführt, dass sämtliche Korvetten-Getriebe ausgetauscht werden mussten. Und nun traten bei Erprobungsfahrten zusätzlich Probleme bei den Kupplungen auf so dass das Korvettengeschwader erst 2014 einsatzfähig sein wird. [19] Das bedeutet: sieben Jahre nach dem ursprünglichen Plan.

Das Nachfolgeprojekt Korvette K 131 ist zugunsten eines größeren Projekts aufgegeben worden.

Mehrzweckkampfschiffe
In Planung ist nunmehr eine komplett neue Kampfschiffklasse: das Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS 180) [20]. Es soll multifunktionale Aufgaben ausführen und weltweit einsatzfähig sein. Beabsichtigt ist die Herstellung eines nahezu universell einsatzfähigen „Arbeitspferdes“ („Schweizer Armeemesser“ für die Marine), das je nach Auftrag modular ausgerüstet wird. Das MKS 180 soll einen Hubschrauber und zwei senkrechtstartende Flugdrohnen sowie zwei Speedboote erhalten. Das Einsatzprofil soll dem der Fregatte F 125 entsprechen (siehe unten). Größenmäßig wird es zwischen Fregatte und Korvette angesiedelt. Die Marine gibt den Bedarf mit sechs MKS an. Ihr Stückpreis wird etwa beim Doppelten einer Korvette liegen. Derzeit wird von einer Unterzeichnung des Bauvertrags für 2016 und einer Indienststellung für 2019/2010 ausgegangen – vorausgesetzt es wird Geld dafür zur Verfügung gestellt. (S&T, 12/11: 58ff.)

Fregatten
Der Bundestag hat vier neue Fregatten des Typs F 125 in Auftrag gegeben, die mit je zwei Bordhubschraubern ausgerüstet u.a. auch für die weltweite Bekämpfung der Piraterie einsetzbar sein sollen. Diese 150 m langen Kriegsschiffe sind mit einer Einsatzverdrängung von 7.200 Tonnen die größte Fregattenklasse der Welt und aufgrund ihrer Größe und Rolle eigentlich im Bereich der Zerstörer anzusiedeln. [21] Komplett neu an diesen Fregatten für die deutsche Marine ist ihr Antriebssystem, das einen ununterbrochenen Aufenthalt von bis zu 24 Monaten (bisher bis zu 9 Monaten) auf See ermöglicht. Die F 125 lösen die acht Fregatten der Klasse F 122 ab, die mit einer Verdrängung von knapp 4.000 Tonnen wesentlich kleiner sind. Die F 125 haben Tarnkappeneigenschaften und sind auf Multifunktionalität ausgelegt. So werden außenbords vier eigens konstruierte Speed-Boote angebracht, mit denen bis zu 50 Spezialkräfte (Kampfschwimmer, Boardingsteams) von Bord gelassen werden können, um an Land zu gehen oder Schiffe zu entern. Über eine weitere Funktion der F 125 schrieb Marineinspekteur Nolting: „Eine Stärke liegt dabei in der Fähigkeit, Operationen in einem Einsatzland mit Waffenwirkung von See zu unterstützen.“ (S&T, 4/07: 14) Also: Beschuss von See aus an Land. Als Bewaffnung wurde dafür speziell ein Geschütz mit einer Reichweite von bis zu 23 km ausgewählt, dessen Reichweite auf bis 100 km ausbaufähig ist (Vulcano-Munition) [21]. Darüber hinaus können von den F 125 aus Landoperationen geführt werden. Am 2. November 2011 fand bei Blohm + Voss Naval in Hamburg die Kiellegung der ersten Fregatte statt. Die BADEN-WÜRTTEMBERG wird im März 2016 abgeliefert. (S&T, 6/11: 70) Die drei weiteren Fregatten sollen bis Dezember 2018 folgen. Der Stückpreis liegt bei 707 Mio. Euro. [22]

U-Boote
Die deutsche Marine verfügt über die kampfstärksten konventionell angetriebenen U-Boote der Welt. Von der Außenluft unabhängige Brennstoffzellen sorgen für den Antrieb, wodurch bis zu drei Wochen lange ununterbrochene Tauchfahrten um den halben Globus ermöglicht werden. Die U-Boote sind leiser als US-amerikanische Atom-U-Boote. Von Marinen außerhalb der NATO sind sie bisher nicht zu orten. Mit ihren 50 Kilometer weit reichenden Schwergewichtstorpedos SEEHECHT stellen sie damit eine strategische Waffe dar. Sie können nicht nur Überwasserschiffe versenken, sondern auch U-Boote. Zurzeit verfügt die deutsche Marine über vier dieser U-212. Zwei weitere sind in Bau und sollen bis Ende 2013 in Dienst gestellt werden. Bei U-Booten gibt es keine Abstriche.

Die Finanzen

Wir erinnern uns. Die Bundeswehrreform stand unter der Maßgabe, bis 2015 insgesamt 8,3 Mrd. Euro einsparen zu sollen.

Die Reform wirkt sich finanziell vor allem beim Personalhaushalt aus. Er verringert sich um 1,6 Milliarden Euro. Wer daraus den Schluss zieht, damit sei man auf dem besten Weg das Sparziel zu erreichen, sieht sich gewaltig getäuscht. Warum?

Die Planung bestand bisher darin, dass der Einzelplan 14, also der Verteidigungshaushalt, im Jahr 2014 auf 27,6 Mrd. Euro abgesenkt werden sollte. Die Planung hat man aufgegeben. Nun soll er 2015 bei 30,4 Mrd. liegen, also knapp drei Milliarden darüber. Statt bis dahin 8,3 Mrd. einzusparen, sollen sogar 300 Mio. Euro mehr ausgegeben werden. Aber der Einzelplan 14 ist nicht alles. Im Einzelplan 60 finden sich für 2012 zwei Posten, die Bundeswehrangehörigen zu Gute kommen. So werden hier eine Milliarde Euro für die Abfindung für ausscheidendes Zivilpersonal bereitgestellt. 450 Mio. Euro stehen darüber hinaus bereit für sämtliche Freiwilligen, die über die 5.000 hinaus angeworben werden. [23] Also muss zu dem Verteidigungshaushalt für 2012 in Höhe von 31,87 Mrd. bis zu 1,45 Mrd. addiert werden, so dass wir bei 33,32 Mrd. Euro landen - ein Plus von 1,77 Mrd. oder 5,6 Prozent gegenüber diesem Jahr.

Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall stellte deshalb mit Blick auf 2015 zur eigenen Zufriedenheit fest: „Insofern findet die Entwicklung sinkender Budgets in einigen westlichen Industriestaaten in Deutschland keine Entsprechung.“ [24]

Den Einspareffekt bei Beschaffungen und Betrieb durch die Umsetzung der „Streichliste“ beziffert das Ministerium für den Zeitraum 2011 bis 2015 auf knapp 3,4 Milliarden Euro. Wer nun denkt, das Geld wird tatsächlich eingespart, wenn de Maizière gut verhandelt, dem sei sein O-Ton empfohlen:

Er werde die Industrie vor zwei Möglichkeiten stellen: „Die eine Variante ist: Wir bezahlen, was bestellt ist, und stellen die Dinge, die wir nicht mehr brauchen auf den Hof: Dann können wir nichts Neues bestellen." Die zweite Variante, zu der de Maizière die Industrie zu überreden können glaubt, lautet: "Wir passen die Planungen an; die Mittel, die dadurch frei werden, können wir für neue Bestellungen nutzen." [25]

Sparen? Pustekuchen

Was erwartet uns? Die Bundeswehr wird auf eine flexibel einsetzbare und leistungsstarke Militärmaschinerie für den weltweiten Einsatz auch für wirtschaftliche Interessen gerüstet. De Maizière machte Ende Mai deutlich, dass er den Einsatz der Bundeswehr selbst in Pakistan, Jemen, Somalia und Sudan nicht ausschließen will. (FAZ, 27.5.11) Er geht künftig von mehr Bundeswehreinsätzen aus.

Wenn sich das Bestreben der NATO durchsetzt, künftig ohne UN-Mandat Krieg führen zu wollen, stehen wir vor mehr Kriegen, und einer Weltordnung, die auf dem Recht des Stärkeren und nicht auf der Stärke des Rechts beruht.

Sorgen wir mit dafür, dass es nicht dazu kommt. Wir würden damit nicht allein stehen. Nach einer repräsentativen Umfrage von Anfang Oktober wollen 42 Prozent, „dass die Bundeswehr künftig gar nicht mehr ins Ausland geschickt wird.“ [26]

Anmerkungen:
  1. Zur Person Dr. Reinhard Mutz: http://www.ifsh.de/ifsh/personal/m_mut.htm; Reinhard Mutz, in: Streitkräfte und Strategien, NDR-Info, 16.7.2011, S. 11, http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript267.pdf
  2. CDU/CSU Bundestagsfraktion, Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland, 6. Mai 2008, 13 Seiten, Seite 6, http://www.cdu.de/doc/pdfc/080506-beschluss-fraktion-sicherheitsstrategie.pdf
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Horst_K%C3%B6hler, abgelesen 4.12.2011
  4. Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung vom 26. November 1992 (Wortlaut) in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/1993, S. 1137 bis 1151, S. 1139
  5. Frankfurter Rundschau, 9.11.2010, Guttenberg macht den Köhler, http://www.fr-online.de/politik/guttenberg-macht-den-koehler,1472596,4819482.html
  6. Thomas de Maizière, 18.5.11, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2011/05/2011-05-18-de-maiziere-bw-neuausrichtung.html
  7. Vgl. Erhard Crome (Hrsg.), Die UNO und das Völkerrecht in den internationalen Beziehungen der Gegenwart, Oktober 2011, 96 Seiten
  8. Financial Times Deutschland, 28.10.11, http://m.ftd.de/artikel/60121934.xml?v=2.0
  9. Interview mit Vizeadmiral Axel Schimpf, 1.12.2011, http://www.marine.de/portal/a/marine/!ut/p/c4/NYq7CsJAEEX_aGZXBIOdIY1WEoQYuzEZwuA-wjDRxo93t_AeOM25-MBCorcsZJITBbzjOMnx-YFICvSyjUNgHOpvZphyYqs2TibFi5JlhTWrhVo21VJAZhyd71p3cP_5b3PdX26Db3bdue1xjfH0A-2q_4Y!/
  10. Vgl. Interview mit Viersterne-General Karl-Heinz Lather, Ex-Stabschef der NATO, als Mitglied der Weise-Kommission, 16. 10.2010, http://blog.rhein-zeitung.de/?p=12091
  11. Süddeutsche Zeitung, 3.8.2007, http://www.sueddeutsche.de/politik/studie-des-britischen-militaers-irak-veteranen-leiden-unter-alkoholismus-1.754183
  12. Es war mit der letzten Reform ein Pool von 70.000 Stabilisierungskräften angestrebt worden, was aber nur zur Hälfte umgesetzt werden konnte. Aus 35.000 Stabilisierungskräften wurden die 7.000 im Einsatz befindlichen Soldaten rekrutiert. Vgl. Hans Rühle, FAZ, 10.4.2011
  13. http://de.wikipedia.org/wiki/SAR-Lupe
  14. OHB Presse, 4.12.2008, https://www.ohb-system.de/pressemitteilungen-details/items/ohb-system-ag-sar-lupe-offiziell-an-kommando-strategische-aufklaerung-uebergeben.html
  15. http://de.wikipedia.org/wiki/Signals_Intelligence, abgelesen 4.12.2011
  16. http://de.wikipedia.org/wiki/Airbus_A400M, abgelesen 4.12.2011
  17. Eine Flugstunde des Eurofighters schlägt mit rund 74.000 Euro zu Buche. (DER SPIEGEL, 30.8.10)
  18. Bisher sind es 14 Bataillone + das Jägerregiment 1, welches wahrscheinlich aus einem Bataillon (Schwarzenborn) + drei Kompanien (Hammelburg) bestand. Die Kompanien sind aufgelöst, Schwarzenborn bleibt. D. h. eigentlich waren es bisher annähernd 16 Bataillone.
  19. Norddeutscher Rundfunkt, 20.6.2011, http://www.presseportal.de/print.htx?nr=2065764
  20. Christian Peters, Marinekampfschiff 180 (MKS 180), Marineforum 10/2011, 10 Seiten, http://www.deutscher-marinebund.de/mynews/files/mehrzweckkampfschiff.pdf
  21. http://en.wikipedia.org/wiki/F125_class_frigate
  22. Griephan-Briefe Nr. 26/09, 22. Juni 2009, S. 2
  23. Entwurf des Haushaltsgesetzes 2012 vom 12.8.2011, Drucksache 17/6600, 2670 Seiten, S. 2611
  24. Rheinmetall AG, Halbjahresfinanzbericht , 1. Halbjahr 2011, 31 Seiten, S. 8, http://www.rheinmetall.de/de/media/editor_media/rheinmetallag/group/publications_1/interimreports/rechtemarginalspalte_1/german_19/rheinmetall_q2_2011.pdf
  25. Das Parlament Nr. 37 – 38, 12.9.11
  26. Die Welt, 5.10.11, http://www.welt.de/politik/deutschland/article13642023/70-Prozent-zweifeln-am-Erfolg-in-Afghanistan.html
Verwendete Literatur:
  • Bundesminister der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien, 27. Mai 2011, 20 Seiten; VPR
  • Reinhard Mutz in: Streitkräfte und Strategien, NDR-Info, 16.7.2011, http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript267.pdf; Mutz
  • Interview mit Thomas de Maizière, „Die Armee ist kein gepanzertes Technisches Hilfswerk“, Internationale Politik November /Dezember 2011, S. 10-16; IP
  • Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Online Ausgabe, 25. 10. 2006, 149 Seiten; Weißbuch
  • Strategie & Technik, Mittler Report Verlag GmbH (Hg.), erscheint monatlich; S & T
Zeitungen:
  • FAS Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
  • FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
* Lühr Henken, Berlin, einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Beirat der Informationsstelle Militarisierung.
Das Manuskript beruht auf einem Vortrag beim Friedenspolitischen Ratschlag 2011 in Kassel.



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