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Bekommt nun Scharping mehr Geld oder nicht?

Winni Nachtwei (MDB-Grüne) sagt, wie es ist

Winni Nachtwei, den Besuchern der Kasseler "Friedensratschläge" und unserer Homepage wahrlich kein Unbekannter, schickte uns nachfolgende Stellungnahme zum Gerangel um Scharpings Militäretat. Wir gehen davon aus, dass die Angaben von Nachtwei korrekt sind, den neuesten Planungsstand wiedergeben und auch noch im Herbst, wenn im Bundestag endgültig über den Haushalt beraten und abgestimmt wird, Gültigkeit besitzen. In Anbetracht der Verwirrung über die in den Medien mitgeteilten Zahlen, die sich je nach Quelle und politischer Orientierung unterscheiden, ist die Klarstellung von Nachtwei verdienstvoll. Vielen Dank also dafür!

Dennoch: Die Kommentierung von Winni Nachtwei fällt allzu "ausgewogen" aus. Ein bisschen mehr erhält er, der Scharping, aber längst nicht so viel, wie er sich gewünscht hatte. Bei so viel "Druck" sei das doch letztendlich ein Erfolg, oder nicht? Und Nachtwei mutmaßt, dass Scharping erhebliche Probleme bei der Umsetzung der geplanten Bundeswehrreform bekommen wird. Vor allem die am Ende des Beitrag vorgestellten beiden Alternativen (Mehr Geld für die Reform oder kostengünstigere Reform mit einer Berufsarmee) können uns nicht überzeugen, weil es sich hierbei um keine echten Alternativen handelt. Als feste Größe bleibt nämlich - auch wenn Nachtwei das schamhaft verschweigt - die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee. Die wird viel Geld kosten - ob mit oder ohne Wehrpflicht. Die Alternative dazu kann nur heißen: Keine Angriffsfähigkeit der Bundeswehr! Winni Nachtwei, vielleicht solltest du dich einmal mit dem Appell der Friedensbewegung "Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen" vertraut machen? Aber vielleicht ist das für heute noch zu viel verlangt.


"Scharping bekommt mehr Geld" (FR) - "Scharpings Desaster" (ZEIT):
Was stimmt denn nun?

Einige Erläuterungen zum Wirrwarr um den Militäretat
von Winni Nachtwei


Am 13. Juni beschließt das Bundeskabinett den Entwurf des Bundeshaushalts 2002, der danach in die parlamentarischen Beratungen geht und im Spätherbst verabschiedet wird. Über die jetzt im sog. Chefgespräch (Schröder, Eichel, Scharping) erzielte Einigung zum Etat des Verteidigungsministers herrscht erhebliches Durcheinander in den Medienberichten, insbesondere den mit den Schlagzeilen transportierten Botschaften. Die alte Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP wirft der rotgrünen Regierung vor, dass die Bundeswehr finanziell ruiniert und Deutschland international kooperationsunfähig würde. Aus dem Umfeld von Friedensgruppen ertönt der Ruf, dass Rotgrün einen unvergleichlichen Militarisierungsschub betreibe. Beide alarmistischen Rundumschläge sind falsch. Wie so oft bei Zahlen kommt es auch hier auf die Bezugsgrößen an.

Finanzplanung200020012002200320042005
32. FiPl/199848,349,149,549,5--
33. FiPl/199947,346,846,545,7 --
34 .FiPl/2000 -46,846,545,745,7-
35. FiPl/2001--46,246,246,246,2


Darüber hinaus wurde Scharping im Juni 2000 vom Finanzminister in einer Ressortvereinbarung das Recht eingeräumt, Effizienzgewinne auf Grund höherer Wirtschaftlichkeit oder durch Senkung der Betriebskosten zu 100 % in seinem Haushalt zu belassen. Darüber hinaus erhielt er die Möglichkeit 80 % der Einnahmen (2001 max. 1 Mrd. DM; 2002 max. 1,2 Mrd. DM) aus der Veräußerung von beweglichem oder unbeweglichem Vermögen bzw. dem Verkauf von Grundstücken für den eigenen Haushalt zu verwenden. Normalerweise müssen diese Einnahmen zu 100% an das Finanzministerium abgeführt werden. Die endgültigen Regelungen, wie in den Folgejahren mit den Verkaufserlösen und Effizienzgewinnen umgegangen wird, erfolgt in den nächsten Tagen. Hier ist keine grundsätzliche Öffnung nach oben zu erwarten.

Mit anderen Worten: Die laut mittelfristiger Finanzplanung sinkende Linie des Plafonds fällt 2001 nochmals um 300 Mio., um danach stetig bei 46,2 Mrd. zu bleiben. Das ist ein Anstieg im Vergleich zum bisherigen Finanzplan (insgesamt 2 Mrd. in vier Jahren) und in der Tat eine Bevorzugung gegenüber anderen außen- und friedenspolitisch relevanten Ressorts. Das im Material- und Ausrüstungskonzept niedergelegte ambitionierte Rüstungsprogramm der Hardthöhe (bis 2015 mindestens 220 Mrd. DM) ist ohne weitere Einsparungen oder Änderungen vermutlich nicht realisierbar. Schon 2002 sind die vertraglich abgesicherten Vorhaben über rund 9,5 Mrd. DM mit den vorhandenen Haushaltmitteln nur mit Hilfe erheblicher Effizienzrenditen, Umschichtungen und Verkaufserlöse zu schaffen. Da die Verkaufserlöse und Effizienzgewinne zwar gewünscht und geplant, aber noch keineswegs realisiert sind, liegt es in der Verantwortung des Verteidigungsministers, Tempo und Umfang der von ihm vorgelegten Reform zu bestimmen.

Zusammengefasst:
Trotz des äußerst massiven - auch internationalen - Drucks auf die Bundesregierung, den Militäretat pro Jahr um ca. 3 Mrd. zu erhöhen, bleibt der jetzt angekündigte Anstieg des Verteidigungsetats begrenzt. Ob die von Verteidigungsminister Scharping durchgepeitschte Reform in der vorgelegten Art finanziert werden kann, haben wir von Anfang an bezweifelt. Der Verteidigungsminister hatte mehrfach öffentlich zugesichert, dass das auch finanziell machbar ist. Wenn nicht, dann gibt es in Zukunft, d. h. spätestens nach der nächsten Bundestagswahl, zwei Möglichkeiten:
  1. Aufhebung der Deckelung und massive Erhöhung des Etats. Dies würde den Verzicht auf die Konsolidierung des hochverschuldeten Bundeshaushaltes und eine einseitige Bevorzugung der Bundeswehr bedeuten.
  2. Beibehaltung der klaren Haushaltslinie und Einleitung der nächsten Stufe der Bundeswehrreform, die unseres Erachtens mit der deutlicheren politischen Klärung der Bundeswehraufgaben im Dienste kollektiver Sicherheit, mit einer deutlicheren personellen Reduzierung sowie dem zügigen Auslaufen der Wehrpflicht einhergehen muß.

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