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Macher oder Selbstdarsteller? Ein Jahr Verteidigungsminister zu Guttenberg

Ein Beitrag von Andreas Dawidzinski aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
In der kommenden Woche ist Karl-Theodor zu Guttenberg ein Jahr als Bun-desverteidigungsminister im Amt. Der 38-Jährige ist in den Medien präsent wie kein anderer Politiker. Doch kommt dies auch der Bundeswehr zugute? Schließlich haben die Streitkräfte seit Jahren Probleme. Es gibt einen riesigen Reformstau. Andreas Dawidzinski über den jungen Verteidigungsminister, der angetreten ist, die Streitkräfte zukunftsfähig zu machen:


Manuskript Andreas Dawidzinski

Bei Meinungsumfragen macht die Bundesregierung derzeit keine gute Figur. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist beim Wahlvolk populär, glänzt immer wieder bei Umfragen. Seit Monaten liegt er deutlich vor der Kanzlerin und allen anderen Kabinettsmitgliedern. Dass in seiner bisher knapp einjährigen Amtszeit nicht alles nach Plan verlief, hat ihm offenbar nicht geschadet. Dabei gilt das Verteidigungsministerium als ein besonders schwieriges Ministerium mit vielen Fallstricken - ein Amt, in dem bereits mehrere Minister gescheitert sind.

Zu Guttenberg hat jedoch bisher alle Klippen genommen. Wie keiner seiner Vorgänger hat er mit der längst überfälligen grundlegenden Neuausrichtung der Bundeswehr begonnen. Und dabei spart er auch bisherige Tabuthemen wie die Wehrpflicht nicht aus. Trotz erheblicher Widerstände in CSU und CDU ist es zu Guttenberg gelungen, in den Führungsgremien der Union die Aussetzung dieser Wehrform durchzusetzen. Das Aus für die Wehrpflicht - bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr wäre das noch undenkbar gewesen.

Zu Guttenberg – ein Pragmatiker, der, wenn er es für notwendig hält, auch Ideologien und nicht mehr zeitgemäße Grundsätze über Bord wirft. Gemessen an seinen Vorgängern sind die von dem CSU-Politiker in der Bundeswehr angeschobenen Veränderungen geradezu revolutionär. Denn inzwischen ist klar: für die Bundeswehr kann es kein „Weiter so“ geben. Und Verteidigungsminister zu Guttenberg scheut sich nicht, dies öffentlichkeitswirksam auszusprechen – auch wenn viele seiner Kabinetts- und Parteikollegen das nicht hören wollen. Jahrelang war die Landesverteidigung zentrale Aufgabe der Bundeswehr. Doch mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation haben sich die Prioritäten geändert. Seit Jahren wird die Bundeswehr zu einer Einsatz- bzw. Interventionsarmee umgebaut. Die bisherigen Ergebnisse sind allerdings äußerst bescheiden, wie zu Guttenberg zu Recht immer wieder moniert, beispielsweise in der Haus-haltsdebatte im vergangenen Monat:

O-Ton zu Guttenberg
„Es geht um Strukturen und um eine verbesserte Leistungsfähigkeit. Wir müs-sen uns verbessern. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass wir bei einer derzeitigen Stärke von 252.000 Soldatinnen und Soldaten gerade einmal 7.000 in den Einsatz schicken können. Dass wir dann schon über Kante genäht sind, steht uns im internationalen Vergleich nicht gut zu Gesicht.“

In der Tat kein Ruhmesblatt für die deutschen Streitkräfte. Der Grund: Jahre-lang wurden längst überfällige Weichenstellungen in der Bundeswehr verzö-gert, aufgeschoben oder nur halbherzig angegangenen. Es wurde zwar viel von der Transformation der Bundeswehr gesprochen. In Wirklichkeit herrschte aber in vielen Bereichen Stillstand. Das weiß auch zu Guttenberg. Oft genug hat er auf Fehler und Versäumnisse hingewiesen, insbesondere während der Amtszeit von Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Wenn zu Guttenberg aber Verbündete braucht und es ihm geboten erscheint, dann hört man von dem CSU-Politiker plötzlich auch ganz andere Töne. Dann haben seine Vorgänger auf einmal die Voraussetzungen für die jetzt anstehende große Bundeswehr-Reform geschaffen:

O-Ton zu Guttenberg
„Ich darf an dieser Stelle sagen, dass es sich um eine Reform handeln wird, die logisch auf mutigen Vorarbeiten und auf mutigen Schritten meiner Vorgänger aufbaut. Ich umfasse hierbei sowohl meinen Amtsvorgänger Franz Josef Jung als auch die Kollegen Struck, Scharping und Rühe. Ich möchte hierfür danken, weil große und mutige Schritte gegangen wurden.“

Karl-Theodor zu Guttenberg als Taktiker. Dabei hat er unmittelbar nach seinem Amtsantritt Schluss gemacht mit der Nebelwerferei seines Vorgängers. Franz Josef Jung hatte es regelmäßig abgelehnt, den Konflikt in Afghanistan als Krieg zu bezeichnen. Zu Guttenberg dagegen wollte der Öffentlichkeit reinen Wein einschenken:

O-Ton zu Guttenberg
„Das Problem ist (nur), dass wir die Realitäten allzu oft verschwiegen haben was Afghanistan anbelangt. Wir müssen sehr viel deutlicher werden; die Men-schen verstehen in unserem Land sehr viel besser, was sich dort abspielt als wir es politisch gelegentlich kommuniziert haben.“

Zu Guttenberg sprach schließlich aus, was sein Vorgänger vermied und nicht wahrhaben wollte. Den CSU-Politiker störte die Diskrepanz zwischen Realität und der politischen Debatte in Deutschland:

O-Ton Guttenberg
„Wir müssen auch das Realitätsempfinden der Soldaten mit einbeziehen. Das ist der Grund, der mich zu der Begrifflichkeit zunächst kriegsähnlich und dann Krieg gebracht hatte, weil man darauf aufbauend letztlich erst Rückschlüsse ziehen kann, was ist tatsächlich nötig… dass man… auch möglicherweise bessere Ausrüstung auch für das Gefecht braucht ... das ist etwas ... wo man trotzdem sich der Realität zu stellen hat und nicht dem Wunschtraum.“

Das kam bei den Soldaten insbesondere in Afghanistan gut an. Dort fühlten sich viele schon lange von der politischen und militärischen Führung im Stich gelassen. Mit der Verschärfung der Lage vor allem in Kundus wurde der Ruf bereits unter Verteidigungsminister Jung nach schwerem Gerät immer lauter. Doch bereits auf der höheren militärischen Führungsebene in Deutschland hatten solche Forderungen keine Chance. Vorauseilender Gehorsam, wie mancher resignierend feststellte. Denn für Verteidigungsminister Jung und Generalinspekteur Schneiderhan war der Afghanistan-Einsatz eine Stabilisierungsmission. Das passte nur schwer zusammen mit der Verlegung von schweren Kriegswaffen.

Zu Guttenberg machte Schluss mit diesen aus seiner Sicht falschen Rücksichtnahmen. Der Verteidigungsminister bei seinem Besuch im Frühjahr in Afghanistan:

O-Ton zu Guttenberg
„Für Kundus war das die Entscheidung zur Panzerhaubitze, zu TOW, noch zu dem (einen) oder anderen Marder, der dort von Nöten sein wird - einfach um auch deutlich zu machen, dass man dort Handlungsfähigkeit hat und dass man die Möglichkeiten schafft, seinem Auftrag auch nachkommen zu können.“

Das kam in der Truppe gut an. Die Soldaten sahen sich im afghanischen Kundus schon lange im Krieg – ein Zustand, den die politische und militärische Führung in Berlin aber lange nicht wahrhaben wollte. Ein Kompaniechef:

O-Ton Kompaniechef
„Er spricht uns, glaube ich, aus der Seele. Er hat deutlich angesprochen, dass sich die Lage hier geändert hat. Er hat Respekt für uns ausgesprochen, eine Sache, die wir sehr deutlich und sehr oft vermissen. Das haben meine Solda-ten und nicht zuletzt ich selbst auch schon häufiger zum Ausdruck gebracht.“

Für viele Soldaten war das aber nur ein Anfang. Sie wollen mehr: Insbesondere nach den schweren Gefechten mit Aufständischen am Karfreitag. Damals starben drei Bundeswehr-Soldaten:

O-Ton Bundeswehr-Soldat
„Was schön wäre, wenn man solche Situation hat, wie es vor kurzem war, dass man vielleicht mehr Unterstützung aus der Luft hätte: Sprich durch Hubschrauber, Kampfhubschrauber. Nicht um jetzt anzugreifen, sondern um einfach mal von oben da rein zu schauen, wie viel Leute sind da drin sind, wer ist da drin, sind da Zivilisten drin.“

Bereits unmittelbar nach Amtsantritt versuchte zu Guttenberg, ein klares Signal zu geben: Dass die Bundeswehr-Soldaten bei ihrem schwierigen Einsatz in Afghanistan die Rückendeckung der Politik haben. So verteidigte er mit Nachdruck den von Oberst Klein am 4. September vergangenen Jahres angeforderten Luftangriff bei Kundus auf zwei gekaperte Tanklaster. Der damalige Generalinspekteur Schneiderhan hatte den umstrittenen Luftschlag, bei dem mehr als 100 Menschen, darunter auch Zivilisten, getötet worden sind, als „militärisch angemessen“ bezeichnet - obwohl der Bundeswehr-Oberst gegen ISAF-Einsatzrichtlinien verstoßen hatte. Die Stellungnahme des erfahrenen Schneiderhan war eine Gratwanderung und der Versuch einer Schadensbegrenzung. Der junge Verteidigungsminister, gerade einmal einige Tage im Amt und in Kenntnis des geheimen ISAF-Untersuchungsberichts, behauptete dagegen Anfang November forsch und selbstbewusst:

O-Ton Guttenberg
„Ich darf allerdings auch sagen, dass ich nach meiner Einschätzung zu dem Schluss komme: Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen.“

Eine Aussage, die bereits damals bei Beobachtern für Verwunderung sorgte. Bis heute wird gerätselt, wie zu Guttenberg zu dieser Einschätzung gekommen ist. Den Kundus-Untersuchungsausschuss ließ zu Guttenberg wissen, er habe sich in einem Telefongespräch mit dem damaligen Generalinspekteur „auf diese Linie und den konkreten Wortlaut verständigt“. Der im vergangenen Jahr von zu Guttenberg entlassene General Schneiderhan bestreitet das.

Der Verteidigungsminister musste schließlich bei seiner Bewertung des Luft-schlages einen Rückzieher machen. Am 3. Dezember räumte zu Guttenberg im Bundestag ein, der Luftangriff bei Kundus sei militärisch nicht angemessen gewesen:

O-Ton Guttenberg
„Nachdem ich – ohne juristische Wertung, das ist mir wichtig – meine Beurtei-lung diesbezüglich, rückblickend mit Bedauern korrigiere, korrigiere ich meine Beurteilung allerdings nicht betreffend meines Verständnisses bezüglich Oberst Klein. Das ist der Grund - das sage ich auch an dieser Stelle, - weshalb ich Oberst Klein nicht fallen lassen werde. (Das würde sich nicht gehören.“)

Und zu Guttenberg hat Wort gehalten. Trotz der Verstöße gegen ISAF-Einsatzregeln hat es gegen den Oberst kein Disziplinarverfahren gegeben – vor diesem Hintergrund eigentlich keine Überraschung mehr, aber trotzdem ist dieser Schritt verwunderlich. So jedenfalls die Einschätzung hoher deutscher NATO-Offiziere. Schließlich wäre es bei Beachtung der Einsatzregeln nicht zu dem verheerenden Luftangriff gekommen.

Fallengelassen hat zu Guttenberg dafür Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert – beide seit Jahren quasi die grauen Eminenzen im Ministerium. Sie hätten ihm Dokumente über den Luftschlag vorenthalten, so der Vorwurf. Für die Oppositionsparteien ein Versuch des CSU-Politikers, um von der eigenen Fehleinschätzung des Luftangriffs bei Kundus abzulenken. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold:

O-Ton Arnold
„Der Minister hat vorschnell die beiden in die Wüste geschickt. Er weiß das auch inzwischen selbst und hat nachgelagert eine Reihe Argumente gesucht, um dies begründen zu können.“

In der Truppe ist zu Guttenberg äußerst beliebt. Im Verteidigungsministerium selbst sieht das etwas anders aus. Dort hat er durch die Umstände der Entlas-sung des Generalinspekteurs an Ansehen verloren. Sicher nicht ganz überra-schend. Denn der weitsichtig denkende Wolfgang Schneiderhan wurde im Ministerium sehr geschätzt. Er prägte mehr als sieben Jahre die Geschicke der Bundeswehr. Länger amtierte bisher kein Generalinspekteur. Unter dem farblosen und entscheidungsschwachen Verteidigungsminister Jung kam Schneiderhan für die Entwicklung der Bundeswehr eine Schlüsselrolle zu. Und Schneiderhan wusste diese Situation zu nutzen.

Schwer vorstellbar, dass der machtbewusste, ambitionierte und forsche Vertei-digungsminister zu Guttenberg den von ihm angestrebten radikalen Umbau der Bundeswehr zusammen mit dem alten Generalinspekteur auf den Weg gebracht hätte. Denn viele Strukturen, die von dem CSU-Politiker für nicht mehr zeitgemäß gehalten werden, gehen auf Schneiderhan zurück. Beispielsweise die Einteilung der Bundeswehr in Einsatz-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte.

In der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr gab zu Guttenberg im Mai die neue Marschrichtung für die Bundeswehr der Zukunft vor. Die Rede war für viele Offiziere ein Schock. Denn jahrelang gültige Annahmen wurden auf einmal von dem 38-jährigen Minister in Frage gestellt, beispielsweise die Wehrpflicht. Außerdem kündigte der Verteidigungsminister ganz freimütig an, dass sich auch die Bundeswehr den Sparzwängen unterwerfen werde. Dabei herrschte im Offizierskorps schon seit Jahren Konsens darüber, dass die Streitkräfte unterfinanziert seien. Doch in der Führungsakademie betonte zu Guttenberg die zentrale Rolle der Finanzen für die weitere Entwicklung der Streitkräfte:

O-Ton Guttenberg
„Der mittelfristig höchste strategische Parameter, quasi als Conditio sine qua non, unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet werden muss, ist die von mir schon apostrophierte Schuldenbremse, ist das globalökonomisch gebotene und im Verfassungsrang verankerte Staatsziel der Haushaltskonsolidierung, ein Ziel, das uns immer mittelbar wie unmittelbar auch trifft.“

Die Schuldenbremse bestimmt also den Finanzrahmen der Streitkräfte. In Hamburg sprach zu Guttenberg daher von einer Paradigmen-Umkehr. Auf den Punkt gebracht: Künftig bestimmen die vorhandenen finanziellen Mittel Auftrag, Aufgaben und Fähigkeiten der Bundeswehr:

O-Ton Guttenberg
„Der Anspruch ‚Cost to Design‘, also den strukturellen Rahmen seitens der Exekutive vorzugeben und anschließend zu finanzieren, wird völlig illusionsfrei durch die Realität des ‚Design to Cost‘ bestimmt werden, also der Finanzrahmen wird den strukturellen Rahmen und damit auch das eigene Anspruchsniveau, den ‚level of ambition‘, vorzugeben drohen.“

Deutliche Worte also in der Führungsakademie, der höchsten Ausbildungsstätte der Bundeswehr. Erstaunlich allerdings, dass zu Guttenberg heute den Vorwurf der Opposition zurückweist, Sicherheitspolitik nach Kassenlage zu betreiben. Der Bundesverteidigungsminister im vergangenen Monat nach der Unterrichtung des Verteidigungsausschusses über die geplante Verkleinerung der Bundeswehr vor dem Hintergrund der Sparbeschlüsse der Bundesregierung:

O-Ton Guttenberg
„Die Vorgaben des Bundeskabinetts sind ambitioniert. Es war mein Auftrag auszuarbeiten, was das bedeutet für die Bundeswehr, für die künftigen Strukturen. Und vor diesem Hintergrund haben wir eine sicherheitspolitische Analyse anzulegen gehabt, und die Bundeswehr nicht nach Kassenlage zu gestalten, sondern nach den sicherheitspolitischen Herausforderungen.“

Ein schwieriges Unterfangen, denn bis 2014, soll die nach eigenen Angaben unterfinanzierte Bundeswehr 8,3 Milliarden Euro einsparen, so der Auftrag des Bundeskabinetts. Auch mit der angestrebten Reduzierung von 250.000 auf bis zu 163.500 Soldaten wird diese Vorgabe nicht zu erreichen sein.

Das von Generalinspekteur Wieker hierzu im Sommer vorgelegte 50 Seiten starke Papier enthält mehrere Modelle, wie eine verkleinerte Bundeswehr aus-sehen könnte. Erläutert werden die Vor– und Nachteile von insgesamt fünf Vorschlägen. Als eine Sicherheitsanalyse kann man das Papier im strengen Sinne daher nicht bezeichnen. Denn die jeweils aufgeführten Strukturen wer-den nicht abgeleitet aus einer Analyse der sicherheitspolitischen Interessen und Aufgaben Deutschlands. Der offizielle Titel des Dokuments lautet zudem: „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010.“

Der Auftrag des Kabinetts war zu klären, welche Auswirkungen eine Reduzie-rung von 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten auf die Bundeswehr hat. Und redu-ziert werden soll die Zahl, um Mittel einzusparen.

Obwohl der Verteidigungsminister den Umbau der Bundeswehr zunächst vor allem mit den nicht mehr vorhandenen Finanzmitteln begründet hat, versucht er inzwischen, die Reduzierung der Streitkräfte in der Öffentlichkeit sicherheitspolitisch zu erklären:

O-Ton Guttenberg
„Ich habe zunächst einmal den Auftrag gehabt, die Bundeswehr sicherheitspolitisch für die Gegenwart und für die Zukunft zu begründen. Das habe ich getan. Darüber lassen sich auch gewisse Effizienzeffekte erzielen, aber am Ende darf nicht die Kassenlage entscheidend sein.“

Kein Wunder. Denn zu Guttenberg benötigt für die große Bundeswehr-Reform noch die Zustimmung der CSU- und CDU-Parteitage Ende des Monats bzw. im November. Insbesondere die Aussetzung der Wehrpflicht ist in der Union umstritten. Doch dem Taktiker zu Guttenberg ist es gelungen, die Spitzengremien der beiden Parteien auf seine Seite zu ziehen. Selbst CSU-Chef Seehofer blieb letztlich nichts anderes übrig, als seinen Widerstand aufzugeben. Der CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich im vergangenen Monat:

O-Ton Friedrich
„Da gibt es Argumente auszutauschen, aber insgesamt glaube ich, eine klare Tendenz, dass auch als richtig zu erkennen, was der Minister hier vorgetragen hat.“

Zu Guttenberg hat also das Kunststück geschafft, die Unionsspitzen für seine radikale Bundeswehr-Reform zu gewinnen. Allerdings ist über den Gesamtumfang der neuen Bundeswehr noch nicht das letzte Wort gesprochen. Der Verteidigungsminister sieht die von ihm vorgeschlagenen 163.500 Soldaten als unterste Grenze. Es könnten also auch einige Tausend mehr werden.

Welche genaue Stärke die Bundeswehr demnächst auch haben wird: mit der Verkleinerung der Streitkräfte müssen viele der rund 400 Standorte geschlos-sen werden, schon aus wirtschaftlichen Gründen. Bei seinem Auftritt in der Führungsakademie vor fünf Monaten machte er den betroffenen Regionen nicht allzu viel Hoffnungen:

O-Ton Guttenberg
„Regionalpolitische Gesichtspunkte, die mit voller Wucht einschlagen können, mit voller Wucht, werden dabei leider kaum prioritär sein können. Die Belegungsdichte pro Standort wird weiter zu heben sein, Standorte unter einer gewissen Anzahl an Dienstposten müssten per se als minder wirtschaftlich einzuordnen sein und nur bei zwingender militärischer Funktionalität zu begründen sein. Die Reorganisationskosten dürfen im Einzelfall mittelfristig die Kosten des Status quo nicht übersteigen.“

Mittlerweile sind vom Verteidigungsminister aber etwas andere Töne zu hören. Auch hier offenbar eine Neubewertung. Die Bundeswehr soll nun weiterhin in der Fläche präsent sein. Zu Guttenberg kürzlich in Rostock:

O-Ton Guttenberg
„Ich hab auch noch einmal darauf hingewiesen, dass es mit mir keine Ober-grenze geben wird nach dem Rasenmäher-Prinzip, alles was beispielsweise unter einer gewissen Zahl x fällt, würde dann wegfallen. Davon halte ich überhaupt nichts. Es wurde ja auch schon mal kolportiert. Es kann durchaus sein, dass es künftig auch weiterhin kleinere aber auch größere Standorte gibt. Das ist natürlich dann von sehr unterschiedlichen Maßgaben abhängig.“

Bürgermeister und Kommunalpolitiker nehmen solche Worte begierig auf, set-zen darauf, dass Bundeswehr-Standorte in ihrer Region nicht geschlossen werden. Möglicherweise eine falsche Hoffnung.

Der Politprofi zu Guttenberg ist flexibel, weiß mit neuen Situationen umzuge-hen. Ihm gelingt es dabei, Pannen und Fehleinschätzungen oder Widersprüche schnell vergessen zu machen. Sein Image bleibt makellos. Karl-Theodor zu Guttenberg gilt vielen Konservativen als der neue Hoffnungsträger der Unionsparteien, weil er nach außen Prinzipienfestigkeit und Reformbereitschaft wie kein anderer miteinander verbindet. Einer, der Probleme frühzeitig erkennt und zu lösen versucht, und sie nicht aussitzt. Dabei scheut er auch keine Konflikte. Das bekommt nach dem Debakel um das Transportflugzeug A400M und den Transporthubschrauber NH90 zurzeit beispielsweise die Rüstungsbranche zu spüren. Der CSU-Politiker meidet den Kontakt mit den Bossen der Rüstungskonzerne, lässt sich anders als seine Vorgänger auf ihren Veranstaltungen nicht blicken – sehr zum Verdruss der Branche.

Zu Guttenberg hat der verkrusteten Bundeswehr die größte Reform ihrer Ge-schichte verordnet – in erster Linie aufgrund von Sparzwängen. Ob der Umbau gelingen wird, ist keineswegs sicher. Denn Reformen gibt es nicht zum Nulltarif. Eine sogenannte Anschubfinanzierung ist allerdings nicht in Sicht. Im Gegenteil. Mit der Reform sollen bereits in den nächsten Jahren insgesamt rund 8 Milliarden Euro eingespart werden. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Das weiß auch zu Guttenberg. Vielleicht muss er sich mit den Konsequenzen der Neuausrichtung der Streitkräfte auch nicht herumschlagen. Möglicherweise ist für den CSU-Politiker das Amt des Verteidigungsministers nur eine weitere Zwischenstation einer steilen Politiker-Karriere. Zu Guttenberg als Reserve-Kanzler? Der Senkrechtstarter will davon allerdings nichts wissen. Karl-Theodor zu Guttenberg in der vergangenen Woche im ZDF:

O-Ton Guttenberg
„... und da wäre es völlig anmaßend, über Dinge nachzudenken, über die manche in bizarren Gedankenwelten gerade nachdenken.“

* Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 25. Oktober 2010; www.ndrinfo.de


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