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"Hoffentlich hat der Spuk bald ein Ende"

Enorme Resonanz auf offenen Brief von Doktoranden zum Guttenberg-Skandal. Gespräch mit Johannes Staemmler


Johannes Staemmler ist Doktorand der Freien Universität Berlin und der Hertie-School of Governance.

Sie gehören einer Gruppe von Wissenschaftlern und Doktoranden an, die in einem Offenen Brief dagegen protestieren, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) trotz seiner gefälschten Doktorarbeit im Amt halten will. Hat Sie die Resonanz auf Ihren Internetaufruf überrascht?

Sehr sogar. Wir gingen anfangs davon aus, daß die Gruppe der Wissenschaftler, wissenschaftlichen Mitarbeiter und der Professoren in diesem Land eigentlich recht klein ist.

Was war denn der Auslöser für Ihre Initiative?

Nach dem empörenden Auftritt zu Guttenbergs in der Aktuellen Stunde am Mittwoch war unser Frust so groß, daß wir beschlossen haben, uns zu Wort zu melden. Ich wurde per E-Mail gefragt, ob ich mitmachen wolle und habe sofort zugesagt.

Wir sind eine Kerngruppe von sechs, sieben Leuten und haben etwa 24 Stunden gebraucht, um unseren Offenen Brief zu formulieren und untereinander abzustimmen. Am Donnerstag wurde er dann ins Internet gestellt. Die Resonanz war gleich sehr ermutigend, aber nachdem dann am Sonntag abend die ARD-Tagesschau darüber berichtet hatte, ging richtig die Post ab.

Gibt es auch negative Reaktionen auf die Initiative, etwa von Guttenberg-Fans?

Die gibt es durchaus. Verglichen mit dem enormen Zuspruch, den wir bekommen, hält sich das aber in Grenzen. Es gibt allerdings auch andere Kritik an unserer Initiative, die sich etwa in der Frage äußert, warum sich dieser Brief auf Doktoranden und Wissenschaftler konzentriert und nicht im Namen aller verfaßt wurde.

Und was antworten Sie auf diese Frage?

Die Debatte um Ehrlichkeit in der wissenschaftlichen Arbeit berührt uns persönlich – wir bangen durchaus um unsere eigene Zukunft. Die sehen wir nämlich gefährdet, wenn das Erschwindeln von Doktorarbeiten so bagatellisiert wird, wie das im Moment von seiten der Guttenberg-Unterstützer geschieht. Es geht auch nicht nur um die Wissenschaft alleine – auch in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen ist Redlichkeit eine unabdingbare Voraussetzung.

Wie sind Sie technisch vorgegangen?

Wir haben eine rudimentäre Internetstruktur aufgebaut: eine Facebook-Seite, einen Twitter-Account und eine Homepage. Mit diesem Besteck sind wir bisher sehr erfolgreich. Die Zahl der Zugriffe nimmt fast exponentiell zu – gestern morgen hatten wir 20000 Unterstützer, vier Stunden später schon 30000.

Sie wollten die Unterschriften beim Bundeskanzleramt abgeben. Wie war die Reaktion?

Wir haben zwei Anläufe dafür gebraucht. Der erste war in der Nacht zum Montag, weil wir der Kanzlerin die Möglichkeit geben wollten, den Brief zur Kenntnis zu nehmen, damit sie sich gleich morgens öffentlich dazu äußern kann. Das ging aber schief – das Bundeskanzleramt hat nämlich keinen Briefkasten, und der Pförtner war nicht befugt, Briefe entgegen zu nehmen. Um 9.00 Uhr waren wir dann erneut da und haben den Brief mit 20000 Unterschriften ordungsgemäß in der Poststelle abgegeben.

Planen Sie weitere Aktionen oder wollen sie es erstmal bei diesem Offenen Brief bewenden lassen?

Wir wollen erst einmal das Potential unserer Internet-Initative auschöpfen und die Ergebnisse öffentlichkeitswirksam umsetzen, soweit wir das können. Allerdings sieht es so aus, daß wir mit unseren Möglichkeiten schon jetzt an unsere Grenzen stoßen. Welche Konsequenzen letztlich aus diesem Brief und seiner Wirkung auf die Öffentlichkeit gezogen werden, werden wir sehen. Es wird sicher Leute oder Initiativen geben, die das mit anderen Protestformen weiterentwickeln.

Mittlerweile ist auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) auf Distanz zu Guttenberg gegangen, sie sprach von »Scham« ...

Sie muß offenbar einen großen inneren Konflikt mit sich auskämpfen – als Wissenschaftlerin schämt sie sich, als Ministerin bleibt sie stumm. Das wäre fast eine psychologische Untersuchung wert, wie man das aushalten kann.

Wie lange geben sie dem entdokterten Freiherrn noch?

Hoffentlich wird der Spuk bald ein Ende haben – wir können aber keine Prognose darüber abgeben, wann er zurücktritt oder aus seinem Amt entlassen wird.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 1. März 2011


Der Zweifel nagt weiter

In die Kritik an Minister Guttenberg mischen sich erste Rücktrittsforderungen

Von Uwe Kalbe **


Langsam wendet sich das Blatt. Nicht mehr ob, sondern wie lange sich Bundesverteidigungsminister Guttenberg noch in seinem Amt halten mag, bestimmt nun die Debatten.

Bis jetzt glaubt der Verteidigungsminister, auch nach erwiesenen Plagiatsvorwürfen auf den Sympathiebonus der Bevölkerung bauen zu können. Er habe den Überblick verloren, als er seine Doktorarbeit schrieb, räumte er ein – welcher Zeitgenossen hätte da kein Verständnis? Einen Vorsatz, also Betrugsabsichten bestreitet zu Guttenberg hingegen. Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg ist ein Mann mit langem Namen, aber von kurzen Entschlüssen. Seinen Titel gab er so kurzentschlossen zurück, wie er nach Amtsantritt Ende 2009 Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert entließ, als ihm seine ersten Äußerungen über einen folgenschweren Zwischenfall am Kundus-Fluss in Afghanistan mit zahllosen Toten auf die Füße zu fallen drohten.

In seiner Absicht, alle Vorwürfe mitsamt der Doktorarbeit zu den Akten zu legen, sieht Guttenberg sich von seiner Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel gedeckt, die bekundete, ihn ja nicht als Wissenschaftlichen Assistenten eingestellt zu haben. Was den Fraktionsvize der LINKEN im Bundestag Dietmar Bartsch zur Bemerkung veranlasste, dann könne Guttenberg künftig auch alkoholisiert Auto fahren, denn als Fahrer habe ihn Merkel ja auch nicht eingestellt. Vor allem bei Zeitgenossen, die die Mühsal wissenschaftlicher Arbeit kennen, ruft der Vorgang weniger Belustigung als Empörung hervor. In einem offenen Brief, dem inzwischen 20 000 Personen mit ihrer Unterschrift per Internet Gewicht verliehen haben, heißt es: »Durch die Behandlung der Causa Guttenberg als Kavaliersdelikt leiden der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Land der Ideen.« Der Initiator, Politologe Tobias Bunde von der Universität Konstanz, erklärte im dort erscheinenden »Südkurier«: »Wenn Guttenberg zum Beispiel wird, können wir hier dichtmachen.«

Nicht nur Bunde nimmt das Wort »Entlassung« im Fall von Guttenberg ohne Zögern in den Mund. Inzwischen hat auch ein FDP-Politiker, nämlich der forschungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Martin Neumann, eine Art Rücktrittsempfehlung gegeben. »Eine, maximal zwei Wochen« solle man Guttenberg noch geben, um die Plagiats- und Täuschungsvorwürfe aus der Welt zu schaffen. »Wenn er die Umstände seiner Promotion weiter so im Unklaren lässt, halte ich ihn als Minister und obersten Dienstherren von zwei Bundeswehruniversitäten nicht mehr für tragbar«, so Neumann gegenüber der »Financial Times Deutschland«.

Dass jemand aus den Reihen des Koalitionspartners solche Ultimaten stellt, ist problematisch. Doch zuvor soll bereits Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ähnlich argumentiert haben. Gegenüber SPD-Parlamentariern sprach er angeblich von einem »Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie«. CSU-Chef Horst Seehofer nannte Lammerts Bemerkungen am Montag »unangemessen«, wie dpa meldete. Die Partei stehe »geschlossen zu ihrem Minister«. Ähnlich überzeugend klang die Kanzlerin, als sie nach Aberkennung des Doktorgrades durch die Uni Bayreuth davon sprach, diese liege »auf der Linie dessen, was der Verteidigungsminister vorgegeben hat«.

Dies wirkt umso bizarrer, je mehr vergleichbare Plagiatsfälle bekannt werden. Ein anderer Unionspolitiker, Vorsteher des niedersächsischen Landesverbandes in Lippe, musste wegen des gleichen Verstoßes gegen das Urheberrecht 9000 Euro Strafe und eine Geldbuße von 10 000 Euro zahlen. Der Landesverband enthob ihn seines Amtes. Über einen anderen Fall berichtete die »Süddeutsche Zeitung«. Ein Student wurde degradiert, nachdem sich seine Hausarbeit als Plagiat erwies. Er studierte an einer besonderen Einrichtung – der Bundeswehruniversität München. Dienstherr: der Verteidigungsminister.

* Aus: Neues Deutschland, 1. März 2011


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