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Coaching in der Bundeswehr – Kommandeure lassen ihren Führungsstil überprüfen

Ein Beitrag von Ute Hempelmann im NDR Forum "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
Die Anforderungen an militärische Führer werden immer höher. Fehlentscheidungen können fatale Konsequenzen haben, auch für die Untergebenen. Über die normale Ausbildung hinaus bietet die Bundeswehr ihren Vorgesetzten inzwischen an, den eigenen Führungsstil von Experten einmal kritisch beleuchten zu lassen. Vom „Coaching“ ist die Rede. Wie das funktioniert, hat sich Ute Hempelmann in der Logistikschule der Bundeswehr im niedersächsischen Garlstedt angesehen:

Manuskript Ute Hempelmann

In der Lucius D.Clay - Kaserne herrscht Hochbetrieb. Hier werden jedes Jahr rund 15.000 Lehrgangsteilnehmer ausgebildet. Seit Anfang des Monats gibt es zudem ein Übungszentrum, in dem mit Hilfe von Planspielen am Computer Logistik-Experten weitergebildet werden. Gerade wegen der Umstellungen hat sich der Kommandeur der Lehrgruppe C, Oberstleutnant Uwe Roth, entschlossen, ein Team vom Koblenzer Zentrum für Innere Führung mit einer sogenannten Führungsbegleitung, kurz FMO, zu beauftragen. Ganz und gar freiwillig. Zwei Wochen dauert diese Maßnahme. Das Ziel: Die Stärken und Schwächen des Führungsstils des Stabsoffiziers auszuloten. Einbezogen sind auch ein Dutzend Offiziere und Unteroffiziere, mit denen der Kommandeur eng zusammenarbeitet. Oberstleutnant Roth:

O-Ton Roth
„Wir bei der Bundeswehr werden regelmäßig beurteilt, allerdings nur von oben nach unten, und nicht von unten nach oben oder auch von der Seite. Darum finde ich es durchaus spannend, für mich selbst zu erfahren: wie komme ich denn an bei meinen Untergebenen und bei meinen Kameraden? Das ist das eine. Und das andere ist einfach: da wir hier als Team agieren, möchte ich die Möglichkeit nutzen, um als Team auch stärker aufzutreten. Nämlich diesen Teamgedanken auszuspielen, dass wir alle am gleichen Strang ziehen und ein Ziel vor Augen haben.“

Das Ergebnis fließt in keine Personalakte ein, bietet somit die Chance einer persönlichen Standortbestimmung. In der ersten Woche steht dabei die Führungskraft im Mittelpunkt, in Garlstedt also Oberstleutnant Roth. Dabei befragen die Coaches vom Zentrum Innere Führung auch Kameraden und Untergebene in Vier-Augen-Gesprächen über ihren Vorgesetzten. Die Coaches sind selbst Soldaten und sprechen von einem „360 Grad Feedback“. D.h. ihre Einschätzungen und die Eindrücke der Untergebenen werden mit dem Bild des Vorgesetzten über sich selbst abgeglichen. Gibt es deutliche Differenzen? Wenn ja, warum? Danach fasst Coach Stefan Schmitz erste Ergebnisse zusammen:

O-Ton Schmitz
„Wir haben am gestrigen Tage die sogenannte Teamanalyse gemacht. Denn aus den vielen Gesprächen, die wir geführt haben, haben wir versucht, mal ein wesentliches Stimmungsbild aufzunehmen, das - ich denke, da erzähle ich nichts, was jemand nicht wissen soll - tatsächlich ein sehr positives Stimmungsbild auch in der Lehrgruppe wiedergegeben hat. Dennoch gibt es Punkte, die wir bewusst erfragen und herausziehen: wo könnte man im Team also noch an der Sache arbeiten.“

Anfang der zweiten Woche wird das Zusammenspiel zwischen dem Kommandeur Roth und seinen Soldaten in praktischen Übungen getestet. Abrupt wird es laut.

Die in zwei Gruppen aufgeteilten Soldaten versuchen auf dem Flur des Gebäudes, eine Kugel in ein vorgegebenes Ziel zu befördern. Sie darf dabei nicht auf den Boden fallen. Verdutzt beobachtet ein Unbeteiligter die johlenden Kameraden. Oberstleutnant Roth gibt Entwarnung. Nur eine Fortbildung, versichert er mit einem Augenzwinkern. Worauf der Soldat noch verständnisloser dreinschaut.

Die Bereitschaft militärischer Vorgesetzter, die eigenen Entscheidungen offen und kritisch zu hinterfragen, stellt Vorstellungswelten in Teilen des Militärs und der Gesellschaft auf den Kopf und Klischees auf den Prüfstand. Hartnäckig hält sich das Bild einer strengen Hierarchie und eines autoritären Führungsstils, in dem Befehle mit Härte gegenüber Untergebenen durchgesetzt werden. Witze und Satiren karikieren den Kommiss-Ton und das Prinzip von Befehl und Gehorsam als Paradebeispiel für eine überholte Kommunikation beim Militär. Daneben hat sich aber, vielfach unbemerkt von der Öffentlichkeit, eine Kultur moderner Menschenführung etabliert. Stefan Schmitz, Mitarbeiter des Zentrums Innere Führung in Koblenz, führt das auf den sogenannten Transformationsprozess zurück. Der Umstand, dass sich die Bundeswehr permanent neuen Veränderungen stellen müsse, habe zur Entstehung des Coaching-Konzepts beigetragen:

O-Ton Schmitz
„Die besonderen Herausforderungen, beginnend Anfang der 90er Jahre, waren zum ersten sicherlich die immer wieder neu aufgelegten Strukturreformen. Das heißt: immer wieder Veränderungen, die ja unmittelbar auf jede Führungskraft wirken. Und zum Zweiten sicherlich die zunehmende Bedeutung der Einsätze, vor allem auch in der Umsetzung.“

Im Hof der Logistikschule genießen Soldaten ihre Mittagspause. Sie reden über Vorgesetzte und Führungsstile. Mit einer „Stillgestanden-Weggetreten-Philosophie“ käme man bei der Bundeswehr heute nicht weit, argumentiert ein Hörsaalleiter, der seit 17 Jahren bei der Bundeswehr ist:

O-Ton Hörsaalleiter
„Ich bin sicherlich in meiner Grundausbildung und in Verwendungslehrgängen auch noch ganz anders angefasst worden. Das ist bei Lehrgängen manchmal einfach auch notwendig, um einen Erfolg zu erzielen. Wenn es beim täglichen Dienst darum geht, da nutze ich immer das Wort Teambildung zu erreichen. Dadurch erreicht man sicherlich mehr als durch strenge Vorschriften, einen strengen militärischen Ton, um die Menschen, die in den Uniformen stecken auch mitzunehmen, sie zu überzeugen, dass das, was wir tun, einem Auftrag dient, einem Ziel. Und da komme ich mit einem netten Ton, bitte und danke, was nicht unbedingt selbstverständlich beim Militär ist, wesentlich weiter als mit einem ‚Stillgestanden‘.“

Zum Ideal eines gelungenen Führungsprozesses gehört für die Coaches des Zentrums Innere Führung indes mehr. Die erfolgreiche Umsetzung eines Auftrages wie auch das „Winning hearts and minds“ der eigenen Soldaten sei von fünf Schlüsselkompetenzen abhängig: dem Aufbau von Vertrauen, der Transparenz von Entscheidungen, der Fähigkeit, Konflikte auszutragen, dem Zusammenspiel von Verantwortung tragen und übertragen sowie der Fähigkeit, sich auszudrücken, zu kommunizieren. Dass diese Anforderungen nicht immer 1:1 in den Bundeswehralltag zu übertragen sind, weiß jeder der Beteiligten. Zwei bis drei Jahre sollten Offiziere in einer Verwendung verbringen. Zuweilen rotieren militärische Vorgesetzte aber auch mal im Dreimonats-Rhythmus, wenn die Personalplanung nichts anderes hergibt. Oberstleutnant Roth wiederum hat diverse Umbesetzungen im Führungspersonal seiner Lehrgruppe hinter sich. Er nimmt es mit Humor:

O-Ton Roth
„Man bleibt jung dabei, wenn ich es vorteilhaft ausdrücken darf. Man muss sich immer auf neue Situationen einstellen. Aber man verliert auch immer ein Stück. Denn man gewöhnt sich natürlich an Leute. Man weiß, wie sie ticken und kann dadurch natürlich auch die Stärken und Schwächen seiner Leute genau einschätzen.“

Insgesamt 20 militärische Führungskräfte und ihr Umfeld werden von zwei Teams des Koblenzer Zentrums Innere Führung pro Jahr aufgesucht und gecoacht. Dazu gehört die Vor- und Nachbereitung. Die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg begleitet die Maßnahmen zudem wissenschaftlich. Die Effekte seien nachweisbar und positiv, heißt es. Nach Angaben des Zentrums Innere Führung steigen die Anfragen, kommen aus allen Teilbereichen der Bundeswehr - von Ausbildungseinrichtungen bis hin zu Kampftruppen. Im kommenden Jahr werde zum ersten Mal ein multinationaler Stab begleitet, verrät der zuständige Bereichsleiter vom Zentrum Innere Führung, Georg Maecker. Dabei war der einsatzerfahrene Oberst zunächst selbst skeptisch und reagierte wie viele militärische Kritiker auf die „Führungsbegleitung in militärischen Organisationen“ FMO, wie das Coaching bei der Bundeswehr offiziell heißt:

O-Ton Maecker
„Ich bin in mich gegangen und hab dann gesagt: Mir braucht doch nach 30 Jahren kein junger Oberstleutnant sagen, wie ich führe. Das weiß ich doch selber. Und mit dieser kritischen Einstellung bin ich dann ans Zentrum gekommen und habe sehr schnell in den ersten zwei, drei Wochen gemerkt, was für ein wertvolles Instrument FMO ist, weil es den jungen Vorgesetzten und älteren Vorgesetzten die Möglichkeit gibt, sich an dem zu orientieren, was dort vermittelt wird.“

Geradezu euphorisch wirken die Führungskräfte der Logistikschule nach dem Feedback. Es sei bei weitem nicht alles glatt gelaufen, fasst der Coach die Ergebnisse des Tages zusammen. Aber dass er Hilfestellungen für Veränderungen gibt, wird von den Soldaten der Lehrgruppe C ebenso dankbar aufgenommen wie die Erfahrung, dass das Zusammenspiel an anderer Stelle klappt. Davon profitieren nicht nur der Kommandeur und seine Führungskräfte bei ihrer täglichen Arbeit. Es vergrößert auch die Identifikation der Soldaten mit der Bundeswehr als Organisation. Ein Ausbilder der Logistikschule:

O-Ton Ausbilder
„Ich glaube, dass wir uns in der Bundeswehr doch sehr intensiv weiterentwickelt haben und dass die Bundeswehr mittlerweile gemerkt hat, dass wir in der Modernisierung des Systems Bundeswehr nicht mehr in alten Strukturen arbeiten, ausbilden und führen können. Ich fasse diese Maßnahme hier auch auf als sehr gute Möglichkeit, mich weiter zu entwickeln. Und ich behaupte, dass sie auch im privatwirtschaftlichen Bereich nur sehr selten angeboten wird. Und wenn, dann für ausgesuchte Führungskräfte.“

Zwei Wochen hat der Kommandeur der Lehrgruppe C in Garlstedt seinen Führungsstil prüfen lassen. Die Erfahrungen nimmt Oberstleutnant Roth mit auf seinen weiteren beruflichen Weg.

Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 25. September 2010; www.ndrinfo.de


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