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Schritt für Schritt

Legitimiert durch Bundestagsbeschlüsse sind Einheiten der Bundeswehr seit 1992 weltweit aktiv

Von Frank Brendle*

Seit 1992 waren über 150 000 deutsche Soldaten an über 40 Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt. »Das Aufgabenspektrum reichte dabei«, so resümierte Bundespräsident Horst Köhler vor wenigen Wochen auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr, »von humanitärer Hilfe bis zum Kampfeinsatz, von der Bekämpfung von Terroristen bis zum Wiederaufbau kriegszerstörter, nicht endgültig befriedeter Gebiete.« Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch manche Parlamentarier dürften schon lange den Überblick verloren haben, was deutsche Soldaten eigentlich an all diesen Einsatzorten zu suchen haben.

Salamitaktik

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) forderte nach dem Anschluß der DDR 1990 eindringlich, den größer gewordenen außenpolitischen Spielraum militärisch zu nutzen. Die bis heute gültigen sogenannten Petersberg-Aufgaben der Westeuropäischen Union von 1992, mittlerweile von der EU beerbt, sehen das ganze Spektrum von Rettung und Hilfe bis hin zu Kampfeinsätzen vor. »Internationalen Einfluß hat nur der, der handelt, nicht der, der zuschaut«, erklärte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) recht offen. Rühe war sich bewußt, daß er »Schritt für Schritt« vorgehen mußte, um die Öffentlichkeit für sein Konzept zu gewinnen. Es ginge dabei »nicht nur darum, die Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten« (Spiegel, 30/1992). Schritt für Schritt, das bedeutete erst scheinbar harmlose Hilfs- und später zunehmend »robustere« Einsätze durchzuführen, bis 1999 mit dem Angriff auf Jugoslawien auch die letzten Hürden fielen. Kritiker bezeichneten das Konzept als »Salamitaktik«, so der Grüne Winfried Nachtwei [1], der sich später selbst ähnlicher Taktiken bediente. Die Bevölkerung hat sich mittlerweile daran gewöhnt, daß die Bundeswehr ins Ausland marschiert. Als nächsten Schritt hat Bundespräsident Köhler vor den Kommandeuren gefordert, dieses »freundliche Desinteresse« an der Bundeswehr in eine lebhafte patriotische Begeisterung zu verwandeln (die vor allem in die Bereitschaft münden soll, höhere Militärausgaben zu dulden).

»Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt«, heißt es in der Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Juli 1994, das Grundgesetz lasse weit mehr zu, als man bis dahin gedacht hatte. Als Mitglied in Systemen »gegenseitiger kollektiver Sicherheit« (UNO, NATO, EU usw.) dürfe die Bundesrepublik sich an bewaffneten Unternehmungen dieser Organisationen beteiligen. Volker Rühe jubelte, Deutschland sei nun »endlich von der Sonderrolle befreit«, die es »behindert« habe.

Der vorläufig letzte Akt, mit dem das geltende Recht an die militärische Gewalt angepaßt wurde, ist das sogenannte Parlamentsbeteiligungsgesetz, das im Frühjahr beschlossen wurde. Militäreinsätze, die nach Meinung der Regierung von »geringer Bedeutung« sind, können ebenso wie die Verlängerung größerer Einsätze im »vereinfachten Zustimmungsverfahren« erledigt werden, sprich: Debatte und Abstimmung finden nur statt, wenn sie von einer Fraktion explizit verlangt werden. Im alten Bundestag war das nicht der Fall.

Kosovo: KFOR

Mit 2 770 Soldaten stellen die deutschen Truppen im Kosovo das größte Auslandskontingent, sie sind zugleich die stärkste Besatzungsmacht in der serbischen Provinz, so daß ihnen »eine herausgehobene Verantwortung« für den Aufbau von »Frieden und Demokratie« zukommt, so Exverteidigungsminister Peter Struck. Die durchweg robuste Ausstattung läßt erkennen, daß dieser Auftrag noch lange nicht erfüllt ist. Die KFOR-Truppen sind als gepanzerter Kampfverband ausgerüstet. Wirkungsvollste Waffe ist der Schützenpanzer Marder, der besonderen Schutz gegen Minen »und gegen die ballistische Bedrohung schlechthin« bieten soll, wie die Herstellerfirma Rheinmetall DeTec verspricht. Besonders minengeschützt ist auch der Transportpanzer Fuchs. Verwendet werden außerdem das Transportfahrzeug Dingo, der Spähpanzer Luchs und Mehrzweckhubschrauber vom Typ Bell UH 1 D. Dieser gehört allerdings eher zu den Oldtimern der militärischen Luftfahrt und wird hauptsächlich als Transport- und Rettungshubschrauber eingesetzt.

Ihrem offiziellen Auftrag, Rechtssicherheit zu gewährleisten und den Schutz nicht-albanischer Minderheiten zu garantieren, sind die Besatzungsmächte bislang alles andere als gerecht geworden, im Gegenteil: Im Kosovo blühen Menschen-, Drogen- und Waffenhandel. Dies räumen auch Vertreter der Vereinten Nationen ein. Der norwegische UN-Sonderbeauftragte Kai Eide wirft in einem Bericht vom September 2005 allen Parteien (Albaner, Serben und die UN-Verwaltung UNMIK) fehlende Bereitschaft vor, einen Rechtsstaat aufzubauen. Die Provinzregierung im Kosovo sei unwillig, »das organisierte Verbrechen zu bekämpfen«. Der Ombudsmann des Protektorats, der polnische Diplomat Marek Antoni Nowicki, beschreibt die Menschenrechtssituation als »weiterhin unterhalb internationaler Mindeststandards«.[2]

Bosnien-Herzegowina: EUFOR

Seit Dezember 2004 hat die Europäische Union den Oberbefehl über die EUFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina (Nachfolger der SFOR-Mission). Formell handelt es sich um die größte militärische Operation der Union, faktisch sind die Europäer allerdings darauf angewiesen, Einrichtungen und Kapazitäten der NATO zu nutzen. Das zeigt den Nachholbedarf der EU im Militarisierungswettlauf mit den USA, zugleich aber auch den Willen, den Abstand zu verringern. Grünen-Militärstrategin Angelika Beer bezeichnete den Einsatz denn auch als »Feuerprobe« (Tagesspiegel 2.12.2004).

1 030 deutsche Soldaten beteiligen sich an der Operation mit dem Namen »Althea« – griechisch für »die Heilende«. Als Ziel wird angegeben, die Einhaltung des Friedensvertrages von Dayton sicherzustellen und die ethnischen Gruppen von feindseligen Handlungen abzuhalten. Zu diesem Zweck wird Bosnien-Herzegowina seit zehn Jahren von einem »Hohen Vertreter«, derzeit dem britischen Marineoffizier Paddy Ashdown, mit diktatorischen Vollmachten regiert; er kann Gesetze ändern oder selbst erlassen und Parlamentsabgeordnete verhaften lassen. Die NATO ist ebenfalls noch präsent und unterhält ein Hauptquartier in Sarajevo, das die bosnische Regierung bei der Streitkräftereform »berät«. Damit soll das Land fit gemacht werden für die Aufnahme in die »Partnerschaft für Frieden«, einer Vorfeldorganisation der NATO.

Der Bundestagsbeschluß zum EUFOR-Einsatz nennt als Sinn der Aktion: Bosnien-Herzegowina solle sich »unumkehrbar in Richtung auf eine Integration in europäische und euroatlantische Strukturen« bewegen. Was die Bundesregierung auf keinen Fall will, ist ein Land, das in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht von den EU-Standards abweicht und sich »europäischer« Kontrolle entzieht. Störfaktoren an der Peripherie auch mit militärischen Mitteln auszuschalten, gehört zu den Kontinuitäten der deutschen Balkanpolitik seit 1914.

Afghanistan: ISAF

Was in der deutschen Presse gerne als Schutztruppe bezeichnet wird, heißt offiziell Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force). Der NATO-geführte Einsatz soll »die Islamische Republik Afghanistan darin unterstützen, ein sicheres Umfeld innerhalb Kabuls und der umliegenden Gebiete« zu schaffen.[3] Tatsächlich kontrollieren die ISAF-Truppen fast nur die Hauptstadt, während im Rest des Landes Warlords, Milizen und Drogenbarone walten.

Ende September 2005 ermächtigte der Bundestag die Bundesregierung, die Zahl der deutschen Soldaten von derzeit 2 230 auf bis zu 3 000 zu erhöhen. Damit werden die USA entlastet, die ihre Kräfte zunehmend im Irak konzentrieren müssen. Zugleich soll mit der Erhöhung der Truppenstärke die prowestliche Regierung Afghanistans zur anerkannten Autorität im ganzen Land gemacht werden. Die NATO hat sogenannte Regionale Wiederaufbauteams (PRTs) geschaffen, die eine Art militärisch abgesicherte Entwicklungshilfe leisten sollen. Die Bundeswehr ist als für den Norden zuständige Besatzungsmacht neben ihrer Basis in Kabul mit PRT-Stützpunkten in Kundus (347 Soldaten) und Faisabad (168 Soldaten) vertreten. Zur Abwicklung des Flugverkehrs sind außerdem Soldaten im usbekischen Termez stationiert.

Bemerkenswerterweise wollen diejenigen, die tatsächlich etwas von Entwicklungshilfe verstehen, von der Bundeswehr aber nichts wissen. Ein Verantwortlicher von Caritas International formulierte Bedenken, daß es »zu einer gemeinsamen Wahrnehmung von Soldaten und unseren Mitarbeitern« komme, wenn neutrale Helfer plötzlich Seite an Seite mit schwerbewaffneten Bundeswehrangehörigen arbeiteten (Berliner Zeitung, 22.10.2003). Zur Ausrüstung der deutschen Truppen gehören neben dem gepanzerten Transportfahrzeug Dingo der erheblich martialischer wirkende Transportpanzer Fuchs sowie der zur Kampfunterstützung konzipierte Waffenträger Wiesel. Ähnlich ablehnend zum Bundeswehrkonzept äußerten sich zahlreiche andere Hilfsorganisationen. Mitarbeiter ziviler Hilfswerke wechselten »noch immer die Straßenseite, wenn ihnen ein Soldat« entgegenkomme, berichtete die FAZ (28.09.2004).

Ein Ende ist vorläufig auch beim ISAF-Einsatz nicht abzusehen. Exminister Struck kündigte an, daß noch in fünf Jahren Truppenbesuche am Hindukusch anstehen werden.

»Enduring Freedom«

Nach der Zerstörung des World Trade Centers am 11. September 2001 erklärte die NATO den »Bündnisfall«. Der Bundestag beschloß im November 2001 die Beteiligung Deutschlands am »Krieg gegen den Terrorismus« unter Führung der USA. Gegenwärtig sind 260 Soldaten im »Antiterrorkampf« eingesetzt, hauptsächlich Marineangehörige am Horn von Afrika. Der Bundestagsbeschluß ermöglicht aber den Einsatz von bis zu 2 800 Mann. Schwerpunkte waren in den letzten Jahren neben dem Seegebiet im Indischen Ozean der Einsatz der Elitetruppe »Kommando Spezialkräfte« (KSK) in Afghanistan in einer Stärke von bis zu 100 Soldaten. Claudia Haydt berichtete in jW (29.8.2005) über die »völkerrechtswidrigen Tötungsaktionen« des KSK – soweit ihr das möglich war. Im Unterschied zu Einsätzen anderer Einheiten gilt beim KSK höchste Geheimhaltung. Nach Berichten des Stern werden die Soldaten für »Assassinationen« (Mordanschläge) ausgebildet: »landen, kurz gucken, eliminieren« (Stern, 28/2005). Derzeit halten sich nach offiziellen Angaben keine KSK-Angehörigen in Afghanistan auf.

Der Antiterroreinsatz der Marine vor der ostafrikanischen Küste wurde nach dem Irak-Krieg erheblich reduziert – ein Hinweis darauf, wie die Bundesregierung den USA Beihilfe zum Angriff auf den Irak leistete. Gegenwärtig läuft die Fregatte »Lübeck« Patrouille, um die dortigen Seewege zu kontrollieren. Das Kriegsschiff ist berechtigt, »bei begründetem Verdacht« Handelsschiffe anzuhalten, zu entern und zu durchsuchen und gegebenenfalls in den nächsten Hafen umzuleiten. Was einen »begründeten Verdacht« darstellt, steht in den Einsatzregeln (»rules of engagement«), die der Geheimhaltung unterliegen. Faktisch ist die Bundeswehr damit zur Piraterie ermächtigt. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums weist das freilich weit von sich: Zwar seien inzwischen »ein paar hundert Mal« Schiffe durchsucht worden, aber stets mit dem Einverständnis des jeweiligen Kapitäns. »Wir machen da nicht den Cowboy«, versichert der Marineoffizier. Nachprüfen läßt sich das kaum, doch wenn es stimmt, daß ausnahmslos jeder Kapitän Soldaten auf sein Schiff läßt, muß man sich fragen, wo denn eigentlich all die Terroristen stecken, die angeblich die Seewege bevölkern. Der Ministeriumssprecher räsoniert da über die »präventive Wirkung« des Einsatzes. Wären wir nicht da, kämen die Taliban – ein praktisches Argumentationsmuster, weil es nicht bewiesen werden muß. Auch die »Lübeck«, die gegen »Mehrfachbedrohung« (Unterwasser, Überwasser, Luft) gewappnet ist und über besondere Abwehrfähigkeiten gegen feindliche U-Boote verfügt, hat bisher keine Terroristen gefangen. Als einen der spektakulärsten Einsätze verzeichnet die Marinehomepage das Abschleppen eines in Seenot geratenen Ziegenfrachters im Januar 2004.

Aus politischen Gründen sind der Stabilisierungsauftrag von ISAF und der Kampfauftrag von »Enduring Freedom« (vor allem die USA haben starke EF-Kontingente in Afghanistan) formell getrennt, aus dem NATO-Hauptquartier kommen aber zunehmend Forderungen, sie zusammenzulegen. ISAF-Kommandeur Mauro del Vecchio kündigte an, ISAF müsse »robuster« werden und »sehr starke Synergien mit den Koalitionskräften« von »Enduring Freedom« entwickeln (FAZ, 29.10.2005).

Die afghanische Bevölkerung unterscheidet die Einsätze ohnehin nicht. Daß die Operationsgebiete beider Missionen zur strategischen Einkreisung Rußlands und Chinas beitragen und just jene Regionen betreffen, in denen die weltweit größten Energievorräte lagern, muß man nicht für einen Zufall halten. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr aus dem Jahr 2003 betonen die Notwendigkeit, der deutschen Wirtschaft Zugang zu Ressourcen zu sichern.

Sudan: AMIS und UNMIS

Gleich zwei Bundeswehreinsätze betreffen den Sudan. Bei AMIS handelt es sich um eine Überwachungsmission der Afrikanischen Union, welche die Einhaltung des Waffenstillstandes im sudanesischen Bürgerkrieg kontrollieren soll. Weil die afrikanischen Transportkapazitäten nicht ausreichen, stellt die Bundeswehr Flugzeuge zur Verfügung. Es geht aber um mehr als simple Chauffeurdienste. Der Bundestagsbeschluß räumt den bis zu 200 deutschen Soldaten ausdrücklich »das Recht zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihres Auftrags« ein – das Szenario könnte schnell eintreten, wenn der Bürgerkrieg wieder aufflammt und die »Dienstleistung« der Bundeswehr in der Region als Einmischung verstanden wird.

Bisher sind offenbar nur zwei Flüge durchgeführt worden: Im Dezember 2004 wurden 196 gambische Soldaten nach Nord-Darfur geflogen, und erst vor wenigen Wochen sind 280 ghanaische Polizisten transportiert worden. Außerdem unterstützen deutsche Offiziere im Hauptquartier der Afrikanischen Union in Addis Abeba die Operationsführung.

Ebenfalls der Überwachung des Waffenstillstandes dient die UN-Operation UNMIS. Als Einsatzgebiet für bis zu 75 Bundeswehrsoldaten gilt das gesamte Territorium Sudans, als Schwerpunkt wird auch hier der Süden genannt. Derzeit sind nur sieben deutsche Soldaten beteiligt. Auch hier geht es um ein »robustes« Mandat: Neben unbewaffneten Militärbeobachtern werden Kräfte entsandt, denen »zur Durchsetzung ihrer Schutzaufträge auch das Recht zur Anwendung von Gewalt erteilt« wird.

Das Interesse der Bundesregierung dürfte sich weniger auf die Verhinderung eines »Völkermordes« im Sudan beziehen als vielmehr auf die Unterdrückung von »Flüchtlingsströmen« und die Schaffung eines ruhigen Investitionsklimas. Im Süden Sudans liegen beträchtliche Ölvorkommen. Das Waffenstillstandsabkommen sieht für das Jahr 2011 – solange sollen auch die Militäreinsätze dauern – ein Referendum vor, das wahrscheinlich mit der Abspaltung des Südens enden wird. Um das dort geförderte Öl dann auf den Weltmarkt bringen zu können, haben deutsche Firmen Aufträge von der Rebellenbewegung SPLM für den Bau einer über 4 000 Kilometer langen Eisenbahnstrecke nebst Pipeline erhalten. Insgesamt sind nach Informationen des Europaabgeordneten Tobias Pflüger acht Milliarden Dollar umzusetzen, da erscheinen die geschätzten Kosten von 2,3 Millionen Euro pro Jahr für den UNMIS-Einsatz als sinnvolle Investition (jW 22.4.2005).

Waffenlose Einsätze

Weitgehend unbeachtet bleibt in der Öffentlichkeit der Einsatz unbewaffneter Bundeswehrsoldaten als Militärbeobachter in vier Krisenregionen. Im Rahmen der UN-Mission in Indonesien beteiligen sich derzeit vier deutsche Soldaten an der Überwachung des Friedensabkommens zwischen der indonesischen Regierung und der »Bewegung freies Aceh«. Elf Soldaten nehmen am UNOMIG-Einsatz in Georgien teil, um den Waffenstillstand zwischen georgischen Truppen und abchasischen Rebellen zu kontrollieren. Schließlich sind zwei Soldaten in Äthiopien stationiert, wo sie die Umsetzung des Friedensvertrages zwischen Äthiopien und Eritrea überwachen. 70 Soldaten halten sich gegenwärtig zur Katastrophenhilfe in Pakistan auf.

Alle vier Einsätze erfolgen ohne Mandat des Bundestages, da es sich um unbewaffnete Operationen handelt – zumindest im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Militärisch bedeutsam sind sie dennoch, dienen sie doch dazu, Kontakte zu Militärs in anderen Ländern herzustellen, Kenntnisse mit diesen auszutauschen und auf diese Weise einen Fuß in neue Regionen zu bekommen. Durch das aktuelle Engagement in Kaschmir können nun »günstige Ausgangspositionen an den Grenzen zur Volksrepublik China« (German-Foreign-Policy 27.10.2005) eingenommen werden, die sich bei Bedarf »robust« nachrüsten ließen. Der Division Luftbewegliche Operationen (DLO), die das Gros der 70 Soldaten stellt, bietet sich die Chance, die Verlegung von Soldaten und Material über weite Entfernungen in kurzer Zeit zu trainieren – und dies im Verbund mit anderen NATO-Staaten, da die Führung des Einsatzes beim NATO Joint Forces Command in Lissabon liegt.

Mangelnde Kontrolle

Die parlamentarische Kontrolle der Bundeswehreinsätze ist völlig unzureichend. Das gilt nicht nur für die geheimen KSK-Aktionen. Der Bundestag muß zwar über Auftrag und Bestimmungsort eines Auslandseinsatzes informiert werden, aber nur im weiten Rahmen. Besonders eklatant ist das bei den Kampfaufträgen von »Enduring Freedom«: Als Einsatzgebiet hat der Bundestag das gesamte von der NATO als Einflußbereich reklamierte nordatlantische »Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses« genehmigt sowie zusätzlich »die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete«. Im Prinzip also die halbe Welt – wo genau der Verteidigungsminister die Truppen einsetzt, bleibt dann völlig ihm überlassen. Ähnliches gilt für die Truppenstärke: Die Bundeswehr läßt sich regelmäßig Mannschaftsstärken in völlig überhöhten Dimensionen genehmigen, so 3 000 für den ISAF-Einsatz und 2 800 für »Enduring Freedom«. Es handelt sich um Vorratsbeschlüsse, die der Truppe das Recht verleihen, kurzfristig Tausende von Soldaten zusätzlich zu einem Kampfeinsatz abzukommandieren, ohne daß der Bundestag noch einmal gefragt werden muß. Denn auch der Auftrag ist in der Regel nur vage umrissen. Die Formel von der »militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus« ist genauso dehnbar wie diejenige von der »Aufrechterhaltung der Sicherheit« in Afghanistan, und wann ein Soldat im Sudan von seinem »Recht auf Anwendung von Gewalt« Gebrauch machen darf, ist ebenfalls nicht näher definiert. Die Bundesregierung erhält Freibriefe, die den Einsatz einer großen Zahl von Soldaten an fast jedem Punkt der Welt schon im vorhinein absegnen.

Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich daran wenig ändern. Merkel hat schon im Februar 2004 auf der Münchner Sicherheitskonferenz der versammelten NATO-Riege versprochen: »Auslandseinsätze der Bundeswehr werden zunehmen. Die Verteidigung unserer Interessen und unserer Sicherheit muß im 21. Jahrhundert weltweit erfolgen.« Zu den Erwartungen, die aus friedenspolitischer Sicht an die neue Linksfraktion gestellt werden, gehört, diese militaristische Praxis zu skandalisieren und insbesondere zu verhindern, daß die Möglichkeit des »vereinfachten«, sprich: diskussionslosen, Zustimmungsverfahrens bei der Verlängerung von Einsätzen zum Zuge kommt.

Fußnoten:
  1. In einer Bundestagsrede vom 30.6.1995
  2. Jahresbericht 2005: »The general level of human rights protection is still below minimum international standards«. www.ombudspersonkosovo.org
  3. ISAF im Netz: www.afnorth.nato.int/ISAF/index.htm
* Aus: junge Welt, 12. November 2005


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