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Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen

Scharping in Bremen - Und noch eine Satire auf den Verteidigungsminister

Am Wochenende besuchte Rudolf Scharping die Hansestadt Bremen. Das Bremer Friedensforum war auch da und schickte uns folgenden Bericht, der am 10. September in der Bremer taz-Ausgabe erschien:

GröVaz in Bremen

Rudolf Scharping strauchelt ins Rathaus: Ein Verletzter, die Presse dreht durch, und Hartmut Perschau versucht verzweifelt, ein bisschen Konversation zu machen

Als Rudi beim Radfahren auf den Kopf fiel, war die Welt fast noch in Ordnung. Dann kam die Sache mit der Troika: Rudi S. schritt stolz voran, die Schlawiner Oskar L. und Gerhard S. grinsend hintendrein. Und was für eine schöne Zeit, als die "Titanic" herzzerreißende Comics mit Oskar, dem Strolch, Ossibär Wolfgang T. und, Rudi, dem Männlein mit dem Ziegenbart, veröffentlichte. Motto: "Versucht, Ziege zu wählen!"

Doch die Menschen wollten Politik ohne Bart, die 94er Bundestagswahl ging voll in den Keller und Frechdachs Oskar stürzte Rudi hinterrücks. Trotzdem wurde er GröVaz, der größte Verteidigungsminister aller Zeiten. Und jetzt das: Planschereien, Flugzeuge zwischen Berlin, Mallorca, Frankfurt und in Rudis Bauch.

Mal ehrlich: Kaum eine Sau hätte sich normalerweise für ihn und den großen 37. Kapitänstag am Freitagabend im Bremer Rathaus interessiert. 300 Gäste (darunter dreimal "Begleitung Bundesminis-ter Scharping", aber die Gräfin blieb daheim) und großes Fressen mit Mango Chutney, Shrimps, Beck's und einem 99er Oberbergener Baßgeige. Aber jetzt warten alle auf den Überflieger, der per Luftwaffe direkt aus Skopje in Bremen landen sollte.

"Scharping, lass die Hose runter: Make love not war", steht auf Plakaten des Bremer Friedensforums. Die Kriegsgegner postieren sich um den Eingang des Rathauses, davor und drinnen lauert die Jounaille. Teams von SAT.1, RTL, ZDF, NTV, ARD und taz hecheln dem Moment der Momente entgegen: Rudis vielleicht letzte Worte.

19 Uhr. Rudi S. dürfte gerade gelandet sein. Die Pressemeute ist nervös: Tritt er erst nach der Niedersachsen-Wahl am Sonntag zurück? Oder heute, nach seinem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuss? Oder etwa - das wäre der Scoop gewesen - jetzt gleich, am Freitagabend noch?

19.09 Uhr. Die Pressemeute drängelt, die Friedensbewegten singen: "99 Kriegsminister...", Regen weicht die Plakate ("Schröder, Scharping, Müntefering, Kröning - jeder ein Genosse der Geschosse") auf. 19.15 Uhr. Noch mehr Unruhe, Senatssprecher Klaus Schloesser witzelt: "Ich trete jetzt zurück". Keine Lacher.

19.17 Uhr. Polizisten schieben die Protestierenden unsanft zur Seite: Da, der Konvoi! Die Hatz geht los. Scharping sieht gut aus: Grauer Anzug, blaues Hemd, Mallorca-Bräune. Der Pressepulk stürmt auf die zwei Mercedes-Karrossen zu, Mikros recken sich, Rudi S. rennt leeren Blickes schnurstracks aufs Portal zu, strauchelt kurz auf der Treppe, die Reporter prügeln sich fast. Dann Geschrei in der ersten Rathaus-Etage. Rudis Bodyguard schubst einen Kameramann des ZDF zur Seite, der beim Fall den Fotografen Peter Meyer erfasst. Der knallt mit der Backe gegen den großen Kamin: Platzwunde, Riesenpflaster. Meyer will jetzt gegen den Sicherheitsmann vorgehen.

19.28 Uhr. "Es werden keine Fragen beantwortet zu diesem Thema", heißt es. Daran hält sich auch Bürgermeister Hartmut Perschau (CDU), der nachher sagen wird, Rudi habe "sich gut gehalten". Also verzweifelte Konversation mit dem Noch-Minister - es ist so kläglich. Scharping hält sich an einem Glas Orangensaft fest, Perschau faselt über den 30-jährigen Krieg und die Wappen im Rathaus. Ein Kapitän fragt "Wie ist die Lage in Mazedonien?" - "Wir sind auf gutem Wege. Das ist eine vernünftige Entwicklung." Rudi-Smalltalk, glasiger Blick ins Nichts. Seine verschränkten Arme sagen: "Ich sag' nix.". Die Presse kommt nicht durch zu Rudi, schiebt und drückt, der Bodyguard blafft Senatssprecher Schloesser an: "Haben Sie denn hier keine Sicherheitskräfte?" Schloesser: "Ich kenn' die alle."

19.35 Uhr. Endlich wird Scharping zum Bankett in die Obere Halle begleitet, wo er eine Rede über Einsparmöglichkeiten bei der Marine halten wird. Die Kameras müssen gehen. Um 19.45 Uhr wird Bild-Chef Kai Dieckmann in Hamburg eine Kolumne von Franz-Josef Wagner aus dem Blatt nehmen, in der er über den Bunte-Autor Paul Sahner schreibt, der habe aus Rudi S. "einen Roy-Black-Verschnitt" gemacht. Die Bild wird am nächsten Tag "Scharping-Flüge - exclusiv - Die ganze Liste" titeln. 19.45 Uhr. Klaus Schloesser dreht sich draußen eine Filterlose. "Das war schrecklich." Ja, das war schrecklich.
Kai Schöneberg

Aus: taz Bremen, 10. September 2001


Wenige Tage zuvor beglückte uns die junge welt bereits mit einer Vorab-Satire auf den geflügelten Scharping. Deftig, aber warum sollen sich Pazifisten nicht auch einmal freuen dürfen.

Mathias Wedel:
Was wäre, wenn ... Scharping stürzen würde


Kein Problem, das ist er gewöhnt. Als er vor Jahren aus dem Sattel fiel, bescheinigten ihm die Ballistiker des BKA gutachterlich ein »effizientes Sturzverhalten«. Von damals, als er mit weichem Keks in der Matratzengruft dahindämmerte, ist was zurückgeblieben. Scharping behauptet in Talkshows, zurückgeblieben sei ihm - wie bei vielen Menschen, die schon »den Tunnel gesehen«, also eine Nah-Tod-Erfahrung gemacht haben - »eine unbändige Lust am Leben«. Ein Euphemismus, den man bei 90 Prozent aller Männer getrost mit »Ficken« übersetzen darf. Das ist natürlich Lyrik. Zurückgeblieben ist in Wahrheit eine 2,5 mal zwei Zentimeter große Beule über dem rechten Schläfenlappen, die Graf und Gräfin neckisch ihren »Schicksalshügel« nennen, wie sie unlängst den St.Pauli- Nachrichten anvertrauten: »In diese Knuppel auf Rudis Stirn habe ich mich zuerst verliebt.«

Der Sturz Scharpings aus seinen höchsten Parteiämtern vollzog sich einst analog. Wieder bescheinigten ihm Beobachter »effizientes Sturzverhalten«. Steif wie ein Gartenzwerg vor der Regentonne gab er seinem intriganten Widersacher Lafontaine auf dem Parteitag die Hand, um dann mehr oder weniger in der Matratzengruft abzutauchen. Auf die Frage, was dieser Sturz bei ihm mental bewirkt habe, sagt Scharping gern, »eine unbändige Lust am Leben« sei ihm zurückgeblieben.

Durchschnittlich 63 Prozent der Entscheidungen, die der erwachsene Mann im Alltag fällt, so die Grynekrologen an der Humboldt-Universität zu Berlin, sind unmittelbar vom Sexualtrieb bestimmt. In der feministischen Literatur wird das mit dem Begriff »schwanzfixiert« erfaßt. In bestimmten Phasen - z. B. nach einer Nah-Tod-Erfahrung oder während Finca-Ferien auf Mallorca, kann dieser Prozentsatz in die Höhe schnellen, zumal, wenn der Pool überchlort ist.

Scharpings libidonöser Druck war stets stark ausgeprägt, wie Psychologen der Traumata-Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses nach der Analyse seiner Körpersprache (»Mimik und Gestik im Balzrausch beim Bundesminister der Verteidigung«) herausgefunden haben. Während seiner Radlerphase hat er diesen Druck auf dem Sattel seines Rennrades kompensiert. Der Sattel ist heute im Museum für Geschichte der Bundesrepublik in Bonn zu sehen. Auch damals hat er sein Büro wochenlang nicht betreten, sondern ist hechelnd den Waden von Jan Ullrich hinterhergefahren.

In seiner letzten akuten Triebphase nun hat er jene »Gestaltungskräfte« entwickelt, wie sie typisch für Abhängige sind. So wie Alkoholiker ihre Alltagshandlungen darauf umstellen, an den Stoff zu kommen (Flaschen in Klobecken verstecken, Einbrüche in Supermärkte usw.), hat der Minister sein gesamtes Ministerium zu dem Zweck umorganisiert, sich den Beischlaf zu erschleichen. Kennzeichnend für diese Phase ist die kriminelle Energie, also eine extrem hohe Handlungseffizenz. Aber auch Sorglosigkeit gegenüber den Existenzfragen - in diesem Falle der Nation. So hat er der Konkubine, als er mit ihr aus dem Mallorca-Urlaub angekommen war, zusammen mit dem Schmutzwäschebeutel vertrauliche Akten über den Mazedonien-Einsatz in die Hand gedrückt (»Bild« berichtete mit Bild), oder in Plauderstimmung (»Sie sehen mich glücklich«) der Presse die Transportwege unserer Soldaten zum Kriegsschauplatz verraten. Gestern wurde bekannt, daß er vermutlich zahlreiche Alibi-Termine in Frankfurt am Main, wo die Gräfin lagert, erfunden hat. Natürlich nahm er von Berlin aus die (»seine«) Luftwaffe. Er traf sich dort beispielsweise mit zwei Beamten, die für Beschaffung und Material der Bundeswehr zuständig sind. Einmal ließ er sich Skizzen für eine neuartige Kartoffelschälmaschine zeigen. Er hielt diese »Konferenzen« in der VIP-Lounge des Flughafens ab, um danach sofort ins Taxi springen und noch in den Vormittagsstunden (höchster Testosteron-Spiegel!) an der bekannten Adresse Suchtentspannung finden zu können.

Wenn sich jetzt noch herausstellt, daß er einen Nebenbuhler im Generalsrang an die Front geschickt hat, ist er wirklich nicht mehr zu halten.

Aus: junge Welt, 7. September 2001

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