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Transportflugzeug A400M - Desaster ohne Konsequenzen?

Von Nicolai Kwasniewski. Ein Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderation):

In der kommenden Woche wird in Berlin die Internationale Luftfahrtausstellung ILA eröffnet. Dort feiert dann auch das Transportflugzeug A400M seine Weltpremiere. Der Bundeswehr ist dabei allerdings wenig feierlich zu Mute. Denn das Projekt ist aus dem Ruder gelaufen und immer teurer geworden. Das gilt auch für andere Rüstungsvorhaben. Verteidigungsminister zu Guttenberg ist auf den EADS-Konzern und die Rüstungsindustrie nicht gut zu sprechen. Er hat seinen ILA-Besuch abgesagt. Doch welche Lehren zieht das Verteidigungsministerium aus solchen Negativ-Erfahrungen? Nicolai Kwasniewski über das Debakel des A400M:

Manuskript Nicolai Kwasniewski

Anfang Dezember 2009 schienen die Verantwortlichen des europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS die Probleme der vergangenen Monate für einen kurzen Moment vergessen zu können: Die Sonne strahlte am andalusischen Himmel, der spanische König war zu Besuch gekommen und vom Flughafen Sevilla startete der A400M zum Erstflug, der erste Militärtransporter, den Airbus je entwickelt hatte.

Schon während des Fluges aber stritten am Boden die Nationen, die 180 Exemplare des Militärtransporters in Auftrag gegeben hatten, mit dem Airbus-Mutterkonzern EADS. Der Ton war harsch. Denn das europäische Prestigeprojekt A400M liegt Jahre hinter dem vereinbarten Zeitplan zurück und die Maschinen sind vor allem sehr viel teurer geworden. Der deutsche Unterhändler, Staatsekretär Rüdiger Wolf, pochte damals in Sevilla noch auf vollständige Vertrags-Erfüllung, so wie im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vereinbart:

O-Ton Wolf
„Schlussendlich muss dann darüber befunden werden, warum sich EADS in dieser Weise verkalkuliert hat, und dann werden wir uns die Frage stellen müssen, ob es im Rahmen eines gewissen Interessensausgleichs möglicherweise zu Zugeständnissen der Nationen kommen könnte. Aber das ist alles Konjunktiv und mehr als fraglich.“

Ein halbes Jahr später ist nichts mehr fraglich: Die Besteller-Nationen werden mindestens 3,5 Milliarden Euro mehr zahlen, EADS übernimmt Risiken von bis zu 8 Milliarden Euro. Von der Euphorie, mit der das Projekt 2003 gestartet war, ist nicht mehr viel zu spüren. Alexander Bonde, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, wirft der Bundesregierung vor, ausschließlich nach wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten gehandelt zu haben:

O-Ton Bonde
„Das Kernproblem, das wir erleben, ist, dass es sich um eine rein industriepolitische Entscheidung handelt, bei der einem deutlich wird, dass es zum Schluss eigentlich gar nicht um die Frage ging: was braucht die Bundeswehr für ein Gerät? In welchen Szenarien? Für welche Einsatzmöglichkeiten? Sondern es ging eigentlich um eine Industrieförderung für eine Firma. Und das ist weder die Aufgabe der Bundeswehr, noch des Bundeshaushaltes an dieser Stelle, so eine Förderung durch die Hintertür zu machen.“

Tatsächlich hätte es eine Alternative gegeben. Als mehrere europäische Nationen Ende der 90er Jahre beschlossen, ein neues Transportflugzeug als Ersatz für die hoffnungslos überalterten Transall-Maschinen zu beschaffen, existierte die russisch-ukrainische Maschine Antonov-70 bereits, sagt der pensionierte Luftwaffen-General Hermann Hagena:

O-Ton Hagena
„Die Antonov ist sehr sorgfältig geprüft worden, und die Meinung der Ingenieure war: Ein erstklassiges Flugzeug, mit einem Triebwerk, das Weltklasse-Format hat. Gescheitert ist das Projekt letzten Endes nicht an technischen oder finanziellen, sondern an politisch-wirtschaftlichen Überlegungen.“

Tatsächlich wurden wohl weder die Leistungen des Flugzeugs noch die Wünsche der Streitkräfte berücksichtigt, sagt der Rüstungsexperte Marcel Dickow von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin:

O-Ton Dickow
„Die Luftwaffe wollte damals die russische Antonov kaufen, die es off-the-shelf, also aus dem Regal gegeben hätte, und die Bundesregierung hat damals politisch entschieden, dass ein europäisches Projekt gestartet werden soll das in Europa entwickelt und gebaut werden soll. Also das kann man vertreten, aber das war in gewisser Weise eben keine marktwirtschaftliche Entscheidung und wahrscheinlich auch keine militärische Entscheidung in dem Sinne.“

Also entschied man sich für das Airbus-Modell, das nur als Computersimulation existierte. Die Folgen seien schon damals klar gewesen, kritisiert General a.D. Hagena:

O-Ton Hagena
„Gleichzeitig Entwicklung und Beschaffung zu vergeben, auch wenn mit einem Festpreis gelockt wurde, war schon damals absehbar eine schlechte Lösung. Namhafte Zeitungen haben kurz vor der entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses davor gewarnt, und vorausgesagt, was jetzt eingetreten ist, nämlich erstens eine erhebliche Zeitverzögerung und zweitens eine ganz erhebliche Kostensteigerung.“

Genau das hatten die Käuferländer ursprünglich verhindern wollen mit einem so genannten „Commercial approach“, also einem wirtschaftlichen Ansatz, mit Festpreis, Globalvertrag und vereinbarten Strafzahlungen. Nur sei der nie umgesetzt worden, sagt Dickow:

O-Ton Dickow
„Wenn es da wirklich einen Commercial approach gegeben hätte, dann hätte man Ausschreibungen gemacht und der Beste hätte die Ausschreibung bekommen. Und so wurden aber wieder nach fair return die Subunternehmer letztlich national vergeben, eben nach [dem Prinzip]: wer hält wie viele Anteile und braucht deswegen wie viele Aufträge für seine nationale Industrie. Und das hat mit Commercial approach einfach nichts mehr zu tun.“

Dazu kam mangelnde Kontrolle: Die Besteller-Nationen übergaben das Projekt der gerade geschaffenen europäischen Rüstungsbehörde OCCAR – die so lange untätig blieb, bis EADS bekanntgab, dass sich die Auslieferung um Jahre verzögern werde. Hauptgrund seien immer neue Forderungen der Besteller-Länder. Vor allem hätten sie gegen den Rat des Konzerns darauf bestanden, dass ein europäisches Konsortium ein vollkommen neues Triebwerk entwickelt. Der Haushälter der Grünen, Alexander Bonde, erinnert sich anders:

O-Ton Bonde
„Die Firma EADS hat diesen Vertrag damals ausschließlich bekommen, weil sie hart zugesagt hat, ihn erfüllen zu können. Und diese ganzen Fragestellungen, die heute als Sonderwünsche dargestellt werden – da hat die Firma damals mit treuherzigen Augen versichert: das wird auf jeden Fall exakt so funktionieren. Triebwerk hin oder her, alles andere, mit Verlaub, nennt der Jurist Schutzbehauptungen.“

Als der Streit im Laufe des Jahres 2009 eskalierte, beauftragten die Besteller-Nationen die Wirtschaftsprüfer von PriceWaterhouseCoopers, das Desaster zu untersuchen, wie die Verzögerungen zustande gekommen waren und wie hoch die Mehrkosten sein würden. Zwar hält das Bundesverteidigungsministerium das Gutachten unter Verschluss, die öffentlich bekannten Details offenbaren aber ein Desaster, sagt der Rüstungsexperte Marcel Dickow:

O-Ton Dickow
„Im Unternehmen hat der PriceWaterhouseCoopers-Bericht die Fehler aufgezählt: Management, fehlendes Controlling und bei den Bestellnationen war auf jeden Fall das Problem, dass das Projekt überambitioniert war, von Anfang an. Dass vor allen Dingen dann aber immer wieder neue Nachforderungen kamen und wenn ein Projekt in der Entwicklung ist und immer wieder nachgesteuert werden muss, dann ist das natürlich tödlich für ein Projekt derartiger Größe.“

Tödlich zwar, keine Seite aber wollte das Projekt beerdigen. Einerseits brauchen die Nationen dringend ein Flugzeug mit den Fähigkeiten des A400M; andererseits hätte man den europäischen Vorzeigekonzern EADS stark beschädigt – der A400M war, man kennt den Begriff von kriselnden Banken, „too big to fail“, sagt Dickow. Das Ziel einer Harmonisierung der europäischen Streitkräfte sei beim A400M weit verfehlt worden:

O-Ton Dickow
„Der A400M wird in nationalen Versionen ausgeliefert werden, was eine Farce ist. Die Idee ist ja eigentlich, dass man am Ende eben auch den Betrieb europäisieren kann, dass es zum Beispiel eine gemeinsame Lufttransportflotte gibt. All das wird es im Moment erst mal nicht geben, weil ganz praktisch ein deutscher Pilot keine französische und ein französischer Pilot keine deutsche A400M fliegen kann. Weil er das rechtlich nicht darf, weil er dafür die Zulassung nicht hat, weil sie technisch unterschiedlich ausgestattet sind. Es da in diesem Fall keine Harmonisierung gegeben hat.“

Um Geld zu sparen verzichten die Besteller-Nationen nun auf Fähigkeiten wie den Tiefflug-Autopiloten und sie nehmen weniger Maschinen ab – zum selben Preis. Die Bundeswehr wird statt 60 wohl eher 50 A400M erhalten. Beides sei vertretbar, sagt der frühere Luftwaffen-Pilot Hermann Hagena:

O-Ton Hagena
„Man muss wissen, dass gegenüber der heutigen Leistungsfähigkeit der Transportflotte, 60 A400M mindestens die Dreifache Leistung erbringen von den im Augenblick vorhandenen 80 Transall-Maschinen.“

Der Commercial approach mit der Festpreis-Vereinbarung ist aber gescheitert. - Welche Lehren zieht die Bundeswehr nun aus diesem Debakel? Verteidigungsminister zu Guttenberg:

O-Ton Guttenberg
„Die Lehren müssen die sein: dass gewisse Zeiträume, die eine Beschaffungsmaßnahme in Anspruch nimmt, nicht zu tolerieren sind, und das gewisse Kostenentwicklungen auch nicht zu tolerieren sind. Und dass es deswegen eines gewissen Managements bedarf, was die Identifizierung von Rüstungsvorhaben anbelangt, was die Umsetzung des Ganzen und was die haushälterischen Möglichkeiten anbelangt, aber gleichzeitig natürlich auch, ein entsprechendes Projektmanagement, Projektbegleitung und das in Pflichtnehmen der Industrie.“

Ob sich aber auf diese Weise künftig ein Debakel wie beim A400M verhindern lässt, dass muss sich erst noch zeigen.

Der Haushaltsexperte der Grünen, Alexander Bonde, ist jedenfalls auch nach der Einigung beim Transportflugzeug skeptisch. Jeden Monat, so heißt es, verursache der A400M 100 Millionen Euro Verlust. Und obwohl die Bestellernationen 3,5 Milliarden Euro nachschießen und allein Deutschland auf 400 Millionen Euro Schadensersatzzahlungen verzichtet, bleibt eine Finanzierungslücke. Und der Haushälter Bonde hat eine böse Vorahnung:

O-Ton Bonde
„Wenn man die Verhandlungsposition der Firma anguckt in der Frage, wie viele Milliarden eigentlich im Projekt fehlen würden und abgleicht, was jetzt die Vereinbarung ist, dann bleibt ein mulmiges Gefühl, ob die Firma nicht in ein paar Jahren wieder auf der Matte steht, und die nächste Nachverhandlung losgeht.“

Noch laufen die Gespräche mit EADS. Bis zum Ende des Sommers will man sich jetzt endgültig geeinigt haben.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 5. Juni 2010; www.ndrinfo.de


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