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"Die Bundeswehr muss diesem Lande eine Herzensangelegenheit sein" - "Der Prozess der derzeit laufenden Umstrukturierung ist der umfassendste in der Geschichte der Bundeswehr"

Die Reden von Verteidigungsminister Peter Struck und Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Festakt aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Bundeswehr

Im folgenden dokumentieren wir zwei Reden von den Feierlichkeiten anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der Bundeswehr vom Dienstag, den 7. Juni 2005, in Berlin:



Die Bundeswehr muss diesem Lande eine Herzensangelegenheit sein

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, auf der Auftaktveranstaltung zum Jubiläum "50 Jahre Bundeswehr" am 7. Juni 2005 in Berlin.

Ich möchte Sie ganz herzlich zu diesem Festakt begrüßen. Er ist der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen wir in den nächsten Monaten das 50-jährige Bestehen der Bundeswehr feiern wollen.

Heute vor 50 Jahren wurde das damalige Amt Blank, die Dienststelle des "Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen" - so hieß das damals aus politischen Gründen - in der Bonner Ermekeilkaserne umbenannt in das "Bundesministerium für Verteidigung".

Der Bundestagsabgeordnete Theodor Blank wurde erster Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Wenige Monate später, am 12. November 1955, dem 200. Geburtstag Scharnhorsts, erhielten die ersten 101 Freiwilligen in der Bonner Ermekeil-Kaserne ihre Ernennungsurkunde – es war die Geburtsstunde der Bundeswehr.

Ich freue mich sehr, dass der Bundeskanzler heute die Festansprache halten wird. Das unterstreicht die wichtige Aufgabe, welche die Bundeswehr für uns alle erfüllt. Und es ist Ausdruck der Anerkennung, die sie in Deutschland zurecht genießt.

Die Bundeswehr ist eine der angesehensten Institutionen in diesem Land. Ihre Angehörigen - Soldatinnen und Soldaten, zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - haben über Jahrzehnte das Vertrauen der deutschen Bevölkerung erworben oder, was die Soldaten betrifft, im besten Sinne des Wortes "erdient".

Dass heute so viele Gäste zur Eröffnung der Feierlichkeiten anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens gekommen sind, zeigt die öffentliche Wertschätzung unserer Streitkräfte.

Ich freue mich darüber. Und es freut mich besonders für unsere Soldatinnen und Soldaten. Das Motto des Jubiläumsjahrs lautet: "50 Jahre Bundeswehr - Entschieden für Frieden". Das ist der richtige Akzent für die Würdigung der Bundeswehr und der vor ihr liegenden Aufgaben.

50 Jahre Bundeswehr bedeuten 50 Jahre erfolgreiche Sicherung des Friedens.
Und Sicherung der Freiheit. Die Bundeswehr hat dies geleistet unter völlig unterschiedlichen historischen Bedingungen.

Über vier Jahrzehnte war sie verlässlicher Verbündeter in der NATO an der Nahtstelle des Ost-West-Konflikts. Seit mehr als 15 Jahren ist sie mehr und mehr gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im internationalen Einsatz - in Europa und weit darüber hinaus.

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in die Bundeswehr hat viele Gründe. Ein Grund ist das, was ich als innere Verfasstheit der Bundeswehr bezeichnen möchte. Die Innere Führung ist zu einem unverwechselbaren Markenzeichen der Bundeswehr geworden. Sie ist heute so aktuell und so wichtig wie vor fünfzig Jahren.

Ohne das ihr zugrunde liegende Leitbild des Staatsbürgers in Uniform wäre die Bundeswehr nicht zu dem selbstverständlichen Bestandteil der deutschen Demokratie geworden, der sie heute zweifellos ist.

Zur inneren Verfasstheit gehört auch das Miteinander von Berufssoldaten, Zeitsoldaten und Wehrpflichtigen. Das ist das personelle Erfolgsgeheimnis ihrer 50-jährigen Geschichte.

Über die Wehrpflicht ist die Bundeswehr fest mit der Gesellschaft und ihren Entwicklungen verknüpft. Sie ist immer eine junge Armee geblieben. Das ist ein Teil der Erfolgsstory der Bundeswehr.

Ein zweiter Grund für das Ansehen der Bundeswehr ist ihre Leistungsfähigkeit, sei es im Katastrophenfall im Inland, sei es bei der überzeugenden Bewältigung der schwierigen Aufgaben im Auslandseinsatz.

Einsätze der Bundeswehr sind beileibe kein Selbstzweck. Die Bundeswehr ist immer dann zur Stelle und geht dorthin, wo Gefahren für die Weltgemeinschaft, für Europa und für Deutschland erwachsen.

Es ist dabei wichtig, sich immer wieder der Gefahren bewusst zu sein, die für Leib und Leben unserer Soldaten mit einem Auslandseinsatz verbunden sind.
Ich erinnere daran: Heute vor zwei Jahren, am 7. Juni 2003 fielen in Kabul vier Soldaten der Bundeswehr einem heimtückischen Terroranschlag zum Opfer.

Wir wollen deshalb der folgenden Soldaten gedenken:
  • Oberfähnrich Andreas Beljo aus Eldorf
  • Oberfeldwebel Carsten Kühlmorgen aus Chemnitz
  • Feldwebel Helmi Jimenez-Paradis aus Wunstorf
  • Stabsunteroffizier Jörg Baasch aus Densborn.
Mit ihnen gedenken wir auch all jener Soldaten, die in der 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben lassen mussten.
Die Einsätze der Bundeswehr sollten von einer möglichst großen Mehrheit im Parlament getragen werden, denn die Soldatinnen und Soldaten brauchen den Rückhalt des Deutschen Bundestages.

Sie haben bei der Erfüllung ihrer schwierigen Aufgaben Anspruch auf breite politische und gesellschaftliche Unterstützung. Und sie haben natürlich auch Anspruch darauf, dass die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr den Anforderungen entspricht.

Dies ist nicht zuletzt der Grund, warum ich eine umfassende Transformation und Neuausrichtung der Streitkräfte auf die veränderten Aufgaben eingeleitet habe.

Meine Damen und Herren!

Die Bundeswehr genießt höchste Anerkennung – in Deutschland, bei unseren Ver-bündeten und Freunden, aber vor allem auch bei den Menschen vor Ort in den Krisengebieten.

Doch ich möchte noch weiter gehen. Die Bundeswehr muss diesem Lande eine Herzensangelegenheit sein. Das bedeutet kein Anknüpfen an unselige Traditionen deutscher Geschichte.

Aber es bedeutet Würdigung der außergewöhnlichen Leistungen, die unsere Soldatinnen und Soldaten unter Einsatz ihres Lebens bringen. Und es bedeutet Würdigung der unverzichtbaren Rolle, die der Bundeswehr zukommt, damit unser Land auch zukünftig eine international anerkannte, aktive Rolle zur Sicherung des Friedens und der Freiheit spielen kann.

Quelle: Homepage des Verteidigungsministers: www.bmvg.de


"Der Prozess der derzeit laufenden Umstrukturierung ist der umfassendste in der Geschichte der Bundeswehr"

Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Festakt aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Bundeswehr am Dienstag, 7. Juni 2005, in Berlin

Herr Bundesratspräsident Platzeck,
Herr Minister Struck,
Herr Bischof Mixa,
Herr Bischof Krug,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Vor 50 Jahren ist die Bundeswehr entstanden. Wenn man so will, ein verspätetes Kind der noch jungen Bundesrepublik, aber doch vom ersten Tag an eine Armee des Volkes und eine Armee der Demokratie. Die Bundeswehr hat sich seit ihrer Gründung nicht nur als Friedensarmee und als Teil der Gesellschaft hervorragend bewährt. Sondern sie hat sich auch mit großem Erfolg auf immer neue Herausforderungen und veränderte Sicherheitslagen eingestellt.

Die Bundeswehr genießt in unserem Land, bei unseren Partnern in Europa und in der ganzen Welt einen ausgezeichneten Ruf und höchstes Ansehen. Das ist vor allem das Verdienst der Soldatinnen und Soldaten, aber auch der vielen zivilen Mitarbeiter, die in den vergangenen fünf Jahrzehnten in der Bundeswehr ihren Dienst für die Allgemeinheit geleistet haben. Ihnen allen möchte ich persönlich und im Namen der Bundesregierung herzlich für ihren Einsatz und ihre Tätigkeit danken.

Meine Damen und Herren,

so selbstverständlich uns allen die Bundeswehr heute erscheint, so umstritten, ja umkämpft war die Gründung einer westdeutschen Streitmacht in den frühen 50er Jahren - einer "neuen Wehrmacht", wie es zunächst hieß. Nur wenige Jahre nach Kriegsende und der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus wurde gerade in Deutschland mit besonderer Leidenschaft über "Wiederbewaffnung", NATO-Beitritt und Westbindung gestritten. Um die "Wiederbewaffnung" entzündeten sich in Deutschland heftige Kontroversen, die die noch junge Demokratie kräftig erschütterten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an Stichworte wie das "Amt Blank", die Adenauersche "Zentrale für Heimatdienst" oder die "Denkschrift von Kloster Himmerod".

Auch bei den Verbündeten im Westen sah man deutschem Militär zunächst mit einer Mischung aus Sorge, Unbehagen und gefühlsmäßiger Ablehnung entgegen. Übergeordnete strategische Erwägungen gaben schließlich den Ausschlag, dass die westlichen Alliierten bewusst und bereitwillig den Aufbau der Bundeswehr unterstützten.

Am Ende waren es dann aber nicht allein die Konfrontation der beiden Blöcke und die militärische Bedrohung, die dazu führten, dass die neue Armee sowohl von den Verbündeten als auch von breiten Teilen der deutschen Bevölkerung mehr und mehr akzeptiert wurde.

Neben dem wichtigen Beitrag der Bundeswehr zur Friedenssicherung haben aus meiner Sicht zwei andere Erfahrungen die tiefe Verankerung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft - und zwar in allen Schichten und sozialen Gruppen - bewirkt:

Erstens: Die Menschen haben erlebt, dass die Soldaten der Bundeswehr bei Notsituationen oder im Katastrophenfall schnell und wirksam Hilfe leisten können und wollen. Die Einsätze der Bundeswehr bei den jüngsten Flutkatastrophen an Oder und Elbe bleiben unvergessen. Und die Bürger haben erfahren, dass Soldaten der Bundeswehr bereit waren und sind, in schwierigen und lebensbedrohlichen Auslandseinsätzen Konflikte zu entschärfen, Hunger, Not und Elend zu bekämpfen, Frieden zu sichern und Demokratie zu befördern.

Zweitens: Die Bundeswehr hat früh deutlich gemacht, dass sie nicht in der verhängnisvollen Tradition des deutschen Militarismus steht. Sondern dass sie in der bewussten Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit eigene und überzeugende Traditionslinien entwickelt hat.

Zum einen sieht sich die Bundeswehr in der Tradition und Kontinuität der europäischen Freiheitskriege, auch der Ideen der Französischen Revolution und natürlich ganz besonders eines großen preußischen Reformers wie Scharnhorst, der sich vehement für ein Volksheer und die allgemeine Wehrpflicht einsetzte. Für Scharnhorst war die allgemeine Wehrpflicht Ausdruck für die Bereitschaft der Bürger, sich mit ihrem Gemeinwesen zu identifizieren und es zu verteidigen. Das Konzept der allgemeinen Wehrpflicht - ich teile die Auffassung des Bundesministers - ist auch heute eine bewährte Basis für die Bundeswehr.

Das Recht auf Selbstverteidigung und territoriale Integrität verband Scharnhorst indes nicht mit einer Vorstellung von Armee, wie sie später im wilhelminischen Sinne als "Schule der Nation" auf verhängnisvolle Abwege geriet. Nein, für die preußischen Reformer um Scharnhorst musste die Armee immer integraler Teil der Gesellschaft sein. Eine Armee hatte insoweit durchaus eine pädagogische Funktion, als sie sich um die sittliche und staatsbürgerliche Schulung ihrer Angehörigen verdient machen kann. In diesem Bewusstsein wurden am 12. November 1955, dem 200. Geburtstag Scharnhorsts, die ersten Freiwilligen feierlich zur Bundeswehr einberufen.

Meine Damen und Herren,

neben dem Bezug auf die preußischen Heeresreformer wird die lebendige Tradition der Bundeswehr ganz unzweifelhaft durch den militärischen Widerstand gegen das Terrorregime der Nationalsozialisten begründet. Die Männer des 20. Juli 1944 haben gemeinsam mit den vielen anderen Widerstandskämpfern durch ihre Tat bewiesen, dass die Humanität auch inmitten der Barbarei und der Unmenschlichkeit überlebt und ihre Vertreter hatte.

An die Stelle der Willkür-Herrschaft wollten Stauffenberg und seine Kameraden wieder eine politische Ordnung des Rechts setzen, deren letzte Bestimmung es zu sein hatte, Hüterin der Freiheit und der Würde jedes einzelnen Menschen zu sein. Diesem großartigen Vermächtnis wird die Bundeswehr in besonderer Weise gerecht, in dem sie jedes Jahr am 20. Juli in Berlin ein feierliches Gelöbnis im Gedenken an die mutigen Widerstandskämpfer ausrichtet.

Meine Damen und Herren,

schließlich aber hat die Bundeswehr heute, fünfzig Jahre nach ihrer Gründung, bereits eigene Traditionen begründet. Diese sind geprägt von der festen Einbindung der Bundeswehr in unseren demokratischen Staat. Die Gesellschaft existiert nicht "neben oder um die Bundeswehr herum", sondern mitten in ihr. Wie umgekehrt die Bundeswehr Teil des alltäglichen Lebens in unserer Gesellschaft ist.

Ausdruck für diesen besonderen Charakter der Bundeswehr, für ihren einmaligen historischen Auftrag als Friedensarmee, ist zu aller erst der verfassungsrechtliche Status der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Aber auch die Konzepte der "Inneren Führung" und des "Staatsbürgers in Uniform" unterstreichen dies ganz praktisch. Es handelt sich dabei gerade nicht um beliebige theoretische Konstrukte, sondern um Leitbilder, die erfolgreich und täglich angewandt werden. Die Bundeswehr will und braucht diese Traditionen, weil sie tragende Werte lebendig und erfahrbar für alle machen. Und weil sie die Soldatinnen und Soldaten in die Lage versetzen, sich mit ihrem Beruf und ihrem Auftrag angesichts neuer Herausforderungen, Risiken und Gefahren zu identifizieren.

Meine Damen und Herren,

aufgestellt als Armee zur Landes- und Bündnisverteidigung diente die Bundeswehr in den ersten 35 Jahren insbesondere der Abwehr einer äußeren Bedrohung. "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen" - so war für viele Jahre in der Bundeswehr der Abschreckungsauftrag umschrieben. Der "Ernstfall Frieden", wie ihn der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann bezeichnete, hat Generationen von Soldaten geprägt. Auftrag, Struktur und Selbstverständnis der Streitkräfte waren daran ausgerichtet.

Nach der politischen Überwindung der Ost-West-Konfrontation, nach der Erweiterung der Europäischen Union, vor allem aber nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 haben sich die politischen und militärischen Herausforderungen für die Bundeswehr grundlegend verändert. Neue Gefahren für Frieden, Sicherheit und Stabilität bedrohen unsere eine Welt.

Diese Gefahren resultieren aus der Zunahme asymmetrischer, privatisierter Gewalt, aus der Eskalation religiöser und ethnischer Konflikte und aus dem internationalen Terrorismus.

Es sind Gefahren, denen kein Staat mehr allein begegnen kann. Die vielmehr die Bereitschaft zu einer immer stärkeren internationalen Kooperation erfordern.

Mit diesen neuartigen Herausforderungen haben sich zugleich die Aufgaben der Bundeswehr inhaltlich und geographisch erheblich erweitert. Die Bundeswehr muss jetzt den sicherheitspolitischen Gegebenheiten einer globalisierten Welt und der Bedeutung unseres souveränen Landes für internationale Stabilität, für Frieden und Sicherheit Rechnung tragen. Mit der Wiedererlangung unserer vollen nationalen Souveränität hat sich die Rolle Deutschlands in der Welt geändert. Wir sind Partner mit gleichen Rechten und Pflichten.

Im Bewusstsein unserer eigenen Geschichte bekennen wir uns deshalb ausdrücklich zu unserer gewachsenen internationalen Verantwortung für eine kooperative Friedenspolitik. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ergibt sich aus unserer geografischen und politischen Lage in Europa. Und sie basiert - als Partner im Atlantischen Bündnis - auf unseren gemeinsamen Werten und Überzeugungen, aber genauso sehr auf unseren nationalen Interessen.

Dabei ist und bleibt deutsche Sicherheitspolitik zu allererst eine Politik für den Frieden und für die Vermeidung von Konflikten. Das entspricht exakt unserem Verständnis als Friedensmacht. Wir folgen dabei einem umfassenden Begriff von Sicherheit. Zur Krisenprävention und Krisenbewältigung gehören deshalb diplomatische, rechtsstaatliche wie wirtschaftliche Maßnahmen, aber eben auch ökologische, soziale und entwicklungspolitische Ansätze. Aber wir übernehmen auch, Seite an Seite mit unseren Partnern in der NATO und in der Europäischen Union, militärische Verantwortung dort, wo das zur Sicherung des Friedens und zum Schutz der Menschen unumgänglich ist.

Meine Damen und Herren,

Anfang Mai haben wir den 50.Jahrestag des Beitritts Deutschlands zum Nordatlantischen Bündnis gefeiert. Wir wissen: Die NATO hat entscheidende Beiträge zur deutschen Einheit, zur Beendigung des Kalten Krieges und zur Überwindung der Teilung Europas geleistet. Sie ist Ausdruck gemeinsamer Überzeugungen und Interessen auf beiden Seiten des Atlantiks. Unverändert gilt der Grundsatz: Eine enge transatlantische Bindung ist im deutschen, im europäischen und im amerikanischen Interesse.

Daneben wird zunehmend die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einem zweiten Standbein deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Sie kann und soll die NATO nicht ersetzen. Sie kann und muss sie aber sinnvoll ergänzen. Ziel ist eine bessere Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.

Die Entwicklungen auf dem Balkan haben uns gelehrt, dass es Situationen gibt, in denen Frieden allein mit diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Mitteln nicht nachhaltig gesichert werden kann. Die Europäische Union muss deshalb im Bedarfsfall auf militärische Kräfte, aber je nach Anforderungsprofil auch auf zivile Kräfte wie Polizisten zurückgreifen können.

Diese Fähigkeiten werden im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wenn ich etwa an die Battle-Groups denke, aufgebaut und eingesetzt. Durch mehr militärische Kooperation und Integration in Europa können die militärischen Ressourcen der Mitgliedstaaten insgesamt effizienter eingesetzt werden. Die Bundeswehr ist an diesen Prozessen und Entwicklungen unmittelbar beteiligt. So trägt sie zur Verbesserung europäischer militärischer Fähigkeiten bei und ist beim Aufbau gemeinsamer europäischer Kapazitäten engagiert. Das umfasst zum Beispiel auch die Planung und Führung von EU-Einsätzen - ein Projekt, das von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg gemeinsam angestoßen wurde.

Meine Damen und Herren,

der Prozess der derzeit laufenden Umstrukturierung - der so genannten Transformation - ist der umfassendste in der Geschichte der Bundeswehr. Er wird von allen Beteiligten viel fordern. Auf die Soldaten und zivilen Mitarbeiter werden in den nächsten Jahren weitere Herausforderungen durch den eingeleiten Umbau der Bundeswehr und durch die Auslandseinsätze zukommen. Die Reform der Streitkräfte ist jedoch die notwendige Antwort auf die völlig veränderte sicherheitspolitische Lage.

Die Bundeswehr befindet sich in einer Phase der grundlegenden Neuausrichtung. Die Bedrohungsmuster der Vergangenheit taugen nicht mehr, um die Anforderungen an unsere Streitkräfte zu definieren. Heute muss die Bundeswehr in die Lage versetzt werden, ein deutlich komplexeres Aufgabenspektrum zu bewältigen. Wir brauchen eine Armee im Einsatz bei gleichzeitiger Anpassung und Ausrichtung der gesamten Ausrüstung und Organisation der Streitkräfte auf die neuen Aufgaben.

Damit die deutschen Streitkräfte künftig noch besser in der Lage sein werden, zur Verhinderung von Konflikten, zur Bewältigung von Krisen und zur Friedenswahrung in der Welt beizutragen. Der Prozess der Reform und Umstrukturierung ist erfolgreich eingeleitet und wird fortgesetzt.

Meine Damen und Herren,

die besonderen Bedingungen des Soldaten im Einsatz und die Integration in multinationale Strukturen erfordern Flexibilität und Anpassungsbereitschaft. Sie werfen gelegentlich die Frage auf, ob die Innere Führung noch zeitgemäß ist, zumal dieses Konzept unter ganz anderem Vorzeichen, nämlich dem der klassischen Landesverteidigung, entstanden und in Jahrzehnten entwickelt worden ist.

Da mögen Anpassungen für erforderlich gehalten werden. Unverrückbar bleibt jedoch: Die Regeln des demokratischen Rechtsstaates, die Unverletzlichkeit der Menschenrechte und der Primat der Politik müssen und werden auch weiterhin Grundsätze militärischen Handelns in der Bundeswehr bleiben. Es geht um die Übertragung unserer Vorstellungen eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats und vor allem seines Menschenbildes auf die Streitkräfte. Dieses Leitbild folgt der Überzeugung, dass Selbstverständnis und Werteorientierung eines Soldaten möglichst weitgehend denen eines zivilen Bürger entsprechen sollen. Ein Berufsverständnis "sui generis", eine Orientierung auf effizient getrimmte Kämpfer, würde hingegen in die gesellschaftliche Isolation der Soldaten führen. Im Kern geht es darum, dass unsere Streitkräfte Instrumente der Sicherheitspolitik, also der Politik, sind. Dies den jungen Menschen in der Bundeswehr zu vermitteln, bleibt eine unverzichtbare Aufgabe.

Wie die Bundeswehr an die Lösung der Probleme herangeht, mit denen sie in Krisenregionen konfrontiert wird, ist ganz wesentlich bestimmt durch eine Ausbildung und Erziehung der Soldaten, die sich am Leitbild des Staatsbürgers in Uniform ausrichten. Soldaten, die gemäß dieser Maxime ausgebildet worden sind, fällt es leichter, sich im Einsatzland auf neue Situationen flexibel einzustellen und mit der erforderlichen Sensibilität und Umsicht zu handeln. Sie sind in der Lage, regionale und kulturelle Besonderheiten zu achten und gerecht zu werden. Überall, wo die Bundeswehr im Ausland eingesetzt ist, wird dies anerkannt und geschätzt.

Meine Damen und Herren,

seit 1955 haben viele Millionen Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundeswehr gearbeitet und ihren Dienst verrichtet. Sie haben die gravierenden Veränderungen, die die Bundeswehr in den vergangenen 50 Jahren erlebt hat, mitgestaltet. Die Bundeswehr findet breite Anerkennung für das, was die Soldatinnen und Soldaten in Deutschland, in den Krisenregionen in Europa und darüber hinaus bereits seit Jahren leisten.

Die Angehörigen der Bundeswehr sind vorzügliche Repräsentanten unseres Landes. Sie leisten einen wichtigen, oftmals einen sehr gefährlichen Dienst. Sie tun das erfolgreich und professionell. Dafür gebührt ihnen Respekt und Hochachtung. Diesen Dank will ich auch an die Angehörigen und die Familien aussprechen. Ohne ihre Bereitschaft zur Einschränkung und zum Verzicht auf einen guten Teil des Familienlebens wäre der harte Dienst der Soldatinnen und Soldaten nicht denkbar.

Ich danke auch der Militärseelsorge der evangelischen und katholischen Kirche. Ihre Aufgaben im Inland und bei Auslandseinsätzen sind fester Bestandteil der Bundeswehr. Dies betrifft sowohl die seelsorgerliche Betreuung der Soldaten als auch die gemeinsame Wahrnehmung im lebenskundlichen Unterricht. Er trägt zur ethischen und moralischen Bildung der Soldaten bei und ist aus dem Alltag nicht wegzudenken.

Ich gratuliere der Bundeswehr ganz herzlich zum 50. Jubiläum und zu einer Erfolgsgeschichte ohne Beispiel.

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung


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