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Traditionspflege in der Bundeswehr: Tabu oder Chance?

Eine Kontroverse

Im Folgenden dokumentieren wir ein "Streitgespräch" über die Traditionspflege in der Bundeswehr. Anlass ist der 50. Geburtstag der Armee. Die beiden Kontrahenten, Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags, und Jakob Knab, Sprecher der "Initiative gegen falsche Glorie", vertreten diametral entgegengesetzte Standpnkte. Beide Beiträge erschienen im "Neuen Deutschland" vom 30. September 2005.

Chance oder Verhängnis?

Von Reinhold Robbe

Traditionspflege in der Bundeswehr – Chance oder Verhängnis? Die Meinungen darüber gehen nach wie vor auseinander. Streit entzündete sich im Zusammenhang mit der Aufstellung der Bundeswehr vor allem an der Frage nach der Bewertung der Rolle der Wehrmacht in der Zeit des Nationalsozialismus und daraus zu ziehender Konsequenzen. In dem Streit spiegelte sich nicht zuletzt die Befindlichkeit einer Bundeswehr, die aus der Erkenntnis der Verstrickung der Wehrmacht den Neuanfang suchte und Anfangs doch Mühe hatte, die Schatten der Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Von der Forderung der Himmeroder Denkschrift nach einer Aufhebung jeder Diffamierung des deutschen Soldaten und seiner Rehabilitierung durch die Regierungen der Westmächte bis zu den Feststellungen des Traditionserlasses vom September 1982, wonach Streitkräfte teils schuldhaft in den Nationalsozialismus verstrickt gewesen, teils schuldlos von ihm missbraucht worden seien und ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich keine Tradition begründen könne, war es ein weiter Weg. Dabei blieb die Frage, wer und was für die Bundeswehr traditionswürdig sei, streitig.

Jüngstes Beispiel dafür ist die Rücknahme der Zuerkennung des Beinamens »Mölders« für das Jagdgeschwader 74 durch den Bundesminister der Verteidigung. Mit der Rücknahme setzte er einen Beschluss des Deutschen Bundestages vom April 1998 um. In dem Beschluss hatte der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, Mitgliedern der Legion Condor kein ehrendes Andenken der Bundeswehr zu bewahren und entsprechende Namensgebungen rückgängig zu machen. Der im Herbst 1941 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Oberst Werner Mölders war unstreitig Angehöriger der Legion Condor.

Hebt man einmal von dem Einzelfall ab, lässt sich feststellen: Traditionen prägen seit jeher das Selbstverständnis von Armeen, das gilt auch für die Bundeswehr. Allerdings hat die Bundeswehr sehr früh deutlich gemacht, worauf sie sich gründet; Neuanfang auf der Grundlage von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Kontrolle der Streitkräfte durch das Parlament, Schutz der Rechte der Soldaten und Einbindung der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft. Damit war der Rahmen, in dem sich Traditionspflege entwickeln konnte und sollte, von Anfang an abgesteckt.

Zum Kern militärischen Selbstverständnisses gehört die Anerkennung und Achtung soldatischer Tugenden wie Tapferkeit, Mut, Kameradschaft, Treue und Fürsorge. Für die Bundeswehr sind das mehr als nur Tugenden, es sind soldatische Pflichten, wie das Soldatengesetz ausdrücklich ausweist. Diese Pflichten können aber nicht losgelöst werden von der Frage nach dem »wofür«. Darin unterscheidet sich die Bundeswehr von allen früheren deutschen Armeen. Die Antwort auf die Frage gibt das Gesetz, in dem es die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verpflichtet, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Mit dieser Formel verpflichtet das Gesetz die Soldaten der Bundeswehr auch auf die Verfassung, bindet die Streitkräfte an die Werteordnung des Grundgesetzes. Dem hat auch Traditionspflege Rechnung zu tragen.

Wenn Tradition mehr sein soll als die bloße Pflege militärischen Brauchtums, wenn sie sinnstiftend für den einzelnen Soldaten wie die Streitkräfte insgesamt sein soll, dann muss sie sich der Werteorientierung des Grundgesetzes stellen. Dann muss sie die Frage beantworten, ob die Personen und Verhaltensweisen, die traditionswürdig und die traditionsbegründend sein sollen, diesen Wertmaßstäben genügen. Die Antwort auf diese Frage fällt im Einzelfall nicht leicht. Tradition kann nicht verordnet, sie muss überzeugend begründet werden. Dazu gehört eine ehrliche und umfassende Auseinandersetzung mit den Ereignissen und Personen, die traditionsstiftend sein sollen.

Eine wichtige Traditionslinie der Bundeswehr ist der militärische Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der zu dem Attentat vom 20. Juli 1944 führte. Traditionsstiftend können aber auch herausragende Persönlichkeiten sein, die sich um den Aufbau der Bundeswehr verdient gemacht haben oder die als Soldat der Bundeswehr in Haltung und Pflichterfüllung ein besonderes Beispiel gegeben haben. Entscheidend ist die Wertebindung ihres Tuns. Der Traditionserlass sagt es mit klaren Worten: »In der Traditionspflege der Bundeswehr sollen Zeugnisse, Haltungen und Erfahrungen aus der Geschichte bewahrt werden, die als ethische und rechtsstaatliche, freiheitliche und demokratische Traditionen auch für unsere Zeit beispielhaft und erinnerungswürdig sind.« Das ist der Anspruch, dem Traditionspflege in der Bundeswehr gerecht werden muss.

Reinhold Robbe wurde 1954 in Bunde (Ostfriesland) geboren. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmannsgehilfen hat er Zivildienst geleistet und danach von 1974 bis 1975 als Verlagskaufmann gearbeitet. Später war er Betriebsratsvorsitzender der Lebenshilfe Leer. Seit 1970 ist er Mitglied der SPD. Ab 1986 war er Pressesprecher und Geschäftsführer beim SPD-Bezirk Weser/Ems. Seit 1994 ist er Mitglied des Bundestages. 2005 wurde er zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt.

Aus: Neues Deutschland, 30. September 2005


Tabus und Abschottung

Von Jakob Knab

Ein kraftvoller Paukenschlag schreckte am 27. Januar 1999, dem Gedenktag der Befreiung der letzten Überlebenden von Auschwitz, die Ungeister der Traditionspflege auf: Der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann (SPD), tat kund, die nach Nazi-Generälen benannten Kasernen würden umbenannt: »Das ändern wir jetzt. Das schwör' ich Ihnen. In zwei Jahren finden Sie keine mehr.«

Im Frühjahr 1999 forderte Minister Scharping Truppe und Stäbe auf, von sich aus Vorschläge für die Auswechslung historisch belasteter Kasernennamen zu unterbreiten. Das Ergebnis war trostlos: Kein einziger Vorschlag ging auf der Hardthöhe ein; denn offenkundig misstrauten die Soldaten dieser von oben verordneten Basisdemokratie. Doch im »Wegweiser für die Traditionspflege im Heer« (1999) wurde eine Trennlinie zur Wehrmacht gezogen: »Die Wehrmacht hat sich zum reinen Ausführungsorgan für das nationalsozialistische Regime entwickelt.«

Als sich die Grünen von früheren pazifistischen Positionen verabschiedeten, entwickelte ihr Wehrexperte Winfried Nachtwei neue Perspektiven für die Traditionspflege: »Verfehlt und kontraproduktiv wären Korrekturen nach Art der political correctness, von Bilderstürmerei und Geschichtssäuberung.« Minister Rudolf Scharping (SPD) wollte in der Traditionspflege Zeichen setzen. So kürte er Feldwebel Anton Schmid (1900-1942) zum neuen Kasernenpatron. Schmid hatte in Litauen verfolgte Juden gerettet; deshalb wird er als ein »Gerechter unter den Völkern« geehrt. Am 8. Mai 2000 wurde die »Rüdel-Kaserne« in Rendsburg in »Feldwebel-Schmid-Kaserne« umbenannt. Die New York Times zitierte Scharping wie folgt: »Mr. Scharping said it was only recently discovered what role General Rüdel played in the courts, particularly in the sentencing to death of thousands of people after the failed attempt to assassinate Hitler in July 1944. At that point, I made the decision myself that a change of name was necessary, he said.« Doch die Begründung für die Umbenennung ist nachweislich falsch. Richtig ist vielmehr: Im Sommer 1941 nahm Rüdel an einer einzigen Sitzung des Volksgerichtshofes teil. Durch seine Intervention kam es zu einem Freispruch.

Warum also wurde ausgerechnet die Rüdel-Kaserne umbenannt? Im Frühjahr 2000 war offenbar keiner der Betonköpfe auf der Hardthöhe auf die Idee gekommen, eine der folgenden Kasernen nach Feldwebel Schmid neu zu benennen. Hier einige kernige Sprüche jener traditionswürdigen Vorbilder:

General Rudolf Konrad, Kasernenpatron in Bad Reichenhall: »Dem Führer und seinem Werk gehört unsere ganze Hingabe.« Nach General Hans Hüttner ist die Kaserne in Hof (Saale) benannt: »Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir alle unserem Führer helfen!« Feldmarschall Erwin Rommel ist traditionswürdiger Namensgeber in Augustdorf, Osterode (Harz) und Dornstadt: »Vom Führer geht eine magnetische, vielleicht hypnotische Kraft aus, die ihren tiefsten Ursprung in dem Glauben hat, er sei von Gott oder der Vorsehung berufen, das deutsche Volk zur Sonne empor’ zu führen.« Feldmarschall August von Mackensen ist weiterhin soldatisches Vorbild in Hildesheim: »Es ist für mich eine erhebende Freude, noch zu erleben, wie die derzeitige Jugend auch im 6. Kriegsjahr begeistert zu den Fahnen eilt, um mit Leib und Leben die bedrohte Heimat zu schützen.«

Oberst Werner Mölders (1913- 1941) ist ein Traditionsname, der in der Regierungszeit des rot-grünen Projektes getilgt wurde. Mölders war als Kriegsfreiwilliger bei der »Legion Condor« an der Valencia-Ebro-Front im Einsatz. Dieser Frontabschnitt galt als »Verdun des spanischen Bürgerkrieges«. Bei der Zerstörung des Dorfes Corbera d’Ebre gaben Mölders und seine Jagdflieger den Bombern Geleitschutz. Als Hitler die Sowjetunion angriff, jubelte Mölders: »Ein gewaltiger Krieg ist im Gange, und ich bin stolz darauf, mit meinem Geschwader im Schwerpunkt der Kampfhandlungen eingesetzt zu sein.« Über Adolf Hitler urteilte Mölders: »Der Führer hält sich, diesen bestimmten Eindruck habe ich, in der Tat für einen Beauftragten der Vorsehung, einen Abgesandten des Schicksals. Er und nur er ist in der Lage, so glaubt er, das deutsche Volk und Heer zum Siege, zur Macht, zur Freiheit zu führen. Er ist da von großer Willensstärke, vielleicht auch ohne Skrupel. Was nicht für ihn ist, und zwar bedingungslos und ohne Widerspruch, ist gegen ihn.«

Mölders starb am 22.11.1941 beim Absturz der Kuriermaschine, die ihn von Sewastopol nach Berlin zum Staatsbegräbnis von General Udet bringen sollte. Göring ließ diesen Tagesbefehl am 24.11.1941 verkünden: »So wird Oberst Mölders in der Luftwaffe wie in der Geschichte des deutschen Volkes bis in alle Ewigkeit fortleben. Sein Andenken soll uns stolze Tradition und stets Vorbild höchster militärischer Tugend sein.« Doch am 28. Januar 2005 ließ die Hardthöhe verlauten: »Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck, hat entschieden, die Werner-Mölders-Kaserne in Visselhövede und das in Neuburg an der Donau stationierte Jagdgeschwader 74 Mölders umzubenennen.« Damit wurde der Vorstoß von Gerhard Zwerenz von 1998, die »Legion Condor« aus der Traditionspflege zu tilgen, nach immerhin sieben Jahren umgesetzt. Wütende Proteste folgten. In einer Ehrenanzeige verneigten sich pensionierte Offiziere der Bundeswehr vor Mölders: »Er bewies Charakter und Anstand in schwerer Zeit.«

Eine einzigartige Ballung von skandalösen Straßennamen fand sich bis vor kurzem in Fürstenfeldbruck. Reichsmarschall Göring hätte seine teuflische Freude an dieser Kriegsnostalgie gehabt; denn über 30 Ritterkreuzträger, Flieger-Asse und Nazi-Generäle wurden dort öffentlich geehrt. In diesem Jahr wurden einige Straßennamen getilgt. Entfernt wurde unter anderem der Name Mölders. Verschwunden ist auch der Name Ritter von Mann. Dieser war in den Jahren 1942/43 Offiziersrichter am Reichskriegsgericht und unterzeichnete das Todesurteil gegen Krystina Wituska. Andere Namen werden derzeit noch geprüft.

Jeder Krieg produziert Helden. Der Heldenkult vereinfacht die komplexe Realität von Vernichtungskrieg und Besatzungsherrschaft auf eine Lebensgeschichte, die von Kampf und Sieg geprägt war. Mit der Rede von den »zeitlosen soldatischen Tugenden« werden die schuldhaften Verstrickungen der Wehrmacht enthistorisiert und entnazifiziert. Das Credo des deutschen Militarismus lautet: »Nicht wofür wir kämpfen ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen.« (Ernst Jünger)

Traditionspflege ist Erinnerungskultur nach innen und Geschichtspolitik nach außen. Innerhalb der Bundeswehr ist die Traditionspflege leider vielfach kein Anlass für historische Aufklärung, sondern ein Tabu. Die biographischen Skizzen, Gutachten und Fachstudien des MGFA Potsdam zu allen Traditionsnamen der Bundeswehr bleiben unter Verschluss.

Der notwendige öffentliche Diskurs wird durch Abschottung unterdrückt. Skandalnamen wurden stets nur auf Druck von Initiativen aus der Zivilgesellschaft getilgt. So bleibt die bange Frage, ob die Traditionspflege der Bundeswehr nach 50 Jahren endlich in der Demokratie ankommt.

Jakob Knab, geb. 1951, studierte in München und in Edinburgh (Schottland), seit 1978 ist er im höheren Schuldienst tätig. Seit knapp 20 Jahren erkundet und erhellt er die Problemfelder der Traditionspflege. Er ist Gründer und Sprecher der »Initiative gegen falsche Glorie« in Kaufbeuren im Allgäu. Er veröffentlichte Beiträge zur Geschichtspolitik und Erinnerungskultur; so zählt er zu den Autoren des Sammelbandes »Wider die Kriegsmaschine«, der vor kurzem im Klartext-Verlag Essen erschienen ist.

Aus: Neues Deutschland, 30. September 2005


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