Aufruhr im Bundestag
Debatte über die Ukraine mündete in Vorwürfe und Schulterschluss aller gegen die LINKE
Von Uwe Kalbe *
Am Mittwoch trat die Bundeskanzlerin mit einer Regierungserklärung
vor den Bundestag. Die anschließende Debatte eskalierte.
Doch nicht Angela Merkel galt der breite Zorn, sondern der LINKEN.
Viele wichtige Felder streifte die
Kanzlerin am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung,
die dem bevorstehenden
Treffen der G7-Staatengewidmet
war. Doch erst mit ihrer Erklärung, warum die G7-Runde erstmals
seit 16 Jahren nicht als G8 zusammentrifft,
kam sie zu dem entscheidenden, polarisierenden Thema,
das in einen Eklat münden sollte. Angela
Merkel begründete die Ausladung Russlands als achten Teilnehmerstaat
mit der Rolle, die Moskau nach Ansicht des Westens im Konflikt
um die Ukraine spielt. Und in ihrer
Kritik an Präsident Putin trifft sich die
Koalition mit einem Teil der Opposition,
mit den Grünen nämlich. Diese
taten, was sie seit Wochen tun – Merkel
kritisieren und Putin kritisieren,
wenn es sein muss in einem Atemzug.
Mit ihrer gleichzeitigen Kritik auch
gegenüber der LINKEN machte Grünen-
Fraktionschefin Kathrin Göring-
Eckardt eine neue Front im Bundestag
auf – angefeuert von den lautstarken
Unterstützungen der Koalition
aus Union und SPD.
Als Vertreterin der Linksfraktion
war deren Vizevorsitzende Sahra Wagenknecht
zunächst hart mit der Bundesregierung
und dem Westen insgesamt ins Gericht gegangen. Sie warnte
dabei vor den rechten, teils faschistischen
Kräften, die an den politischen
Entwicklungen in der Ukraine beteiligt sind und die »teils kräftig zugelegt« hätten. »Wenn das als Weckruf
nicht reicht, worauf wollen Sie
noch warten?«, rief Wagenknecht der
Kanzlerin zu, die mit ihrem Nachbarn
in ein demonstratives Vieraugengespräch
vertieft war. Die Bundesregierung belüge die Bevölkerung, was die
Lage in der Ukraine angeht. Deutschland
müsse sich »aus dem Schlepptau der US-Kriegspolitik« in Osteuropa lösen,
meinte die LINKE-Politikerin. »Es gibt keinen Frieden und keine Sicherheit in Europa ohne und gegen Russland.«
Weniger gleichmütig als die Bundeskanzlerin
trat danach Kathrin Göring-
Eckardt ans Pult und Wagenknecht
entgegen. »Billigsten Populismus« und ein fragwürdiges Weltbild
warf sie Wagenknecht vor. »Kein Wort über die Krim, kein Wort über den
Exodus der Tataren, kein Wort, dass dort tatsächlich Wahlen stattgefunden haben«. Die Faschisten hätten dabei
nicht einmal zwei Prozent erhalten,
so Göring-Eckardt. In der Ukraine versuchten Menschen, ein demokratisches Land aufzubauen, und wer
das nicht unterstütze, der stelle sich »außerhalb der Demokratie«. In einer Zwischenintervention machte daraufhin
Wagenknechts Fraktionsgenossin
Sevim Dagdelen ihrer Empörung mit drastischen Worten Luft, indem
sie Bertolt Brecht zitierte. »Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß
ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.« Es entsetze sie, so Dagdelen, dass sich für die Grünen Neofaschismus und Antisemitismus in der Ukraine mit der Wahl offenbar erledigt hätten, obwohl sie es besser wissen
müssten. Es seien fünf Minister in Kiew mit Bezug zu rechten Parteien
in der Regierung vertreten, linke Kandidaten hätten sich wegen der Bedrohungen durch die Nazis zurückgezogen.
Faschisten und Antisemiten würden von Göring-Eckardt verharmlost,
das sei »schändlich«. Unterstützt vom Bundestagspräsidium,
zeigte sich Göring-Eckardt danach pikiert, aber kaum beeindruckt. Dagdelen solle »aufhören mit dieser absurden Unterstellung«, niemand in
diesem Haus würde »Zusammenarbeit mit Faschisten akzeptieren«.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014
Zurück zur Bundestags-Seite
Zur Bundestags-Seite (Beiträge vor 2014)
Zur Ukraine-Seite
Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)
Zurück zur Homepage