Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aufregung um Gauck-Zitat

Lammert weist im Bundestag Gysi zurecht

Von Aert van Riel *

In der Generalaussprache zum Etat des Bundeskanzleramts kritisiert Gregor Gysi Äußerungen von Joachim Gauck zur deutschen Außenpolitik. Für Politiker der Koalition ist das nicht hinnehmbar.

Die Zwischenrufe kommen immer wieder aus der ersten Reihe. »Keine Ahnung von der Sache«, schreit der SPD-Politiker Johannes Kahrs durch den Plenarsaal in Richtung des Rednerpults. Dort spricht gerade Gregor Gysi über soziale Ungerechtigkeiten. Er kritisiert die noch immer niedrigeren Rentenleistungen in Ostdeutschland. Als in den Reihen der Regierungsfraktionen während seiner Rede keine Ruhe einkehrt, antwortet der Linksfraktionschef lächelnd: »Ich freue mich, dass Sie sich aufregen. Also scheine ich doch ins Schwarze zu treffen.« Es ist einer der lebhafteren Momente in dieser sogenannten Generaldebatte des Bundestags, in der es um den Etat des Kanzleramts geht. Die mehr als vier Stunden andauernde Diskussion wird von der Opposition traditionell für eine grundsätzliche Kritik an der Politik der Bundesregierung genutzt.



Doch inzwischen hat die Koalition einige der zentralen Themen der Opposition abgeräumt. Der Widerstand gegen die Atomenergie, einst das wichtigste Anliegen der Grünen, spielt seit dem hierzu geschlossenen Kompromiss schon lange keine Rolle mehr. Inzwischen hat die Große Koalition mit dem Mindestlohn auch ein Thema, für das einst nur die LINKE stand, aufgegriffen. Gysi lobt: »Es wird höchste Zeit, dass er kommt. Ich begrüße das.« Allerdings moniert er, dass der Mindestlohn mit 8,50 Euro zu niedrig ausfalle und die Ausnahmen nicht hinnehmbar seien. So sollen etwa frühere Langzeitarbeitslose vom Mindestlohn ausgeschlossen werden. »Das ist demütigend«, sagt Gysi empört.

Aufregung herrscht am Ende seiner Rede. Bundestagspräsident Norbert Lammert rügt, Gysi habe Bundespräsident Joachim Gauck nicht korrekt und präzise zitiert. Damit bezieht sich der CDU-Mann auf den Teil von Gysis Rede, in dem es heißt: »Alle Kriege der letzten Jahre haben die Menschheitsprobleme nicht gelöst, sondern verschärft. Was sagt unser Bundespräsident? Wir sollen noch mehr an Militäreinsätzen teilnehmen.« Das bedeute aber nicht, wie er meint, mehr Verantwortung, das bedeute mehr Verantwortungsversagen, so Gysi.

In einer Kurzintervention verteidigt sich der Linksfraktionschef:



Gauck habe mit seinen Äußerungen auf der Sicherheitskonferenz vor Generälen und Verteidigungsministern über »mehr Verantwortung« auch mehr militärische Verantwortung gemeint. Vorwürfe von Politikern von Union und SPD, er sei für Äußerungen des Brandenburger LINKE-Landtagsabgeordneten Norbert Müller verantwortlich, der Gauck indirekt als »widerlichen Kriegshetzer« bezeichnet hatte, weist Gysi zurück. Ebenso distanziert er sich von der Wortwahl seines Parteikollegen.

Nachdem Lammert seine Kritik an Gysis Äußerungen ausgesprochen hat, applaudieren neben den Abgeordneten von Union und SPD auch die Grünen. Deren Fraktionschef Anton Hofreiter meint, Gauck habe immer wieder die »internationale Verantwortung betont, die sich aus unserem Wohlstand ergibt«. »Wer auf das Leid und die Konflikte in der Welt schaut, der kann ihm nur zustimmen«, sagt Hofreiter.



Als Hauptargument gegen die Politik der Regierung führt der Grüne an, dass sie »das Land unter seinen Möglichkeiten« regiere. Deutschland könne mit seinen vielen innovativen Wissenschaftlern mehr zur Lösung von Problemen beitragen. Hofreiter bezieht dies auch auf den Klimawandel. »Deutschland kann nicht zugleich Kohleland und Vorreiter in der Energiewende sein«, sagt er wütend.

Besonders auffällig an der Rede des Bayerns ist sein lautes Rufen und wildes Gestikulieren, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Etwas unglücklich formuliert Hofreiter zudem seine Prognose für die kommenden drei Jahre: »Aus dieser Bundesregierung geht Deutschland schwächer raus, als es rein gegangen ist.« Der Satz ist offenbar eine Anspielung auf ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese hatte immer wieder behauptet, dass am Ende »Europa stärker aus der Krise hervorgehen wird, als es in sie hineingegangen ist«.

Als die CDU-Chefin an der Reihe ist, wird es im Plenarsaal vorübergehend stiller. Die Kanzlerin verweist darauf, dass die Bundesregierung dieses Jahr ein Wachstum von real etwa 1,8 Prozent erwarte, das 2015 auf zwei Prozent steigen könne. Daraus meint Merkel ableiten zu können, dass »Deutschland Stabilitätsanker und Wachstumsmotor der Eurozone und der gesamten EU bleibt«. Es sind vor allem Floskeln und Stanzen wie diese, aus denen ihre Rede besteht. Der Auseinandersetzung mit ihren Kritikern verweigert sich die Kanzlerin. Sie geht einfach nicht darauf ein.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 26. Juni 2014


Zurück zur Bundestags-Seite

Zur Bundestags-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage