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Gabriel (SPD): "Die Bundeswehr gehört zu den großen Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik" / Buchholz (Linke): "Die Bundeswehr wird zu einer Einsatzarmee umfunktioniert"


Am 24. Februar 2011 debattierte der Bundestag in erster Lesung über die Aussetzung der Wehrpflicht. Hierzu müssen die geltenden wehrrechtlichen Vorschriften geändert werden. Dazu stellte die Bundesregierung einen Entwurf zu einem Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 zur Diskussion. Die Debatte geriet zeitweise aber - aus aktuellem Anlass - zu einer Auseinandersetzung um die Pläne des Verteidigungsministers zu einer Bundeswehrreform und um die Person des Ministers selbst (wegen seiner auf zahlreichen Plagiaten beruhenden Doktorarbeit). Des Weiteren wird häufiger das "Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr" erwähnt. Dieses Dokument wurde im Februar 2011 dem Verteidigungsausschuss übermittelt. Es ist hier dokumentiert: "Maßnahmenpaket ..." (pdf-Datei).

Im Folgenden dokumentieren wir die Debatte in der Reihenfolge der Redner/innen.

Vorläufiges Protokoll der 93. Sitzung vom 24. Februar 2011

93. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2011

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 - WehrRÄndG 2011)

- Drucksache 17/4821 -

(...)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister der Verteidigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf über die Aussetzung der Verpflichtung zum Grundwehrdienst steht nunmehr einer der Kernpunkte der Neuausrichtung der Bundeswehr auf der Tagesordnung der heutigen Debatte.

Wir nehmen mit der Einführung eines Freiwilligenwehrdienstes Abschied von der Verpflichtung zum Grundwehrdienst. Wir nutzen diese Gelegenheit auch, um den vielen Grundwehrdienstleistenden der letzten Jahrzehnte Dank zu sagen. Es waren Millionen, die in diesem Sinne auch eine besondere Verpflichtung für unser Land zum Ausdruck gebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die allgemeine Wehrpflicht war in der über 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr zu ihrer Zeit die richtige Wehrform. Darauf darf man auch immer wieder hinweisen. Die Zusammensetzung unserer Streitkräfte aus Berufs- und Zeitsoldaten, Grundwehrdienstleistenden und zusätzlich freiwillig Wehrdienstleistenden sowie Reservisten hat entscheidend zur erfolgreichen Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr und zu ihrem hohen Ansehen beigetragen.

Ich persönlich bin immer ein grundsätzlicher Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht gewesen. Das ist bekannt. Die Änderung der Wehrform war für mich niemals Selbstzweck, und sie ist mir - wie vielen von uns in diesem Hause - außerordentlich schwergefallen. Aber die Untersuchungen des letzten Jahres, die Analysen, die wir angestellt haben, der Bericht des Generalinspekteurs und der Bericht der Strukturkommission unter Leitung von Herrn Weise haben in Verbindung mit längeren, sehr ernsthaften, intensiven Diskussionen und Debatten ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Die Verpflichtung zum Grundwehrdienst ist heute sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar. Auch für mich hat das letztendlich ein Umdenken bedeutet - aber ein Umdenken, aus dem auch eine Perspektive erwachsen sollte.

Der letztlich entscheidende Maßstab für die Bundeswehr muss die Fähigkeit zum Einsatz im Rahmen des gegebenen Auftragsspektrums sein. In diesem Gesamtkontext steht auch der heute vorliegende Gesetzentwurf. Die Bundeswehr hat, wie wir wissen, mit den aktuellen Einsatzverpflichtungen in vielen Bereichen bereits ihre Leistungsgrenze erreicht. Darüber hinaus entsprechen ihre Strukturen nicht mehr den Anforderungen, die an den heutigen Einsatz und die künftigen Einsätze anzulegen sind.

Eine Neuausrichtung mit Blick auf eine stärkere Einsatzorientierung war und ist daher unabdingbar. Wir brauchen deswegen heute keine unverhältnismäßig hohe Zahl von Soldaten mehr, sondern hochprofessionelle Streitkräfte, die über weite Distanzen für schwierige Einsätze schnell verlegt und für Risikoszenarien nachhaltig eingesetzt werden können.

Die Bundeswehr ist heute eine Armee im Einsatz. Erst vor wenigen Tagen haben wir einmal mehr auf erschütternde Weise feststellen müssen, was es bedeutet oder bedeuten kann, Armee im Einsatz zu sein. Ich glaube, unser aller Gedanken und auch Gebete sind heute bei den gefallenen Soldaten von letzter Woche. Wir denken an die zehn Verwundeten und hoffen auf ihre baldige Genesung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sicher ist: Es wird niemals risikofreie Einsätze geben und geben können. Aber es bleibt unsere dauerhafte Verpflichtung, alles, wirklich alles zu tun, um die Gefahren und Risiken für unsere Soldatinnen und Soldaten auf ein Mindestmaß zurückzuführen, und alles zu tun, um bei Ausbildung, Ausrüstung und Schutzmaßnahmen, die zu ergreifen sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden: Wir müssen unsere Soldaten bestens gesichert und für ihre Aufgaben auch ausgebildet in den Einsatz schicken. Die Bedingungen, die wir gerade für das Letztgenannte zu schaffen haben, müssen wir noch intensiver betrachten. Dazu gehören Laufbahn- und Personalstrukturen sowie bestmögliche soziale, aber eben auch materielle Bedingungen. Gerade letztere haben eine bedeutende Auswirkung auf die Sicherstellung der Motivation unserer Soldatinnen und Soldaten - und damit indirekt auch auf die Fähigkeit, im Einsatz bestehen zu können.

Unter den gegebenen finanziellen Bedingungen liegt hierin eine erhebliche Herausforderung. Auch wir müssen sparen und einen Beitrag zum Sparen erbringen; wir müssen unsere Bundeswehr gleichzeitig aber auch zukunftsfest aufstellen, damit sie eine Perspektive entwickeln kann. Wir müssen hier noch weiter freundschaftlich und intensiv auch innerhalb der Bundesregierung verhandeln, damit wir die Bundeswehr entsprechend aufstellen können.

Bei einem geringeren Gesamtumfang der Streitkräfte würde die Ausbildung und Betreuung von Grundwehrdienstleistenden zu viele Berufs- und Zeitsoldaten binden. Das war einer der Gründe, weshalb wir gesagt haben: Wir können künftig den Grundwehrdienst nicht mehr so wie ursprünglich aufrechthalten. Die weiteren Gründe haben wir ausgiebig und intensiv diskutiert. Es würde heute zu weit führen, darauf noch einmal hinzuweisen.

Es war nach alledem folgerichtig, dass die Bundesregierung zeitgleich mit ihrem Eckpunktebeschluss zur Neuausrichtung der Bundeswehr am 15. Dezember des vergangenen Jahres die Gesetzesnovelle zum Wehrpflichtgesetz auf den Weg gebracht hat. Die Pflicht zum Grundwehrdienst soll zum 1. Juli 2011 ausgesetzt werden; das ist der derzeitige Plan. Die letzten verpflichtend grundwehrdienstleistenden Soldaten wurden am 3. Januar dieses Jahres eingezogen.

An die Stelle des Grundwehrdienstes tritt ein neuer, ein freiwilliger Wehrdienst von 12 bis 23 Monaten für junge Frauen und Männer. Weder die verfassungsrechtliche noch die einfachgesetzliche Grundlage der Wehrpflicht wird aber gänzlich abgeschafft. Ich halte es weiterhin für geboten und richtig, dass wir die verfassungsrechtliche Grundlage der Wehrpflicht erhalten haben und weiter erhalten; das ist mit Blick auf Szenarien, die wir heute sicher noch nicht ganz absehen können, eine richtige und kluge Entscheidung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen Bewährtes erhalten, auch als Rückversicherung. Im Kern wird also lediglich die Verpflichtung zum Grundwehrdienst ausgesetzt.

Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass die Gewinnung von Freiwilligen angesichts der Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern um qualifiziertes Personal wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft darstellt. Gerade bei den Laufbahnen der Mannschaften muss hier ein Schwerpunkt liegen; hierauf hat der Inspekteur des Heeres zu Recht hingewiesen. Wir nehmen diese Herausforderung mit aller Kraft an.

Es geht jetzt darum, auch mit diesem Gesetz die geeigneten Instrumente zu schaffen und sich darüber hinaus mit viel Kreativität dem Wettbewerb zu stellen. Bereits mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz ist vorgesehen, dass junge Menschen mit Informationsmaterial über einen Freiwilligendienst in der Bundeswehr versorgt werden und eine ausführliche Beratung über Dienstmöglichkeiten in der Bundeswehr erhalten können. Wir müssen uns auch hier öffnen, neue Wege beschreiten und insbesondere die neuen Medien im Blick haben, also die heutigen Formen, junge Menschen anzusprechen, tatsächlich nutzen.

Der deutlich verbesserte Wehrsold für diejenigen, die den freiwilligen Wehrdienst leisten, sowie die Verpflichtungsprämien sind zusätzliche starke Signale an potenzielle Interessenten. Hinzu kommen bessere Unterbringungsstandards für Mannschaften, eine nach Möglichkeit heimatnahe Verwendung, die Fortgeltung der Steuerfreiheit der Geld- und Sachbezüge, der kostenlosen Familienheimfahrten sowie der Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes. Aus dem Parlament, vom BundeswehrVerband und vom Wehrbeauftragten kamen viele Hinweise. Das sind Punkte, auf die wir viel Wert legen und die die künftige Gestaltung der Bundeswehr bestimmen müssen. Sie bilden natürlich auch den Rahmen dafür, wie wir uns künftig finanziell aufstellen können.

Darüber hinaus sind Attraktivitätsmaßnahmen geplant, insbesondere die Erweiterung der Möglichkeit, im Rahmen der Berufsförderung an Aus-, Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Attraktivität ist - über die Sicherung des Nachwuchses bei den Mannschaftsdienstgraden hinaus - insgesamt der Schlüssel zur künftigen personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Zu Beginn dieses Jahres wurde deshalb ein Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr erlassen, das alle Soldatinnen und Soldaten - ich betone: alle - betrifft. Hierüber wurde der Verteidigungsausschuss informiert. Dieses Maßnahmenpaket enthält über 80 grundsätzlich mögliche Maßnahmen, die jetzt alle auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft werden. Nicht alles wird und soll kommen; das darf ich an dieser Stelle sagen. Entscheidend sind im Einzelfall kurzfristig greifende Maßnahmen, um den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu machen. Die eine oder andere Idee ist nach einer Überprüfung bereits verworfen worden, aber es bleiben viele, die wir umzusetzen haben.

Neben der Einrichtung von Eltern-Kind-Arbeitszimmern an 200 Standorten planen wir die Flexibilisierung und Verlängerung von Regelverpflichtungszeiten, die verstärkte Besetzung ziviler Dienstposten mit ausscheidenden Soldaten auf Zeit, mehr Möglichkeiten des Wohnens in Gemeinschaftsunterkünften, die Erhöhung von Zulagen und Ausgleichssätzen für mehrgeleisteten Dienst und eine angemessenere Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für dienstlich veranlasste Umzüge. Für einige dieser Maßnahmen brauchen wir gesetzliche Regelungen, um deren Unterstützung ich gerne bitten und werben will.

Heute bitte ich Sie um Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes. Je schneller wir in der Lage sind, die im Gesetz enthaltenen Maßnahmen umzusetzen, umso schneller können wir dringend benötigte Freiwillige in die Streitkräfte einstellen und die im Entwurf enthaltenen Attraktivitätsmaßnahmen wie den erhöhten Wehrsold und die Verpflichtungsprämien endgültig umsetzen. Mit Ihrer Zustimmung leisten Sie alle einen entscheidenden Beitrag zur erfolgreichen Neuausrichtung unserer Bundeswehr, zur Gewährleistung ihrer Einsatzfähigkeit und damit zu unserer Sicherheit. Wir können bei der Neuausrichtung der Bundeswehr einen wichtigen, großen Schritt vorangehen, gerade mit Blick auf die Attraktivität des Dienstes, die unsere Soldaten mehr als verdient haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Sigmar Gabriel (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unzweifelhaft: Die Bundeswehr gehört zu den großen Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik. Es ist eine demokratische Erfolgsgeschichte, weil die Bundeswehr nie Staat im Staate war, sondern immer in der Mitte der Gesellschaft und fest verankert war in der Demokratie. Sie ist eine europäische Erfolgsgeschichte, weil keiner unserer Nachbarn jemals vor Aggressionen Angst haben musste und davor, dass die Bundeswehr eine Gefahr für sie darstellen würde. Ganz im Gegenteil: Die Bundeswehr ist immer eine Armee gewesen, die sich sehr dem Frieden, der Völkerverständigung und auch dem Völkerrecht verbunden gefühlt hat. Nie zuvor gab es eine deutsche Armee, die das von sich sagen konnte.

Die große und wirklich bedeutende Geschichte der Bundeswehr ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland, und sie ist untrennbar mit der Wehrpflicht verbunden gewesen. Die Wehrpflicht sicherte, dass die Bundeswehr den Querschnitt der Bevölkerung repräsentierte, dass der Nachwuchs aus allen Bevölkerungsschichten gewonnen wurde, und vor allen Dingen sorgte sie dafür, dass wir alle uns mit der Bundeswehr beschäftigt haben, weil es immer unsere eigenen Söhne und Töchter sein konnten, die dort ihren Dienst taten.

Wir alle wissen: Die Beendigung der Wehrpflicht, wie sie heute vorgeschlagen wird - ob von Dauer oder auf Zeit, wird sich erst noch herausstellen -, ist deshalb von großer und weitreichender Bedeutung. Die SPD hat wegen der Schwierigkeiten der Wehrgerechtigkeit diesen Weg bereits 2007 vorgeschlagen. Unsere früheren Koalitionspartner CDU und CSU wollten ihn damals nicht gehen. Jetzt wollen sie ihn gehen. Wir begrüßen das.

(Beifall bei der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Peter Struck wollte ihn nicht gehen!)

Aber wir wissen auch: Die Beendigung der Wehrpflicht, ob auf Dauer oder zeitweilig, wird die Rahmenbedingungen für die Bundeswehr, auf die sie sich fünf Jahrzehnte verlassen konnte, völlig verändern. Es kommt deshalb darauf an, dass wir mit der Änderung dieser zentralen Rahmenbedingungen nicht auch die Erfolgsgeschichte der Bundeswehr in der deutschen Geschichte beenden. Auch ohne Wehrpflicht muss es uns gelingen, den Nachwuchs der Bundeswehr aus allen Schichten der Bevölkerung zu gewinnen und den Dienst so attraktiv zu machen, dass die Bundeswehr nicht in Gefahr gerät, nur noch Negativauslese derjenigen zu werden, die es woanders nicht geschafft haben. Die Bundeswehr muss deshalb auch eine Qualifizierungsarmee werden. Vor allem darf die Abschaffung der Wehrpflicht nicht dazu führen, dass wir uns weniger für die Soldatinnen und Soldaten interessieren, sie schlechter ausstatten oder ausbilden oder sie gar leichtfertiger in gefährliche Auslandseinsätze schicken.

Wenn ich mir allerdings ansehe, wie diese Bundeswehrreform beginnt, dann stelle ich fest, dass sich die Bundesregierung und der Bundesverteidigungsminister schon in den ersten Schritten von der Bundeswehr abwenden. Die ganze Reform beginnt als Sparaktion. Mehr als 8 Milliarden Euro sollen durch diese Bundeswehrreform eingespart werden. Der Verteidigungsminister ist vollmundig mit einer gigantischen Sparbüchse auf die Bundeswehr losgegangen. Inzwischen muss er kleinlaut zugeben, dass er nicht etwa einsparen, sondern möglicherweise sogar mehr Geld ausgeben muss. Statt die Aufgaben der Bundeswehr zur zentralen Messlatte für die Reform, die Organisation, die Ausstattung und die Bezahlung der Bundeswehr zu machen, erklärt der Bundesverteidigungsminister am 25. Oktober des letzten Jahres bei der Vorstellung seiner Reform bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg - ich zitiere -, der höchste - ich betone - der ?höchste strategische Parameter? der Bundeswehrreform sei die Haushaltskonsolidierung. Die Bundeskanzlerin attestiert ihm am Anfang des Jahres, der Sparbeitrag - Frau Kanzlerin, so haben Sie gesagt - des Verteidigungsministers sei das Wichtigste. Frau Bundeskanzlerin, ich sage Ihnen, was unser höchster strategischer Parameter ist und was für uns das Wichtigste ist: die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten. Das ist der wichtigste strategische Parameter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen die Bundeswehr zum Sparschwein Ihrer Haushaltspolitik. Das ist nicht nur ein politischer Fehler; im Zweifel ist das für die Soldatinnen und Soldaten ziemlich gefährlich. Die Bundesregierung und vorneweg der Verteidigungsminister verwechseln die Reihenfolge: Sie entscheiden zuerst über drastische Einsparungen und wundern sich dann, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben nicht erledigen kann. Sie müssen diese Reform vom Kopf auf die Füße stellen: Zuerst müssen Sie die Aufgaben festlegen, die die Bundeswehr erfüllen soll. Danach müssen Sie sagen, welche Ausbildung und Ausstattung die Soldaten dafür brauchen. Danach müssen Sie sagen, wie Sie ohne die Wehrpflicht das Personal für diese Aufgaben bekommen. Und dann müssen Sie den Finanzbedarf für diese Aufgaben und für diese Nachwuchsgewinnung festlegen. Das ist die richtige Reihenfolge der Bundeswehrreform.

(Beifall bei der SPD - Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Genauso machen wir das! Genauso!)

Sie versuchen es genau umgekehrt, und deswegen geht das schief; denn ohne deutlich bessere Bezahlung, ohne Angebote für Ausbildung, Studium und Weiterverwendung nach der Bundeswehr werden Sie den benötigten Nachwuchs nicht gewinnen können. Sie haben kein Konzept dafür, wie wir die Freiwilligendienste ausbauen können.

Übrigens werden wir natürlich Standorte schließen müssen. Wir können die Standortdebatte auch nicht zum Maßstab der Ausrichtung der Bundeswehr machen. Aber dann müssen Sie doch ein Konversionsprogramm auflegen, mit dem die Bürgermeister und Landräte leben können. Auch das kostet Geld. Aber nichts davon findet sich in Ihrem Konzept wieder.

(Beifall bei der SPD)

Gerade haben Sie selbst, Herr Verteidigungsminister, Ihr Maßnahmenpaket zitiert. Ich lese einmal ein bisschen daraus vor, weil das deutlich macht, dass das alles Floskeln sind. Ich zitiere eine schöne Formulierung zu einem Punkt, den Sie selber gerade angesprochen haben: ?Die bisherigen Mannschaftslaufbahnen sind mit dem Ziel der Erhöhung der Attraktivität neu zu gestalten.? - Aber dann ist Schluss. Dazu, wie das geschehen soll, steht nichts in Ihrem Maßnahmenpaket. Es finden sich nur wolkige Formulierungen, aber nichts Konkretes. Im Hinblick auf tatsächlich vorhandene gute Vorschläge wie die von Ihnen eben angesprochene Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss Ihr Staatssekretär sofort zugeben, dass dies alles unter dem Finanzierungsvorbehalt des Finanzministers steht. Das ist Camouflage. Sie haben Ihren Job nicht gemacht. Sie haben nicht gesagt, was man schaffen muss, wenn man die Bundeswehrreform zu einem Erfolg machen will. Das ist unser Vorwurf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir bekommen ein hohles Gesetz ohne jeden Realitätsbezug. Der Verteidigungsminister kann keine Antwort auf die Frage nach der künftigen Struktur der Bundeswehr oder nach den Standorten geben. Er kann keine Antwort auf die Fragen zur Nachwuchsgewinnung der Armee und schon gar keine zum Finanzierungskonzept geben. Auf jede Frage bleibt der Verteidigungsminister die Antwort schuldig - und das, obwohl die Reform am 1. April 2011 starten soll.

Im Weise-Bericht heißt es: "Gefordert sind schnelle Entscheidungen" - Wir fragen uns, Herr Minister, was Sie in den letzten knapp fünf Monaten seit Vorlage des Gutachtens eigentlich getan haben. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, dann am 22. November 2010 als Regierungschefin nach Dresden zur Kommandeurstagung fahren und den Kommandeuren zum Thema der Bundeswehrreform den Spruch "no risk, no fun" entgegenhalten, dann frage ich mich, auf welcher geistigen Höhe in Deutschland inzwischen Sicherheitspolitik gemacht wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kanzlerin, für uns hört der Spaß an dieser Stelle auf. Bei der Bundeswehr geht es nicht um "fun", wie Sie offenbar meinen, sondern um die Sicherheit unseres Landes, um die Sicherheit der Einsätze sowie um Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten.

Inzwischen wissen wir, dass der Heeresinspekteur alarmiert ist, weil ihm zum 1. April 2011 nur ein Fünftel der benötigten Rekrutinnen und Rekruten zur Verfügung steht. Der Generalinspekteur räumt ein, dass die Bundeswehr Gefahr läuft, 2012 nicht mehr genügend Soldatinnen und Soldaten für den Auslandseinsatz zu haben. Die Bundeswehr ist - wir kennen den Begriff - bedingt abwehrbereit und bedingt einsatzbereit. Das, Herr Verteidigungsminister, sind die tatsächlichen Resultate Ihrer fachlich angeblich so guten Arbeit. Das ist das Produkt Ihrer Amtszeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihre sogenannte Bundeswehrreform entfaltet bei den jungen Männern und Frauen in Deutschland gerade eine enorme Signalwirkung. Das kann man wohl sagen. Wir lesen, dass von 166 000 Briefen der Kreiswehrersatzämter an junge Frauen und Männer nur ganze 7 000 mit Interessenbekundungen zurückkamen, also nur knapp 4 Prozent. Das ist die Signalwirkung, die von Ihnen ausgeht, und zwar nicht deshalb, weil die Bundeswehr ein schlechter Arbeitgeber wäre, sondern weil die jungen Männer und Frauen auf jede konkrete Frage, wie ihr freiwilliger Dienst in der Bundeswehr denn aussehen soll, keine konkrete Antwort bekommen. Sie haben ein Chaos organisiert, wenn Sie so weitermachen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch einmal: In fünf Wochen soll der Nachwuchs der Bundeswehr allein aus Freiwilligen gewonnen werden. Diese Eile haben Sie sich übrigens selbst auferlegt. Das Kabinett hat beschlossen, dass erst zum 1. Juli 2011 umgestellt werden soll. Sie aber sagen: Nein, es muss schon zum 1. April 2011 geschehen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Macht doch eine Anzeige in der Bild-Zeitung!)

Es geht immer nach dem alten Motto: Schnell, schneidig, schick!

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schick?)

Aber es geht nicht um ein Wettrennen, Herr Verteidigungsminister. Es geht um unsere Soldatinnen und Soldaten und um die Leistungsstärke und Funktionsfähigkeit der Armee. Wir können Sie nur auffordern: Verschieben Sie die Reform so lange, bis Sie wirklich wissen, wohin Sie wollen und wie Sie das machen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen erst die Voraussetzungen für die Reform schaffen und dann handeln und nicht umgekehrt. Wenn Sie weiter im Blindflug unterwegs sind, ist die Reform schon gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Das größte Kapital bei dieser wirklich großen Reform ist doch das Vertrauen der Menschen, auch der Soldatinnen und Soldaten, in die politische Führung. Genau dieses für die Reform wichtige Vertrauen verspielen Sie gerade. Hinter der glitzernden Fassade aus großen Worten und schillernden Begriffen von der größten Reform aller Zeiten befindet sich bei Ihnen nur der unbedingte Wille zur Ankündigung, Herr Minister, mehr nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir merken, dass Schein und Sein bei Ihnen ziemlich unterschiedlich sind.

Weil es um das Vertrauen geht, Frau Bundeskanzlerin, möchte ich Sie ganz persönlich ansprechen. Ich achte Sie nicht nur wegen Ihres Amtes, Frau Kanzlerin. Ich achte Sie auch, weil wir uns in der Großen Koalition kennengelernt haben.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

- Sie müssen nicht lachen. Ich meine das ganz ernsthaft.

(Elke Hoff (FDP): Lächeln darf man noch!)

- Wenn Sie lächeln, wenn ich Sie lobe, verzeihe ich Ihnen das. Ich habe die Absicht, das zu tun.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe Sie als jemanden kennengelernt, der, na klar, machtbewusst ist. Das ist keine Frage. Aber ich habe Sie nie als machtvergessen und auch nie als machtversessen erlebt. Ich habe mir das immer damit erklärt, dass Ihre Biografie Sie für demokratische Herausforderungen sensibel gemacht hat. Gerade weil ich Sie so kennengelernt habe, bitte ich Sie um eines: Muten Sie uns und der Bundeswehr, sich und unserem Land dieses unwürdige Schauspiel, das wir seit Wochen mit Ihrem Verteidigungsminister erleben, nicht länger zu.

Ich weiß nicht, ob Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Debatte im Bundestag gestern verfolgt haben. Wenn Sie das gemacht haben, dann ist Ihnen vielleicht eines aufgefallen.

(Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Sie waren nicht da!)

- Ich habe sie mir angeschaut und war erstaunt über das, was hier passiert ist. - Es gab keinen Ordnungsruf des Präsidenten, nicht einmal Tumulte oder allzu laute Proteste auf Ihrer Seite, als hier zum ersten Mal in der Geschichte des Parlaments ein amtierender Minister mehrfach von Abgeordneten Lügner, Hochstapler und Betrüger genannt wurde.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Thierse! Vizepräsident!)

- Nein, Frau Göring-Eckardt war gestern die Präsidentin.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie rügen also die Präsidentin!)

Es gab keine große Aufregung bei Ihnen und keinen Ordnungsruf. Frau Bundeskanzlerin, was glauben Sie wohl, warum das so war? Weil jeder hier im Haus wusste, dass das Tatsachenbehauptungen sind.

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Eine Unverschämtheit! Unerhört!)

Das ist doch das Problem. Jeder weiß, dass wir es mit einem politischen Hochstapler zu tun haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU)

- Ich habe kein Problem damit, wenn wir das einmal problematisieren würden. Vielleicht stellt auch jemand Strafantrag. Das wäre interessant.

Frau Bundeskanzlerin, stellen Sie sich doch nur für eine Sekunde vor, die Zeitungsberichte über das Verhalten des Verteidigungsministers, die Sie gelesen haben, enthielten nicht den Namen zu Guttenberg, sondern die Namen Trittin, Lafontaine oder Gabriel. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, was Sie gesagt und gedacht hätten, wenn das nicht Herr zu Guttenberg gewesen wäre. Dann wissen Sie, wie weit wir hier inzwischen weg sind von Recht und Gesetz, was für alle gelten soll. Dann wissen Sie das.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ehre, Pflichtgefühl, Recht und Anstand, das sind Begriffe, die gerade für den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr von großer Bedeutung sein müssen. Nichts davon findet sich im Handeln Ihres Ministers. Frau Bundeskanzlerin, was soll Ihre seltsame Bemerkung, Sie hätten einen Minister und keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter berufen? Spielt eigentlich - das frage ich Sie - der Charakter eines Menschen bei der Berufung in Ihr Kabinett für Sie keine Rolle mehr?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Es ist eine Zumutung für jeden Abgeordneten im Saal, dass wir hier von einem Regierungsmitglied für dumm verkauft werden sollen.

(Christine Buchholz (DIE LINKE): Das gibt es schon länger! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)

- Für dumm verkauft? Sagen Sie einmal: Glauben Sie wirklich daran, dass jemand aus Versehen 270 von 400 Seiten abschreiben kann? Was ist das denn für eine seltsame Ausrede? So etwas habe ich überhaupt noch nicht gehört. Aus Versehen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Für jeden von uns, der fair arbeitet, der etwas von Leistung, von Anstand hält, für jeden Abgeordneten ist es eine Zumutung, dass wir uns auf dieses intellektuelle und moralische Niveau herabbegeben müssen. Das ist die Zumutung, die hier im Parlament gerade stattfindet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Bundeskanzlerin, es geht nicht mehr um Herrn zu Guttenberg, es geht inzwischen um ganz prinzipielle Fragen von Rechtsstaat und Demokratie. Rücktritte in unserer parlamentarischen Demokratie waren ein Zeichen der Stärke. Sie haben gezeigt, dass das Parlament und die demokratischen Institutionen zur Korrektur fähig sind, dass sie Fehlvergehen am Ende nicht durchgehen lassen und ohne Ansehen der Person und des Amtes handeln. Das hat die Demokratie gestärkt.

Sie machen das Gegenteil. Sie und Ihr Minister sind in der letzten Woche eine politische Schicksalsgemeinschaft eingegangen. Sie haben die demokratische Achse unserer parlamentarischen Demokratie verschoben, und Sie haben einen Berufungsfall für künftige Parlamente und Regierungen geschaffen. Denn eines ist klar: Ein Verteidigungsminister, der eigene Regeln für sich beansprucht, die sich außerhalb des Werte- und Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland bewegen, der höhlt dieses Rechts- und Wertesystem scheibchenweise aus, weil er sich über Recht, Gesetz und Regeln setzt. Er offenbart eine Haltung, die ihre Wurzeln in der Ständegesellschaft, aber keinen Platz in einem demokratischen Land hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kanzlerin, es geht nicht mehr darum, ob Ihr Verteidigungsminister die Kraft und das Format hat, Konsequenzen zu ziehen, sondern es geht darum, ob Sie als Regierungschefin noch bereit sind, Schaden von unserem Land und seinen Institutionen abzuwenden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)

Ich bedaure es, aber ich bin mir sicher, dass Sie sich selber in Zukunft hier im Deutschen Bundestag noch an diese Tat erinnern werden. Ich bedaure, dass Sie - genauso wie wir - noch erleben werden, welche Konsequenzen das hat.

Ich lese Ihnen zum Schluss vor, was jemand geschrieben hat, der mit Sicherheit zu Ihrer Wählerschaft gehört und nicht zu der der Sozialdemokraten. Dr. Christoph Berglar hat an Sie geschrieben:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
meine Frau und ich haben sechs Kinder im Alter zwischen 14 und 29 Jahren. Wir haben als Eltern versucht, unseren Kindern sog. christliche Werte und solche der bürgerlichen Aufklärung zu vermitteln. Hierzu gehören u. a. das Bemühen um Wahrhaftigkeit und der Respekt vor dem Eigentum anderer - ohne Ansehung der Person!

Er schreibt weiter:

Einer Ihrer Minister hat nachweislich in höchst gravierendem Umfang gelogen, betrogen und gestohlen. Sie wissen das. Alle wissen das.

Trotzdem ziehen Sie aus machttaktischen Erwägungen nicht die einzig zulässige Schlussfolgerung: die Entlassung dieses Herrn aus Ihrem Kabinett.

Die weltweite Finanzkrise, deren Folgen allseits zu besichtigen sind, wurde von Schrott-Immobilien und einem Übermaß an Gier nach Geld ausgelöst. Die Legitimationskrise des bürgerlichen Lagers schwelt schon lange und wurde jetzt in dem von Ihnen regierten Land durch eine Schrott-Dissertation und ein Übermaß an Macht- und Geltungsgier akut.

Bitte verraten Sie mir und meiner Frau, wie wir bei einer solchen Sachlage unseren Kindern noch Vertrauen in die Verfassungswirklichkeit des von Ihnen regierten Landes vermitteln sollen. Bitte verraten Sie uns, wie wir unsere Kinder dazu motivieren sollen, auf ehrliche Weise einen Beruf zu erlernen und auszuüben.

Bitte überdenken Sie noch einmal Ihre Entscheidung. Es kann, es darf nicht das letzte Wort in dieser Sache gesprochen sein!

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Elke Hoff ist die nächste Rednerin für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Elke Hoff (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gabriel, Sie haben eben dem Bundesminister der Verteidigung bzw. der Bundesregierung vorgeworfen, sie verspiele das Vertrauen der Soldaten.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Glauben Sie wirklich, dass Sie mit dem Beitrag, den Sie hier gerade geleistet haben, Wesentliches dazu beigesteuert haben, dass unsere Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen zurückgewinnen? Ich glaube, nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wieso? Was er gesagt hat, ist doch nur die Wahrheit gewesen! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sollten Sie machen, Frau Hoff! Sie haben ja schon eine ganz rote Nase vor lauter Lügen! Das ist doch Ihre Aufgabe! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt ist es aber wirklich genug, Frau Künast! Sie können die Kollegin doch nicht als Lügnerin bezeichnen!)

Ich möchte mich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Fraktion, von den Beschuldigungen, die gestern in diesem Hause erhoben und von der Bundestagsvizepräsidentin nicht gerügt wurden - es hieß, der Bundesminister der Verteidigung sei ein Hochstapler -, ausdrücklich distanzieren. Das ist nicht der Stil der Auseinandersetzung, der in diesem Hause gepflegt werden sollte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beraten heute in erster Lesung das Wehrrechtsänderungsgesetz. Ich bedaure sehr, dass dieses wichtige Thema, eine historische Zäsur in der Geschichte der Bundeswehr, heute wieder benutzt wird, um zu versuchen, Menschen, die sich gestern auch hier im Parlament sehr klar und deutlich zu ihren Fehlern bekannt haben, zu diskreditieren.

(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)

- Wissen Sie: Lautstärke alleine ersetzt die Argumente nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich darf darauf zurückkommen: Wir reden heute über das Wehrrechtsänderungsgesetz. Wir müssen für die Zukunft der Bundeswehr junge Männer und Frauen davon überzeugen, dass der Bundestag hinter ihnen steht, dass wir im Hinblick auf die Streitkräfte eine Freiwilligenkultur befürworten.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Hinter dem stehen wir nicht! Das kann ich Ihnen garantieren! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Das brauchen Sie auch nicht! Auf Sie kommt es nämlich gar nicht an! - Gegenruf des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha! Dann ist es ja okay!)

Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Positives sagen. Der Kollege Dr. Bartels hat gestern im Verteidigungsausschuss einen sehr bedenkenswerten und diskussionswürdigen Vorschlag gemacht. Er hat gesagt: Wir als Parlament sollten uns über die Parteigrenzen hinweg zur Freiwilligenkultur in diesem Lande bekennen.

(Zuruf von der SPD: Ja! Das tun wir doch auch!)

Wir sollten eine Debatte darüber führen, wie wir die Freiwilligenkultur stärken können. Da die SPD-Fraktion immer Befürworter einer Aussetzung der Wehrpflicht gewesen ist,

(Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer? - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach ja?)

sage ich Ihnen: Das tun wir heute. Wir schaffen heute die Voraussetzungen dafür, dass die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Welt bewältigt werden können.

(Zurufe von der SPD)

- Hören Sie doch einfach einmal zu!

Ich bin ganz bei der Bundeskanzlerin, wenn sie sagt, dass solide Haushalte eine wesentliche Grundlage für die Sicherheit von Staaten sind.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sagen Sie denn zu Libyen?)

Das kann man auch in anderen Staaten feststellen. Nicht umsonst haben unsere amerikanischen Verbündeten in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie festgestellt, dass die Solidität von Haushalten ein entscheidender Parameter für die Sicherheit ist.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann schauen Sie sich mal den US-Haushalt an!)

Wir müssen jetzt gemeinsam versuchen, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Es ist kein Fehler, wenn wir auch vom Bundesminister der Verteidigung Einsparungen verlangen.

(Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach! Die hat er ja gar nicht geliefert!)

Die Fragen lauten: Auf welchem Wege und auf welcher Zeitachse? Wir als FDP-Fraktion haben uns immer sehr deutlich dazu positioniert und gesagt: Ja, wir möchten die Einsparungsziele erreichen, aber in einem anderen Zeitrahmen als dem, den sich Teile der Bundesregierung vorstellen. Das ist legitim, darüber müssen wir diskutieren, und wir werden auch zu einem Ergebnis kommen.

Meine Damen und Herren, es ist eben sehr deutlich dargestellt worden, dass uns letztendlich bestimmte äußere Rahmenbedingungen zu der Entscheidung, die wir heute im Plenum treffen, geführt haben. Die demografische Entwicklung macht es schwerer, die Wehrpflicht so zu organisieren, wie es sich der Verfassungsgeber damals vorgestellt hat. Wir haben eine neue sicherheitspolitische Lage, die Streitkräfte erfordert, die kleiner sind, die schmaler sind, die flexibler sind.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen: Das ist keine Herausforderung, der sich die Bundesrepublik alleine stellen muss. Das ist eine Herausforderung, die alle Staaten betrifft. Wenn Sie sich die Situation in Deutschlands Nachbarstaaten und jenseits des Atlantiks anschauen, stellen Sie fest: Die Streitkräfte unterstehen zurzeit überall einer Neubewertung, einer Neubeurteilung. Wir müssen einen Spagat schaffen: zwischen einer finanziellen Konsolidierung und einer vernünftigen und auch belastbaren Sicherheitspolitik und Landesverteidigung. Dem versuchen wir Rechnung zu tragen.

Ich denke, es ist hier im Hause auch Konsens, dass wir junge Männer und Frauen zukünftig nur dann für den Dienst in den Streitkräften gewinnen können, wenn er attraktiv ist. Meines Erachtens kommen zu den Punkten, die der Minister eben sehr richtig dargestellt hat, weitere Aspekte hinzu. Die freie Wirtschaft und die Bundeswehr dürfen auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft nicht in Form eines Gegeneinanders um junge Männer und Frauen konkurrieren, sondern man sollte versuchen - ich darf es einmal so sagen -, Arbeitsbiografien aufbauen. Die Bundeswehr sollte einen Teil der Ausbildung junger Männer und Frauen übernehmen, sodass sie später die Möglichkeit haben, auch in der Wirtschaft ein Auskommen zu finden. Dafür tragen wir auch Verantwortung. Ich glaube, Herr Minister, dass Sie in diese Richtung recht bald Initiativen ergreifen werden.

Meine Damen und Herren, wir dürfen mit Blick auf die Attraktivität unserer Streitkräfte auch folgende Fragen nicht außer Acht lassen: Was passiert mit den Soldatinnen und Soldaten, wenn sie aus einem Einsatz zurückkommen, wenn sie verwundet oder traumatisiert sind? Was passiert mit den Hinterbliebenen, wenn gefallene Soldaten zu beklagen sind? Auch hier müssen wir als Gesellschaft und als Deutscher Bundestag die richtigen Eckpunkte und Rahmenbedingungen setzen, damit Eltern und Familien die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber ansehen und ihre Kinder ermuntern, den Dienst an der Waffe für das Vaterland aufzunehmen.

Die Diskussionen, die wir in den letzten Wochen führen, führen bestimmt nicht dazu, dass die Streitkräfte attraktiver werden. Diese Diskussionen führen bestimmt nicht dazu, dass junge Männer und Frauen sich aufgerufen fühlen, diesem Land zu dienen. Ich persönlich - und ich denke, ich spreche auch im Namen meiner Fraktion und unseres Koalitionspartners - bin stolz auf unsere Streitkräfte, auf das, was sie jeden Tag dort, wo wir sie hinschicken, leisten. Deshalb ist es notwendig, dass wir die Tür öffnen und entsprechende Möglichkeiten schaffen, damit die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber wird. Auch wir als Parlament müssen unseren Beitrag dazu leisten. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung und nicht alleine die Herausforderung an einen Minister. Du lieber Gott! Wer als einzelne Person kann eine solche Reform stemmen?

(Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Gabriel stemmt alles!)

Das ist unser aller Aufgabe. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr zur Freiwilligenarmee wird, dann müssen wir alle auch dazu beitragen, dass das Ansehen der Bundeswehr gesteigert und ihre Zukunft gesichert wird, damit junge Männer und Frauen mit Freude Dienst an der Waffe tun. Wir als FDP-Fraktion werden Sie, Herr Minister zu Guttenberg, nach Kräften dabei unterstützen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Christine Buchholz (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung plant, das Wehrpflichtgesetz zu ändern, und will damit die rechtliche Umwandlung der alten Wehrpflichtigenarmee in eine Armee aus Zeit- und Berufssoldaten vollenden. Deswegen wird die Wehrpflicht ausgesetzt. Die Linke ist gegen jede Form von Zwangsdiensten - das betrifft auch die Wehrpflicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Schon die Aussetzung der Wehrpflicht befreit jährlich Tausende junger Männer von einem erzwungenen Militärdienst. Das begrüßen wir, auch wenn wir eigentlich die Abschaffung der Wehrpflicht wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wir können dieses Gesetz nicht ohne den eigentlichen Zweck bewerten, zu dem die Bundesregierung das Gesetz ändern möchte. Herr zu Guttenberg hat keinen Zweifel daran gelassen: Es geht darum, die Bundeswehr schlagkräftiger und einsatzfähiger zu machen. Aber mich wundert doch, dass in dieser Debatte noch keiner davon gesprochen hat, dass drei Soldaten, die sich in einem dieser Einsätze befunden haben, am letzten Freitag getötet wurden.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Der Minister!)

Herr zu Guttenberg bringt zu Ende, was in den 90er-Jahren unter der Kohl-Regierung begann: Damals wurde die Absicherung des Zugangs zu Rohstoffen und Absatzmärkten offiziell zur Aufgabe der Verteidigungspolitik erklärt. Seitdem haben Minister von CDU/CSU und SPD die Bundeswehr in zahllosen Umstrukturierungen Schritt für Schritt zu einer Einsatzarmee umfunktioniert. Heute gilt der Krieg nicht mehr als letztes Mittel zur Landesverteidigung - Krieg ist Dauerzustand. Die Linke ist gegen diese Kriege.

(Beifall bei der LINKEN)

Wehrpflicht ist Zwang. Aber Zwang wird nicht nur durch eine gesetzliche Wehrpflicht ausgeübt. Wo Armut herrscht, herrscht Zwang, Zwang, seine soziale Not zu überwinden. Das wollen Sie ausnutzen. Schon heute dienen in Auslandseinsätzen überproportional viele Soldaten aus strukturschwachen Regionen. 2009 stammte etwa die Hälfte der Soldaten aus Ostdeutschland. Dieses Ungleichgewicht verstärkt sich im Einsatz, wie man an den Dienstgraden erkennen kann: Während 62 Prozent der Mannschaftsdienstgrade aus Ostdeutschland kommen, sind nur 16 Prozent der Stabsoffiziere und 0 Prozent der Generäle aus dem Osten.

(Jörg van Essen (FDP): Es gibt einen General, der Arzt und aus dem Osten ist! Ist doch absoluter Unsinn!)

Alle drei Bundeswehrsoldaten, die am 23. Juni 2010 bei einem Feuergefecht getötet wurden, kamen aus Ostdeutschland. Einer von ihnen hatte einen Migrationshintergrund; über einen weiteren sagen seine Freunde, dass er nur zur Bundeswehr gegangen ist, weil er keine andere Arbeit gefunden hat.

(Christoph Schnurr (FDP): Was soll das denn jetzt?) Das ist aber kein spezifisch ostdeutsches Problem. Von 328 Hamburgern, die Anfang 2007 ihren freiwilligen Dienst antraten, waren 107 zuvor arbeitslos. Sie meldeten sich freiwillig und sahen die Bundeswehr als Sprungbrett, das sie aus der eigenen Misere herauskatapultiert. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr stellt fest - ich zitiere -:

Je höher die Arbeitslosigkeit, desto größer ist das Interesse an einer beruflichen Tätigkeit bei der Bundeswehr.

Das Verteidigungsministerium will nun - ich zitiere - "künftig verstärkt auch junge Menschen mit unterdurchschnittlicher schulischer Bildung beziehungsweise ohne Schulabschluss personalwerblich" ansprechen. Sie zielen besonders auf Soldaten für Auslandseinsätze und besonders auf untere Dienstgrade im Heer. In zunehmendem Maße bekommen wir amerikanische Verhältnisse. Im Klartext heißt das: Die Armen werden zum Kanonenfutter. Diese Entwicklung machen wir nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Glücklicherweise lehnen rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan ab. Um trotzdem genügend Rekruten für den Krieg zu finden, unternimmt die Bundesregierung große Anstrengungen. Die Bundeswehr schließt Abkommen mit Arbeitsagenturen und richtet dauerhafte Vertretungen in Jobcentern ein. Gestern wurde im Verteidigungsausschuss eine großangelegte Werbekampagne in sogenannten jugendaffinen Medien angekündigt. Genannt wurden unter anderem Jugendsender, die Bild und www.bild.de.

Die Bundeswehr setzt außerdem fast 100 hauptamtliche und 300 nebenamtliche sogenannte Jugendoffiziere ein. Diese haben im Jahr 2009 in über 4 000 Vorträgen weit mehr als 100 000 Schüler angesprochen. Mittlerweile haben die Wehrbereichskommandos in sieben Bundesländern Abkommen mit den Kultusministerien abgeschlossen, die den Zugang der Jugendoffiziere zu den Schulen ermöglichen.

(Markus Grübel (CDU/CSU): Sehr gut!)

Die Bundeswehr druckt Unterrichtsmaterialien und bietet Seminare für Lehrpersonal an. Die Zahl der teilnehmenden Referendarinnen und Referendare wuchs von 50 im Jahr 2003 auf über 1 000 im Jahr 2009.

Der hier von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes sieht vor, dass die Kreiswehrersatzämter zu Rekrutierungsbüros umfunktioniert werden sollen. Sie sollen alle Personen anschreiben, die in einem Jahr 18 Jahre alt werden, um ihnen die Vorzüge der Bundeswehr als Arbeitgeber deutlich zu machen. Diese Werbung für den Kriegsdienst lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Die richtigen Maßnahmen im Interesse sowohl der Soldaten als auch der vielen jungen perspektivlosen Menschen lauten: nicht Kriegseinsätze, sondern Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, ein Ende der Auslandseinsätze und ein Programm, das ausreichend zivile Ausbildung und Arbeitsplätze schafft. Das ist die Perspektive, für die die Linke steht.

(Beifall bei der LINKEN - Christoph Schnurr (FDP): Thema verfehlt!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort der Kollegin Agnes Malczak für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! "Eine Frage der Ehre": So wirbt das Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin in der U-Bahn um Nachwuchs. In der Tat, mit der Aussetzung der Wehrpflicht ist eine entscheidende Frage verbunden: Wer kommt zukünftig zur Bundeswehr - sind es die Menschen mit dem Charakter und den Fähigkeiten, die wir uns dort wünschen? Mit der Antwort auf diese Frage wird die Bundeswehrreform, deren zentraler Baustein die Aussetzung der Wehrpflicht ist, scheitern oder gelingen.

Um diese Herausforderung zu bewältigen, müssen die Menschen in der Bundeswehr ihrem Dienstherrn aber vertrauen können. Sie müssen glauben können, dass er weiß, was er tut, und dass er zu dem steht, was er sagt.

Herr Minister zu Guttenberg, wie die Menschen Ihnen jetzt noch vertrauen sollen, weiß ich wirklich nicht.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Wir wissen das!)

Was Sie gestern hier abgeliefert haben, war alles andere als eine Sache der Ehre.

Im System Guttenberg hat eine Aussage wenig Wert. Sie sagen selbst: Ihre Maßstäbe sind Klarheit und Wahrheit. Allerdings hat Ihre Klarheit ein sehr begrenztes Haltbarkeitsdatum, und Ihre Wahrheit von heute ist Ihre Unwahrheit von morgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im System Guttenberg war ein Tanklasterbombardement an dem einen Tag unvermeidlich und am anderen Tag ein Fehler.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Zur Sache!)

Der Kapitän der "Gorch Fock" wird an dem einen Tag nicht vorverurteilt, am nächsten entpflichtet und am übernächsten aus Fürsorge beschützt.

An dem einen Tag sparen Sie durch die Bundeswehrreform Milliarden; am anderen Tag brauchen Sie zusätzliche Milliarden, um die Reform durchführen zu können. Im System Guttenberg halten Sie an dem einen Tag an der Wehrpflicht fest und schaffen sie am nächsten Tag ab.

(Birgit Homburger (FDP): Aussetzen!)

Das Wort gilt im System Guttenberg nichts. Stattdessen gilt das Vorrecht des Verteidigungsministers, einen Betrug zu begehen, ohne die Konsequenzen zu tragen. Schneiderhan, Wichert, Schatz: Bei anderen sind Sie sehr schnell dabei, Konsequenzen zu ziehen, nur bei sich selbst nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der FDP: Hier geht es um etwas ganz anderes! - Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Themawechsel!)

Sie kleben bis zur maßlosen Selbsterniedrigung an Ihrem Amt. Ihr Schauspiel seit dem letzten Mittwoch war ziellos und würdelos. Für mich war der vorläufige Gipfel der Unverschämtheiten gestern erreicht, als Sie Ihren Umgang mit Fehlern noch als Vorbild verkaufen wollten.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Wehrdienst!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass wir heute einen anderen Tagesordnungspunkt behandeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme noch darauf zu sprechen, warum das miteinander zusammenhängt. Der Minister hat beschlossen, es auszusitzen; dann muss das jetzt auch ausgehalten werden.

Wie sollen Ihnen die Menschen in der Bundeswehr noch vertrauen? Wie sollen sie Ihnen noch folgen? Dass die Wehrpflichtarmee sicherheitspolitisch die falsche Wehrform ist, war nämlich schon lange klar. Seit Jahren fordern wir Grünen die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes. Auch hier haben Sie abgekupfert. Aber anders als bei Ihrer Doktorarbeit kritisieren wir Sie hier nicht für die Aussetzung der Wehrpflicht, wohl aber für die Umsetzung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ihre Einsicht in die Notwendigkeit, die Wehrpflicht abzuschaffen, beruht eben nicht auf sicherheitspolitischen Überlegungen. Ihre Entscheidung für die Freiwilligenarmee ist keine aus Überzeugung, sondern eine aus Geldnot. Statt von Anfang an das Richtige zu tun, haben Sie mit der Wehrdienstverkürzung auf sechs Monate ein Jahr verplempert. Diese Zeit fehlt Ihnen heute.

Lieber Herr Gabriel, die Reform zu verschieben, kann auch keine Lösung sein; denn sie kommt eher zu spät als zu früh.

Bei dem gesamten Umbauprozess haben Sie, Herr Minister, das Pferd von hinten aufgezäumt. Wenn man einen grundlegenden Wandel vornimmt, sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, dass man zuallererst überlegen muss, welches Ziel man erreichen will. Der gesamte bisherige Prozess der Bundeswehrreform folgt keiner Logik. Wenn Sie logisch und überlegt vorgegangen wären, hätten Sie zuallererst die Frage beantwortet, welche Aufgaben und Grenzen das Militärische in der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands zukünftig haben soll. Doch diese Frage haben Sie sich nicht einmal gestellt. Damit machen Sie den zweiten Schritt vor dem ersten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer Schritt eines solchen Reformprozesses ist die Frage der Kosten und der verfügbaren Finanzmittel. Ganz Musterknabe haben Sie bei den Verhandlungen über das Sparpotenzial bei der Bundeswehr vollmundig Einsparungen in Höhe von rund 8 Milliarden Euro in den nächsten Jahren versprochen. Nun fordern Sie sogar mehr Geld für die Bundeswehrreform, können aber auch auf wiederholte Nachfragen nicht sagen, wie viel genau.

Der letzte Schritt einer solchen Reform ist die Umsetzung. Mit dieser haben Sie jetzt allerdings schon begonnen, noch ehe das Gesetz das Parlament überhaupt erreicht hat. Um Ihre volltönenden Ankündigungen wahr zu machen, musste die Aussetzung der Wehrpflicht nun im Hauruckverfahren erfolgen. Im Dezember haben Sie, Herr Verteidigungsminister, bereits die Anweisung erteilt, wonach in dieser Woche die letzten Wehrpflichtigen ihren Dienst angetreten haben.

An dieser Stelle möchte ich allen jungen Menschen danken, sowohl denen, die in den letzten Jahrzehnten Wehrdienst und Zivildienst geleistet haben, als auch den vielen, die sich für ein Freiwilliges Soziales, Ökologisches oder Kulturelles Jahr entschieden haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Doch selbst mit dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, sind noch lange nicht alle Herausforderungen rund um die Aussetzung der Wehrpflicht geregelt. Von der Nachwuchsgewinnung über die Ausbildung bis zur Verwendung der freiwilligen Wehrdienstleistenden sind noch unzählige Fragen offen, die beantwortet werden müssen.

Unzählige Beispiele zeigen, dass nicht nur das Wort des Herrn Doktor zu Guttenberg, sondern auch das Wort des Verteidigungsministers zu Guttenberg nichts wert ist, zum Schaden für die Bundeswehr, die bis heute nicht weiß, ob all Ihre großartigen Vorschläge überhaupt nur im Ansatz finanzierbar sind und ob Sie diese auch morgen noch vertreten.

In den vergangenen Tagen wurde aus den Reihen der Union immer wieder gesagt, Sie würden Ihr Amt als Verteidigungsminister so gut führen, dass man Ihnen persönliche Verfehlungen nachsehen müsse. Die derzeit größte Herausforderung für die Bundeswehr - die Reform ebendieser - ist nur ein Beispiel dafür, dass diese Verteidigungslinie - verzeihen Sie mir das Zitat - "abstrus" ist.

Herr Verteidigungsminister zu Guttenberg, Sie sind ein Pfuscher. Sie haben nicht nur bei Ihrer Doktorarbeit gepfuscht. Sie sind gerade dabei, die Aussetzung der Wehrpflicht und die ganze Bundeswehrreform zu verpfuschen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Markus Grübel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Markus Grübel (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Grunde über eine Vielzahl von Themen zu diskutieren, die alle miteinander verbunden sind: die Diskussion über die Sicherheitspolitik Deutschlands in Fortsetzung des Weißbuches 2006, die Priorisierung der Rüstungsvorhaben, die Konsolidierung des Bundeshaushalts, die Strukturreform der Bundeswehr und die Standortentscheidungen. Heute stehen auf unserer Tagesordnung zwei Gesetzentwürfe, die vor allem für junge Menschen in unserem Land und ihr Verhältnis zur Gesellschaft eine ganz neue Chance darstellen: das Wehrrechtsänderungsgesetz und das Gesetz zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes. Zu all dem haben Sie wenig gesagt, Herr Gabriel und Frau Malczak.

(Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sagen schon seit mehreren Jahren was dazu!)

Sie sind stillos und haben heute einfach das Thema verfehlt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zurück zum eigentlichen Thema. Soldatin oder Soldat soll künftig nur werden, wer sich freiwillig dafür entscheidet. Ergänzend dazu wollen wir mit dem Bundesfreiwilligendienst eine weitere Möglichkeit schaffen, sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Es gab noch nie so viel Freiwilligkeit in Deutschland. Die Aussetzung der Wehrpflicht ist für viele von uns, insbesondere in der CDU/CSU, eine schwierige, wenn nicht gar schmerzhafte Entscheidung gewesen. Ich selbst habe wie viele andere hier im Haus Wehrdienst geleistet, und zwar aus Gewissensgründen. Die Wehrpflicht hat sich bewährt. Das Bild des Staatsbürgers in Uniform wird mit einer Wehrpflicht gut deutlich. Arme und reiche, gebildete und bildungsferne Menschen mit und ohne Migrationserfahrung leisten gemeinsam Wehrdienst. Viele junge Menschen haben durch den Wehrdienst einen unmittelbaren Eindruck von der Bundeswehr gewinnen können und sind nicht auf die oft verzerrten Darstellungen in den Medien angewiesen, die von extremen Einzelfällen berichten. Aber auch viele Mütter, die Olivzeug und Flecktarn gewaschen haben, und viele Freundinnen, die am Wochenende gewartet haben, haben sich eng mit der Bundeswehr verbunden. Ich möchte allen, die Wehrdienst geleistet haben, und auch allen Familienangehörigen ganz herzlich dafür danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD))

Wenn wir uns nun von dieser langjährigen und bewährten Institution trennen, macht sich Wehmut breit bei vielen in Deutschland, aber zu meiner Überraschung auch bei der taz; von ihr hätte ich es am wenigsten erwartet. Die taz hat in einem Bericht geschrieben, die Wehrpflicht sei ein Mittel gegen schlechten Korpsgeist und Abschottung; von daher sei die Aussetzung zu bedauern. Das ist sicherlich berechtigt, weil sich der Wehrdienst, den ich übrigens nicht als Zwangsdienst, Frau Buchholz, sondern als Pflichtdienst bezeichnen würde, in der Vergangenheit zweifellos bewährt hat. Aber gerade das Bewährte des Wehrdienstes bzw. der Wehrpflicht wollen wir behalten: den Staatsbürger in Uniform, das Prinzip der Inneren Führung, die Offenheit der Bundeswehr für alle gesellschaftlichen Schichten und die verantwortungsvollen Entscheidungen über Einsätze im Ausland.

Art. 12 a des Grundgesetzes schränkt die Grundrechte ein. Das bedarf einer starken Begründung. Wir können feststellen, dass die Gründe, die vor rund 200 Jahren die preußischen Heeresreformer um Scharnhorst und Gneisenau dazu bewogen haben, eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen, und die Gründe, die vor rund 50 Jahren zur Wiedereinführung der Wehrpflicht geführt haben, heute so nicht mehr vorliegen. Die Bedrohungslage hat sich geändert. Mittlerweile haben wir es verstärkt mit Einsätzen zur internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung und einem neuen Typus militärischer Aufgaben zu tun. Europa ist enger zusammengewachsen. Erbfeinde gibt es nicht mehr. Zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir nur von Freunden und Verbündeten als Nachbarn umgeben.

(Inge Höger (DIE LINKE): Dann brauchen wir ja die Bundeswehr nicht mehr!)

Für uns bleibt der Grundsatz der wehrhaften Demokratie, unabhängig von der Wehrform. Es bleibt auch die Verantwortung der ganzen Gesellschaft für die Sicherheit unseres Landes und den Frieden in der Welt. Dies kann nicht auf einige wenige delegiert werden. Die Wahl zwischen den verschiedenen Wehrformen, also die Wahl zwischen Wehrpflichtarmee und Freiwilligenarmee, ist eine staatspolitische Ermessensentscheidung, bei der der Gesetzgeber neben sicherheits- und verteidigungspolitischen Aspekten haushalts-, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte einbeziehen muss.

Außerdem geht es heute - viele Vorredner haben darauf hingewiesen - nicht um die Abschaffung, sondern um die Aussetzung der Wehrpflicht. Der Blick in die Geschichte, auch in die unseres Landes, zeigt, wie schnell sich die sicherheitspolitische Lage ändern kann; das gilt auch für gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Darum kommt es zu einer Aussetzung und nicht zu einer Abschaffung der Wehrpflicht. Ebenso wie Art. 12 a Grundgesetz bleibt das Wehrpflichtgesetz als solches bestehen und garantiert damit die Rekonstitutionsfähigkeit der Wehrpflicht.

Zwei Wege ermöglichen, den Wehrdienst als Pflichtdienst wieder einzuführen: automatisch bei Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls und einfachgesetzlich, wenn das heutige Gesetz wieder abgeändert wird, zum Beispiel, wenn die Bundeswehr ihren Bedarf nicht anders decken kann. Eine wichtige Herausforderung wird sein, dass wir viele junge Menschen für eine Laufbahn bei der Bundeswehr gewinnen. Dabei müssen wir die geeignetsten Bewerber auswählen können. Diese Aufgabe ist und wird nicht einfach. Wichtig sind die richtigen ideellen und materiellen Anreize.

Das Maßnahmenpaket - 82 Maßnahmen! - zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr wurde bereits ausgearbeitet. Herr Gabriel, ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie diese Details vielleicht nicht kennen.

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Eine Mischung aus Ahnungslosigkeit und Bösartigkeit!)

Ich unterstreiche: Es gibt bereits 82 Maßnahmen, durch die die Attraktivität der Bundeswehr gesteigert werden kann.

(Kirsten Lühmann (SPD): Die nicht finanziert sind!)

Dieses Maßnahmenpaket muss nun priorisiert und in der Tat finanziell unterlegt werden.

Damit die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiv ist, braucht es interessante Arbeitsplätze mit vielfältigen Fortbildungsmöglichkeiten und Qualifizierungen, die auch zivil genutzt werden können. Auch soziale Rahmenbedingungen sind für die Attraktivität eines Berufs entscheidend. Dazu zählen die Vereinbarkeit von Dienst und Familie, die Kinderbetreuung, anständige Rahmenbedingungen für Fernpendler, auch richtige Standortentscheidungen. Aus strukturpolitischen Gesichtspunkten wird oft auf die Standorte im ländlichen Raum verwiesen. Wir brauchen aber auch Standorte in Ballungsräumen. Für viele Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen ist es wichtig, in einem Ballungsraum stationiert zu sein, weil dort zum Beispiel der Ehemann oder die Ehefrau die Möglichkeit hat, berufstätig zu sein, weil Kinder dort zur Schule gehen können etc.

Neben einer erfolgreichen Personalgewinnung ist die Bundeswehr auch in Zukunft auf die Reservisten angewiesen. Wichtig ist daher, dass wir zukünftig stärker das Potenzial der Reservisten ausschöpfen. Die Aufforderung des Reservistenverbandes "Tu was für dein Land!" möchte ich ergänzen: Tu etwas für dein Land, tu etwas für dich - als Freiwilliger!

(Sigmar Gabriel (SPD): Herr Kollege, kommen Sie aus der Nähe von Stuttgart? Kann das sein?)

- Herr Gabriel, es ist richtig: Ich komme aus einem Ballungsraum in der Nähe von Stuttgart.

(Sigmar Gabriel (SPD): Okay!)

Aber die drei Standorte in meinem Wahlkreis und auch sämtliche Standorte in allen umliegenden Wahlkreisen sind im Grunde längst aufgelöst.

(Sigmar Gabriel (SPD): Das war eine reine Interessenfrage, kein Vorwurf, Herr Kollege!)

Daher habe ich hier keine eigenen Interessen.

Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 ist Teil einer umfassenden Reform der Bundeswehr, deren Ziel es ist, dafür zu sorgen, dass unsere Bundeswehr ihre Aufgaben künftig gut erfüllen kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ulrich Meßmer ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ullrich Meßmer (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hoff, ich will deutlich sagen: Vertrauen herstellen ist ja wohl etwas, was man - nicht nur in dieser Situation - nicht in erster Linie von der Opposition fordern kann; vielmehr ist das Herstellen von Vertrauen in die Handlungsfähigkeit einer Regierung zuallererst Aufgabe der Regierung und der beteiligten Personen. Wir äußern hier die Sorge darüber, ob dies in Zukunft gegenüber den Soldatinnen und Soldaten noch gewährleistet werden kann, vor allen Dingen aber gegenüber einer jungen Generation, für die der Dienst in der Bundeswehr auch dank der in Angriff genommenen Gesetzesvorhaben attraktiv werden soll.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben daran einige Zweifel.

Eines möchte ich gleich klarstellen: Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz werden sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass wir das, was für den Einsatz erforderlich ist, mittragen. Das war in der Vergangenheit so. Das war nicht nur das Verdienst des jetzigen Ministers, bei dem man nicht weiß, wie lange er noch Minister ist, sondern das war auch das Verdienst dieses Parlaments. Wir werden dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Zweite Bemerkung: Mit Blick auf den notwendigen Konsens hinsichtlich des Systems der Freiwilligkeit und auf die Frage, wie man das Modell bekannt machen kann, reicht es nicht, allein auf die Initiative "Tu was für dein Land!" und auch darauf hinzuweisen, dass man das als Parlament gemeinsam machen will. Wir vermissen Aussagen dazu, wie die Opposition dort konkret eingebunden werden soll.

Wir haben mehrfach angeregt und gefordert - auch ich habe das von dieser Stelle aus schon getan -, einen Unterausschuss "Attraktivität der Bundeswehr" und einen Unterausschuss "Strukturreform der Bundeswehr" einzurichten. Das ist ignoriert worden. Ich weiß nicht, warum, aber es ist ignoriert worden.

Es reicht nicht aus, sich hinsichtlich der Freiwilligkeit darauf zu berufen, dass man einen Teil der Vorschläge der SPD dankenswerterweise in die 82 Punkte aufgenommen hat, die angesprochen worden sind. Ich meine vielmehr, wir hätten ein Recht darauf, darüber zu diskutieren und dies insgesamt zu gewichten.

Letzter Punkt: Das System der Freiwilligkeit wird ohne finanzielle Unterfütterung langfristig nicht funktionieren. Wir bleiben dabei - mein Kollege Gabriel hat gerade schon darauf hingewiesen -: Wenn eine Armee im Wettstreit mit anderen Einrichtungen und Betrieben attraktiv für junge Menschen bleiben will, dann ist es notwendig, glaubwürdig deutlich zu machen, was der Dienst in der Bundeswehr für junge Menschen und deren Familien bedeutet, und die Maßnahmen entsprechend finanziell zu unterlegen.

Ich prophezeie schon an dieser Stelle, dass es sich mit den Ankündigungen zum Sparhaushalt wahrscheinlich genauso wie mit dem Doktortitel verhält: Das Sparziel in Höhe von 8,3 Milliarden Euro wird zwar groß angekündigt, aber dann verabschiedet man sich Schritt für Schritt davon.

Ich sage schon jetzt: Wer nicht daran denkt, dass auch ein Freiwilligendienst eine Anschubfinanzierung braucht - wir rechnen mit einer Größenordnung von 1 Milliarde Euro -, und das im Haushalt nicht abbildet, der wird auch in dieser Frage ein Desaster erleben. Wir möchten das vermeiden.

Wir bieten abschließend an, darüber zu reden, was sinnvoll und notwendig ist. Das bedeutet aber auch - Herr Minister Schäuble ist gerade hier -, dass sich das im Haushalt wiederfinden muss. Wir können den Soldaten und den jungen Menschen nicht sagen: "Wir tun etwas für euch", und gleichzeitig darauf hinweisen, dass wir kein Geld haben. Das wird nicht funktionieren, und schon gar nicht mit Sozialdemokraten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der FDP: Wir tun schon etwas durch das Aussetzen der Wehrpflicht!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Spatz für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Joachim Spatz (FDP):

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal sind wir froh darüber, dass eine über zehn Jahre alte Forderung der FDP, nämlich die Aussetzung der Wehrpflicht, jetzt endlich realisiert werden kann.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben sehr viel Verständnis dafür, dass sich der eine oder andere damit schwergetan hat; denn die Wehrpflicht hat in der Zeit, in der sie gegolten hat, in Deutschland und auch in weiten Teilen Europas ihren Dienst für die Sicherheit, aber auch für die gesellschaftliche Kohärenz in den Ländern geleistet.

Es besteht die Gefahr, dass mit dem Wegfall dieses Pflichtdienstes der Pflichtgedanke überhaupt infrage steht. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Kultur der Freiwilligkeit befördern, wie es unter anderem vom Bundeswehr Verband, aber auch von weiten Teilen der sozialen und ökologischen Verbände und Einrichtungen zum Ausdruck gebracht worden ist.

Es hat Zeit gebraucht, Frau Malczak, jeden mitzunehmen; das ist richtig. Aber ich halte das für keine vergeudete Zeit. Im Gegenteil: Wenn wir es schaffen - wir haben es bereits geschafft -, dass sehr viele gesellschaftliche und parlamentarische Kräfte diesen Umbau jetzt gestalten, dann ist das ein Fortschritt und kein Rückschritt. Es wird denjenigen helfen, die in der Bundeswehr davon betroffen sein werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genauso wird es - das möchte ich gerade in Ihre Richtung, Frau Malczak und Herr Gabriel, sagen - in einer Debatte um den Bundesminister helfen, in der die Opposition natürlich das Recht hat, Fragen zu stellen. Wenn wir in der Auseinandersetzung einen Stil pflegen, der dem, was wir wollen, nämlich die Attraktivität zu steigern, nicht Hohn spricht, dann können Sie Ihre Fragen stellen

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke! - Sigmar Gabriel (SPD): Und der Minister kann lügen, wie er möchte?)

und Ihre Diskussionsbeiträge machen, wie Sie das möchten, allerdings in einer Art und Weise, die der Bedeutung des Themas gerecht wird, das heute Morgen auf der Tagesordnung steht, nämlich der größte Umbau in der Geschichte der Bundeswehr.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Joachim Spatz (FDP):

Ja, gerne.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wenn ich mich in den Reihen der Koalition umschaue, könnte man glatt meinen, dass das nicht die größte Reform ist, die im Bereich des Bundesministers der Verteidigung stattfindet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wie interpretieren Sie das als Koalitionsabgeordnete? Ist das ein Signal, dass sich die Koalition eigentlich bereits vom Verteidigungsminister verabschiedet hat? Im Plenum hat sie es bereits getan. Wir würden im Moment jede Abstimmung gewinnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abstimmung mit den Füßen!)

Joachim Spatz (FDP):

Herr Kollege Beck, ich verstehe, dass Sie sofort versuchen, Ihre Schlüsse zu ziehen. Ich bedauere wirklich, dass bei der Fachdebatte heute in allen Parteien - auch bei Ihnen - weniger Kollegen anwesend sind, als das gestern der Fall war.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind in der gleichen Mannschaftsstärke da! - Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir in Bezug auf die Bundeswehr vom Einsatz her denken, müssen wir auch von den Soldaten her denken. Deshalb ist das Thema "Attraktivitätssteigerung" mit den 82 vorgelegten Punkten ein richtiger Ansatz.

Zwei Themen will ich allerdings noch ansprechen, die in der Debatte eine Rolle spielen und die der Klarstellung bedürfen: Erstens. Das Argument ?Leichter einsetzbar, weil keine Wehrpflichtarmee? trägt überhaupt nicht. Der Bundestag wird auch in Zukunft bei jeder Entscheidung sehr genau darauf achten, wo, in welchem Umfang und mit welchen Einsatzregeln die Bundeswehr eingesetzt wird. Alles andere ist nicht möglich; wir werden keine Freiwilligen bekommen, die sich für irgendwelche politischen Abenteuer zur Verfügung stellen.

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was denn für politische Abenteuer?)

Zweitens. Das Thema "Sparen": Es ist wohlfeil von der Opposition, mehr Geld zu fordern. Lassen Sie sich aber gesagt sein: Wenn Sie das Thema "Ganzheitliche Sicherheit" ernst nehmen, dann wird Ihnen nicht entgangen sein, dass wir auch Geld brauchen, um zivile Kapazitäten aufzubauen. Dann wird Ihnen auch nicht entgangen sein, dass wir gerade in Nordafrika wirtschaftlich gefragt sein werden, um auf zivile Art und Weise Stabilität zu erzeugen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie die Situation ganzheitlich sehen, dann können Sie nicht einfach die Einsparungsziele gegen das aufrechnen, was wir vermeintlich an militärischer Sicherheit gewinnen. Deshalb gibt es in ganzheitlichem Sinne keine Sicherheit nach Kassenlage.

Was die Bundeswehr im Einsatz benötigt und was wir für die Attraktivitätssteigerung brauchen, wird sicher auch von der Regierung und den Parteien der Koalition zur Verfügung gestellt werden.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU): Guter Mann!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister der Verteidigung hat im März vergangenen Jahres gesagt: ?Mit mir ist eine Abschaffung der Wehrpflicht nicht zu machen.? Im Mai letzten Jahres hat er noch einmal begründet, warum die Wehrpflicht sicherheitspolitisch notwendig ist. Im November hat er dann dargelegt, warum sie sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar ist.

Die Frage lautet also: Was hat sich sicherheitspolitisch zwischen Mai und November letzten Jahres verändert? Die Antwort lautet: Nichts. Es hat allerdings etwas anderes gegeben, und zwar die Euro-Krise und den zweiten Teil des Bankenrettungspakets. Dies ging massiv zulasten der öffentlichen Kassen. Es war der stumme Zwang des allzu knappen Geldes, das Sie zu Eingeständnissen geführt hat, die man aus ideologischen Gründen lange abgeblockt hat. Das geschah leider zulasten Zehntausender junger Männer, die den Dienst an der Waffe nicht enthusiastisch geleistet haben.

(Birgit Homburger (FDP): Völliger Unsinn! Das sind Bürgschaften!)

"Sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen" bedeutet, dass es keine direkte militärische Bedrohung Deutschlands gibt, und das auf absehbare Zeit. Das sagen Sie selber. Es handelt sich um Zeiträume von deutlich mehr als fünf Jahren. Man hätte die Sache aber gleich konsequent anpacken müssen. Das heißt: Die Wehrpflicht abschaffen statt sie nur auszusetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Frage ist jetzt: Was kommt danach? Das fragen sich auch Tausende junger Männer und Frauen, die jetzt zum Glück anfangen können, zu studieren. Sie fragen sich: Sind entsprechende Vorkehrungen an den Hochschulen getroffen worden? Aber da passiert nichts. Hier müsste viel mehr investiert werden, um entsprechende Bedingungen zu schaffen. Das tun Sie aber nicht. Das nenne ich chaotische Politik. Das hat mit Stringenz nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen jetzt den Zwangsdienst Wehrpflicht durch einen sogenannten freiwilligen Militärdienst ersetzen. Wenn man sich das näher anschaut, stellt man fest, dass sich dieser nicht so sehr von dem derzeit schon bestehenden Institut der freiwillig länger dienenden Rekruten unterscheidet. Die neuen Freiwilligen sollen nur ein bisschen mehr Geld bekommen und müssen noch nicht an den Militäreinsätzen im Ausland teilnehmen.

Was an dieser neuen Konstruktion stört, ist, da es sich ja doch um eine Vorentscheidung für den Soldatenberuf handelt, dass Sie dieses jetzt mit dem ehrenamtlichen freiwilligen Engagement junger Menschen assoziieren bzw. verknüpfen. Hinzu kommt wohl noch, dass das noch ein bisschen patriotisch verklärt wird. Aber dass es sich eigentlich um etwas anderes handelt, wird daran deutlich, dass es keine Gleichstellung mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Freiwilligen Ökologischen Jahr gibt. Diejenigen, die ein FSJ oder ein FÖJ machen, bekommen roundabout 400 Euro als Kostenerstattung und Taschengeld. Der anderen Gruppe wollen Sie 1 100 Euro zahlen. Und wieso darf der Bundesminister der Verteidigung alle, die bald die Volljährigkeit erreichen, anschreiben und zur Musterung einladen, die Familien- und Jugendministerin das aber nicht für die Freiwilligendienste tun? Das ist doch der Unterschied. Wenn man das schon so ins Gesetz schreibt, dann muss gelten: Gleiches Recht für alle.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dann brauchen wir gleiche Bezahlung und gleiche Vergünstigungen. Daran werden wir Sie messen, ob Sie das machen.

Ein Weiteres möchte ich noch klarstellen: Wir wollen - Sie werben ja jetzt viel -, dass Sie die Jugendlichen offen und ehrlich darüber informieren, was sie erwartet, damit sie sich mit Krieg und dessen Folgen auseinandersetzen können und nicht nur mit dem Argument geködert werden, es handle sich um einen spannenden Beruf in einem Hightech-Dienstleistungsunternehmen. Das wollen wir nicht.

Sie bauen dieses Gesetz ja ein in die Neuausrichtung der Bundeswehr. Das ist gewissermaßen der erste Schritt dazu. Dazu können wir nur sagen: Die Gesamtrichtung stimmt nicht. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Sie hätten mit einer seriösen Bilanz der bisherigen Auslandseinsätze der Bundeswehr beginnen müssen, um daraus Schlüsse zu ziehen, ob wir uns künftig an solchen Militärinterventionen beteiligen oder nicht. Dann wäre man möglicherweise darauf gekommen, dass Afghanistan, und nicht nur Afghanistan, für künftige Bundeswehreinsätze keine Blaupause sein kann und sein darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie aber wollen den Auftrag an die Truppe in der Hinsicht nicht nur fortschreiben, sondern auch noch verschärfen. So habe ich Sie verstanden, Herr Bundesminister. Denn wer sagt, die Sicherung der Rohstoffquellen sei auch unter militärischen Gesichtspunkten zu sehen, und wer der Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen notfalls mit militärischer Gewalt das Wort redet, der verwechselt offensichtlich das Jahr 2011 mit 1911. Aber dahin wollen wir nicht zurück.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn schon, dann wollen wir höchstens zurück zu einer Kultur strikter Zurückhaltung und zu einer Bundeswehr, die sich strikt am Zweck der Verteidigung orientiert. Ein solcher Kurswechsel ist angesagt, nicht Ihre Bundeswehrreform!

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Der Kollege Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre zu denen, die in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts das zweifelhafte Vergnügen hatten, auch wenn das lebensgeschichtlich durchaus eine Bereicherung war, sowohl ein halbes Jahr in der Bundeswehr gedient wie auch nach erfolgter Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer meinen Zivildienst gemacht zu haben.

(Thomas Oppermann (SPD): Kein Totalverweigerer!)

Wenn heute die Entscheidung getroffen wird, die Wehrpflicht auszusetzen, kann ich dazu nur sagen: Eine solche Entscheidung kommt in meinen Augen zehn Jahre zu spät.

(Zuruf von der FDP: Aber sie kommt wenigstens!)

- Sie kommt wenigstens, aber sie kommt übrigens auch nicht mutig. Mutig, Herr Minister zu Guttenberg, wäre es gewesen, die Wehrpflicht tatsächlich abzuschaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg van Essen (FDP): Das wäre mutig, aber unsinnig und dumm!)

Die Feststellung, die Sie getroffen haben, nämlich dass wir seit Jahren von Freunden umgeben sind, gilt im Grunde genommen seit 1989. Sie haben 20 Jahre gebraucht, aus dieser Erkenntnis Schlussfolgerungen zu ziehen.

Angesichts der Tatsache, dass jetzt die Bundeswehr umgebaut werden soll, hätte diese Gesellschaft neben den notwendigen Debatten darüber, was das an Geld kostet und was das mit Blick auf Standorte an schmerzhaften Entscheidungen zur Folge hat, doch eigentlich eine große Debatte darüber verdient, zu welchem Zweck wir uns als Gesellschaft bewaffnete Streitkräfte in diesem Lande halten. Neben der guten Nachricht, dass wir aus dem Zeitalter der Blockkonfrontation heraus sind, gibt es auch eine unpopuläre Botschaft. Denn es ist so, dass auf diesem Globus weiterhin globale Risiken zu Staatszerfall und zum Zerfall von Gesellschaften führen. Es ist daher eine der zwingendsten und dringendsten Aufgaben der Weltgemeinschaft, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Bestandteil der Maßnahmen, dem entgegenzuwirken, ist zwar im Wesentlichen ein zunehmender Einsatz von zivilen Kräften, aber dazu gehört auch die Beteiligung von Militär.

Die Botschaft, die Sie eigentlich aussenden müssen, wäre: Daran wird sich Deutschland leider auch künftig beteiligen müssen. Dafür brauchen wir hochqualifizierte, gut ausgebildete und gut ausgerüstete Soldatinnen und Soldaten. - Das ist eine unpopuläre Botschaft. Da kann man, Herr Minister, auch einmal Mut beweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Frage ist aber, ob Sie dazu überhaupt noch in der Lage sind. Nimmt Ihnen angesichts des beispiellosen Schlingerkurses, den Sie in der Sache bei diversen Zwischenfällen in der Bundeswehr, aber auch in der Frage der Wehrpflicht an den Tag gelegt haben, überhaupt noch irgendjemand diese unpopuläre und schwierige Botschaft ab?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es gibt allerdings - damit will ich schließen -

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

eine Konstante in Ihrem politischen Wirken. Sie haben immer darauf geachtet, die Unterstützung der Bild-Zeitung, der Bild am Sonntag und von Bild.de zu haben

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bunte nicht vergessen!)

- Nein, ich rede insbesondere von diesen dreien. - Sie haben heute Morgen unterschlagen, dass im Online-Forum von Bild.de von den 640 000 Leuten, die abgestimmt haben, 55 000 Ihren Rücktritt gefordert haben, Herr Minister.

(Sigmar Gabriel (SPD): 55 Prozent!)

Der Unterstützung dieser Zeitung konnten Sie sich immer sicher sein.

Jetzt finde ich es hochinteressant, an wen die Aufträge gehen sollen, mit denen um Freiwillige geworben werden soll, nämlich ausschließlich an Bild, BamS und Bild.de.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Eine Bundeswehrreform, die auf einem schmutzigen Deal mit der Springerpresse beruht, wird und kann nicht gelingen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Das ist eine unglaubliche Unterstellung!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jürgen Hardt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, wenigstens einen Satz zu dem Thema zu sagen, von dem die Opposition meint, sie müsse es weiter strapazieren: Getretener Quark wird breit, nicht stark.

(Sigmar Gabriel (SPD): Das stimmt! Das sehen Sie an Ihrem Verteidigungsminister!)

Es ist wirklich schade, dass das wichtige Thema der Bundeswehrreform - das vorliegende Gesetz ist vielleicht das wichtigste Gesetz im Zusammenhang mit der Bundeswehr, das wir in dieser Legislaturperiode verabschieden - von Ihnen missbraucht wird, um eine Debatte zu führen, die eigentlich gestern, wie ich finde, ihren Abschluss gefunden hat.

(Widerspruch bei der SPD - Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hätten Sie gern!)

Sie erweisen der Bundeswehr keinen guten Dienst, wenn Sie auf diese Weise fortfahren.

Herr Gabriel, Sie haben dem Minister unterstellt, er würde hier die Bundeswehrreform unstrukturiert darstellen. Ich kann nur feststellen, dass der Minister bei seinem Amtsantritt vor 15 Monaten gesagt hat:

(Sigmar Gabriel (SPD): Der Minister ist unstrukturiert!)

Ich werde innerhalb des Ministeriums eine Studie über die vorhandenen Reformbedürfnisse anfertigen lassen. - Diese Studie hat er fristgerecht vorgelegt. Das war das Wieker-Papier. Er hat dann gesagt: Wir bilden eine externe Kommission - das war die Weise-Kommission -, sie wird ihre Ergebnisse bis zum Herbst vorlegen. - Sie hat ihre sehr guten Ergebnisse im letzten Herbst vorgelegt. Dann hat er angekündigt, dass er bis Ende Januar einen Vorschlag für die Struktur des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden vorlegen wird. Er hat uns das Papier auf den Tag genau Ende Januar präsentiert. Weiter hat er angekündigt, einen entsprechenden Attraktivitätskatalog für die Bundeswehr vorzulegen. Er liegt dem Verteidigungsausschuss seit 14 Tagen vor.

(Sigmar Gabriel (SPD): Es steht aber nichts drin!)

Jetzt hat er angekündigt, zum 1. Juli ein Gesetz vorzulegen, die Wehrpflicht auszusetzen. Sie sehen am Zeitplan, dass das entsprechend möglich ist.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Malczak?

Jürgen Hardt (CDU/CSU):

Bitte, Frau Malczak.

Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Hardt, können Sie mir, wenn das alles so strukturiert abgelaufen ist, vielleicht noch mal erklären, was denn jetzt eigentlich der Sinn der Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate war und warum das dann vor dem Papier der Weise-Kommission als Maßnahme ergriffen wurde?

(Volker Kauder (CDU/CSU): Kommen Sie nachher in mein Büro!)

Das hat unheimlich viel gekostet. Es hat auch die Bundeswehr sehr strapaziert, das jetzt so schnell umzusetzen. Vielleicht können Sie mir einfach noch mal den Sinn erklären, warum man ?W 6? gemacht hat, um dann ein paar Monate später die Wehrpflicht auszusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jürgen Hardt (CDU/CSU):

Das kann ich Ihnen genau sagen: Durch die Entscheidung, auf ?W 6? zu gehen, gibt es für die Wehrdienstleistenden zu den Einberufungsterminen, die jetzt zwischen dieser Umstellung und der entsprechenden Aussetzung der Wehrpflicht liegen, mehr Wehrgerechtigkeit.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Lachnummer!)

Das war eines der gravierendsten Probleme. Ich glaube, dass es ein vernünftiger Schritt war, das so zu machen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das, was zum 1. Juli vorliegen wird - jetzt möchte ich zum Thema kommen, nämlich zur Aussetzung der Wehrpflicht -, einer der entscheidendsten Schritte der Bundeswehrreform sein wird, weil es natürlich in Bezug auf die Gewinnung von Zeit- und Berufssoldaten sowie von freiwillig Wehrdienstleistenden besondere neue Anforderungen an die Bundeswehr stellt.

Zur Aussetzung der Wehrpflicht gibt es, wie ich finde, verfassungsrechtlich keine Alternative. Die einzig zulässige Begründung, um die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten, wäre, dass die Wehrpflichtigen einen unverzichtbaren Beitrag zur Verteidigung unseres Landes leisten. Das können wir heute in dieser Form nicht mehr nachweisen. Sich auf den Aspekt zu stützen, dass es gesellschaftspolitisch durchaus erwünscht ist, dass junge Menschen etwas für unsere Gemeinschaft tun, ist eben verfassungsrechtlich nicht haltbar. Dies schmerzt insbesondere viele von uns Christdemokraten. Diese Möglichkeit wollen wir durch die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes bzw. durch den Freiwilligendienst bei der Bundeswehr erhalten.

In der Bundeswehr haben 8 427 288 Wehrpflichtige gedient. Wenn man denen persönlich die Hand schütteln wollte, wäre man sechs Monate lang Tag und Nacht damit beschäftigt. Deswegen möchte ich auch im Namen des Bundestages all denen herzlichen Dank sagen, die Wehrdienst geleistet haben. Ich möchte auch ausdrücklich denen Dank sagen, die im Zivildienst oder im zivilen Katastrophenschutz ihren Dienst geleistet haben. Das war auch ein Pflichtdienst, aber es war keinesfalls ein Dienst, der nicht auch mit dem Herzen gemacht wurde. Ich finde, es ist bei dieser Gelegenheit auch angemessen, das gleichermaßen zu würdigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was ist jetzt zu tun, damit der Übergang von der Wehrpflicht zur Freiwilligenarmee gelingt? Erstens müssen die Rahmenbedingungen für den Dienst in der Bundeswehr attraktiv gestaltet sein. Das gilt für Sold und Prämien, es gilt aber auch für andere Faktoren wie die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, die Frage der Laufbahnstrukturen und natürlich das weite Feld der Aus- und Weiterbildung in der Bundeswehr.

Jeder Soldat, der länger in der Bundeswehr dient, sollte eine seiner Eignung und Neigung entsprechende, auch zivil nutzbare Ausbildung erhalten. Das fängt mit dem Schulabschluss an und geht weiter bis zum Diplom oder Master für diejenigen, die sich als Offizier länger verpflichten. Ich glaube, die Bundeswehr hat hier bereits den richtigen Weg eingeschlagen. Ich finde all das, was in dem Attraktivitätssteigerungspapier zu diesen Punkten steht, richtig.

Zweitens geht es natürlich jetzt um die Gewinnung von Personal für die Bundeswehr durch Herstellung von Transparenz und Klarheit über die Rahmenbedingungen. Im Augenblick haben wir zwar bei den Zeit- und Berufssoldaten eine zufriedenstellende Bewerberquote, aber wir haben im Bereich der freiwillig Wehrdienstleistenden deutlich weniger Neueinstellungen, als eingeplant war. Das ist im Augenblick noch kein akutes Problem, aber es geht darum, dass wir jetzt auch durch zügige Beratung des Gesetzentwurfes die Rahmenbedingungen so klarmachen, dass jeder, der bei der Bundeswehr anfängt, auch weiß, was er davon hat.

Ich füge hinzu: Es ist wichtig, zu betonen, dass alle Leistungen, die wir mit diesem Gesetz beschließen werden, auch auf diejenigen Anwendung finden, die sich bereits heute zu einer Unterschrift entscheiden. Es wäre wirklich schade, wenn junge Männer und Frauen allein deshalb eine Verpflichtung bei der Bundeswehr nicht eingehen, weil sie die Befürchtung haben, dass dann bestimmte Vergünstigungen möglicherweise bei ihnen nicht Anwendung finden.

Drittens. Es ist mindestens genauso wichtig, dass die Änderung der Wehrform zumindest in der Übergangsphase nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Die Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr kostet Geld, selbst wenn die Zahl der Soldaten deutlich abnehmen wird. Hier gilt das Wort von Minister und Bundeskanzlerin, dass die Zukunft leistungsfähiger Streitkräfte nicht allein von finanziellen Erwägungen abhängig gemacht werden kann. Die Parteitage von CDU und CSU haben sich dazu entsprechend geäußert. Wer in der Bundeswehr dient oder dort zukünftig dienen möchte, soll wissen, dass er in der Truppe eine individuelle, gute Zukunftsperspektive erhält; das hat eben auch mit Geld zu tun.

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Wehrrechts ist ein zentraler Baustein der Bundeswehrreform. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden zügig über ihn beraten und damit eine rasche Beschlussfassung vor Ostern ermöglichen. Wir wollen einen erfolgreichen Start für unsere neue Bundeswehr.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Der Kollege Dr. Reinhard Brandl von der CDU/CSU-Fraktion ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen ersten Lesung des Wehrrechtsänderungsgesetzes vollziehen wir den ersten parlamentarischen Schritt der größten Reform der Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges. Damals, vor gut 20 Jahren, standen noch die Panzer des Warschauer Paktes an unserer Ostgrenze; wir mussten ständig in der Lage sein, einen direkten Angriff auf unser Territorium abzuwehren. Diese Gefahr besteht Gott sei Dank nicht mehr.

Die Welt ist aber seit dieser Zeit nicht nur friedlicher geworden: Es gibt neue, sich ständig wandelnde, zum großen Teil asymmetrisch gelagerte Bedrohungen unserer Freiheit und Sicherheit. Wir begegnen der veränderten Sicherheitslage mit einer breiten Palette an zivilen und diplomatischen Mitteln. Es treten aber immer wieder Situationen ein, in denen wir gezwungen sind, die Bundeswehr als letztes verfügbares Mittel und als Teil der internationalen Gemeinschaft in einen Einsatz zu entsenden. Wir haben letzten Freitag wieder auf traurige Weise erfahren müssen, wie gefährlich solch ein Einsatz sein kann.

Wir stehen bei der Mandatierung der Einsätze in der Verantwortung, die Bundeswehr dafür optimal aufzustellen und auszurüsten. Gemessen an dem, was unsere Soldaten heute im Einsatz leisten müssen, haben wir dieses Ziel trotz zahlreicher Anstrengungen in den vergangenen Jahren noch nicht vollständig erreicht. Von dieser Verantwortung getragen, haben wir uns im letzten Jahr entschieden, die Bundeswehr neu zu strukturieren, sie insgesamt zu verkleinern und dafür die Soldaten besser auszurüsten sowie ihren Dienst attraktiver zu gestalten.

Ein Baustein der Reform ist die Aussetzung der Wehrpflicht, über die wir heute hier im Parlament diskutieren. Wir haben uns diesen Schritt nicht leicht gemacht; er ist nicht nur von dieser Reform getrieben. Die Wehrpflicht hat sich in den letzten 55 Jahren in vielerlei Hinsicht bewährt. Wir stehen aber gegenüber den jungen Männern, die wir zu diesem Pflichtdienst heranziehen, in der Verantwortung, immer wieder neu zu hinterfragen, ob ihr Dienst tatsächlich noch sicherheitspolitisch begründet werden kann oder nicht. Eine solche Begründung können wir heute nicht mehr zweifelsfrei geben. Wir vollziehen jetzt den für uns schweren, aber konsequenten Schritt der Aussetzung der Wehrpflicht.

Ein solcher Grundrechtseingriff kann eindeutig nur mit einer sicherheitspolitischen Begründung legitimiert werden. Ich betone das deshalb, weil die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für mich persönlich die näherliegende Antwort gewesen wäre. Ich musste aber nach zahlreichen Diskussionen einsehen, dass dies weder unsere Verfassung noch das Völkerrecht zulassen. Dass diese Debatte heute keine allzu großen Wellen schlägt, haben wir in erster Linie unserem Minister Karl-Theodor zu Guttenberg zu verdanken. Er hat es mit seiner Persönlichkeit und seiner Überzeugungskraft im vergangenen Jahr geschafft, die Menschen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr für diese Reform zu gewinnen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, bei der Reform liegen wir inhaltlich nicht weit auseinander. Gerade deswegen müssten Sie die Leistung des Ministers anerkennen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Stattdessen sind Ihre heutigen Debattenbeiträge geprägt von einer überhöhten Selbstgerechtigkeit und der offenen Genugtuung, endlich etwas gefunden zu haben, mit dem Sie hoffen, ihm persönlich schaden zu können.

(Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Wir haben nicht einmal gesucht! - Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Wir schaden ihm doch nicht! Er hat sich selbst geschadet!)

Überlegen Sie selbstkritisch, ob Sie jemanden in Ihren Reihen haben, dem die Vermittlung dieser Reform auch nur annähernd in dieser Form gelungen wäre.

(Zuruf von der SPD: Natürlich!)

Es mag Sie politisch bzw. wahltaktisch stören, dass Karl-Theodor zu Guttenberg ein hohes Maß an Vertrauen in der Bevölkerung genießt, aber Tatsache ist: In einem solchen schwierigen Reformprozess einen solchen Minister an der Spitze des Bundesverteidigungsministeriums zu haben, ist ein Glücksfall für unser Land und unsere Bundeswehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Täuschen Sie sich nicht: Die Menschen in unserem Land unterscheiden sehr genau, welcher Beitrag der Sache dient und bei welchem Beitrag es nur darum geht, jemandem persönlich zu schaden.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Das hätte ich Herrn Trittin - leider hat er die Debatte nicht bis zum Ende verfolgt - gerne persönlich gesagt.

(Jörg van Essen (FDP): Herrn Beck vielleicht auch! Er fehlt nämlich auch!)

Er hat es in seinem Beitrag fast geschafft, nur zur Sache zu sprechen. Aber am Ende ist er wieder abgerutscht auf ein Niveau der Unterstellungen und der Verleumdung.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das war schade;

(Birgit Homburger (FDP): Es ist eine Unsitte, wenn man spricht und dann geht!)

denn die Sache ist viel wichtiger als ein Hinweis auf die Zustimmungswerte einer bestimmten Person.

Die Reform, die wir in den nächsten Wochen im Bundestag besprechen, wird unsere Parlamentsarmee über Jahrzehnte hinweg prägen. Wir haben dabei als die heute in der Verantwortung stehenden Parlamentarier den Auftrag, die Bundeswehr der Zukunft mitzugestalten und dafür zu sorgen, dass sie die Gesellschaft auch in Zukunft angemessen repräsentiert und sich nicht von ihr abkoppelt. Die Menschen werden uns als Koalition, aber auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daran messen, ob wir dieser Verantwortung gerecht werden. Heute sind Sie es zumindest nicht geworden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 17/4821 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Andere Vorschläge dazu liegen mir nicht vor. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Quelle: Deutscher Bundestag, Vorläufiges Protokoll der 93. Sitzung vom 24. Februar 2011 93. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Februar 2011; www.bundestag.de


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