"Die Linke steht nicht auf der Seite der Freiheit für das syrische Volk"
Der Bundestag hält in einer Aktuellen Stunde Gericht über die Linksfraktion - wegen eines Antikriegs-Aufrufs. Die Debatte im Wortlaut
Am 19. Januar 2012 fand im Deutschen Bundestag eine weitere "denkwürdige" Diskussion statt, die wir im Folgenden dokumentieren wollen. Anlass war die Tatsache, dass sechs Bundestagsabgeordnete der LINKEN einen Aufruf unterzeichnet hatten, der sich gegen jegliche Intervention in Syrien und Iran ausspricht. (Der Aufruf ist hier dokumentiert: "Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!".
Was sich der Ältestenrat, der für die Rednerliste verantwortlich ist, dabei gedacht hat, 10 Gegner der Linken und nur einen Redner der angegriffenen Linken zu Wort kommen zu lassen, ist sein Geheimnis. Nur weil zwei Abgeordnete der Linken von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, persönliche Erklärungen abzugeben, konnte das Missverhältnis etwas gemildert werden. Eine faire Diskussion sieht aber anders aus.
Im Lauf der Aktuellen Stunde kamen - in dieser Reihenfolge - die folgenden Redner/innen zu Wort:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Zusatzpunkt zur Tagesordnung:
ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Solidarität von LINKEN-Abgeordneten mit dem syrischen Präsidenten Assad
Vizepräsident Eduard Oswald
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff. Bitte schön, Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beobachten weiter mit großer Sorge die Entwicklungen
in Syrien. Präsident Assad führt einen brutalen Unterdrückungskrieg
gegen das syrische Volk. Nach Angaben
der Vereinten Nationen sind bisher mindestens
5 000 Menschen von den Schergen Assads getötet worden.
Zehntausende wurden in Gefängnisse geworfen und
gefoltert. Die CDU/CSU steht an der Seite des unterdrückten
syrischen Volkes.
Das Assad-Regime ist in der arabischen Welt bereits
isoliert. Die Mitgliedschaft in der Arabischen Liga
wurde suspendiert, Sanktionen wurden verhängt. Nun
muss endlich die Weltgemeinschaft handeln. Im UN-Sicherheitsrat
setzt sich Deutschland seit Beginn des Aufstands
in Syrien mit Nachdruck dafür ein, das Töten des
Assad-Regimes zu stoppen. Leider ist man bislang am
Veto Chinas und Russlands gescheitert. Wir appellieren
an Moskau und Peking, endlich eine entsprechende Resolution
zu unterstützen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage aber auch in aller Klarheit: Es ist in diesem
Zusammenhang nicht hinnehmbar, dass Russland weiter
Waffen an das syrische Regime liefert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das syrische Volk
zeigt uns nun seit fast einem Jahr mit übermenschlichem
Mut, dass es keine Unterdrückung mehr will. Die Linke
aber steht nicht auf der Seite der Freiheit für das syrische
Volk.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein
Unfug!)
Stattdessen beten Sie
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Heuchler!
Wer hat denn jahrelang hofiert?)
nur die Propaganda Assads nach, die von einer Verschwörung
ausländischer Kräfte redet.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Heuchler!)
Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass das syrische Volk
sehr wohl seine politische und gesellschaftliche Ordnung
selbst bestimmen will, und die hat nichts mehr mit dem
Diktator Assad, sondern mit Freiheit und Demokratie zu
tun. Ihre Solidarität mit dem Mörder-Regime
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo
denn?)
ist Ihnen offensichtlich wichtiger, und das ist menschenverachtend.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo ist
die denn? Wo finden Sie die denn? Das ist
doch Unfug!)
Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass es keineswegs
der Westen ist, der ein militärisches Eingreifen fordert;
der NATO-Generalsekretär hat dies bereits vor Monaten
ausgeschlossen. Vielmehr sind es führende Stimmen aus
der syrischen Opposition, die dies fordern, ebenso wie
zuletzt hochrangige Vertreter der Arabischen Liga. Sie
nehmen auch nicht zur Kenntnis, dass die UN-Hochkommissarin
für Menschenrechte in ihrem Bericht von
Ende November eindeutig Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Syrien festgestellt hat.
Sonst schwadroniert die Linke gerne darüber, dass
mit militärischen Interventionen angeblich Rohstoffinteressen
gesichert werden sollen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja
auch so!)
Die Sanktionspolitik sowohl gegen Syrien als auch gegen
den Iran will doch die Ölausfuhren unterbinden, um
die Regime zum Einlenken zu bewegen.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es!)
Dies geschieht, auch wenn es für einige Länder in der
EU schmerzhaft ist. Einen besseren Beweis dafür, dass
es uns um die Freiheit der Menschen geht, gibt es nicht.
Die Tatsachen blenden Sie aber lieber aus, weil sie nicht
in Ihre abstrusen Verschwörungstheorien passen.
Es ist noch schlimmer: Erneut beweist die Linke, dass
sie nichts aus unserer Geschichte gelernt hat. Sie machen
sich wieder einmal gemein mit Diktatoren, die den Weltfrieden
gefährden.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo
nehmen Sie das her?)
Über die brutale Unterdrückung der darunter leidenden
Völker sehen Sie hinweg. Ja, ich kann Ihnen das nicht
ersparen: Sie billigen einen Schießbefehl auf Zivilisten –
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
ist ein solcher Unfug!)
wie Sie es aus Ihrer eigenen Geschichte gut kennen –,
den laut Berichten von Human Rights Watch syrische Sicherheitskräfte
auf explizite Anweisung des Regimes erhalten
haben. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dafür
gibt es keinen Beleg! Das ist falsch! Das ist
eine Lüge!)
Sie leugnen, dass der Iran mit seinem Atomprogramm
Nuklearwaffen produzieren will. Herr van Aken – ich
darf nicht darüber reden, was Sie im Auswärtigen Ausschuss
gesagt haben; aber Sie haben das auch außerhalb
dieses Ausschusses immer wieder gesagt –, Sie leugnen
die Berichte der IAEO über das Nuklearprogramm des
Iran. Sie leugnen, dass der Iran der Auslöschung Israels
das Wort redet. Herr Gehrcke, Sie haben das wiederholt
getan. Dies ist vor dem Hintergrund der antisemitischen
Geisteshaltung mancher in Ihrer Fraktion für uns nicht
weiter verwunderlich. Es ist – das bleibt leider festzuhalten
– erschreckend, dass die Linke nichts, aber rein gar
nichts aus unserer Geschichte gelernt hat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Günter
Gloser. Bitte schön, Kollege Günter Gloser.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Der bis zuletzt
zu Mubarak gehalten hat!)
Günter Gloser (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Natürlich ist Syrien ein wichtiges Thema; deshalb
steht es in diesem Parlament morgen auf der Tagesordnung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe nicht geglaubt, dass wir eine Aktuelle
Stunde zu einem solchen Thema brauchen. Ich muss sagen:
Welch ein Zynismus, welch eine Geschichtsklitterung!
Als ich durch Presseberichte von dem Aufruf erfuhr,
über den wir hier heute diskutieren, war ich
erschüttert, und ich bin es immer noch. Was besagt dieser
Text, der von sechs Mitgliedern der Bundestagsfraktion
der Linken unterzeichnet worden ist? Der Aufstand
der Menschen in Libyen gegen die blutige Gewalt des
jahrzehntelang herrschenden Tyrannen Muammar al-
Gaddafi wird darin als bloßer Angriffskrieg der USA
und der NATO dargestellt.
Ist es an Ihnen vorbeigegangen, dass es für den Einsatz
in Libyen ein UN-Mandat unter Billigung von
China und Russland gab, außerdem die Zustimmung der
Arabischen Liga, um die menschenverachtenden Angriffe
des libyschen Regimes auf die eigene Bevölkerung
zu stoppen? Die Embargomaßnahmen gegen Syrien
und den Iran werden in einen Topf geworfen und nach
demselben Schema als bloße Angriffsvorbereitung durch
die USA, die NATO und Israel gewertet. Sarkastisch
merke ich an: natürlich auch durch Israel. Kann es denn
in den Augen solcher Autoren eine Weltverschwörung
ohne Israel geben? Natürlich nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm
[DIE LINKE]: Das ist eine Sauerei so was!)
Noch schlimmer wiegt: In den letzten Wochen und
Monaten gab es in Syrien mehr als 5 000 Tote, noch
mehr Verletzte und Zehntausende Verhaftete. Was ist die
Reaktion der sechs Abgeordneten der Linken darauf? Sie
unterschreiben diesen makabren Aufruf und verschweigen
im Fall Syrien – wie im Fall Libyen – den Volksaufstand,
der vor den Augen der Welt der blutigen Gewalt
des syrischen Staates trotzt.
Wer hat denn einen Angriff gestartet? Die NATO, die
USA, die EU? Es war Präsident Assad, der einen Angriff
auf seine eigene Bevölkerung begonnen hat.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Haben Sie jemals gelesen, was die Sicherheitskräfte
Kindern und Jugendlichen in der Stadt Daraa im Süden
des Landes angetan haben? Ist Ihnen bewusst, dass die
Rebellion der Syrerinnen und Syrer trotz aller Gewalt
schon zehn Monate andauert? Das sind die Tatsachen,
die Sie ignorieren. Nichts, aber auch gar nichts ist zu sehen
von den durch Sie ins Spiel gebrachten kriegslüsternen
Imperialisten. Wo sind denn Ihre Verschwörer?
Noch ein Wort zum Iran. Es steht für mich außer
Frage, dass wir alle friedlichen Mittel einsetzen müssen,
um den Iran daran zu hindern, eine Atombombe zu
bauen. Darin sind sich übrigens Deutschland, die EU
und die USA mit Russland und China völlig einig. Nur
Abgeordnete der Linken scheinen Despoten wie Herrn
Ahmadinedschad und Herrn Assad eher zu unterstützen
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist doch
eine Lüge, eine Unterstellung!)
als Menschen, die sich gegen diese Despoten erheben.
Ich merke an: Ich habe linke Politik eigentlich immer etwas
anders verstanden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß – ich sage das ganz offen –, dass es in Ihrer
Fraktion auch viele andere Stimmen gibt; ich will jetzt
nicht einzelne nennen. Ich finde – das haben auch Sie zu
Beginn der arabischen Rebellion angesprochen –, dass
es zu Recht um die Würde der Menschen geht.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ben Ali! –
Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/
CSU]: Seien Sie mal ruhig!)
Das sage ich ganz bewusst und auch selbstkritisch. Ich
frage mich, was Sie in diesem Bereich gemacht haben.
Wo ist eigentlich die Fraktionsführung, wo ist eigentlich
die Parteiführung, die einem solchen Unsinn widerspricht,
meine sehr verehrten Damen und Herren?
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es bleibt dabei: Das ist ein Zeugnis des blanken Zynismus
gegenüber den Opfern, gegenüber einem großen
Teil der syrischen Bevölkerung
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Rot-Grün
hat Assad doch hofiert! Rot-Grün!)
und gegenüber der Weltgemeinschaft, die sich unter großen
Schwierigkeiten bemüht, im Hinblick auf zwei sehr
komplexe, aber auch sehr drängende Krisenherde eine
Lösung zu finden, eine Lösung, die die Gewalt beendet,
ohne neue Gewalt zu provozieren, die den Menschen zu
Hilfe kommt, ohne neues Leid zu erzeugen, und die auch
eine Einigung mit Mächten wie Russland und China
sucht, um Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden
sind, nicht zu wiederholen.
Dieser Politik bleiben wir Sozialdemokraten verpflichtet.
Wir werden uns auch weiterhin laut und deutlich
von denen abgrenzen, die den Menschen in Not
durch irrwitzige Verschwörungstheorien Hohn sprechen
und den Blick auf die notwendigen Lösungen im Rahmen
der internationalen Organisationen und des internationalen
Rechts versperren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Birgit Homburger.
Bitte schön, Kollegin Birgit Homburger.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Birgit Homburger (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Lage in Syrien gibt Anlass zur Besorgnis. Seit Syrien am
19. Dezember des letzten Jahres das Protokoll der Beobachtermission
der Arabischen Liga unterschrieben
hat, geht die Gewalt weiter. Die Militäroperationen gehen
weiter, und Verhaftungen und Hausdurchsuchungen
finden unvermindert statt. Seit dem Eintreffen der Beobachtermission
der Arabischen Liga sind über 400 Zivilisten
getötet worden. Trotz der Beobachtermission
finden weiterhin militärische Operationen und landesweite
Verhaftungen statt. Trotz dieser Repressionen
trauen sich die Menschen auf die Straße und demonstrieren.
Allein in der Zeit vom 5. bis 7. Januar 2012 hat es
landesweit 339 Demonstrationen gegeben, und seither
hat dies unvermindert angehalten. Die Menschen in Syrien
sind offenbar fest entschlossen, Menschenrechte
und Demokratie einzufordern und sich nicht weiter vom
Regime unterdrücken zu lassen. Dabei haben sie unsere
Unterstützung.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
der Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD] und
Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Seit dem letzten September gibt es den Syrischen Nationalrat,
der eine politische Plattform für die Inlandsund
die Auslandsopposition bietet. Bundesaußenminister
Westerwelle hat im November letzten Jahres in Brüssel
dessen Vorsitzenden empfangen und damit ein klares
Signal des Beistands an die syrische Opposition gesendet.
Ich bin dankbar für diese klare Haltung des Bundesaußenministers,
der Bundesregierung und der Europäischen
Union. Ich finde, die Haltung der Linken ist
beschämend.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
der Abg. Günter Gloser [SPD] und Volker
Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ende November 2011 hat die Arabische Liga erstmals
Sanktionen gegen eines ihrer Mitgliedsländer verhängt.
Am 1. Dezember 2011 wurden vom EU-Außenministerrat
weitere Sanktionen verhängt und bestehende damit
verschärft. Am 19. Dezember 2011 hat die Generalversammlung
der Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet,
die die fortgesetzten schweren und systematischen
Menschenrechtsverletzungen in Syrien verurteilt.
Wir wünschen uns, dass es eine glasklare Stellungnahme
der Vereinten Nationen gibt. Diese gibt es bisher
nicht. Aber ich finde, dass die Weltgemeinschaft die
Lage in Syrien so eindeutig wie selten beurteilt. So
wurde die entsprechende UN-Resolution mit 133 Stimmen
bei nur 11 Gegenstimmen und weiteren Enthaltungen
– leider haben sich auch China und Russland enthalten
– angenommen. Vor diesem Hintergrund tauchte der
Aufruf, den Sie von den Linken unterzeichnet haben,
auf. Die Solidarisierung mit einem Regime,
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt
doch so nicht!)
das ohne Einsicht mit Brutalität gegen das eigene Volk
vorgeht, ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen in Syrien,
die für Menschenrechte und gegen Unterdrückung
auf die Straße gehen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr.
Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie wissen, dass
Sie das erfinden? – Dr. Dagmar Enkelmann
[DIE LINKE]: Das steht in diesem Aufruf
nicht drin!)
Sie werfen in Ihrem Aufruf den USA und der NATO
vor, Krieg gegen Libyen geführt zu haben, um das Land
zu kolonialisieren und seinen Reichtum auszuplündern.
Aus dem gleichen Grunde werde jetzt, so der Aufruf,
von der westlichen Welt inklusive Deutschland ein Krieg
gegen Syrien und den Iran vorbereitet. Das ist an Realitätsverweigerung
nicht mehr zu überbieten. Selten haben
so viele Länder der Welt gemeinsam die Lage in einem
Land so eindeutig kritisiert und gleichzeitig mit Klarheit
und Augenmaß reagiert.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!)
Es geht eben nicht um militärische Intervention, sondern
um die Unterstützung eines demokratischen Transformationsprozesses.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!)
Wir stehen an der Seite des syrischen Volkes. Diejenigen,
die ihr Leben aufs Spiel setzen, um Menschenrechte
einzufordern, haben unsere Solidarität und Unterstützung.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, ich will Ihnen sagen: Sie können Ihr Programm
getrost bereinigen und alle Stellen streichen, an
denen Sie je über Menschenrechte gesprochen haben.
Wer sich so dreist an die Seite eines solchen Regimes
stellt, hat jegliche Berechtigung, sich über Menschenrechte
zu äußern, verloren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether
Dehm [DIE LINKE]: Panzer nach Saudi-Arabien!)
Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument,
es sei kein Beschluss. Vier Ihrer führenden Kollegen, die
für Sie die internationale Politik verantworten, haben daran
mitgewirkt. Alle sind nach wie vor in ihren Ämtern.
Das heißt, die Linke unterstützt diesen Aufruf komplett.
Ich muss Ihnen sagen: Die Verschwörungstheorien,
die Sie hier verbreiten, sind nicht nachvollziehbar. Es
sind syrische Panzer, die im ganzen Land rollen. Sie von
den Linken agieren deshalb nicht nur politisch blind,
ideologisch und ignorant, sondern Sie machen sich mit
Ihrem Verhalten auch zu Mittätern.
(Zurufe von der LINKEN: Oh!)
Wer den von Ihnen unterzeichneten Aufruf liest, der
sieht, dass das eine ideologisch begründete Verdrehung
der Realitäten ist. Sie ignorieren den Tod von mehr als
5 000 Zivilisten in einem Jahr. Sie behaupten in Ihrem
Aufruf, dass es dem syrischen Volk unter diesem Regime
möglich ist, die politische und gesellschaftliche
Ordnung des Landes allein und souverän zu gestalten.
Aber wer verhindert denn die politische Partizipation des
syrischen Volkes? Es sind genau diejenigen, mit denen
Sie sich solidarisieren.
Bei einem Regime, das schon heute ankündigt, den
Bericht der Beobachtermission der Arabischen Liga, der
übrigens heute vorgelegt und abgegeben werden soll,
nicht anzuerkennen, ist eine klare Haltung der internationalen
Gemeinschaft notwendig. Wir werden gemeinsam
mit der internationalen Gemeinschaft und vor allem in
enger Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga weiter
an der Seite des syrischen Volkes stehen. Wir fordern
Russland und China auf, ihre Haltung zu überdenken
und den Weg für eine gemeinsame Resolution im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen freizumachen.
Wir wollen, dass das Blutvergießen ein Ende hat, und
wir fordern den syrischen Präsidenten Assad dazu auf,
Reformen zuzulassen und sein Land nicht in einen Bürgerkrieg
zu manövrieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
des Abg. Günter Gloser [SPD])
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Ulrich Maurer.
Bitte schön, Kollege Ulrich Maurer.
(Beifall bei der LINKEN)
Ulrich Maurer (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich habe gelernt, dass es im Parlament erlaubt ist, zu
lügen. Das haben Sie ausgiebig getan.
(Beifall bei der LINKEN)
Was ich hier gehört habe, waren viele Lügen und viele
Verleumdungen.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
CSU und der FDP)
– Ich werde Ihnen das jetzt belegen. – Wenn jemand seit
Jahren an der Seite des syrischen Widerstands gegen
Assad steht, dann sind es die Linken in Deutschland. Sie
nicht!
(Zuruf von der CDU/CSU: Lächerlich!)
Sie haben eine lange Tradition der Kollaboration mit
dem Regime Assad.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Wolfgang
Götzer [CDU/CSU]: Was war denn zu DDR-Zeiten?)
Es war nicht gut, dass in diesem Aufruf, den sechs
von uns unterzeichnet haben, die Brutalität des Regimes
nicht angesprochen wurde. Ich zitiere hier aus einer Erklärung
der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW:
Keiner der Unterzeichner des Aufrufs verteidigt die
brutale Gewalt des syrischen Präsidenten gegen
sein eigenes Volk. Ziel des Aufrufs ist allein, vor
der drohenden Kriegsgefahr für die Bürger in Syrien
und im Iran durch eine Eskalation der Konflikte
aufgrund der Embargopolitik und permanenter
Kriegsdrohungen zu warnen.
(Otto Fricke [FDP]: Das muss man wohl
ablesen!)
– Ja, Sie lesen auch viel ab; aber ich lese wenigstens
wahrheitsgemäß ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese internationale Ärzteorganisation hat den Vorwurf
also zurückgewiesen.
Ich sage es noch einmal: Es war nicht gut, dass in dem
Aufruf, den sechs von uns unterschrieben haben, nichts
von der Brutalität des Regimes stand. Aber jetzt kommen
wir zur Wahrheit und zum Kern des Problems.
Ich zitiere Frau Kollegin Steinbach aus Ihren Reihen,
die in der Rheinischen Post sagte:
Wenn am Ende überall der islamische Fundamentalismus
obsiege, werde man „vielleicht sagen müssen,
dass für Christen die Regime von Mubarak &
Co. das kleinere Übel waren ...“
(Zurufe von der LINKEN: Ah!)
Fangen Sie mit den Klärungsprozessen in diesem Punkt
also einmal bei sich an. Fangen Sie damit an!
(Beifall bei der LINKEN)
Ich zitiere aus Parlamentsdokumenten, dass Sie auf
Anfrage der Fraktion Die Linke eingeräumt haben, dass
noch 2011 166 Menschen aus Deutschland nach Syrien
abgeschoben werden sollten,
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
Unerhört!)
darunter Deserteure, die sich gegen Assad gewandt haben.
Wir verteidigen diese Menschen, und Sie sagen, ab
nach Ungarn zu den Parteifreunden! Von ihnen weiß
man ja, dass sie diese Deserteure direkt an die syrischen
Folterer weitergeben. Das ist Ihre Praxis in Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN)
Deswegen ist das, was Sie hier betreiben, verlogen und
heuchlerisch.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei einem Treffen des syrischen Widerstands vor wenigen
Wochen waren mein Kollege Gehrcke und ein Beobachter
der SPD anwesend. Von Ihnen wurde niemand
gesehen. An der Erklärung des syrischen Widerstands
hat unser außenpolitischer Sprecher als Autor maßgeblich
mitgearbeitet.
Und weiter zu Ihren Traditionen. Noch 2009 ist Ihr
damaliger Wirtschaftsminister Guttenberg auf der Tagung
„Gastland Syrien“ in Berlin zum Zweck der Exportförderung
herumstolziert. Dabei ging es um Geschäfte.
In einer Panorama-Sendung aus dem Jahre
2011, die ich Ihnen empfehle, ist ein hochrangiger Entwicklungsexperte
der GIZ mit den Worten zu hören: Natürlich
habe ich mich nie mit der syrischen Opposition
getroffen; das wäre für meine Mission schädlich gewesen.
Im Deutschen Bundestag gab es einen Antrag der
Linken mit dem Titel „Solidarität mit den Demokratiebewegungen
in den arabischen Ländern – Beendigung
der deutschen Unterstützung von Diktatoren“, in dem
Syrien ausdrücklich genannt wird. Dieser Antrag wurde
mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt. Das ist das, was hier in
diesem Parlament real passiert.
(Beifall bei der LINKEN – Birgit Homburger
[FDP]: Sagen Sie mal, was in diesem Antrag
gestanden hat!)
Um es auf den äußersten Punkt zu bringen: Sie haben
es sogar geschafft – ich zitiere aus dem entsprechenden
Protokoll –, im Jahre 2011 einen Antrag der Linken mit
folgendem Titel abzulehnen: „Exporte von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern nach Syrien endgültig
stoppen“. Dieser Antrag wurde in der Sitzung des Auswärtigen
Ausschusses am 29. Juni 2011 beraten. In der
Abstimmung im Bundestag ist dieser Antrag mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
– auf deren Verlangen die heutige Debatte stattfindet –
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung
der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen abgelehnt worden. Sie schaffen es, im
Juni 2011 einen Antrag der Linken gegen Waffenlieferungen
an Assad abzulehnen. Dann stellen Sie sich hierhin,
blasen sich auf und verbreiten Lügen und Verleumdungen
gegen unsere Partei.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar
Enkelmann [DIE LINKE]: Ihre Politik! –
Harald Koch [DIE LINKE]: Eigentor!)
Ich zitiere aus einer Anfrage meiner Kollegin Inge
Höger:
Ist die Bundesregierung angesichts der andauernden
Gewalt in Syrien und des fatalen Signals an syrische
Deserteure und Verweigerer, das durch die
drohende Abschiebung von syrischen Deserteuren
aus der bayrischen Abschiebehaft nach Ungarn und
von dort nach Syrien gegeben wird, bereit, die bisherige
Praxis der Rückführung in angeblich sichere
Drittstaaten aufzugeben und zukünftig allen Menschen,
die sich dem Militärdienst in Syrien und damit
der gewaltsamen Unterdrückung von Aufständischen
verweigern, in Deutschland Asyl zu bieten?
Wissen Sie, wie die Antwort der Bundesregierung
war? Sie ist dazu nicht bereit. Das, was Sie hier offenbart
haben, sind Abgründe von Verleumdung und vor allem
von Heuchelei.
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Volker Beck.
Bitte schön, Kollege Volker Beck.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die Menschenrechtssituation in Syrien und im
Iran ist dramatisch. In den letzten Tagen seit Beginn der
Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien wurden
allein 400 Menschen vom syrischen Regime umgebracht. Es gab 5 400 Tote seit Beginn der Demokratiebewegung. Die Opposition spricht sogar von über 6 000 Toten. 10 000 Menschen wurden seit Beginn der
Proteste willkürlich festgenommen. Tausende sind aus
Syrien in die Türkei, den Libanon und nach Jordanien
geflüchtet. Letzten Freitag gab es Demonstrationen von
fast 2 Millionen Menschen auf den syrischen Straßen.
Es gäbe in diesem Zusammenhang viel, was es sich
im Hohen Hause zu diskutieren lohnt. Ich finde den Titel
und den Gegenstand der heutigen Debatte unangemessen
angesichts der Probleme, die wir in diesem Zusammenhang
haben, angesichts der Situation der Menschen in
Syrien und der außenpolitischen Fragen, die sich uns
stellen.
Wie können wir auf ein Ende der Gewalt durch das
Assad-Regime drängen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Ulrich Maurer [DIE LINKE])
Um Reformen geht es dort längst nicht mehr, Frau
Homburger. Es geht um ein Ende des brutalen Terrorregimes.
Wie erreichen wir, dass China und Russland den Weg
zu einer eindeutigen Sicherheitsratsresolution freimachen?
Und, Frau Steinbach: Wie sieht die Politik der
Opposition gegenüber Kurden, Aleviten und Christen
aus, wenn es zu einer Beteiligung oder Übernahme der
Herrschaft in Syrien durch die Opposition kommen
sollte?
Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.
Dazu gehört auch, wie wir darauf konkret Einfluss
nehmen können. Deshalb finde ich es unwürdig für das
Hohe Haus, dass wir heute dieses politische Klein-Klein
veranstalten, obwohl wir morgen, von unserer Fraktion
beantragt, eine Debatte zu einem Antrag von Kerstin
Müller führen werden, in dem es um genau diese Fragen
geht.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
Richtig!)
Diese Fragen hätte man zuerst diskutieren können. Dann
hätte man sich nebenbei mit dem albernen Aufruf von
sechs Kolleginnen und Kollegen aus der Linksfraktion
beschäftigen können; denn das ist nicht das eigentliche
Problem, das wir zu lösen haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN sowie des Abg.
Christoph Strässer [SPD])
Wenn Sie von Solidarität mit dem Assad-Regime
sprechen, dann will ich einen Punkt ansprechen, der die
Kumpanei der Bundesregierung mit dem Assad-Regime
betrifft. Im Jahre 2009 hat Deutschland nach jahrelangen
Verhandlungen mit Syrien ein Abkommen zur Rückübernahme
von Flüchtlingen abgeschlossen. Dieses Abkommen
ist nicht ausgesetzt. Es gibt noch nicht einmal
einen Runderlass, der einen Abschiebestopp nach Syrien
verhängt. Es gibt lediglich ein Schreiben, dass es gegenwärtig
nicht „ratsam“ sei, abzuschieben. Dennoch gibt es
noch Abschiebefälle. Noch im November, als der Aufstand
schon im Gange war, wurden Flüchtlinge von
deutschen Ausländerämtern zur syrischen Botschaft geschickt.
Letzte Woche hat die taz darüber berichtet, dass
Flüchtlinge über Ungarn nach Syrien abgeschoben werden
sollen.
Wenn es ehrlich gemeint ist, dass wir gegen das syrische
Regime vorgehen und auf der Seite der Opposition
und der Menschenrechte stehen, dann kündigen Sie das
Abkommen! Verhängen Sie unverzüglich einen Abschiebestopp
für syrische Flüchtlinge aus der Bundesrepublik
Deutschland!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Ich will aber das Thema der Debatte nicht verfehlen,
auch wenn es mir nicht gefällt. Nun zu Ihnen und diesem
komischen Aufruf. Ich meine, es geht nicht an, dass
Herr Gysi und Sie, Herr Maurer, ihn als Fehler bezeichnen
– die Kollegin Enkelmann hat sich ähnlich geäußert –,
dass aber gleichzeitig die Unterzeichnerin und Sprecherin
für internationale Politik sagt, das sei zu hundert Prozent
Programm der Linken. Was ist denn dann hundert
Prozent Programm der Linken?
Der Vorwurf der Solidarität ist Quatsch. Das haben
die Kolleginnen und Kollegen auch zurückgewiesen.
Was in dem Text steht, ist schlimm genug. Darin heißt
es:
Das iranische und syrische Volk haben das Recht,
über die Gestaltung ihrer politischen und gesellschaftlichen
Ordnung allein und souverän zu entscheiden.
Der Satz ist richtig. Aber in diesem Zusammenhang
klingt das so, als ob das aktuelle Regime im Iran und in
Syrien Ausdruck dieses freien und souveränen Willens
wäre.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Als nächster Satz folgt:
Die Erhaltung des Friedens verlangt es, dass das
Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
anderer Staaten konsequent eingehalten
wird.
Sagen Sie mal, wo leben Sie denn? Als ich das gelesen
habe, habe ich gedacht, dass ich auf einen Knopf gedrückt
habe und mich auf einer Zeitreise in die 80er-
Jahre zur Zeit der alten Sowjetdoktrin der Politik der
Nichteinmischung befinde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Aber das haben wir im Rahmen des OSZE-Prozesses
überwunden.
Wenn man sich für die Einhaltung der Erklärung der
Menschenrechte, die völkerrechtlich verbindlich ist und
auch von den betreffenden Staaten unterzeichnet wurde,
einsetzt, dann handelt es sich nicht um eine Einmischung
in innere Angelegenheiten. Die Staaten haben vielmehr
die Pflicht, die Menschenrechte ihrer Bürgerinnen und
Bürger zu achten und zu wahren. Offensichtlich ist die
völkerrechtliche Diskussion über die Responsibility to
Protect an Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken,
spurlos vorbeigegangen. Wenn ein Staat massenhaft
Menschenrechtsverletzungen begeht und beispielsweise
ethnische Säuberungen durchführt oder die Bevölkerung
nicht entsprechend davor schützt, dann geht gemäß der
Resolution, die die Vollversammlung der Vereinten
Nationen 2005 einstimmig angenommen hat, die Pflicht
zum Schutz der Bevölkerung – das ist eigentlich die
Pflicht eines jeden Staates – an die Völkergemeinschaft
über. Sie hat dann zu versuchen, mit angemessenen Mitteln
die Rechte der Menschen durchzusetzen und zu
schützen.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dazu findet sich in Ihrem komischen Aufruf kein
Wort.
Sie schweigen auch zu einer ganzen Reihe anderer
Punkte. Sie erwähnen nicht, dass es sich bei diesem
Konflikt in der Region auch um einen Konflikt zwischen
sunnitischen und schiitischen Gläubigen, zwischen dem
Iran und Saudi-Arabien über die Vormachtstellung am
Golf handelt. In Ihrem Aufruf ist nur von israelischen
und US-amerikanische Interessen an der Vorbereitung
eines Krieges die Rede. Das ist antiamerikanisch und
antiisraelisch und politisch reichlich unterkomplex. Herr
Dehm, Sie als Kundschafter des Friedens stehen für
diese Unterkomplexität in außenpolitischen Zusammenhängen.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass der
ehemalige Botschafter der Deutschen Demokratischen
Republik, der im Jahre 1989 seinen Dienst in der Volksrepublik
China versah und im Jahre 2008 zu den Schüssen
auf dem Platz des Himmlischen Friedens gesagt hat:
„Es blieb dann nur diese Möglichkeit, es mit bewaffneten
Kräften zu beenden“, einer der Mitunterzeichner
Ihres Aufrufs ist.
(Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE
LINKE])
In diese Gesellschaft begibt man sich, wenn man solche
unterkomplexen Aufrufe schreibt bzw. unterschreibt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Stellen Sie sich der internen
Auseinandersetzung! Ansonsten sind Sie für niemanden
politisch anschlussfähig, weil Sie in einem anderen
Orbit leben.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie sind
nicht politisch anschlussfähig!)
Sie können nicht die Menschenrechte verteidigen, wenn
Sie solche Positionen in Ihrer Partei dulden und es zulassen,
dass einige Ihrer Leute in Anspruch nehmen, dies
sei hundert Prozent Programm der Linken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist unser
Kollege Jürgen Klimke für die Fraktion der CDU/CSU.
Bitte schön, Kollege Jürgen Klimke.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jürgen Klimke (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Soll man sich wundern, oder
soll man über diesen bizarren Aufruf der Linken gegen
die vermeintliche Kriegstreiberei der USA und der
NATO gegen den Iran und Syrien erschrocken sein, also
gegen jene beiden Staaten, denen sich die Linken offenbar
besonders verbunden fühlen?
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Lüge!)
Die Linke meint den Grund für die angeblich aggressive
Politik der USA entdeckt zu haben. Er besteht neben den
dort vorhandenen Rohstoffen darin, dass diese Staaten
„eine eigenständige Politik verfolgen und sich ihrem
Diktat“ – gemeint ist das Diktat der USA – „nicht unterordnen“.
Eigenständige Politik betreibt man nach Auffassung
der Linken offensichtlich dann, wenn man Oppositionelle
niederknüppelt, die Menschenrechte mit
Füßen tritt,
(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das sind Ihre
Freunde, über die Sie reden! – Christine
Buchholz [DIE LINKE]: Lüge!)
Christen verfolgt oder heimlich Atombomben baut.
Man kann sich darüber wundern, aber man kann auch
darüber erschrocken sein, auch darüber, dass Bundestagsabgeordnete
der Linken diesen Aufruf mitunterzeichnet
haben. Ein solcher Vorgang ist nicht neu. Ich
darf an den Brief der Linken anlässlich des 85. Geburtstags
Fidel Castros erinnern, in dem die Errungenschaften
des sozialistischen Kuba mit seiner beispielgebenden
Wirkung für so viele Völker der Welt gerühmt wurden.
Ich erinnere an die Probleme, die die Linke mit dem Antisemitismus
in den eigenen Reihen hat. Wenn die Parteiführung
Resolutionen gegen den Antisemitismus beschließt,
müssen Abgeordnete den Raum verlassen,
damit Einstimmigkeit erzielt wird.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]:
Beschämend!)
Das Existenzrecht Israels wird von den Politikern der
Linken nicht anerkannt.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was? –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist
eine Lüge! – Ulrich Maurer [DIE LINKE]:
Lüge!)
Das zeigt zum Beispiel die Teilnahme von führenden
Linken an der sogenannten Gaza-Flottille oder das Sitzenbleiben
der Linken-Abgeordneten am Holocaust-
Gedenktag bei der Begrüßung des israelischen Präsidenten
Shimon Peres.
Diese Liste ließe sich noch sehr lange weiterführen –
bis hin zum Plakat an der Tür der Abgeordneten Ploetz,
das unsere Bundeswehrsoldaten in Afghanistan als
Schweine verhöhnt, oder der Abgeordneten Hänsel, die
den Mördern und Entführern von der kolumbianischen
FARC Unterstützung angedeihen lässt.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Märchen!)
Meine Damen und Herren, soll man sich wundern,
soll man darüber erschrocken sein? Ich wundere mich
nicht mehr; ich erschrecke mich eigentlich sehr darüber.
Leider bleibt es aus meiner Sicht bis auf Weiteres so,
dass sich im Deutschen Bundestag drei Bereiche wiederfinden:
die Regierungsfraktionen, die demokratische
Opposition, bestehend aus SPD und Grünen, und eine
Fraktion, bei der man Zweifel haben muss, ob sie wirklich
auf dem Boden unserer freiheitlichen demokratischen
Grundordnung steht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Lupenreine
Linksextremisten!)
Deswegen halten es viele auch für richtig, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dass die Partei Die Linke weiterhin
vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Ja, klar! – Dr. Diether
Dehm [DIE LINKE]: Pfui Teufel!)
Dabei ist es aus meiner Sicht immerhin ein kleiner
Trost, dass es auch vonseiten einiger Politiker der Linken
andere Meinungen gibt: andere Meinungen zu
Israel, andere Meinungen zu Kuba und andere Meinungen
zu den USA.
Auch der Aufruf zu Syrien und zum Iran ist innerhalb
Ihrer Partei nicht unwidersprochen hingenommen worden.
Das macht ein bisschen Hoffnung. Man kann eigentlich
nur diese Kräfte unterstützen, allerdings nur ein
wenig, wenn man bedenkt, dass die innerparteilichen
Kritiker des Aufrufs von den Hardlinern als Nestbeschmutzer
bezeichnet wurden.
Die Aktion macht eines klar: Die Linke weiß nicht,
wohin sie will. Die Linke weiß nicht, was sie will. Will
sie eine parlamentarische Opposition sein?
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was Sie
wollen, ist, Diktatoren unterstützen und Waffen
liefern!)
Will sie eine koalitionsfähige Alternative im linken Parteienspektrum
werden? Ist sie eine ideologische Fundamentalopposition,
die im Grunde die Abschaffung der
demokratischen Grundordnung zum Ziel hat? Die Austragung
dieses Konflikts wird aus meiner Sicht darüber
entscheiden, ob die Linke in diesem Hause in Deutschland
noch Zukunft hat.
Im Übrigen: Im Konflikt befindet sich offensichtlich
auch die Kollegin Sevim Dağdelen, nach deren Meinung
der Aufruf zu Syrien und zum Iran zu hundert Prozent
das Parteiprogramm der Linken widerspiegelt.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Hört!
Hört!)
Das schließt nicht aus, dass man sich in antiamerikanischer
Mission auch einmal direkt zum Erzfeind begibt
und der Außenministerin persönlich Vorhaltungen
macht, wie auf diesem Bild hier dokumentiert ist.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Höher
halten!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen hier Sevim
Dağdelen in ihrer heikelsten antiimperialistischen Mission
– wie immer sehr kämpferisch und sehr entschlossen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
Johannes Pflug. Bitte schön, Kollege Johannes Pflug.
Johannes Pflug (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ende letzten Jahres hatte sich der Deutsche Bundestag
aus aktuellem Anlass wiederholt mit den Besonderheiten
linker Außenpolitik befasst. Einmal ging es
um den Antrag der Linken, jedes militärische Engagement
in Afghanistan sofort zu beenden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
So weit, so gut.
Einige Wochen zuvor hatte es eine Aktuelle Stunde
zum Thema Antisemitismus gegeben, allerdings nicht
von Ihnen beantragt. Bereits bei der Debatte Ihres
Afghanistan-Antrags hatte ich darauf hingewiesen, dass
dieser Antrag und der geforderte Abzug Musterbeispiele
sind für den Widerspruch zwischen dem proklamierten
Internationalismus und der Verpflichtung zum Schutz
der Menschen einerseits sowie der Nichteinmischung
oder dem – ich sage das einmal so – Schaufenster-Antimilitarismus
andererseits.
Heute gibt es erneut Grund, uns mit dem Verständnis
der Linkspartei von internationaler Verantwortung zu befassen.
So ist es bemerkenswert, dass es für die Kollegin
Dağdelen oder den Kollegen Dehm offenbar ein Akt der
Solidarität und der Völkerfreundschaft ist, sich an einem
Aufruf zu beteiligen, der die Unterdrückung der Iraner
und Syrer durch ihre diktatorischen Regime mit keinem
Wort erwähnt, geschweige denn verurteilt. Stattdessen
wird auch noch die Propaganda der Diktatoren übernommen,
die ja Aufruhr stets als Ergebnis ausländischer
Agenten und Sabotage brandmarkt. Christian Bommarius,
Journalist unter anderem für die Frankfurter Rundschau,
schrieb dazu erst kürzlich sehr treffend, für die Linke sei
es stets „offenbar der Westen, der die in glücklicher Harmonie
mit ihren Unterdrückern lebenden Völker in den
Aufstand hetzt“. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Diejenigen Mitglieder der Linken-Bundestagsfraktion,
die den Internetaufruf unterzeichnet haben, haben
zunächst noch vollmundig erklärt, dieser decke sich zu
100 Prozent mit dem Programm der Partei. Mittlerweile
haben sie den Aufruf aber schon wieder relativiert wegen
der starken öffentlichen Kritik und Empörung, und
ich füge hinzu: Gott sei Dank auch aus den Reihen der
eigenen Partei, zum Beispiel des Kollegen Bartsch und
der Kollegin Enkelmann.
Die Unterzeichner erklärten daraufhin wieder einmal,
sie seien bewusst falsch interpretiert und missverstanden
worden. Hierzu kann ich mit Blick auf die Vergangenheit
nur sagen: Es muss auch an Ihnen liegen, dass Sie
sich so häufig missverstanden oder falsch interpretiert
fühlen. Ob es um die erklärte Solidarität einiger Parteimitglieder
mit der Hamas ging, um das Gezerre um eine
gemeinsame Erklärung gegen Antisemitismus hier im
Hause oder um undifferenzierten Aktionismus gegen Israel,
stets waren die Aussagen eigentlich eindeutig.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Reden wir
doch mal über die rot-grüne Politik gegenüber
Assad!)
Teile der Linkspartei vertreten offen einen radikalen
Anti-Israel-Kurs. Dies geht sogar so weit, dass sich Mitglieder
Ihrer Fraktion weigern, sich bei einer Veranstaltung
am Holocaust-Gedenktag für den israelischen Präsidenten
Peres zu erheben.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Skandalös!)
Darüber hinaus scheinen Teile der Linkspartei einen
gewissen Hang zu Exoten und Diktatoren zu besitzen.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es!)
Egal ob Fidel Castro oder Hugo Chávez – und neuerdings
auch Assad und die Mullahs im Iran –, egal wie
verbrecherisch das Regime: Solange es einen dumpfen
Antiamerikanismus bedient, gibt es auch Freunde in Ihrer
Partei.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dies nimmt dann so groteske Züge an wie in der
jüngsten Vergangenheit, als sich die Kollegin Dağdelen
und andere zu den letzten Verbündeten Assads und seines
Terrors gemacht haben, offensichtlich weil das Bedürfnis
nach Antiamerikanismus und Anti-Israel-Politik
bedient wurde. Möglicherweise ist es genau das, was Ihr
demnächst neuer Spitzenkandidat Lafontaine mit den Eigentorschützen
in der eigenen Partei meinte. In solchen
Fällen sagt man: Der Trainer sollte sie nicht wieder aufstellen.
Aber die Frage ist: Wer ist bei Ihnen eigentlich
der Trainer?
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, muss ich Ihnen mitteilen, dass
mir der Wunsch nach persönlichen Erklärungen vorliegt.
Dies ist nach unserer Geschäftsordnung auch bei Aktuellen
Stunden möglich. Ein Mitglied des Bundestages
kann sich nach unserer Geschäftsordnung zu Wort melden.
Der Präsident darf solche Wortmeldungen nicht zurückweisen,
er kann aber nach Maßgabe der Geschäftsordnung
den Zeitpunkt der Worterteilung nach seinem
Ermessen bestimmen. Da sie unmittelbar angesprochen
wurde, gebe ich zunächst Frau Kollegin Heike Hänsel
das Wort und bitte Sie, den entsprechenden Zeitrahmen
einzuhalten. – Bitte schön, Frau Kollegin Heike Hänsel.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Danke schön, Herr Präsident. – Ich möchte eine persönliche
Erklärung abgeben. Der Kollege Jürgen Klimke
hat mich konkret angesprochen, mich namentlich genannt
und gesagt, dass ich der kolumbianischen Guerillaorganisation
FARC Unterstützung angedeihen lassen
würde. Ich möchte diesen Vorwurf zurückweisen und darauf
aufmerksam machen, dass es eine breite Initiative
von Abgeordneten gibt, die sich für eine politische Lösung
des seit Jahrzehnten bestehenden bewaffneten Konflikts
in
Kolumbien einsetzen. Aus allen Fraktionen gibt
es Unterschriften unter Appelle an den kolumbianischen
Präsidenten für eine politische Lösung und einen Friedensprozess
in Kolumbien. Es herrscht in diesem Land
eine sehr ernste Situation, nachdem dort viele Menschen
ihr Leben verloren haben. Es ist eine schlichte Verleumdung,
daraus eine Unterstützung für die Guerillaorganisation
zu machen.
Ich möchte darauf hinweisen, Herr Klimke, dass die
Bundesregierung jahrzehntelang Präsidenten in Kolumbien
unterstützt hat, die militärisch vorgegangen sind,
die mit Paramilitärs verstrickt waren, wie zum Beispiel
Präsident Uribe. All diese haben für ihre brutale Politik
in Lateinamerika massive Unterstützung bekommen.
Dass in diesem Hause von Teilen der Bundesregierung
und vonseiten der FDP, insbesondere durch die
Friedrich-Naumann-Stiftung, Putsche in
Honduras mit
unterstützt wurden, zeugt davon, dass Sie eine brutale
Politik unterstützen.
Die Linke hat bisher in keiner Weise – das muss ich
auch dazu sagen – Waffenlieferungen in irgendein Land
unterstützt. Sie senden in alle Welt Waffen. Deutschland
ist drittgrößter Waffenexporteur auf der Welt. Sie tragen
zu Leid und Tod bei. Deshalb ist diese Debatte hier absurd.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Als Nächstem gebe ich zu einer persönlichen Erklärung,
nachdem auch er direkt angesprochen wurde, dem
Herrn Kollegen Dr. Diether Dehm das Wort.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das
müssen Sie jetzt aushalten!)
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Kollege Beck, Sie haben meinen angeblichen Hang
zu unterkomplexen Aufrufen angesprochen. Sie haben
zwar auch viel zur Differenzierung der Diskussion beigetragen,
aber da ging der Gaul wieder mit Ihnen durch.
Ich will Ihnen nur noch einmal ganz deutlich das sagen,
was ich auch im Interview mit der taz gesagt habe:
Keiner der Unterzeichner von uns hat irgendeinen Hauch
von Sympathie mit den Staatsterroristen Assad und
Ahmadinedschad.
(Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck
[Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aha, das haben Sie im Aufruf nur vergessen zu
sagen!)
Wir wissen nämlich, dass Linke, dass Kommunisten,
dass Sozialisten von diesen Schlächtern verfolgt und gefoltert
werden.
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Syrien ist
sozialistische Republik!)
Linke sind es, unsere Freunde, die im Iran und in Syrien
hingerichtet werden. Das will ich Ihnen zunächst sagen.
Das haben wir auch schon mehrfach gesagt. Sie wissen
das auch; Sie haben das auch in dem Teil Ihrer Ausführungen
gesagt, in dem Sie Differenzierungen vorgenommen
haben.
Darüber hinaus will ich sagen: Wir haben in dem Aufruf
davor gewarnt, dass Kriegsvorbereitungen getroffen
werden. Diese Kriegsvorbereitungen laufen – das ist unsere
feste Überzeugung – gegen den
Iran; sie laufen,
möglicherweise gedämpfter, gegen
Syrien. Im Hinblick
auf den Iran wird es ein Atomkrieg werden.
(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])
Hier besteht, Herr Kollege Beck – das will ich Ihnen
ganz deutlich sagen –, die Differenz zwischen uns. Wir
sind jetzt an jenem Punkt, wo damals gegen Außenminister
Westerwelle eine unauffällig scheinende Flugverbotszone
von der SPD und, wie ich glaube, auch von
den Grünen entschieden gefordert wurde. Wie vor dem
Jugoslawien-Krieg wurde hier ja von Rot-Grün immer
gefordert, an der Durchsetzung einer unauffälligen Flugverbotszone
gegen
Libyen mitzuwirken. Doch dies hat
zu einem Krieg mit über 40 000 Toten geführt, zu einem
Bombardement der Städte dort. Dabei ist auch der modernste
Sozialstaat Nordafrikas zerbombt worden.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Der modernste Sozialstaat?)
– Genau das ist Libyen gewesen – das ist unbestreitbar –,
der modernste, entwickeltste Sozialstaat Nordafrikas, wo
Ölprofite in sozialstaatliche Investitionen geleitet wurden.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann war
der Staat Gaddafis ein Sozialstaat? Sie haben
ja einen Sprung in der Platte!)
Angesichts dessen und der Tatsache, dass das Wirtschaftsembargo
gegen den Irak, das Tausende von Kindern
das Leben gekostet hat, zugleich ein unauffälliger
Einstieg in das Bombardement Iraks war,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau
Enkelmann, Libyen ist ein Sozialstaat? Mannomann!
So ein Unsinn!)
werden wir jetzt umso hellhöriger.
Ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Wenn ich die Wahl
habe, keine Warnung vor einem Atomkrieg gegen den
Iran zu unterschreiben oder eine möglicherweise unvollkommene,
kann es auch in Zukunft noch passieren, dass
ich mich dafür entscheide, eine möglicherweise, wie Sie
sagen, unterkomplexe Erklärung zu unterschreiben.
Denn die Warnung vor Krieg ist für Linke das oberste
Gebot.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Wir fahren fort in der Reihenfolge der Wortmeldungen
zur Aktuellen Stunde. Für die Fraktion der FDP hat
als Nächster das Wort Kollege Patrick Kurth.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Libyen, für die
Linke ein modernster Sozialstaat! Das ist ja
furchtbar! So stellen Sie sich einen modernen
Sozialstaat vor, wie der Gaddafi ihn hatte? Sie
sollten sich schämen! – Beifall bei der CDU/
CSU und der FDP)
Bitte schön, Kollege Patrick Kurth.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Alle Wochen wieder: Die Linke glänzt durch gesellschaftspolitische
oder in diesem Falle außenpolitische
Peinlichkeiten. Außenpolitische Fragen, die schon bisher
von Ihnen sehr peinlich behandelt wurden, betreffen
Afghanistan, Kuba und den Nahen Osten. Worüber haben
wir hier alles geredet? Über die Gaza-Flottille, über
antisemitische Auswüchse, über Castro-Verehrung. Sie
hatten damals in der Aktuellen Stunde zum deutsch-polnischen
Verhältnis vor allem das Verhältnis zwischen der
DDR und Polen unter der SED gelobt. Dabei haben Sie
aber völlig unterschlagen, dass es die SED war, die erstmals
nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Streitkräfte
für den Einmarsch in Polen mobilisierte. Sie haben mit
einer Staatspartei sympathisiert – sie ist ja auch Ihre Vorgängerpartei
–, was für uns insgesamt in der außenpolitischen
Darstellung nicht gut war. Sie können sich im Inland
benehmen, wie Sie wollen. Da werden Sie auf jeden
Fall auf unseren Widerstand stoßen. Das ist in erster Linie
Ihr Problem. Wenn Sie sich aber außenpolitisch so
benehmen, wie Sie das tun, dann wird es ein Problem für
alle Deutschen. Das geht nicht. Sie haben auch im Ausland
eine Verantwortung.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Seit fast einem Jahr – die dpa schrieb es gestern –
geht das Regime in Syrien mit Gewalt gegen die Opposition
vor. 5 500 Menschen starben. 5 500 Menschen!
Dann kommt diese Solidarisierung, ein vorläufiger Höhepunkt
der außenpolitischen Geisterfahrten. Ich muss
Ihnen sagen: Gerade wir Deutsche haben in der jüngeren
Geschichte eine ganz wunderbare Erfahrung gemacht
und ein ganz großes Glück gehabt.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie haben
sich jahrelang mit Assad solidarisiert und paktiert!
Heuchelei!)
Wir hatten in diesem Land eine friedliche Revolution. In
diesem Land wurde niemand erschossen. Das war ein
ganz großes Glück für unser Land. Dass dieses Glück
keine Selbstverständlichkeit ist, das zeigt Syrien. Deshalb
verbietet es sich, mit diesen Staatsterroristen in irgendeiner
Weise zu sympathisieren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum haben
Sie das jahrelang gemacht?)
Meine Damen und Herren, unsere Erfahrungen, unsere
Geschichte, unser Glück, aber eben auch die Gewalt
dieser Diktatoren, der Kampf gegen Demonstranten
müssen uns als Abgeordnete in diesem Hause Verantwortung,
Auftrag und Mahnung zugleich sein. Gerade
wir Deutsche haben deshalb eine gewisse Vorbildstellung.
Wir haben eine immense Verantwortung. Für das
Außenbild tragen wir alle, die wir Mitglieder dieses
Hauses sind, Verantwortung. Herr Maurer, Sie haben
hier wunderbar gesprochen.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Sinne der leninistischen Propagandarede war das hervorragend.
(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])
Ich nehme den Spieß und drehe ihn um. Aber was denn
nun? Butter bei die Fische! Dafür oder dagegen? Hopp
oder top? Sie haben keine Antwort geliefert. Sind Sie
nun dafür, oder sind Sie dagegen?
(Zurufe von der LINKEN)
Distanzieren Sie sich von diesem Pamphlet, oder sind
Sie doch dafür? Gibt es irgendwelche Konsequenzen? Ist
Ihre menschenrechtspolitische Sprecherin, die dieses
Machwerk unterzeichnet hat, noch im Amt, oder ist sie
nicht mehr im Amt? Was sind denn Ihre Konsequenzen?
Sie verunklaren Ihr Bild. Sie bleiben völlig unklar, in der
Hoffnung darauf, dass die einen ganz links in irgendeiner
Weise befriedigt werden und die anderen, die ein bisschen
mehr in der Mitte sind, relativ friedfertig bleiben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Nehmen Sie einmal Ihr Pamphlet, und ersetzen Sie den
Begriff „Syrien“ oder auch „Iran“ durch „DDR“. Tauschen
Sie das einmal aus. Da wird Ihnen übel.
Es kann einem auch übel werden, wenn man sich die
Unterzeichnerliste anguckt. Ich weiß es nicht: Haben Sie
das einmal gemacht? Wissen Sie, mit wem Sie in einem
Boot sitzen? Haben Sie sich das einmal angeschaut? Wer
unterzeichnet im Zusammenhang mit Abgeordneten des
Deutschen Bundestages, mit Volksvertretern, diesen
Aufruf? Es wimmelt nur so von Verschwörungsideologen,
Esoterikern und – das ist besonders interessant –
Rechtspopulisten. Ich habe mir die Namen aufgeschrieben,
habe mich aber dazu entschieden, sie nicht zu nennen.
Wir wollen niemanden auf dieser Liste adeln.
(Birgit Homburger [FDP]: Sind die Piraten
auch drauf?)
Die einen versteigen sich zu Verschwörungstheorien bezüglich
Iran. Sie verharmlosen die Hetzreden des iranischen
Staatspräsidenten. Es gibt auf dieser Liste Leute
– die befinden sich in Ihrer Gesellschaft –, die erklären,
dass das Erdbeben in Japan künstlich erzeugt worden
sei, um Japan zu schaden.
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU –
Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja Karneval!)
Dann gibt es andere, die sagen, dass die Terroranschläge
vom 11. September von den USA selbst inszeniert
wurden. Das sagen Ihre Mitunterzeichner. Die
Judenverfolgung wird verharmlost. Das ist Ihre Gesellschaft!
Einer sagt, Aids gebe es nicht, es sei eine Erfindung
der – Achtung! – Pharmaindustrie. Dann kommt
sogar ein Bündnis – das ist ganz interessant im Hinblick
auf die Linke; ich wusste gar nicht, in welcher Gesellschaft
Sie sich befinden –, welches erklärt, das deutsche
Reich gebe es noch, die Bundesrepublik gebe es nicht,
sie sei nicht rechtmäßig. In diese Liste reihen Sie sich
ein. Uns fällt es wirklich schwer, zur Kenntnis zu nehmen,
dass es sich um Abgeordnete handelt, die sich in
diese Gesellschaft begeben.
Wenigstens die Führung der Linken – sie hat sich ja
schon öfter verbogen – muss sich von diesem Aufruf distanzieren.
Geschieht das nicht, hat sich diese Partei außenpolitisch
erneut diskreditiert.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner ist unser Kollege Christoph Strässer
für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege
Christoph Strässer.
Christoph Strässer (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Punkte aus dieser
Aktuellen Stunde aufgreifen. Wenn ich die Quintessenz
aus allen Redebeiträgen zusammenfasse, dann
komme ich zu zwei Erkenntnissen.
Erste Erkenntnis. Wir müssen uns alle gemeinsam
Gedanken darüber machen, wie die Geschichte der Beziehungen
Deutschlands, Europas und der Vereinigten
Staaten zu bestimmten Diktaturen in der Welt ist. Darüber
müssen wir reden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir müssen auch aus Fehlern lernen. Der Umstand, dass
ein Land in einer Region für Stabilität sorgt, rechtfertigt
niemals, dass in dieser Region Menschenrechte verletzt
werden. Ohne die Gewährung von Menschenrechten
aber ist in diesen Regionen keine Stabilität möglich.
Diese Erkenntnis sollten wir aus dieser Debatte mitnehmen.
(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das gilt auch
für Saudi-Arabien und Bahrain!)
– Ja.
Zweite Erkenntnis. Wenn das, was über den arabischen
Frühling und über Syrien gesagt worden ist, ernst
gemeint ist, dann erwarte ich Initiativen von Ihrer Partei,
die im Moment versucht, sich wieder als Bürgerrechtspartei
zu profilieren. Wir sollten in den nächsten Wochen
im Deutschen Bundestag Klarheit darüber schaffen und
entsprechende politische Willenserklärungen abgeben,
dass Abschiebungen nach Syrien auch über den Umweg
Ungarn ab sofort nicht mehr möglich sein dürfen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Aktuelle Stunde zwingt uns natürlich dazu, zu
dem Aufruf, der von einigen unterschrieben worden ist,
Stellung zu nehmen. Man konnte die ganze Zeit – ich
habe direkt daneben gesessen – Zurufe wie „Heuchler“
und „Lügner“ hören. Ich möchte jetzt etwas zitieren und
hoffe, dass es dabei solche Zurufe nicht gibt. Unter der
Überschrift „Gegen linke Solidarität mit den Schlächtern
von Syrien und Iran!“ heißt es:
Die Souveränität Syriens und Irans liegt nicht bei
den Regimen von Assad und den Ayatollahs, sondern
bei den Menschen. Sie sind es, die ihre Rechte
einfordern.
Entgegen der Einschätzung des Appells sind es
nicht die NATO, die USA oder Israel, die einen
Bürgerkrieg in Syrien anfachen, sondern das syrische
und iranische Regime, die auf diese Weise mit
aller Brutalität versuchen, einen Keil zwischen die
Aufständischen zu treiben. Beide Regime gehen dabei
mit unglaublicher Brutalität gegen die eigene
Zivilbevölkerung vor, z. B. mit gezielten Tötungen
durch Scharfschützen, die sogenannte „Abschussquoten“
zu erfüllen haben.
Ende des Zitates; der Aufruf geht aber noch weiter.
Veröffentlicht worden ist dies von dem Bundesarbeitskreis
Shalom der Linksjugend Solid, die sich aufs
Schärfste von dem Syrien-Appell abgrenzt. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, rufen Sie bitte nicht „Heuchler“
und auch nicht „Lügner“, sondern solidarisieren Sie sich
mit Ihrer Jugendorganisation und distanzieren Sie sich
von dem Syrien-Aufruf, der unerträglich ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Ich möchte auch aus einem anderen Blickwinkel – der
Kollege Beck hat schon darauf hingewiesen – zu diesem
Aufruf Stellung nehmen und insbesondere auf die Feststellung
eingehen, dass das konsequente Einhalten des
Nichteinmischungsgebots das Gebot der Stunde sein
soll. Ich will mich gar nicht darauf kaprizieren, zu fragen,
was das mit der Responsibility to Protect und mit
dem Verhältnis Menschenrecht zu Völkerrecht zu tun
hat. Ich will aber auf einen Zwischenruf reagieren und
sagen: Ich bitte Sie, die Responsibility to Protect im Interesse
der Menschenrechte ernsthaft zu verfolgen. Es ist
nämlich nicht so, dass der Sanktionskatalog der RtoP mit
einer militärischen Intervention beginnt.
(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Aber endet!)
Nehmen Sie bitte einfach zur Kenntnis, dass der erste
Schritt die Prävention ist und dass wir an dieser Stelle
gefordert sind, zu helfen und zu unterstützen, damit es
gerade nicht zu einer militärischen Intervention kommt,
die wir alle verhindern wollen. Diese Botschaft muss
von dieser Auseinandersetzung ausgehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heike
Hänsel [DIE LINKE]: Finden Sie richtig, was
passiert ist?)
Ich will noch eine weitere Bemerkung machen und
darlegen, was mir ebenfalls gegen den Strich geht. Ich
habe in meiner politischen Vergangenheit viele Aufrufe
und Appelle unterschrieben. Ich war mir immer im Klaren
darüber, wie Aufrufe interpretiert werden können.
Ich würde mir wünschen, dass auch Sie sich dies bewusst
machen. Denn Sie sind doch nicht so naiv, zu
glauben, dass es in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt,
dass das, was Sie nicht wollen, im Aufruf nicht enthalten
ist.
Aber ich will eines zum Prinzip der Nichteinmischung
und zum Prinzip der linken Solidarität sagen
– das meine ich wirklich ernst –: Sie verkaufen und verraten
Ihre eigene Geschichte. Das will ich ganz deutlich
sagen. Wir haben gemeinsam auf der Straße gestanden
und gefordert, dass unsere Regierungen boykottieren,
Embargos ausüben gegen Südafrika, waren gemeinsam
gegen das faschistische Regime in Chile, gegen andere
für uns unerträgliche politische Systeme.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!)
Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: „Nichteinmischung
ist des Teufels“, dann verraten Sie Ihre eigenen
linken solidarischen Ideale. Damit sollten Sie einfach
aufhören. Das ist unsinnig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Thomas
Feist. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas Feist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Das zeitgeschichtliche Forum in meiner
Heimatstadt Leipzig wirbt mit dem Motto: „Geschichte
kann zu Einsichten führen und verursacht
Bewusstsein“. Weder Einsicht noch Bewusstsein ist genau
das, was den Geist dieses Aufrufes im Internet kennzeichnet, den sechs Abgeordnete der Linkspartei unterschrieben
haben. Ich muss ganz ehrlich sagen, Herr
Kollege Maurer, Ihre Rhetorik des Kalten Krieges, mit
der Sie versucht haben, eine Pro-Assad-Unterzeichnung
ins Gegenteil zu verkehren, ist entweder verquaste Dialektik
oder schlicht und einfach verlogen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Historisch betrachtet ist das Mittel, dass man Initiatoren
von Volksbewegungen, Freiheitsbewegungen der
Verschwörung bezichtigt, immer ein gutes Mittel gewesen,
um diese Bewegung zu diskreditieren. Das sieht
man natürlich nicht nur an den Ländern des ehemaligen
Ostblocks, sondern das sieht man ganz genau und deutlich
auch an unserer eigenen deutschen Geschichte. Insofern,
lieber Herr Kollege Beck, hätte ich mir
gewünscht, dass Sie in Ihrer Ansprache darauf eingegangen
wären, dass Sie heute immer noch nur „Die Grünen“
wären, wenn die Lügen, die die SED und ihre Parteiführung
damals über Bündnisleute verbreitet haben, zugetroffen
hätten. Wenn das durchgegangen wäre, wären Sie
heute immer noch „Die Grünen“. Ich denke, Sie sind
sehr froh, dass Sie heute „Bündnis 90/Die Grünen“ sind.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja, natürlich sind wir das!)
– Das ist doch wunderbar.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sie hätten mir einfach 15 Minuten
von Ihrem Redezeitkontingent abgeben müssen,
dann wäre ich zu mehr gekommen!)
– Das muss der Präsident machen.
Zurück zu dem Aufruf. Manchmal fühlt man sich um
Jahrzehnte zurückversetzt, wenn man liest, dass die
Feinde diejenigen sind, die dies schon immer waren. Das
sind die imperialistischen Aggressoren, hier namentlich
USA und Israel.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Israel vor allen Dingen!)
In dieser Aufzählung fehlen eigentlich nur noch die Bonner
Ultras. Dann würde man erkennen, was dieser Aufruf
eigentlich ist: Er ist eine Blaupause aus der Abteilung
Agitation und Propaganda beim ZK der SED.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Als Leipziger, der von Anfang an auch an den Friedensgebeten
und Montagsdemonstrationen in Leipzig
teilgenommen hat, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung
sagen, wie schlimm und verheerend es ist, wenn ständig
unterstellt wird, man sei ein Agent eines feindlichen
Staates. Es ist unerträglich, dass man mit Sabotage in
Verbindung gebracht wird. Man kann sich gegen diesen
Vorwurf nicht wehren. Ich bin sehr froh, dass wir es gerade
durch die westlichen Massenmedien geschafft haben,
einen Rückhalt zu bekommen, um diesen abstrusen
Verschwörungstheorien ein für allemal einen Riegel vorzuschieben.
(Beifall der Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser]
[FDP] und Marieluise Beck [Bremen]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich habe heute in einen Artikel der jungen Welt vom
September 1989 geschaut. Das war die Zeit der großen
Ausreisewelle. Viele Menschen haben versucht, das repressive
System der DDR zu verlassen. In dieser Zeitung
gab es einen Leserbrief, der suggerieren wollte, dass diejenigen,
die im Westen waren, mit K.-o.-Tropfen außer
Gefecht gesetzt wurden. Das war die normale Propaganda,
die erzählt worden ist. Die Einmischung von Außen
war letztendlich für alles Übel verantwortlich.
Ich muss Ihnen eines sagen – das sage ich vor allen
Dingen auch zur Führung der Linken –: Wenn man ein
tyrannisches System unterstützt, das nicht nur für über
5 000 Tote verantwortlich ist, sondern auch für Folter
und Repression, und sich als Parteiführung nicht gegen
ein paar Spinner wehrt, die das unterzeichnen, dann ist
das nicht nur fahrlässig, sondern zynisch und ein Skandal.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN] – Christine Buchholz
[DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den Abschiebungen?)
Ich fand es sehr interessant, dass auch diesmal wieder
die üblichen Verdächtigen diesen Aufruf unterschrieben
haben; denn ich habe mich entsonnen, dass es genau diejenigen
waren, die damals als Friedensaktivisten über
das Mittelmeer gesegelt sind,
(Zuruf von der LINKEN: Das stimmt nicht!)
und zwar unter dem fröhlichen Abspielen von Liedern,
in denen zu Massakrierungen an Juden aufgerufen worden
ist.
(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP] –
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Schlecht
recherchiert!)
Das muss man sich wieder ins Bewusstsein rufen. Es
handelt sich um genau dieselben Edelkommunisten – ich
kann es nicht anders sagen –, die mir damals auf ihrer
Transitreise von Westdeutschland nach Westberlin mit
ihrem Westgeld in der Tasche erzählt haben, wie toll der
Kommunismus ist. Das hat mit Realität oder mit Realitätssinn
nichts zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser]
[FDP]: Kaschmirkommunisten!)
Abschließend will ich noch auf Folgendes hinweisen:
Sie haben ja im Zusammenhang mit Syrien und Iran
Nichteinmischung und den eigenen Weg der Staaten propagiert.
Mir hat in dieser Auflistung eigentlich nur noch
ein Staat gefehlt, der am konsequentesten seinen eigenen
Weg geht – und das ist Nordkorea.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich bitte Sie, mit der Kim-Il-Sungisierung der Linkspartei
aufzuhören. Nehmen Sie sich einmal den Kommentar
der heutigen SZ zu Herzen. Darin steht, dass die
Linken in ihrem Fraktionssaal ein Schild anbringen sollten:
„Parteien haften für ihre Spinner“.
Vielen Dank.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Wolfgang
Götzer. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Götzer.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die jüngsten Solidaritätsbekundungen von Abgeordneten
der Linken mit den menschenverachtenden Regimen
in Syrien und im Iran zeigen einmal mehr, wes Geistes
Kind sie sind.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe
von der LINKEN)
Unverhohlene Sympathien mit Diktaturen und das altbekannte
Feindbild, nämlich Amerika und die NATO, prägen
ihr Weltbild.
Die sechs Abgeordneten der Linken, die den strittigen
Internetaufruf unterzeichnet haben, haben damit nicht
nur ihre ganze Fraktion ins außenpolitische Abseits gestellt,
sondern sie haben all die Menschen, die in ihren
Ländern für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte
kämpfen, verhöhnt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie verhöhnen
die Leute, die nach Syrien abgeschoben
werden!)
Dass zu den Unterzeichnern des am 3. Januar dieses
Jahres veröffentlichten Textes auch die Sprecherin der
Linken für internationale Beziehungen gehört, zeigt, wie
tief dieses Denken in der Partei verhaftet ist, die sich
heute Die Linke nennt, die aber die alte SED ist.
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN –
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein
Unsinn! Dass Sie sich nicht schämen!)
In dem Punkt, Herr Kollege Kurth, muss ich Sie korrigieren:
Hier sitzt nicht die Nachfolgepartei der SED,
sondern das ist ein und dieselbe Partei geblieben, die
sich nur mehrmals umbenannt hat. Das sollte wieder einmal
angesprochen werden.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das muss
noch einmal gesagt werden!)
Frau Dağdelen und die anderen fünf Abgeordneten
der Linken – Eva Bulling-Schröter, Dieter Dehm, Heike
Hänsel, Annette Groth und Ulla Jelpke –
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Alle SED!)
haben eine Erklärung unterzeichnet, die den USA und
der NATO vorwirft, „offen den Krieg gegen die strategisch
wichtigen bzw. rohstoffreichen Länder Syrien und
Iran“ vorzubereiten.
Die USA und die EU würden durch Embargos die
Wirtschaft des Iran und Syriens bewusst in eine tiefe
Krise stürzen, innere soziale Konflikte zuspitzen und einen
Bürgerkrieg entfachen wollen, um einen Vorwand
für die längst geplante militärische Intervention zu
schaffen. Doch damit nicht genug: Die sechs Linken-
Abgeordneten fordern des Weiteren die Bundesregierung
auf, „die Embargomaßnahmen gegen den Iran und
Syrien bedingungslos und sofort“ aufzuheben.
Das geschieht vor dem Hintergrund der jüngsten Drohungen
Irans, die Straße von Hormus für den internationalen
Seeverkehr zu schließen.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Und vor allen Dingen Israel
auszulöschen!)
Man stelle sich das bloß einmal vor – oder lieber nicht –:
Der Iran droht mit der Verletzung der Freiheit der Seewege,
was laut Einschätzung nicht nur der USA einer
Kriegserklärung gleich käme, und Deutschland belohnt
diese Androhung eines völkerrechtswidrigen Akts auch
noch mit der Aufhebung von Sanktionen.
Ein ähnliches Szenario gibt es in Syrien: Wie vor einigen
Tagen die jüngste Ansprache von Assad in der Universität
von Damaskus gezeigt hat, schreckt er vor keiner
noch so ungeheuerlichen Lüge und Verdrehung
zurück. In dieser Rede streitet er jegliche Verantwortung
für die bürgerkriegsähnlichen Zustände in seinem Land
ab, die laut UN-Angaben mittlerweile circa 5 000 Menschen
das Leben gekostet haben, und bezeichnet die
Aufständischen als Terroristen, die ihn durch ihre vom
Ausland geförderten Terrorakte davon abhalten würden,
das Land zu reformieren. Das ist an Ungeheuerlichkeit
wirklich nicht zu überbieten.
Auch in der arabischen Welt ist das Assad-Regime
mittlerweile isoliert. Nur die Linke sympathisiert nach
wie vor offen mit diesem Unrechtsregime.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Lüge!)
Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit
Unrechtsregimen haben diejenigen in der Linkspartei,
die eine SED-Vergangenheit haben, ja ganz offensichtlich
keine Probleme.
(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Weiter lügen!)
Schließlich war Syrien – daran möchte ich erinnern –
einmal ein sozialistisches Bruderland der DDR. Schon
vergessen?
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ha! Jetzt
haben Sie uns aber erwischt!)
Die Solidaritätsbekundungen der Linken sind, wie
Kollege Gröhe zu Recht gesagt hat, ein Schlag ins Gesicht aller, die im arabischen Frühling ihr Leben für Freiheit
und Demokratie riskieren.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ihr habt ja
auch so viel mit dem arabischen Frühling zu
tun!)
Zynischer und menschenverachtender – die beiden Begriffe
kommen in dem Aufruf vor; ich verwende sie jetzt
ganz bewusst, und zwar gegen die Unterzeichner – geht
es wahrlich nicht mehr. Wie lange will die Linkspartei
eigentlich noch Schießbefehle verteidigen?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)
Sie haben aus Ihrer SED-Vergangenheit nichts gelernt.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Das sind aber nicht die
SEDler! Das sind die West-Linken, die das gemacht
haben! Das ist noch viel schlimmer!)
– Frau Kollegin, Sie haben völlig recht: Das macht es
noch schlimmer.
Wenn jetzt einige Unterzeichner zurückrudern und
behaupten, sie hätten mit diesem Aufruf nicht die menschenverachtenden
Regime, sondern die notleidenden
Bevölkerungen Syriens und Irans unterstützen wollen,
möchte ich dazu ganz klar sagen: Das nimmt Ihnen keiner
ab.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das steht im
Aufruf! Lesen Sie ihn einmal!)
Wir verlangen deshalb, auch im Hinblick auf die Tausenden
Opfer syrischer Gewaltherrschaft, eine klare Distanzierung
der linken Führungsspitze von diesem Aufruf.
An die Adresse der sechs Unterzeichner sage ich:
Sie sollten sich schämen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde
ist beendet.
* Quelle: Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags, 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012, Plenarprotokoll 17/152, S. 18191 - 18205; http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17152.pdf
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