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Streitfrage: Ist ein Untersuchungsausschuss mehr als ein demokratisches Alibi?

Es debattieren: Hans-Christian Ströbele, MdB (Bündnis 90/Grüne), und Franz Hutsch, Politologe und Kriegsreporter


Besser als ihr Ruf

Von Hans-Christian Ströbele *

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind wichtig und in der parlamentarischen Demokratie unverzichtbar, um Regierungstätigkeit wirksam zu kontrollieren. Die Ergebnisse der U-Ausschüsse zur CDU-Spendenaffäre und zu den Skandalen des Bundesnachrichtendienstes, an denen ich beteiligt war, waren besser als ihr Ruf. Wir haben wichtige und auch neue Erkenntnisse zusammengetragen.

Aber Öffentlichkeit und Medien haben zuweilen unerfüllbare Erwartungen an U-Ausschüsse. Sie erwarten, dass Kanzler oder Außenminister als »Angeklagte« im Kreuzverhör der Abgeordneten zusammenbrechen und umfassende Geständnisse ablegen. Das passiert aber nur im Film. Im U-Ausschuß gibt es kein Kreuzverhör und auch keine Angeklagten, sondern nur Zeugen. Der Vorsitzende und die Abgeordneten im Ausschuss sind nicht unparteiisch. Im BND-Untersuchungsauschuss wurden zwei Drittel der Mitglieder von den Fraktionen der Regierungsparteien und ein Drittel von denen der Opposition benannt. Entsprechend parteiisch verhielten sich manche Abgeordnete. Als längst das Gegenteil aus den Akten belegt war, behaupteten Abgeordnete der Koalition noch, die BND Agenten in Bagdad hätten während des Irakkrieges nur Non-Targets, also »humanitäre Objekte« wie Botschaftsgebäude, Schulen, Krankenhäuser und eine Synagoge mit Koordinaten gemeldet, die als Ziele für Bombardierungen gerade nicht in Betracht kommen sollten. Nicht ein einziges solches »humanitäres Objekt« wurde in der Zeit der Bombardierungen aus Bagdad gemeldet, aber viele rein militärische Anlagen.

Der Abgeordnete der kleinsten Fraktion ist stets als letzter mit dem Fragerrecht an der Reihe und dann auch nur für – mit der Stoppuhr gemessenen – sieben Minuten, während die aus der Koalition 21 Minuten Zeit haben. In sieben Minuten ist auch nicht der Ansatz eines Kreuzverhörs möglich.

Trotzdem finden U-Ausschüsse manchmal auch Neues. Meist eher zufällig. So entdeckte der vom CDU-Spenden-Untersuchungsausschuss beauftragte Ermittler Burkhard Hirsch (FDP) in den von der Kohlregierung im Kanzleramt zurückgelassenen Akten zu einer Getränkefirma die Visitenkarte des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber, die dort gar nicht hingehörte. Auf ihr fand sich eine handschriftliche Notiz des Bundeskanzlers und zugefügt waren Unterlagen zu einer geplanten Panzerfabrik in Kanada. Oder der BND-Untersuchungsausschuss erfuhr ganz nebenher aus der Aussage eines Chefs des Bundeskriminalamtes, dass nach den Anschlägen in den USA vom 9.11. 2001 gleich ein halbes Duzend FBI-Beamte aus den USA nach Hamburg kamen und dort Seite an Seite mit dem BKA die Ermittlungen durchführten. Sie hatten nahezu schrankenlosen Zugang zu allen Informationen des BKA. Die deutschen gesetzliche Schranken für die Datenübermittlung an ausländische Behörden spielten keine Rolle und blieben unbeachtet außen vor.

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind wichtig, weil sie mit Hilfe der Medien und im Bunde mit der Öffentlichkeit Regierungsverhalten und das Tun von Bundesbehörden öffentlich ausbreiten und aufarbeiten können. Manches stand zuvor schon in der Zeitung, weil findige Journalisten es schon früher entdeckt und geschildert hatten. Vieles an Erkenntnissen stammt aus den Akten und Behörden. Aber in der Ausschusssitzung kommt der Augenblick der Wahrheit. Hier zeigt sich, was wirklich belegt und bewiesen werden kann. v Zeugen sind wie vor Gericht zur Wahrheit verpflichtet, sonst riskieren sie Strafen. Wenn Regierungsmitglieder überhaupt mal von U-Ausschüssen in größere Schwierigkeiten gebracht wurden, dann meist deshalb, weil ihnen vorgeworfen wurde, falsch ausgesagt zu haben. Daran wäre Kanzler Helmut Kohl fast im Flick-Untersuchungsausschuss gescheitert und der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble im CDU-Spenden-Ausschuss.

Untersuchungsausschüsse haben aufgeklärt, dass an Medienberichten nichts dran war, aber auch dass Berichte sauber recherchiert und zutreffend waren. Ohne Ausschuss wären viele Skandale ungeklärt geblieben.

U-Ausschüsse sind aber auch deshalb unverzichtbar, weil sie eine erzieherische Wirkung haben. Regierungsmitglieder oder Bundesbehörden, die ihre Akten zu einem Vorgang schon mal vollständig an einen U-Ausschuß rausgeben und deren Mitarbeiter und Chefs sich einer öffentlichen Untersuchung und Befragung stellen mussten, werden das so schnell nicht vergessen. Das sitzt dann in den Knochen. In Zukunft wird die Regierungs- und Behördetätigkeit stets davon beeinflusst, dass auch diese vielleicht mal wieder vor einem U-Ausschuss vertreten und gerechtfertigt werden muss. Die Erfahrungen mit der Arbeit des Auswärtigen Amtes und der Botschaften nach dem Visa-U-Ausschuss bestätigen dies genauso wie die mit der Arbeit der Geheimdienste nach den Befragungen durch den BND-Ausschuss: Der Eindruck, den der Ausschuss gemacht hat, ist bleibend und heilsam. Er wirkt sich selbst bei den Mitarbeiter aus, die nicht befragt wurden. Gerade solche Fernwirkung von Aufklärung und Kontrolle durch das Parlament ist gewollt, in einer modernen offenen Gesellschaft und parlamentarischen Demokratie.

Untersuchungsausschüsse, richtig verstanden und bewertet, sind also keine reinen Alibiveranstaltungen.

Das heißt nicht, darauf zu verzichten, alles zu tun, um die Aufklärungsarbeit von Untersuchungsausschüssen wirksamer zu machen etwa durch mehr und fairere Möglichkeiten der Befragungen von Zeugen für die Opposition – dafür wäre eine Gesetzesänderung nötig – und durch ein anderes Selbstverständnis der beteiligten Abgeordneten – dazu bedarf es allerdings keines Gesetzes. Gerade hat das Bundesverfassungsgericht seinen Teil dazu beigetragen, die Aufklärungsmöglichkeiten des Parlaments in U-Ausschüssen entscheidend zu verbessern. Es hat der Regierung sehr enge Grenzen gesetzt für die Weigerung der Herausgabe von Akten. Hätte es die Entscheidung schon früher gegeben, wüssten wir jetzt vielleicht, welche Informationen das US-Oberkommando in Katar im Irakkrieg von den BND-Agenten angefordert hat. Unter Verstoß gegen die Verfassung hat der Ausschuss die entsprechenden Akten nämlich nur als leere weiße Blätter von der Regierung erhalten. So ist ein wichtiger Aufklärungsauftrag unerledigt.

* Hans-Christian Ströbele, 1939 in Halle/Saale geboren, ist stellvertretender Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Der studierte Jurist war als Bundestagsabgeordneter u. a. Mitglied in den Untersuchungsausschüssen zur Flick-Affäre und zur CDU-Spendenaffäre sowie im BND-Untersuchungsausschuss. Hans-Christian Ströbele kandidiert bei der kommenden Bundestagswahl erneut im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.


Streiten und Taktieren

Von Franz Hutsch **

Die Gauloise im Mundwinkel, das noch halb gefüllte Rotweinglas vor sich, eine Stimme irgendwo zwischen Joe Cocker und Clint Eastwood: »Recherchieren Sie das mal – und denken Sie daran: Ich will erst mal 'n Ergebnis, keine Meinung!« So hat mich mein alter Chefredakteur losgeschickt, wenn er wieder einmal irgendwo etwas gehört hatte und eine Geschichte witterte. Ergebnisoffen sollte ich an das Thema herangehen. Gleichgültig, ob es sich um einen Verkehrsunfall handelte, um die Konzepte von Lokalpolitkern oder um Kriegsverbrechen. Immer galt es, mindestens zwei unabhängige Quellen heranzuschaffen, Dokumente und Fotos, deren Echtheit überprüft werden mussten.

Jedem Volontär, jedem Reporter wird von den Altvorderen im Journalismus von Franz-Josef Wagner über Hans-Joachim Friedrichs bis Peter Scholl-Latour besonders eines eingebleut: Geht ohne vorgefertigte Meinung an die Sache heran. Schaut nach, wägt ab. Die Meinung bildet Euch zum Schluss, wenn alle verfügbaren Fakten auf dem Tisch liegen.

Mit ergebnisoffener Recherche hat ein Untersuchungsausschuss nichts gemein. Meinungen stehen fest, da ist noch keine einzige Akte an die Parlamentarier ausgegeben.

Die Unschuld besonders seines aktuellen Kanzlerkandidaten in der »BND-el-Masri-Kurnaz-Rendition-Bagdad-Journalistenbespitzelungsaffäre« war für den Sozialdemokraten Thomas Oppermann schon erwiesen, als das Parlament dem Ausschuss gerade mal einen Untersuchungsauftrag gegeben hatte. Da waren die eigentlichen Untersuchungsaufträge schon vergeben. Je nach Partei wurde auf Teufel-komm-raus recherchiert, um die feststehende Urteil mehr oder weniger überzeugend zu untermauern.

Und so stritten und taktierten die Abgeordneten in der Bandbreite von »Steinmeier – unschuldig« bis »Steinmeier – abschießen«. »Fischer – nicht beschädigen« bis »Fischer – opfern«. »Schröder – aus allem raushalten« bis »Schröder – das Mastermind«. Bis tief in die Nacht. Öffentlich mit Blick auf die Ausflugsdampfer auf der Spree. Hinter verschlossenen Türen in abhörsicheren Sälen. Um am Ende im Sommer 2009 seitenreich Ergebnisse zu präsentieren, die im Kern schon im Mai 2006 festgezurrt waren.

Journalisten, die derart in Meinungen und Standpunkten, taktischen Spielereien und strategischen Richtlinien eingezwängt recherchieren und veröffentlichen, werden zu Recht vor die Pressekammern gezerrt, zu Gegendarstellung und Richtigstellung gezwungen. »Ich will erst mal 'n Ergebnis, keine Meinung!« – journalistisches Handwerkszeug, von dem alles abhängt.

Deshalb fängt im Journalismus alles mit einem Rechercheplan an. Was könnte den Reporter weiterhelfen, ein Thema zu erschließen? Mit wem sollte er sprechen, wo Kompetenz und Sachverstand einholen, wie Zusammenhänge erfassen? Wie organisiert er sich, wie bereitet er sich auf Gespräche vor.

Ein Paradebeispiel, wie schlecht vorbereitet ein Reporter keinesfalls in wichtige Gespräche gehen sollte, lieferte am 29. März 2007 ebenfalls der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode, kurz der BND-UA. Als Zeuge war der Bundesaußenminister bei sonnigem Wetter zur öffentlichen Sitzung geladen. Es sollte die Frage geklärt werden, ob der damalige Kanzleramtschef alles dafür getan hatte, den seit Geburt in Bremen lebenden Türken Murat Kurnaz früher aus dem amerikanischen Folterlager Guantanamo zu holen. Der Obmann der Linkspartei wollte Frank-Walter Steinmeier in die Mangel nehmen. Konfrontierte ihn mit Vermerken, die er irgendwo gelesen haben wollte. Thomas Oppermann eilte Steinmeier mit einem Zwischenruf zur Seite: »Wo steht das denn, Herr Neskovic?« Der frühere Bundesrichter geriet in Bedrängnis: Die Quelle werde er geben. Selbstverständlich. Ein Kramen und Suchen begann. Minutenlang. Steinmeier beäuge die Szene erst interessiert. Dann zog er sein Jackett aus und hing es auf die Lehne seines Stuhls. »Ich finde es; denn ich kann mich auf meine Erinnerung verlassen. … Ich kann mich doch auf mein Gedächtnis verlassen«, murmelte Wolfgang Neskovic derweil. Steinmeier lehnte sich derweil zurück und genoss das Gewusele vor sich. Hätte ihm jemand ein Bier gebracht und einen Hocker unter die Füße geschoben, er hätte es nicht ernsthaft zurückgewiesen.

Die Anekdote macht vor allem eines deutlich: Ohne gewissenhafte Vorbereitung ist ein Interview genauso wenig zu führen wie ein Zeuge zu befragen. Natürlich ist es Kräfte zerrend, wenn ein Abgeordneter zusätzlich zu seiner Arbeit in einem Untersuchungsausschuss seine »normale« parlamentarische Arbeit fortsetzt. Natürlich ist es nervig, wenn namentliche Abstimmungen während einer Ausschusssitzung die Volksvertreter von den Zeugen weg- und in den Plenarsaal klingeln. Dennoch können Wählerinnen und Wähler von ihrem Abgeordneten erwarten, was beispielsweise der Grünen-Chefuntersucher Hans-Christian Ströbele in allen Untersuchungsausschüssen gemacht hat, in die er in seiner Bundestagszeit abgeordnet wurde: Keine Akte wurde in sein Büro geliefert, die er nicht selbst studierte, die meisten Schriftstücke penibel.

Eine Arbeit, die in Untersuchungsausschüssen ein Ermittlungsbeauftragter erledigen könnte. Ein von allen Parteien Akzeptierter, der ohne vorgefertigte Meinung Zeugen befragt, Akten studiert und den Abgeordneten ein wertfreies Ergebnis präsentiert. Immer mit der Möglichkeit, dass die Parlamentarier sich selbst ein ergänzendes Bild in eigenen Befragungen und Beweisaufnahmen machen. Eine Arbeitsweise, wie sie eben den alten Schlachtrössern im Journalismus zu eigen ist, wenn sie Reporter losjagen, um Fakten zu sammeln, Informationen zu überprüfen, Zusammenhänge zu erkennen.

Immer mit dem Hinweis: »Ich will erst mal 'n Ergebnis, keine Meinung!« Bei schludrigen Volontären ergänzen Chefredakteure das gerne im Hinausgehen um den Halbsatz: »Und bereiten Sie sich erst mal vor!« So machen das die Journalisten, deren Produkte jeden Tag am Kiosk auf dem Prüfstand stehen und die um Einschaltquoten kämpfen. Schade, das der Bundesnachrichtendienst so was als Ergebnis seiner ganzen Journalisten-Bespitzelung nicht an alle Politikern gekabelt hat.

** Franz Hutsch, Jahrgang 1963, ist ehemaliger Berufssoldat, Politologe und Kriegsreporter. Er hat für die ARD und das ZDF aus Irak und Afghanistan berichtet sowie für das Wochenmagazin »Stern« aus Bosnien und Kosovo. Franz Hutsch veröffentlichte zuletzt »Exportschlager Tod – deutsche Söldner als Handlanger des Krieges« im Econ Verlag. Inzwischen hat er geheiratet und heißt Feyder.

* Aus: Neues Deutschland, 4. September 2009

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