Guttenberg: "Wir gehen unseren Weg zum Abzug" / Schäfer (Linke): "Ein eindeutiger, unmissverständlicher Abzugsplan sieht anders aus"
Im Wortlaut: Der Bundestag debattierte in erster Lesung über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes
Am 21. Januar 2011 debattierte der Deutsche Bundestag gleich zwei Mal über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Das erste Mal - in der Vormittagssitzung - unter entwicklungspolitischen, das zweite Mal - am Nachmittag - unter außen- und sicherheitspolitischen Aspekten. Die entwicklungspolitische Debatte haben wir hier dokumentiert:
Afghanistan-Debatte im Deutschen Bundestag unter entwicklungspolitischen Aspekten.
Im Folgenden dokumentieren wir die Nachmittagsdebatte, die mit einer Rede des Außenministers Guido Westerwelle eröffnet wurde.
Die Redner/innen zu diesem Tagesordnungspunkt sprachen in dieser Reihenfolge:
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1943 (2010) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
–
Drucksache 17/4402 –
(...)
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner
dem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle
das Wort.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist kein Zufall, dass der heutige Tag mit seinen
Debatten über Afghanistan und über die Lage in Afghanistan
mit einer Regierungserklärung des Ministers
Niebel begonnen hat. Das bringt klar zum Ausdruck,
dass wir vordergründig nicht nur das militärische Engagement
sehen dürfen, das von unseren Frauen und Männern
der Bundeswehr dort geleistet wird. Da Soldaten in
so großer Anzahl anwesend sind, möchte ich die Gelegenheit
nutzen, mich im Namen des ganzen Hauses bei
Ihnen und Ihren Kameradinnen und Kameraden für das, was Sie in Afghanistan leisten, sehr herzlich zu bedanken.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Wir wissen natürlich auch – die Soldatinnen und Soldaten
wissen das ganz besonders –, dass wir in Afghanistan
nicht erfolgreich sein werden, wenn wir auf eine militärische
Lösung setzen. Unser militärisches Engagement
dient der Absicherung der Stabilität in Afghanistan. Die
Fortschritte beim zivilen Aufbau in Afghanistan, die zu
erkennen sind, sind sehr bemerkenswert. Noch nie hat
sich eine Bundesregierung beim zivilen Aufbau in Afghanistan
so umfangreich engagiert wie diese Bundesregierung. Noch nie hat eine Bundesregierung so viel für den Aufbau und für das Training der Sicherheitskräfte vor Ort getan wie diese Bundesregierung. Ich bitte, dies bei all Ihrer Kritik zu berücksichtigen. Die Lage war anders,
als Sie regiert haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Aber der zivile Aufbau und seine Absicherung im Interesse
der Stabilität des Landes werden natürlich nur ein
Teil der Lösung sein können. Entscheidend ist die politische
Lösung. Diese Einsicht ist der eigentliche Strategiewechsel,
der vor ziemlich genau einem Jahr auf der Londoner
Afghanistan-Konferenz stattgefunden hat. Damals
war dieser Wechsel noch sehr umstritten, auch in diesem
Hause. Aber es zeigt sich, dass das, was die Bundesregierung
mit unseren Bündnispartnern in London ausverhandelt
hat, eine richtige Entscheidung gewesen ist. Wir werden in Afghanistan den Frieden nicht militärisch
schaffen, sondern nur durch eine politische Lösung. Das
Ziel unseres internationalen Engagements ist es daher,
eine politische Lösung zu erreichen, um Afghanistan
nachhaltig und dauerhaft zu stabilisieren, damit es auch
in der Zeit nach unserem Engagement nicht wieder Hort
und Rückzugsort des Terrorismus gegen die Welt werden
kann.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Für diesen politischen Prozess ist es von großer Bedeutung,
dass wir alle einbinden. Deswegen ist nicht die
Bedeutung dessen zu unterschätzen, dass auch die regionale
Einbindung, das heißt die Einbindung insbesondere
der betroffenen Nachbarländer, mehr und mehr gelingt.
In London hat es mit der Afghanistan-Konferenz angefangen.
Dann gab es in Kabul zum ersten Mal eine Afghanistan-
Konferenz im Land selbst. Dort waren alle Beteiligten
dabei. Darunter befanden sich übrigens auch die
Nachbarländer, die jahrelang nicht mitgewirkt haben.
Diese Konferenz wurde begleitet von Abkommen zwischen
Afghanistan und Pakistan. Solche Handelsabkommen
kann man von Mitteleuropa aus als leicht machbar
ansehen. Wer aber den Hintergrund der Beziehungen
zwischen den beiden Ländern kennt, der weiß, dass sie
in Wahrheit einen großen Fortschritt darstellen. Iran: Es
gibt viele Fragen – ich nenne zum Beispiel Fragen im
Zusammenhang mit dem Drogenhandel –, die nur mit
der Einbindung der Nachbarländer und mit einer entsprechenden
Vernetzung beantwortet werden können. All das hat stattgefunden.
Im Herbst des letzten Jahres gab es den Gipfel in Lissabon.
Er bedeutete eine wirkliche Wegmarke. Ich will
noch einmal die vier Daten – es sind nicht drei Eckpunkte
– unseres Zeitplans, unserer perspektivischen
Strategie nennen:
Erstens. In der ersten Hälfte dieses Jahres wollen wir
damit beginnen, die Sicherheitsverantwortung vor Ort in
Distrikten oder Provinzen zu übergeben.
Zweitens. Wir sind zuversichtlich, zum Ende des Jahres
in der Lage zu sein, dass zum ersten Mal auch die
Präsenz unserer Bundeswehr zurückgeführt werden
kann.
(Thomas Oppermann [SPD]: Unser Punkt!)
Drittens. Im Jahre 2014 soll es uns gelungen sein,
dass die Sicherheitsverantwortung vollständig an Afghanistan
übertragen ist. Das ist nicht nur unser Ziel, es ist
ausdrücklich auch das Ziel der afghanischen Regierung,
dass es dann keine Kampftruppen von uns mehr im
Lande geben muss.
Der vierte Punkt wird regelmäßig vergessen. Auch
nach dem Jahr 2014 muss sich Deutschland für die nachhaltige
Sicherheit in Afghanistan engagieren. Täten wir
das nicht, hätten die Taliban sofort wieder das Sagen. Sie
brächten ihre Saat des Terrorismus in die Welt, und das
gesamte Engagement, zum Beispiel der Frauen und
Männer der Bundeswehr, wäre vergeblich gewesen. Wir
wären da, wo wir waren. Es darf kein zweites Mal ein
Vakuum in Afghanistan hinterlassen werden. Das ist das,
worum es uns geht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich habe in der Regierungserklärung im Dezember
2010 ausführlich dazu Stellung bezogen. Entgegen dem,
was dort hineingeheimnisst wird, ist es doch völlig klar,
dass jeder Zeitplan natürlich immer auch unter dem Vorbehalt
steht, dass dann die Lage tatsächlich auch so ist.
Das ist übrigens nicht erstmalig in dieses Mandat textlich
aufgenommen worden, sondern das ist wörtlich das,
was ich im Dezember im Namen der Bundesregierung in
der Regierungserklärung auch gesagt habe.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das macht
es aber nicht besser!)
Mit anderen Worten: Ende 2011 wollen wir erstmalig die
Präsenz der Bundeswehr reduzieren. Aber es ist doch
selbstverständlich, dass wir alles unter den Vorbehalt
stellen müssen: soweit es die Lage erlaubt und insbesondere
unsere Soldatinnen und Soldaten vor Ort nicht gefährdet
werden. Denn wir wollen einen unumkehrbaren,
nachhaltigen Prozess der Übergabe der Verantwortung.
Das ist das Ziel.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wenn wir das übrigens nicht tun, wie es klar in dem
Antrag der Bundesregierung steht, – –
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da steht gar
nichts drin!)
– Lesen Sie es nach, dann wissen Sie es. Ich kann es Ihnen
noch einmal vorlesen:
Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zuge
der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die
Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren
zu können, und wird dabei jeden sicherheitspolitisch
vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche
Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt
und ohne dadurch unsere Truppen oder die
Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn nicht?)
Man muss kein Militärexperte sein, es reicht, wenn
Sie Ihren Menschenverstand einschalten, dann wissen
Sie, dass das der vernünftige Weg ist. Und darauf kommt
es auch an.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Bundesminister, der Kollege Nouripour von den
Grünen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Sehr gerne, bitte sehr.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Außenminister, Sie haben gerade beschrieben,
dass, wenn es möglich ist und die Sicherheitslage es erlaubt,
am Ende dieses Jahres die Kontingente der deutschen
Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan reduziert
werden sollen. Meine Frage ist: Schließen Sie damit aus,
dass zwischenzeitlich durch den Einsatz der AWACSFlugzeuge
die Mandatsobergrenze angehoben oder die
flexible Reserve dadurch angebrochen wird?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Ich unterstütze die Haltung des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands in diesem Punkt,
und ich empfehle sie Ihnen auch einmal zur Aufmerksamkeit.
(Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der CDU/
CSU: Was sagt der?)
Der SPD-Vorsitzende Herr Gabriel – man merkt, ganz
allgemein gesprochen, dass Reisen läutert – hat heute in
einem Interview erklärt, das seien zwei unterschiedliche
Vorgänge. Deutschland hat erklärt, dass wir uns derzeit
an diesem AWACS-Einsatz nicht beteiligen,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Was heißt „derzeit“?)
weil unser Schwerpunkt auf dem Training und der Ausbildung
liegt. Ansonsten ist es selbstverständlich, dass
wir in regelmäßigen Abständen mit unseren Bündnispartnern
alles besprechen und alles überprüfen. Deswegen
ist eine Frage, ob ich etwas ausschließe, vielleicht
nett für den parteipolitischen Hickhack, in der Sache ist
es absolut unangemessen, wenn man weiß, dass wir nur
in einem Bündnis gemeinsam erfolgreich sein können –
absolut unangemessen!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich sage Ihnen das auch, Herr Kollege, weil ich
glaube, dass Sie sich von der größeren Oppositionspartei,
der SPD, wirklich eine Scheibe abschneiden könnten.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Gesülze!)
Diese sozialdemokratische Partei ringt mit sich, diskutiert,
wägt die Argumente ab und erklärt öffentlich auf
den Antrag der Bundesregierung hin, dass sie die Absicht
habe, die Soldatinnen und Soldaten nicht alleinezulassen,
und sie ihnen den Rücken stärken wolle.
Bei Ihnen ist das ganz anders. Es hat noch niemals ein
Außenminister so viele Soldaten in Auslandseinsätze geschickt
wie der grüne Außenminister, nur, dass Sie davon
nichts mehr wissen wollen, kaum dass Sie in der
Opposition sitzen.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist doch Blödsinn! Wann?)
Es ist verantwortungslos, was Sie hier machen, verantwortungslos!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das waren viel weniger!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Bundesminister, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Stefan Liebich von der Linken?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Ja.
Stefan Liebich (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben gerade
ein paar Passagen aus dem Text vorgelesen, der hier zur
Abstimmung steht, allerdings nicht aus dem Teil, über
den abgestimmt werden soll. Können Sie bestätigen,
dass die Bedingung, die die SPD für ihre Zustimmung
gestellt hat, im Beschlusstext des Antrags der Bundesregierung
überhaupt nicht erfüllt wird und dass das, was
Sie hier vorgelesen haben, sowie jede Zahl, die einen
Abzug andeutet, lediglich in der Begründung des Regierungsantrags
stehen?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Ich will Ihnen kurz antworten. Sie sind doch nicht erst
seit ein paar Wochen, sondern schon seit ein paar Monaten
im Deutschen Bundestag.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Viel zu lange! –
Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Nicht so arrogant!)
Sie müssen doch wissen, Herr Kollege, bei allem Respekt,
dass es immer so gewesen ist, dass wir einen Antragstext
vorlegen und dass die Begründung natürlich
auch die politische Einbettung dieses Antragstextes darstellt.
Soll denn der Deutsche Bundestag ernsthaft beschließen,
dass die Bundesregierung zuversichtlich sei?
Ich glaube, hier sollte der Deutsche Bundestag etwas
selbstbewusster sein. Wir haben eine Parlamentsarmee
und keine Regierungsarmee. Deswegen hat dieser Deutsche
Bundestag das letzte Wort; alles andere ist surreal.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben dann die Aufgabe, den Prozess, den wir
hier hoffentlich gemeinsam oder jedenfalls mit großer
Mehrheit verabschieden werden, in diesem Jahr handwerklich
voranzubringen. Für die politische Lösung, die
wir anstreben, haben wir im letzten Jahr drei wichtige
Wegmarken gehabt: London, Kabul und die Konferenz
in Lissabon. In diesem Jahr werden wir eine sehr wichtige
Wegmarke bei uns in Deutschland haben, nämlich
die Afghanistan-Konferenz in Bonn. Ich sage Ihnen voraus,
dass diese Konferenz, die am Ende des Jahres stattfinden
wird, die Schwerpunkte haben wird, um die es
geht: die politische Lösung, Reintegration, auch Aussöhnung,
den Dialog. In den Mittelpunkt dieser Afghanistan-
Konferenz muss aber auch die Zeit ab 2014 rücken.
Das war der Gedanke, bevor die Zwischenfragen gestellt
worden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer heute in Afghanistan
den Eindruck hinterlässt, ab 2014 sei man dort auf
sich allein gestellt, weil wir uns für die Menschen dort
nicht mehr interessieren, sie könnten machen, was sie
wollen, und sollten zusehen, wie sie klarkommen, der
wird nur erreichen, dass es weder Fortschritte bei der guten
Regierungsführung sowie bei der Bekämpfung des
Drogenhandels und der Korruption noch Fortschritte im
demokratischen Prozess geben wird, den wir alle wollen.
Dann riskiert man, dass genau die Partner, die wir brauchen,
um das Land auf Dauer sicher aufzubauen, nichts
mehr mit uns zu tun haben wollen, weil sie anschließend
um ihr Leben und das ihrer Familien fürchten müssen.
Weil so etwas keine verantwortungsvolle Politik
wäre, wollen wir einen Prozess der Übergabe der Verantwortung
in Verantwortung. Man bringt etwas verantwortungsvoll
zu Ende, was man gemeinsam im Bundestag
beschlossen hat, und man enttäuscht nicht die Freunde,
die man braucht, um mit Blick auf Terrorismus auch unsere
eigene Sicherheit hier in Deutschland vergrößern zu
können.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir haben im Rahmen unserer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen die Koordination für
Afghanistan übernommen. Ich werde deswegen regelmäßig
hier im Deutschen Bundestag zu diesem Thema
sprechen. Ich gehe davon aus, dass wir darüber regelmäßig
in den Ausschüssen diskutieren werden. Ich kann Ihnen
zusagen, dass ich Sie – Ihre Obleute und Ihre Repräsentanten
–, wo immer ich kann, über die Fortschritte
parlamentarisch auf dem Laufenden halten werde. Ich
glaube, das konnten Sie in den letzten Monaten verfolgen;
das soll so fortgesetzt werden. Ich glaube nämlich,
dass eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag viel
weniger eine Angelegenheit der Politik als eine klare
Rückendeckung für die Frauen und Männer der Bundeswehr
ist, die in Afghanistan ihren Kopf für unsere Freiheit
und unsere Sicherheit hinhalten.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das haben wir gesehen!)
Eine solche breite Mehrheit ist auch für unsere internationalen
Verbündeten, für unsere Bündnispartner wichtig,
damit sie wissen: Das wird von der Politik in der
Breite getragen.
Man muss in der Politik bereit sein, Verantwortung zu
übernehmen, selbst wenn es einen in den Umfragen vielleicht
das eine oder andere Prozentpünktchen kostet.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das brauchen Sie uns nicht zu sagen!)
Es geht erst einmal um die Sicherheit, die Freiheit, die
Zukunft unseres Landes und Afghanistans. Meine Damen
und Herren von der Opposition, von den Grünen,
Sie sollten sich ein Beispiel an den Sozialdemokraten
nehmen. Wenn ich das sage, sollte Sie das nachdenklich
machen.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich
von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Bundesaußenminister, ich weiß nicht, ob
Sie gedacht haben, dass Sie die Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten, insbesondere deren Redner, mit
so viel Lob irritieren könnten. Ich möchte aber zu Beginn
sagen: Wir sollten bei solch einer bedeutenden Debatte
schon den wichtigen Versuch unternehmen, gegenseitig
Brücken zu bauen; das scheint mir bei dieser Frage
dringend notwendig.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag schwierige
Debatten über das Bundeswehrmandat erlebt; aber das,
was sich die Bundesregierung in den letzten Wochen bei
der Entwicklung dieses Mandates geleistet hat, war beispiellos:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingo
Gädechens [CDU/CSU]: So gut?)
Sie haben irritiert und provoziert; Sie haben sich in der
Regierung zerstritten. Frau Bundeskanzlerin, ich frage
Sie: Haben Sie in diesem Kabinett eigentlich eine ordnende
Hand?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie werden Sie der Verantwortung gerecht, dass Sie bei
dieser wichtigen internationalen Frage die Führung übernehmen
müssen? Ich finde, Sie haben nicht nur das Parlament
verunsichert, sondern auch die Bündnispartner.
Das hat die deutsche Politik im letzten Jahr ausgemacht:
Nach der Formulierung des Mandatstextes sind zwei
Pressekonferenzen durchgeführt worden, auf denen zwei
unterschiedliche Interpretationen vorgetragen wurden.
Das halte ich bei diesem wichtigen Mandat nicht nur für
ungewöhnlich, sondern auch für eine Zumutung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe mich schon gefragt: Wollen Sie wirklich eine
breite Zustimmung des Parlaments erreichen? Herr Bundesaußenminister,
ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie
heute hier wichtige Feststellungen – hoffentlich für die
gesamte Bundesregierung – getroffen haben. Wir werden
in den Ausschussberatungen darüber reden. Leider
waren Sie bisher nicht stark genug, um Querschüsse, insbesondere
des Verteidigungsministers, zu verhindern.
Ich habe mich gefragt, ob das Primat des Politischen,
das beim Afghanistan-Mandat bisher Vorrang vor allem
anderen hatte, im Kabinett einem Primat des Militärischen
gewichen ist. Ich finde, hier müssen Sie das Vertrauen
wiederherstellen. Es kann doch nicht sein, dass
sich ein Verteidigungsminister hinstellt und sagt: „Ein
Kabinettsbeschluss ist mir wurscht.“ Was ist das denn
für ein Umgang mit der Öffentlichkeit, aber auch mit Ihnen
im Kabinett!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]:
Das stimmt doch gar nicht!)
Ich sage Ihnen: Am Ende ist es dieses Parlament, das
die Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan zurückführt,
nicht irgendein einzelner Minister. Es handelt sich um
eine Parlamentsarmee; das wird auch so bleiben.
(Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns Sozialdemokraten
war Afghanistan immer mit politischen Zielen
verknüpft. Wir wollten, dass die Afghanen die Möglichkeit,
auch die Chance haben, nach verheerenden Jahrzehnten
sowjetischer Besatzung, Bürgerkrieg und Interventionen
Afghanistan wieder aufzubauen. Aber das
sind politische Ziele.
Wir haben die Chance gesehen, dass diese politischen
Ziele mit Präsident Obama und dann auch mit der Londoner
Konferenz verbindlich werden und dann das Militärische
dem untergeordnet wird. In dem wichtigen Beschluss,
der noch gilt und jetzt durch das neue Mandat
abgelöst werden soll, ist genau das aufgenommen worden,
was wir diskutiert haben. Hier gebe ich Ihnen recht,
Herr Bundesaußenminister: Das war für uns in der sozialdemokratischen
Partei eine schwierige Debatte. Aber
wir haben auf unseren Konferenzen über den zivilen
Wiederaufbau gesprochen, wir haben über die Polizeiausbildung
gesprochen. Wir wollten, dass die Sicherheitsverantwortung
den afghanischen Streitkräften, den
afghanischen Behörden übergeben wird, wir haben über
Korruption gesprochen und viele andere Dinge. Das ist
in den Beschluss aufgenommen worden. Nicht das Militärische
hat im Vordergrund gestanden, sondern wir haben
eine Verknüpfung haben wollen. Genau das, glaube
ich, ist doch der Kern der Diskussion.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Der Krieg ist der Kern!)
Leider, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie davon
abgelenkt.
Ein Abzugsplan mit militärischen Zielen, das ist doch
das Wichtige. Wir haben ein Signal in die Region, aber
auch an die afghanische Regierung geben wollen: Sie
müssen davon ausgehen, dass die internationale Gemeinschaft
irgendwann die Verantwortung übergeben will.
Das wird bis 2014 der Fall sein. Dieser Abzugsplan wird
in den nächsten Tagen auch bei den Beratungen in den
Ausschüssen eine Rolle spielen.
(Beifall bei der SPD)
Dann kommen Sie daher und sagen, ein solcher Abzugsplan
sei leichtfertig. Wollen Sie wirklich den Bündnispartnern
Kanada, den Niederlanden und den USA,
dem amerikanischen Präsidenten, Leichtfertigkeit unterstellen,
wenn sie einen solchen Abzugsplan unterstützen?
Diese Frage müssen Sie hier beantworten, und ich
hoffe, dass der Verteidigungsminister dies gleich tun
wird.
Herr zu Guttenberg, ich glaube, Ihr Problem bei Afghanistan
ist, dass Sie nur noch durch die militärische
Brille schauen und versuchen, in der Öffentlichkeit allein
ein militärisches Bild darzustellen. Das ist nicht
mein Verständnis von einem Verteidigungsminister. Sie
sind ein Zivilist, der aus meiner Sicht an dieser Stelle
moderne Sicherheitspolitik mit den politischen Zielen
verbinden müsste, die die internationale Gemeinschaft
will.
Diesen Eindruck hatte man beispielsweise bei Ihrem
Auftritt bei Kerner – mir zumindest ist es so gegangen,
als ich mir das angeschaut habe – nicht. Da ging es eben
nicht um Kunduz, da ging es nicht um die Polizeiausbildung,
da ging es nicht um die Skepsis der Afghaninnen
und Afghanen. Das gehörte nämlich nicht zu Ihrer Show.
Und das ist der entscheidende Punkt, den ich hier kritisiere.
Ich glaube, Sie sind kein guter Sicherheitspolitiker,
sondern Sie wandeln nur auf den Wegen alter Militärpolitik.
(Zuruf von Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg]
[CDU/CSU])
Ich glaube, das führt auch Sie in der Regierungskoalition
auf einen falschen Weg.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie zum Schluss
Folgendes fragen: Sie haben sich ja sozusagen – ich
weiß nicht, woran es liegt – diesem Trend ein bisschen unterworfen. Vielleicht hat das auch etwas mit Meinungsumfragen
zu tun. Aber auch Sie scheuen sich ja
nicht, das Wort „Krieg“ zu nennen, auch als Sie damals
in Afghanistan gewesen sind. Der Bundesaußenminister
hat im letzten Jahr nach meinem Dafürhalten zu Recht
erklärt, dass es sich hier um einen bewaffneten internationalen
Konflikt handelt, wenn man das Völkerrecht als
Grundlage nimmt. Ich glaube, Sie sollten sich doch einmal
die Frage stellen, ob Sie nicht eine Tendenz in der
öffentlichen Diskussion unterstützen, die nach meinem
Dafürhalten genau in die falsche Richtung geht. Wenn
zum Beispiel der Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes,
Herr Kirsch, sagt: „Was interessieren
mich verfassungsrechtliche Spitzfindigkeiten?“, dann
müssen wir doch dagegenhalten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Die völkerrechtlichen Fragen stehen doch im Vordergrund
einer solchen Diskussion. Ich glaube, das muss
doch auch einer Kanzlerin ein bisschen durch den Kopf
gehen.
Wir werden in den kommenden Tagen streng darauf
achten, ob Sie glaubhaft die politischen Ziele mit einem
verbindlichen militärischen Abzugsplan verbinden wollen.
Dann und nur dann können Sie mit einer breiten Unterstützung
durch die SPD rechnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister
der Verteidigung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Mützenich, das Rednerpult
scheppert noch. Ich danke Ihnen für die Feststellung, ein
Zivilist zu sein. Das ist richtig.
Bevor ich auf die Diskussion über das ISAF-Mandat
und gerne auch auf die Punkte, die Sie, Kollege
Mützenich, genannt haben, eingehe, darf ich noch einige
Sätze zu drei Fällen sagen, die die Bundeswehr, aber auch
die Öffentlichkeit in diesem Land beschäftigen. Hier gilt
der ganz klare Anspruch, dass man rückhaltlos aufklärt,
dass man die Dinge bewertet und man sie, wenn die Vorwürfe
Tatsachen entsprechen sollten, abstellt und die entsprechenden,
notwendigerweise harten Konsequenzen zieht. Das ist die Herangehensweise. Ich glaube, so sollte
man solche Punkte angehen: nicht mit Vorverurteilungen,
nicht mit irgendwelchen Mutmaßungen oder Vermutungen,
sondern auf der Grundlage von Tatsachen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Thomas Oppermann [SPD]: Aber es muss
schnell festgestellt werden!)
In diesem Kontext darf ich auch sagen – auf der Tribüne
sitzen heute Soldaten; sie wurden vom Kollegen
Westerwelle bereits begrüßt –, dass in der Bundeswehr
mehr als 300 000 Menschen arbeiten. Es ist nie auszuschließen,
dass es auch mal zu Verfehlungen und zu Fehlern
kommt. Daraus ein Pauschalurteil abzuleiten und
gleichzeitig die großartigen Leistungen der anderen hinunterzuziehen,
wäre aber vermessen. Auch das können
wir nicht machen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wer tut
denn das?)
Ich darf auch deutlich machen, dass ich mich mit aller
Entschiedenheit gegen Vorwürfe verwahre, meine Mitarbeiter
oder ich hätten das Parlament vorsätzlich getäuscht
oder Tatsachen vertuscht. Solche Verdächtigungen
sind infam und fallen letztlich auf diejenigen zurück,
die sie abgeben. Es geht auch weiterhin darum, dass wir
die Dinge mit größtmöglicher Offenheit ansprechen und
vortragen
(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Wie bei Kunduz!)
und man einen vertrauensvollen Umgang miteinander
pflegt. Diesen haben wir in den letzten Jahren grundsätzlich
entwickelt. Auch heute fand diesbezüglich eine Obleuteunterrichtung
statt. Ich glaube, das ist der richtige
Weg.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Kommen
Sie einmal zu Afghanistan! Es wird Zeit!)
– Ein Fall betrifft Afghanistan. Wenn man über Afghanistan
spricht, ist es wichtig, über Tatsachen und nicht über
Mutmaßungen zu sprechen, insbesondere dann nicht,
wenn der Schutz eines Soldaten, der gerade Ermittlungen
ausgesetzt ist, deswegen gefährdet sein könnte. Ich
glaube, es ist notwendig, auch das zu sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Was das ISAF-Mandat anbelangt, hat Kollege
Westerwelle völlig zu Recht darauf hingewiesen, wie
wichtig und stark das Signal ist, das wir heute geben; das
begann mit der Regierungserklärung des Kollegen
Niebel. Zum Bezugspunkt, lieber Kollege Mützenich: Es
wäre verwegen, die Zukunft Afghanistans und die zukünftige
Gestaltung Afghanistans nur durch die militärische
Brille zu betrachten. Das würde zeigen, dass man
glaubt, die Ziele in Afghanistan allein militärisch erreichen
zu können. Das ist eine schiere Illusion. Das ist
nicht machbar und nicht darstellbar. Das geht nur durch
ein Zusammenwirken der Kräfte. Das geht nur, wenn die
Entwicklungshilfe, also die zivile und diplomatische Herangehensweise,
eine wirklich starke Säule darstellt. Ich
kann nur sagen: Die ressortübergreifende Zusammenarbeit
innerhalb des Kabinetts in den letzten Monaten ist
besser als das, was wir in den Jahren vorher erlebt haben.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Auweia!)
Dafür danke ich den Kollegen noch einmal. Das Zusammenwirken
hinsichtlich der Zielsetzung Afghanistan ist
erstklassig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Sascha Raabe [SPD]: Selbstbeweihräucherung!
– Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Warum führen Sie
dann Krieg?)
Im Übrigen führt der Verteidigungsminister die
Truppe natürlich nicht heim. Das würde ich mir auch nie
anmaßen, lieber Herr Kollege Mützenich. Es ist interessant,
welche Zitatbrocken vermengt wurden. Aber der
Verteidigungsminister gibt während eines Mandates immer
wieder eine militärische Bewertung ab, so wie der
Minister des Auswärtigen eine Bewertung der anderen
Punkte – auch eine übergreifende Bewertung – vornimmt,
so wie der Entwicklungsminister eine entwicklungspolitische
Bewertung abzugeben hat. Das entspricht
der Erwartungshaltung, die letztlich auch Sie an
uns haben.
Die NATO hat den in Lissabon und auf den Konferenzen
in Kabul und London beschlossenen Strategiewechsel
mittlerweile umgesetzt. Dieser Strategiewechsel trägt
in meinen Augen erste Früchte. Das kann man wirklich
sagen.
Über meinen Fachbereich haben wir auch im letzten
Jahr intensive Diskussionen geführt, etwa was das Konzept
des Partnerings anbelangt. Das Konzept des Partnerings
– als ein Ausbildungskonzept, als ein Schutzkonzept,
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ein Offensivkonzept!)
ja, auch als ein Konzept, um die Aufständischen letztlich
aus ihren schon ergriffenen Räumen in andere Räume zu
verdrängen – ist eines, das erfolgreich läuft. Mit den
Ausbildungsleistungen sind wir im Zeitplan. Es ist sogar
so, dass wir vor dem Zeitplan liegen. Ich glaube, das
kann als ein Erfolg gewertet werden. Das ist ein Erfolg
der Leistungen der militärischen wie der zivilen Kräfte
vor Ort, ein Erfolg des Zusammenwirkens, und das funktioniert.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben natürlich Zielsetzungen zu erfüllen, auch
ehrgeizige, ambitionierte Zielsetzungen. Wir haben in
den letzten Monaten und im letzten Jahr gottlob auch
eine Diskussion über realistische Ziele geführt: Was ist
in Afghanistan erreichbar? Wann ist es erreichbar? Mit
welchen Partnern ist es erreichbar?
Vor diesem Hintergrund sage ich: Ja, 2011 wird für
uns ein forderndes Jahr werden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das haben Sie letztes Jahr auch
schon gesagt! Nichts Neues!)
Präsident Karzai hat gesagt, er will diesen Prozess der
Übergabe in Verantwortung, von dem der Kollege
Westerwelle gesprochen hat, bis zum Jahr 2014 abschließen.
Natürlich unterstützen wir ihn nachdrücklich
in diesem Vorhaben; das versteht sich von selbst.
Das Jahr 2011 steht für den Gedanken, dass niemand
dauerhaft in Afghanistan bleiben will. Das ist ein Gedanke,
der nicht nur uns und die Bevölkerung in diesem
Lande umtreibt, sondern dieser Wunsch erfüllt natürlich
auch die Menschen in Afghanistan. Gleichzeitig wäre es
aber verantwortungslos, wenn wir jetzt unmittelbar und
übereilt abziehen wollten. Das würde die jungen afghanischen
Sicherheitskräfte zum jetzigen Zeitpunkt noch
überfordern. Deswegen ist der Plan, die Ausbildung bis
2014 konsequent abzuschließen.
Wir liegen im Plan; das habe ich Ihnen gesagt. Wir
gehen unseren Weg zum Abzug. Ich teile ganz ausdrücklich
die geäußerte Zuversicht, dass wir bereits in diesem
Jahr mit einem ersten Abzug beginnen können.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber davon
steht nichts im Mandat!)
Den Satz, den Guido Westerwelle vorhin verlesen hat,
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aus der
Begründung!)
kann man, wenn man irgendwo einen Streit hineinbringen
will, so und so deuten.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!
Allerdings!)
Wir haben uns auf diesen Satz geeinigt. Er ist die Position
der Bundesregierung.
(Lachen bei der SPD und der LINKEN –
Stefan Liebich [DIE LINKE]: In der Begründung!)
Die Position der Bundesregierung enthält das Ziel und
die Zuversicht, in diesem Jahr mit dem Abzug zu beginnen.
Guido Westerwelle hat auch klar gesagt – das ist ein
völlig logischer Ansatz –: wenn es die Lage erlaubt.
(Thomas Oppermann [SPD]: Ist die Jahreszahl
denn jetzt zu hoch oder nicht?)
Wir tun alles dafür, dass es die Lage erlaubt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich glaube, dieser Ansatz ist ehrgeizig. Lieber Kollege
Mützenich, dieser Ansatz wird auch vom Zivilisten
Karl-Theodor zu Guttenberg mitgetragen, und zwar aus
Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten, denen
ich von dieser Stelle aus für ihren Dienst ausdrücklich
danken will. Sie haben die Anerkennung in diesem
fordernden Einsatz verdient.
Dieser Ansatz ist von der Verantwortung mitgetragen,
dass wir immer auch sagen: Verantwortung haben wir
auch für diejenigen, die dort verbleiben. Auch daran haben
wir unsere Entscheidungen auszurichten. Es werden
gemeinsam getragene und kluge Entscheidungen sein,
die wir treffen, und solche, die endlich auch einer Perspektive
für Afghanistan, die das Land verdient hat, die aber auch unsere Soldaten und unsere zivilen Helfer verdient
haben, Ausdruck geben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Sprachrepertoire der
Bundesregierung hat sich in den letzten Monaten beträchtlich
erweitert. Da hört man Worte, für die die
Linke in der Vergangenheit heftig angegangen worden
ist; „weltfremd“ sind wir genannt worden: „Abzug der
Truppen“, „Versöhnungsprozess“, „regionale Lösung“,
„Selbstbestimmung“, ja, selbst „Verhandlungen mit den
Taliban“ sind kein Tabu mehr. Aber wenn es um Afghanistan
und die Menschen dort geht, dann muss eines klar
sein: Rhetorische Wendungen sind nicht angesagt. Die
Politik muss sich ändern, und zwar gründlich. Darauf
kommt es an.
(Beifall bei der LINKEN)
Leider findet man das im Handeln dieser Regierung
nicht.
Mit der jetzt zu beschließenden Entsendung der Bundeswehr
wird der Eindruck erweckt, man verfolge einen
Abzugsplan. Vorsicht! Man sollte das Kleingedruckte
genau lesen. Nach 2014 möchte man nur keine Kampftruppen
mehr im Lande haben. Ausbildungseinheiten
sollen bleiben. Wie viele? Nobody knows. Es ist doch
so, schon jetzt sollen sich die Truppen auf die Ausbildung
der afghanischen Armee konzentrieren. Wo also
liegt der Unterschied?
Einen Generalvorbehalt hat man auch eingebaut. Der
Abzug soll nur dann stattfinden, wenn bestimmte – in
meinen Augen nicht sehr klare – Bedingungen erfüllt
sind, zum Beispiel eine stabile Regierung in Kabul. Der
Verteidigungsminister hat jetzt gesagt, ihm sei es völlig
wurscht – ja, er hat wirklich „wurscht“ gesagt –, ob der
Rückzug 2014 oder 2013, 2010 oder 2011 stattfinde, auf
die Konditionierung komme es an.
Im Klartext: Das kann noch um einiges länger dauern.
Ich kann nur sagen: Ein eindeutiger, unmissverständliche
Abzugsplan sieht anders aus,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und der müsste hier auch beschlossen werden. Es geht
nicht um vage Ankündigungen und Versprechungen,
sondern es geht darum, hier etwas konkret festzulegen
und zu beschließen. Das ist der Punkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Man sieht daran auch, dass Ihre Politik nach wie vor
auf der falschen Annahme basiert, die Rückholung der
Truppen stünde am Ende eines politischen Friedensprozesses.
Wenn es aber richtig ist, dass die Aufstandsbewegung
so stark geworden ist, weil sie propagieren kann,
sie wolle die Fremden aus dem Land werfen, und weil es
eine Regierung gibt, die mit dieser im Bunde ist, die zudem
noch sehr korrupt ist, dann wird umgekehrt ein
Schuh daraus. Der unzweideutige Sofortabzug der
NATO-Truppen ist Voraussetzung für eine politische Lösung.
Und der sollte unverzüglich eingeleitet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre verantwortliche Politik, lieber Kollege
Westerwelle.
Alle sagen jetzt, man könne diesen Krieg nicht militärisch
gewinnen. Der Widersinn ist nur: Trotzdem setzen
Sie weiter auf die militärische Karte, auf die offensive
Aufstandsbekämpfung. Am Anfang waren es ein paar
Tausend Soldaten in Afghanistan, zu Beginn des letzten
Jahres waren es 90 000, heute sind es über
140 000 NATO-Soldaten. Auch die Bundeswehr hat immer
mitgezogen, zuletzt die Aufstockung auf über 5 000,
dann schwere Artillerie, bald auch Kampfhubschrauber.
Vieles spricht dafür, dass das Bundeswehrkontingent
bald auch noch um AWACS-Besatzungen aufgestockt
werden wird und wir also ein Zusatzmandat bekommen.
Um die Zustimmung des Hauses jetzt nicht zu gefährden,
hat man gegenüber der NATO erst einmal abgewunken
und gesagt: jetzt nicht. Aber das wird kommen.
An der Stelle ein Wort an die lieben Kolleginnen und
Kollegen von der SPD. Es genügt nicht, nur vor der Salamitaktik
dieser Regierung zu warnen, man muss diese
Strategie und diese Taktik auch einmal durchkreuzen, indem
man Nein zu einem solchen Mandat sagt.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist einfach nicht nachvollziehbar, dass man davon
redet, jetzt müsse der politische Prozess in den Vordergrund
gerückt werden, das Verhältnis Militär/Politik neu
justiert werden, und dann mit Truppenaufwuchs, Aufrüstung
und Kampfwertsteigerung um die Ecke kommt.
Das geht einfach nicht. Offensive Aufstandsbekämpfung
heißt eben auch: noch mehr Gefechte, noch mehr Waffeneinsatz,
mit anderen Worten, noch mehr Tod und Zerstörung.
Im letzten Jahr ist die Zahl der Toten und Verletzten
noch einmal beträchtlich nach oben gegangen,
nach den Zahlen der UNO allein bei den zivilen Opfern
bis Oktober um 20 Prozent. Der Verteidigungsminister
hat jetzt schon angekündigt, es werde noch heftigere
Kämpfe geben, um die deutsche Öffentlichkeit auf diese
Lage einzustimmen. Herr Minister, so wird das nichts
mit dem Friedensprozess in Afghanistan.
(Beifall bei der LINKEN)
Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister, man wird
den Krieg auch nicht dadurch gewinnen, dass man ihn
gewissermaßen „afghanisiert“. Sehen wir einmal davon
ab, was es bedeutet, in einem Land mit einer extrem
schwachen Regierung einen Sicherheitsapparat von
400 000 Mann aus Militär und Polizei aufzubauen. Das
wäre noch einmal ein gesondertes Thema. Entscheidend
ist, dass diese Truppen auf ganz lange Sicht von außen – namentlich den USA – bezahlt werden müssen und
dass sie natürlich auch als entscheidendes Machtinstrument
des dortigen Regimes, des Karzai-Regimes, angesehen
werden. Deshalb ist die Warnung nicht unbegründet,
die da sagt: Dieser Plan kann sich als Roadmap für
einen fortgesetzten Bürgerkrieg erweisen. Deshalb sind
wir entschieden dagegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Alle reden inzwischen davon, dass man mit den Gegnern
reden müsse, sie in einen auszuhandelnden Friedensprozess
einbinden müsse. Aber trotz dieser schönen
Rhetorik klammern Sie sich an diese trügerische Hoffnung,
mit militärischer Stärke könne man eine solche
Lösung herbeizwingen. Anders wäre dieser Truppenaufwuchs
nicht zu erklären.
Und es bleibt eine Tatsache: Wenn Sie die Anführer
nachts mit Drohnen und Spezialkommandos jagen, werden
sie sich tagsüber nicht an den Verhandlungstisch setzen.
Das ist widersinnig und muss beendet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es wäre also klug, sich stattdessen auf eine Verhandlungslösung
zu fokussieren, die mit Waffenstillstandsvereinbarungen
lokal und zentral eingeleitet werden
müsste, um dann zu einem Gesamtarrangement zu kommen,
das uns allen hier nicht schmecken wird. Das
würde aber nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als
dass endlich die Waffen schweigen und ein kontinuierlicher
Aufbau im Land entstehen kann. Das ist die Voraussetzung
dafür. Es geht also um eine langfristig angelegte
Entwicklungsarbeit mit den Schwerpunkten Bildung und
Ausbildung. Das alles wird aber nur funktionieren, wenn
der Krieg beendet wird. Das ist das A und O.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sagen: Das ist ein mühsamer Prozess, der jetzt in
Gang gebracht werden muss. Deshalb ist es umso wichtiger,
dass die UNO nicht länger mit einem Beobachterstatus
auf der Rückbank sitzt. Es geht eben nicht nur um
einen Deal zwischen der NATO und den Taliban, sondern
es geht um einen umfassenden Friedensplan bzw.
Friedensprozess, der alle Akteure und Kräfte in Afghanistan
umfassen muss und ohne die sicherheitspolitische
Einbindung der Anrainerstaaten nicht gelingen wird.
Dies zu organisieren, sollte den Vereinten Nationen und
niemandem sonst obliegen. Das ist der Punkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist üblich geworden, einzugestehen, dass man Fehler
gemacht hat.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann tun Sie
es doch!)
Jetzt müssen praktische Schlüsse daraus gezogen werden,
die darin bestehen – das sagt auch eine stabile
Mehrheit in der Bevölkerung –, die Bundeswehr zurückzuziehen
und sich auf den zivilen Aufbau und eine internationale
politische Lösung zu konzentrieren. Das ist
aussichtsreich. Ich finde, die Leute haben recht. Hören
Sie auf sie!
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Frithjof Schmidt
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Herr zu Guttenberg, als Reaktion auf
Ihre Vorbemerkung eben: Wir glauben, dass wir als Parlament
im Fall des toten Soldaten in Afghanistan vom
Ministerium objektiv falsch unterrichtet worden sind,
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: So ist es!)
und wir wollen wissen, warum.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das wird noch weiter aufzuklären sein. Ich kann Ihnen
nur sagen: Das, was Sie hier erklärt haben, genügt uns
nicht. Das reicht nicht aus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt komme ich zur Debatte des heutigen Tages. Ich
finde es wichtig, dass wir uns heute Morgen viel Zeit genommen
haben, um über den zivilen Wiederaufbau in
Afghanistan zu sprechen. Das kommt oft zu kurz. Dabei
sind gerade diese Anstrengungen entscheidend für die
Zukunft Afghanistans. Herr Außenminister, etwas anderes
ist dabei aber auch deutlich geworden: Durch diese
merkwürdige Zweiteilung der Debatte, die wir heute hier
erlebt haben – vormittags Entwicklungspolitik und ziviler
Wiederaufbau, nachmittags, getrennt davon, militärisches
Mandat –, wird eine Menge über die Koordinationsprobleme
der Regierung ausgesagt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN – Dr. Karl A. Lamers
[Heidelberg] [CDU/CSU]: Ach du liebes bisschen!)
Dass Sie es nach einem weiteren Jahr nicht geschafft
haben, ein integriertes Mandat vorzulegen, in das auch
die zivile und die politische Dimension aufgenommen
wird, ist ein politisches Versagen; es tut mir leid.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]:
Mir tut die Aussage leid!)
Ich sage auch: Hätten Sie dem Vorschlag von uns und
den Sozialdemokraten für eine gemeinsame, unabhängige
Evaluierung des Einsatzes keine Absage erteilt,
dann hätten wir nun wenigstens eine gemeinsame Lageeinschätzung.
Ihre Absage an uns ist und bleibt ein
schwerer Fehler.
Nun zur politischen Frage, ob die Bundeswehr ein
weiteres Jahr in Afghanistan bleiben soll. Unsere Antwort
ist klar: Ja, das soll sie. Ein Sofortabzug der internationalen
Truppen ist und bleibt unverantwortlich. Das
wäre ein Treibsatz für einen offenen Bürgerkrieg in
Afghanistan. Herr Außenminister, dass Sie meinen, ausgerechnet
uns Grünen vorwerfen zu müssen, wir würden
es uns in dieser Frage leicht machen, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Absurd!)
ist sehr billig. Das sollten Sie eigentlich wirklich nicht
nötig haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aber so ist er!)
Trotz dieser Einschätzung sage ich: Ich – das gilt
wohl auch für die Mehrheit meiner Fraktion – kann Ihrem
Mandatstext, wie schon im letzten Jahr, nicht zustimmen.
Wir sind mit einer Reihe von Punkten, wie sie im
Mandat stehen – manches fehlt auch – nicht einverstanden.
Vor einem Jahr sprach die Bundesregierung davon,
man müsse sich eine Abzugsperspektive erarbeiten. Ein
Jahr später streiten sich die zuständigen Minister darüber,
und zwar öffentlich und ohne Ende. Was Sie sich
als Bundesregierung in den letzten Wochen geleistet haben,
ist schon einmalig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Herr Außenminister, Sie haben ausgeführt, dass Sie
2011 mit dem Abzug beginnen wollen. Das nehmen wir
sehr wohl zur Kenntnis. Der Verteidigungsminister hat
Sie daraufhin quasi vom Feldherrenhügel herab abgekanzelt
und erklärt, das sei ihm wurscht, nach dem
Motto: Wann und wie meine Truppen abziehen, das bestimme
doch wohl eher ich. Da lasse ich mir auch nicht
von einem angeschlagenen Außenminister hineinreden.
(Dr. Bijan Djir-Sarai [FDP]: Ganz schlecht!)
Im Mandat haben Sie einen Satz aus 49 Wörtern gebastelt,
um diesen Konflikt zu übertünchen. Sie haben
ihn dankenswerterweise noch einmal vorgelesen. Am
Ende dieses Satzes steht nur fest, dass bei Ihnen gar
nichts feststeht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Henning Otte [CDU/CSU]: Hier ist Plenum
und keine Märchenstunde!)
„Die Bundesregierung ist zuversichtlich …, Ende 2011“
mit dem Abzug beginnen zu können, allerdings mit der
Einschränkung: „soweit die Lage dies erlaubt“. Sie sind
Könige des Konjunktivs.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie können nicht weiter ausweichen. Seit über einem
Jahr beschwören Sie eine Abzugsperspektive. Legen Sie
endlich einen konkreten, verlässlichen Plan vor. In anderen
Ländern geht das doch auch. Sagen Sie, was Sie zwischen
2011 und 2014 machen wollen. Sagen Sie, wie die
konkreten Schritte 2012 und 2013 aussehen sollen. Das
wollen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wissen.
Nur so werden wir Druck auf die afghanische Regierung
erzeugen, ihre Seite des Fahrplans einzuhalten.
In Interviews sprechen Sie durchaus an, Herr Außenminister,
dass dieser Mechanismus notwendig ist. Sie
wissen es doch besser. Warum haben Sie sich in der Regierung
auf den Kompromiss eingelassen? Nur so setzen
wir der mittlerweile wohlbekannten Floskel „Dieses Jahr
sind wir noch nicht so weit, aber im nächsten wird es
besser“ ein strategisches Ende.
Hören Sie im Übrigen auf, Unsicherheit über Ihre Absichten
zu produzieren. Was ist denn nun mit dem Einsatz
der AWACS-Flugzeuge? Sie, Herr Westerwelle, lassen
erklären, das Thema sei für dieses Jahr vom Tisch, es
folgt also kein Mandatsnachklapp in drei Monaten. Das
ist doch die politische Frage. Aus dem Verteidigungsministerium
heißt es, im Frühjahr dieses Jahres stehe eine
erneute Prüfung an, also gibt es vermutlich doch einen
Mandatsnachklapp in drei Monaten. Was gilt denn nun?
Wir reden über ein Mandat, für das wir die Zustimmung
für ein ganzes Jahr erteilen sollen. Bei dieser Frage spielen
Sie ein Spiel. Das alles sieht nach Salamitaktik für
eine mögliche Truppenaufstockung aus. Das ist das Gegenteil
von Transparenz und Seriosität.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
[SPD])
Herr Außenminister, Sie haben vor einem Jahr das
Partnering neu in das Mandat eingeführt, ohne es klar zu
definieren. Dazu war seitdem in Ihren Erklärungen kein
Wort zu hören. Wir hatten die Befürchtung, dass das ein
Prozess der schrittweisen Veränderung des Mandats für
die Bundeswehr bedeutet, nämlich die Abkehr von ISAF
als Stabilisierungseinsatz hin zu einer Strategie der offensiven
Aufstandsbekämpfung. Ich muss leider feststellen:
Diese Befürchtung hat sich weitgehend bewahrheitet.
Damit haben Sie den deutschen Einsatz in
Afghanistan auf einen falschen Weg gebracht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt keine ausreichende Klarheit über den militärischen
Auftrag und die politischen Ziele. Auch bei der
Hilfe für den zivilen Aufbau gibt es höchstens bis 2013
Klarheit. Unsere Verantwortung für Afghanistan endet
aber nicht mit einem Abzug der internationalen Truppen.
Dafür brauchen wir eine Strategie, ein Konzept für die
Fortsetzung der zivilen Unterstützung nach 2014.
Statt ihres ewigen Streites könnte die Bundesregierung
Initiative zeigen. Das wäre ein sinnvoller Beitrag
für die Vorbereitung der Bonn-II-Konferenz Ende dieses
Jahres.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
[SPD])
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner von der
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Mützenich, ich habe heute von Ihnen eine neue Form der politischen Debatte gelernt, nämlich die
entrüstete Zustimmung.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das finde ich sehr interessant. Für Ihre Entrüstung habe
ich politisch sehr großes Verständnis. Wir alle müssen
sozusagen unsere Kartoffeln zusammenkriegen. Für die
Zustimmung bedanke ich mich bei Ihnen ausdrücklich.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier
[SPD]: Nicht ganz so überheblich, Herr
Stinner!)
Wir sind jetzt zum zehnten Mal dabei, ein Mandat zu
verlängern. Ich möchte an alle Kollegen und auch an die
Öffentlichkeit sowohl hier, als auch andernorts, wo die
Debatte verfolgt wird, appellieren, Folgendes zu verstehen:
Wir verlängern nicht einfach ein weiteres Mal das
Mandat für Afghanistan wie vielleicht 2006 oder 2007.
(Zuruf von der LINKEN: Genau so!)
– Nein, das ist eindeutig nicht der Fall. Das möchte ich
begründen.
Wir haben heute, im Januar 2011, eine grundsätzlich
andere Situation als vor einem Jahr. Mit den Stichworten
London, Kabul und Lissabon haben wir in der NATO
durch Versammlungen und Meinungsbildung auf der
Ebene der Organisationen erstmals den Dreiklang einer
gemeinsamen Vision, eines gemeinsames Ziels und gemeinsamer
Strategien.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Und einen gemeinsamen Krieg!)
Wir definieren gemeinsame Maßnahmen, die wir auch
durchführen. Es ist insofern ein Vierklang. Das ist neu.
Deswegen gibt es jetzt auch erstmals die Perspektive eines
Endes unseres militärischen Einsatzes, was Kampftruppen
angeht.
(Zuruf von der LINKEN: Aber die steht nicht
im Beschlusstext!)
Diese Differenzierung ist wichtig. Sie ist hier auch gemacht
worden. Das ist völlig richtig. Das ist neu.
Ich habe ein gewisses Verständnis dafür – ich gebe
zu: ein marginales Verständnis –, dass man von Anfang
an sagt, eine Beteiligung sei unter allen Umständen ausgeschlossen,
weil wir nicht wissen, wann es zu Ende
geht. Aber diejenigen, die eine verantwortliche deutsche
Außen- und Sicherheitspolitik betreiben wollen, müssen
spätestens jetzt erkennen: Die Bundesregierung hat getan,
was sie tun konnte. Sie hat eine Perspektive entwickelt,
wann der Einsatz zu Ende ist.
Ich bitte Sie alle herzlich, dafür zu sorgen, dass wir
diesen Entwicklungspfad der schrittweisen Entscheidungen
von London Anfang 2010 bis zum 31. Dezember
2014 gemeinsam verantwortungsvoll gehen. Auf diesem
Entwicklungspfad von London 2010 bis Ende 2014 gibt
es bestimmte Zwischenstufen.
Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Wichtig ist für
mich die Perspektive 2014. Deshalb halte ich es fachlich
und sachlich nicht für geboten, Herr Kollege Schmidt,
dass Sie jetzt von der Bundesregierung verlangen, zu sagen,
was sie im September 2013 machen will, und dass
Sie verlangen, dass uns der Verteidigungsminister und
der Außenminister sagen, welche Kapazitäten wir im
Jahre 2013 brauchen.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: 2011 nicht
einmal!)
Ich sage Ihnen ganz offen, Herr Schmidt: Das weiß die
Bundesregierung nicht, und ich weiß es auch nicht. Ich
weiß aber eines: Auch Sie wissen es nicht. Deshalb ist es
völlig unsolide, dies zu tun.
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Herr
Stinner, halten Sie sich zurück!)
Deshalb müssen wir den Pfad verfolgen, den wir gemeinsam
in der Koalition beschlossen haben und dem
Sie auch zustimmen können.
Ich kann mich sehr gerne auf das beziehen, was ich
im vergangenen Monat aus Ihren Reihen gehört habe,
liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Herr Erler hat
sich dazu eingelassen, dass er bei einem Besuch in
Afghanistan – ich glaube, es war im letzten Herbst – gesehen
hat: Jawohl, es hat sich etwas verändert.
Ich habe mit großem Interesse heute das Interview
von Herrn Gabriel gelesen. Ich merke, dass das in Ihren
Reihen diskutiert wird und dass Sie zu dem Schluss gekommen
sind, mehrheitlich diesem Mandat zuzustimmen.
Selbstverständlich wird auch in dieser Bundesregierung
darüber diskutiert, was der richtige Weg ist. Es wird
auch in dieser Bundesregierung und in dieser Koalition
darüber diskutiert, wie die Worte im Mandat gewählt
werden sollen. Das machen Sie doch genauso. Wichtig
ist aber, wie Helmut Kohl sagte, was am Ende herauskommt.
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wie es
ausgeht, wissen wir!)
Am Ende kommt heraus, dass das Mandat der Beschreibung
entspricht und dass der Außenminister und der Verteidigungsminister
heute wortgleiche Sätze vortragen
und ein gemeinsames Konzept haben, das sie offensiv
nach außen vertreten.
(Beifall des Abg. Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg]
[CDU/CSU])
Das müssen wir im Deutschen Bundestag wissen. Darauf
haben nicht nur Sie ein Anrecht, sondern auch wir,
Herr Mützenich. Wir haben dasselbe Interesse, und wir
sehen, dass die Bundesregierung nach Diskussionen hier
gemeinsam auftritt. Insbesondere die Soldaten der Bundeswehr,
aber auch die Öffentlichkeit haben einen Anspruch
darauf, dass die Bundesregierung ein Konzept
und einen Gesamtrahmen vorlegt, dass sie innerhalb dieses
Gesamtrahmens verantwortungsvoll einzelne
Schritte abarbeitet und etwas tut, was in der Vergangenheit
nie in der Weise geschehen ist, nämlich in Zwischenberichten kritisch und selbstkritisch zu beobachten
und beleuchten, was geschehen ist. Auch das ist im letzten
Jahr erstmals geschehen.
Insofern kann ich sagen: Meine Fraktion wird aufgrund
dieser Situation diesem Mandat heute in voller
Übereinstimmung zustimmen. Es wird einige geben, die
sich anders verhalten werden; das wissen wir. Aber wir
glauben, dass wir auf einem richtigen Pfad sind. Die
Bundesregierung hat erstmals etwas erreicht, das es zuvor
nicht gab. Das ist ein Fortschritt. Die Welt in Afghanistan
ist nicht schön. Sie kann aber besser werden. Dazu
wollen wir unseren Beitrag leisten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Arnold, da Sie schon am Rednerpult stehen:
Normalerweise werden die Redner aufgerufen.
(Rainer Arnold [SPD]: Ich bitte um Entschuldigung!
Das Wasser hat mich so gelockt!)
Ich habe Verständnis für Ihren Durst. Aber Sie sollen
jetzt reden.
(Heiterkeit – Rainer Arnold [SPD]: Ich bitte
um Nachsicht!)
Herr Kollege Arnold von der SPD-Fraktion hat jetzt
das Wort.
(Heiterkeit)
Rainer Arnold (SPD):
Herr Präsident, bitte gehen Sie gnädig mit mir um. Ich
bitte um Entschuldigung.
Herr Kollege Stinner, Sie haben mit der „entrüsteten
Zustimmung“ einen netten Begriff geprägt, der deutlich
machen soll, wie Sozialdemokraten dem Mandat zustimmen.
Darf ich Ihnen etwas dazu sagen? – Meine Partei
kann stolz darauf sein, wie sie mit der ernsten Situation
in Afghanistan und dem schwierigen Auftrag der Soldaten
umgeht. Ja, wir ringen mit uns – und zwar in der ganzen
Breite unserer Partei –, manchmal sogar ein bisschen
stellvertretend für unsere Gesellschaft und andere Parteien,
denen es guttäte, genauer zu diskutieren. Ich
komme noch darauf zurück.
Aus der Diskussion ist bei uns die Erkenntnis erwachsen:
Ja, auch im elften Jahr ist der Einsatz in Afghanistan
nicht nur in militärischer, sondern vor allen Dingen auch
in ziviler Hinsicht notwendig, weil er im Interesse der
Welt und damit auch im Interesse Deutschlands liegt.
Niemand will sich ausmalen, was in dieser ohnehin
schon fragilen Region – unter anderem mit Pakistan als
Nachbar und gefährdeten zentralasiatischen Staaten –
passieren würde, wenn Afghanistan zum zerfallenden
Staat wird. Die Instabilität geht uns daher etwas an. Es
ist richtig, unserem Auftrag dort gerecht zu werden. Ich
sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken:
Die Idee, dass die UNO Verantwortung in Afghanistan
übernimmt und die Staatengemeinschaft beauftragt, in
ihrem Auftrag dort zu handeln, bleibt richtig. Sie darf
nicht diskreditiert werden. Das ist für uns genauso wichtig.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Arnold, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Stefan Liebich von der Linken?
Rainer Arnold (SPD):
Ja, gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte, Herr Liebich.
Stefan Liebich (DIE LINKE):
Herr Kollege Arnold, Sie haben auf das Ringen innerhalb
der SPD hingewiesen. Deshalb möchte ich Ihnen
gerne die gleiche Frage stellen wie vorhin dem Bundesaußenminister.
Die SPD hat – für die Öffentlichkeit relativ
klar – gesagt, dass sie einer Mandatsverlängerung erneut
zustimmen wird, wenn diese beinhaltet, dass der
Abzug im Jahr 2011 beginnt. Nun habe ich gedacht, dass
ich etwas von dieser Bedingung in dem Beschlusstext
– ich meine nicht die politische Einbettung –, über den
wir abstimmen werden, wiederfinden werde. Ich habe
davon nichts wiedergefunden. Deshalb interessiert mich,
wie Sie nach Ihrem Ringen zu der Einschätzung gekommen
sind, dass Sie nunmehr, nachdem Ihre Bedingung
nicht erfüllt wurde, der Mandatsverlängerung zustimmen
wollen.
Rainer Arnold (SPD):
Herr Kollege, Sie müssten eigentlich wissen, dass erstens
zum Beschluss auch die Begründung gehört und
dass das zweitens Beschlusslage der NATO ist, auch die
Zielperspektive 2014. Die Amerikaner haben als größter
Truppensteller diese Perspektive sehr deutlich aufgezeigt
und werden Mitte des Jahres beginnen. Die Karzai-
Administration hat ebenfalls dieses Ziel formuliert. Zum
Glück liegt es nicht im Ermessen des Bundesministers
der Verteidigung, ob wir den Einstieg in den Rückzug
schaffen, sondern an der Beschlusslage und in der Einsicht
der Staatengemeinschaft. Deshalb bin ich ganz gelassen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Dann können wir ja nach Hause
gehen!)
Die Bundesregierung hat eine Brücke gebaut. Natürlich
kann man immer darüber streiten, ob eine Formulierung
nicht noch verbessert werden kann. Herr Außenminister,
wir könnten uns im Vorfeld von Mandatsdiskussionen
durchaus eine größere Gesprächsbasis vorstellen. Da
sind wir bisher nicht immer ganz glücklich. Aber dieses
Mandat zeigt die richtige Richtung auf.
Im Übrigen, Herr Kollege, ist 2014 das entscheidende
Jahr. Dies ist auch nicht konditioniert,
(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Das steht
auch nicht drin!)
sondern Beschlusslage der Staatengemeinschaft. Nehmen
Sie das bitte zur Kenntnis!
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Doch, das
hat er gesagt: konditioniert!)
– Nein. Ich brauche nicht den Außenminister zu verteidigen.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Da hat der
Außenminister etwas anderes erzählt!)
Herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage, Herr
Liebich.
Ich komme auf meine Rede zurück. Eines wurde
heute schon sichtbar – viele Vorredner haben darauf hingewiesen
–: Ein einfaches Weiter-so in Afghanistan
würde nicht zum Erfolg führen. London und die folgenden
Konferenzen haben doch dazu geführt, dass endlich
Ernst gemacht wird, dass alle bei allem mehr tun, dass
man nicht mehr auf den anderen wartet, dass er das liefert,
was er zugesagt hat. Allerdings ist auch ganz wichtig,
dass wir erkennen: Unsere Anstrengungen im Zuge
dieser veränderten Strategie brauchen auch das Jahr
2011, um zu greifen. Wir brauchen Zeit dafür. In diesem
Jahr wird man sehen, ob die Weichenstellungen in die
Richtung führen, die wir uns alle wünschen, nämlich hin
zu mehr Stabilität und hin zu mehr Möglichkeiten des
Aufbaus.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das haben Sie aber auch letztes
Jahr schon gesagt!)
Ganz wichtig ist auch, dass man bei der London-Konferenz
endlich erkannt hat, dass es nicht nur um die Säulen
der Stabilität und des zivilen Aufbaus geht, sondern
im Zentrum die dritte Säule steht, nämlich der politische
Prozess. Dies gilt sowohl für den regionalen Prozess in
Afghanistan – dabei können wir uns mehr Aktivitäten
der Regierung vorstellen – als auch für den Versöhnungsprozess,
den die Gesellschaft in Afghanistan
selbstverständlich braucht, damit sie Menschen, die des
Geldes wegen bei den Aufständischen schießen, zurückgewinnen
kann. All dies sind also vernünftige Entscheidungen.
Interessant ist allerdings Folgendes. Die Debatte, in
der wir Sozialdemokraten dies alles vor einem Jahr hier
in Berlin diskutiert haben, in der wir definiert haben,
dass man im Jahr 2011 den Einstieg schaffen und im
Jahr 2014 den Prozess abschließen muss, hat der Bundesverteidigungsminister
als leichtsinnig bezeichnet. Dies haben Sie, Herr Minister, in vielen Interviews gesagt. Ist also Obama, ist also die Staatengemeinschaft
leichtsinnig? Wie gehen Sie eigentlich mit diesem
Thema um? Wenn wir zustimmen, stimmen wir nicht
wegen des Verteidigungsministers, sondern trotz des
Verteidigungsministers zu.
(Beifall bei der SPD)
Kann man von einem Verteidigungsminister, der erklärt,
ihm sei all das wurscht, ernsthaft erwarten, dass er
sich anstrengt, dass all das, was wir hier miteinander diskutieren,
dann tatsächlich zum Tragen kommt? Herr
Minister, um Erfolg in Afghanistan zu haben, ist auch
Vertrauen in den Prozess nötig, und zwar bei den Menschen
hier in Deutschland und vor allen Dingen bei den
Menschen in Afghanistan. Sie müssen wissen, was bei
der Verantwortungsübernahme auf sie zukommt. Deshalb
darf ein Minister nicht sagen, dieser Prozess und die
Frage, ob auf politische Aussagen Verlass sei, seien ihm
wurscht.
Herr Minister, Sie selbst haben heute diese drei aktuellen
Fälle bei der Bundeswehr angesprochen. Ja, es
sind Einzelfälle. Es genügt aber nicht, wenn der Verteidigungsminister
auffordert, diese Fälle aufzuklären. Der
Verteidigungsminister und kein anderer ist der Verantwortliche
für die Aufklärung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN)
Herr Minister, wir haben ja heute Morgen in dem von
Ihnen angesprochenen Obleutegespräch miteinander diskutiert.
Sie sagen, im Prinzip hätten Sie die Öffentlichkeit
richtig informiert, und in den Fällen, in denen das
Parlament unvollständig informiert wurde, hätten zwei
führende Militärs die Verantwortung übernommen. Jenseits
der Frage, wie man die schlechte Informationspolitik
ganz genau bezeichnet, ist festzuhalten: Das ist typisch
für Ihre Vorgehensweise. Wenn es unbequem wird,
legen Sie die Verantwortung anderen auf die Schulter.
(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Jetzt hören
Sie doch einmal auf!)
Herr Minister, eine unvollständige Information ist
eine Halbwahrheit. Das ist für uns ein sehr ernstes
Thema, auch wegen Afghanistan. Wir Sozialdemokraten
wollen mithelfen, das über das Thema Afghanistan in
der deutschen Gesellschaft diskutiert wird. Wir wollen
die Menschen möglichst mitnehmen und ihnen erklären,
dass dieser Einsatz richtig und notwendig ist. Das wird
uns aber nur dann gelingen, wenn die Bürgerinnen und
Bürger den Eindruck haben, dass wir als Parlamentarier
– dabei sind Sie genauso angesprochen wie wir – wissen,
über was wir reden, und dass die Bundesregierung uns
zeitnah, korrekt und umfassend informiert. Dann schaffen
wir Vertrauen in den Afghanistan-Einsatz. Dies hat
die Bundesregierung in den vergangenen Wochen leider
nicht geleistet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karl
A. Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Das
stimmt nicht!)
Entscheidend ist, dass das Vorhaben in Afghanistan
gelingt. Ich sehe eine ernsthafte Chance, dass die beschlossenen
Maßnahmen in den nächsten Monaten weitere
Erfolge zeitigen werden. Afghanistan ist nämlich
nicht überall schlecht. Afghanistan muss man sehr differenziert
betrachten: Es gibt sehr negative Nachrichten,
aber auch Entwicklungen, die Hoffnung und Mut machen.
Dies bestätigen die Menschen auch bei den Umfragen
in Afghanistan.
Ich sage ganz eindeutig: Könnten wir eigentlich einem
Mandat zustimmen, wenn wir nicht eine ernsthafte
Chance auf Erfolg sehen würden? Es wäre nicht zu verantworten, Soldaten, denen wir Respekt und Anerkennung
schuldig sind, in einen Einsatz zu schicken, wenn
wir nicht die Perspektive hätten, dass es am Ende gelingt.
Das Gelingen muss man allerdings richtig definieren.
Dabei gab es in den vergangenen zehn Jahren das
eine oder andere Missverständnis. Gelingen in Afghanistan
heißt nicht, militärisch den Terror zu besiegen. Das
wird nicht gelingen. Gelingen in Afghanistan heißt, Terror
zurückzudrängen, jetzt zunehmend zusammen mit
den Afghanen; dort ist man schon so weit. Gelingen in
Afghanistan heißt außerdem, die Zeit zu nutzen und den
Afghanen zu helfen, damit sie im Jahr 2014 mit den Problemen,
die es dort dann selbstverständlich noch geben
wird, selbst umgehen können. Das ist das Ziel. Ich
glaube, dieses Ziel ist erreichbar. Dass es erreicht wird,
ist für uns alle extrem wichtig.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Schmidt, ich möchte zunächst
einmal in aller Form, aber ganz klar Ihre Unterstellung
zurückweisen, der Minister habe hier das Parlament
falsch unterrichtet.
(Rainer Arnold [SPD]: „Unvollständig“ hat er
gesagt, Herr Kollege!)
– Nein, er hat gesagt, er habe es falsch unterrichtet. Herr
Arnold, Sie haben von unvollständig gesprochen. Weder
das eine noch das andere ist richtig. – Der Minister hat
das Parlament und die Öffentlichkeit vollständig über
die Tatsachen unterrichtet, die ihm vorlagen und die bisher
ermittelt worden sind.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kennen wir
schon! Das ist nicht das erste Mal!)
Ich möchte insbesondere darauf hinweisen, dass nach
dem Tod des jungen Soldaten am 17. Dezember bereits
am 18. Dezember in Afghanistan, während der Herr
Minister noch vor Ort war, die Unterrichtung erfolgt ist
und dass jetzt zunächst einmal die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Sie versucht, die Tatsachen herauszufinden. Das
muss abgewartet werden. Erst wenn das geschehen ist,
ist der Zeitpunkt da, an dem der Minister über weitere
Tatsachen unterrichten kann. Ich erwarte von einem
Minister, dass er das Parlament nicht über Spekulationen
unterrichtet, sondern dass er über Fakten spricht. Das hat
er zu jedem Zeitpunkt getan.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Friedrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Keul?
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Ich erlaube keine Zwischenfrage.
Herr Schmidt, lassen Sie mich noch etwas zu dem
Thema AWACS sagen. Die NATO hat beschlossen, die
Luftraumüberwachung in Afghanistan zunächst für
90 Tage mit AWACS-Flügen zu verbessern. Der erste
Flug hat bereits am 15. Januar stattgefunden. Zurzeit
gibt es aber keinerlei Notwendigkeit dafür, dass sich
Deutschland mit Personal an diesem Einsatz beteiligt.
Insofern ist es auch gar nicht notwendig, dass wir ein
Mandat für diesen Bereich erteilen oder darüber diskutieren.
Ich will nun das aufgreifen, was der Kollege Arnold
am Schluss gesagt hat. Natürlich müssen wir bei jeder
Mandatsverlängerung hier im Deutschen Bundestag
auch die Fragen der Öffentlichkeit beantworten. Die eine
lautet: Was sind die Abzugsperspektiven? Das ist heute
schon erörtert worden. Wir müssen aber auch immer
wieder fragen, wie Herr Kollege Arnold es getan hat:
Warum sind wir eigentlich in Afghanistan?
Es gilt unverändert das Ziel, das schon vor fast zehn
Jahren vonseiten des grünen Außenministers Fischer und
des damaligen SPD-Bundeskanzlers Schröder umrissen
worden ist: Mit Blick auf die Menschen, die über viele
Jahre unter diesem grausamen Regime gelitten haben, ist
unbedingt zu vermeiden, dass das Unrechtsregime der
Taliban nach Afghanistan zurückkommt.
Kollege Arnold hat auf ein zweites wichtiges Ziel
hingewiesen. Afghanistan liegt an einem Knotenpunkt
zwischen vier Atommächten: Russland, China, Indien
und Pakistan, wobei Pakistan sich in einer außerordentlich
schwierigen, höchst fragilen politischen Situation
befindet. Es liegt nicht nur im Interesse der Mächte vor
Ort, sondern auch im weltweiten Interesse, dass diese
Region stabil wird und in Zukunft stabil bleibt.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sie tun alles, damit dies nicht der
Fall ist!)
Das ist ein entscheidender Punkt. Er hat dazu beigetragen,
dass die Völkergemeinschaft – dazu gehören nicht
nur die Deutschen, die Amerikaner, die Franzosen und
die Engländer – die Entscheidung getroffen hat, mit dem
Mandat, das im Oktober vergangenen Jahres noch einmal
bekräftigt worden ist, 46 Nationen zu beauftragen,
in Afghanistan für die Stabilität zu sorgen, die notwendig
ist, um weltweit Sicherheit, also auch in Deutschland,
garantieren zu können. Ich glaube, das ist etwas,
was man bei der Diskussion um Afghanistan immer wieder
in den Vordergrund stellen muss.
Es geht aber auch um die Übergabe in Verantwortung,
so wie es im Grunde in London zu Recht als nächster
Schritt der Stabilisierung vereinbart worden ist. Diese
Übergabe in Verantwortung findet statt. Der Minister hat
das, glaube ich, sehr umfangreich ausgeführt.
Oft wird gesagt: Nichts ist gut in Afghanistan. – Es ist
vieles in Afghanistan gut geworden. Es ist gut, dass es,
nachdem die Schulen zerstört waren und Mädchen und
Frauen bis 2001 keinen Unterricht in Schulen erhalten konnten, jetzt gelungen ist, 3 500 Schulen zu bauen, und
dass sich die Zahl der Schüler auf 7 Millionen verfünffacht
hat, darunter ein Drittel Mädchen. Wir haben heute
Morgen in einer langen Debatte gehört, was in Afghanistan
alles gut geworden ist. Es ist noch nicht alles gut,
und es muss noch an vielem gearbeitet werden, aber vieles
ist gut geworden, auch dank unserer Soldatinnen und
Soldaten. Ihnen gebührt unser Dank, den wir ihnen immer
wieder ausdrücken sollten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Was die Abzugsperspektive angeht: Sie ist sehr konkret
und sehr klar.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja?)
Abzug findet in dem Maße statt, wie es möglich ist, Verantwortung
auf die afghanischen Kräfte zu übertragen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der Gipfel
an Konkretheit und Klarheit! Nichts Genaues
weiß man nicht!)
Es geht darum, dass eine Armee von 171 000 Soldaten
aufgebaut wird. Das wird zu schaffen sein im Rahmen
des jetzt zu erteilenden Mandates. Es geht darum, dass
134 000 Polizisten in Amt und Würden eingesetzt werden
und ihre Aufgabe wahrnehmen können.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!)
Das wird sich in den nächsten zwölf Monaten im Rahmen
des Mandats realisieren lassen. Dann kommt es auf
die Entwicklung vor Ort an.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Auch da:
völlig eindeutig und klar!)
Es wäre schön, meine Damen und Herren, wenn Sie
sich ein bisschen in die Situation der Bevölkerung von
Afghanistan versetzen würden.
(Rainer Arnold [SPD]: Wie oft waren Sie
schon da, Herr Kollege?)
Der Außenminister hat heute versucht, Sie ein bisschen
in die Gedankenwelt der Menschen einzuführen, die
auch durch Gerede im Westen über Abzugsperspektiven
und Zeitpunkte verunsichert werden, ohne dass dies davon
abhängig gemacht wird, dass Fortschritte erreicht
wurden und die Sicherheit der Menschen dort gewährleistet
ist. Das muss das entscheidende Kriterium sein.
So gehen wir auch vor.
Wir stehen hinter dem Einsatz unserer Soldaten, die
mit sehr viel persönlichem Engagement und persönlichem
Risiko, aber auch mit hoher Professionalität dort
agieren. Angesichts dessen, dass sich die Soldaten dort
mit der Kultur des Landes und dem Denken der Menschen
auseinandersetzen, merkt man, dass sie ihre Aufgabe
verinnerlicht haben und sie ernst nehmen, eine
Aufgabe, die dem Frieden und der Freiheit der Menschen
dort und in der ganzen Welt dient.
Ich bin sehr froh – das möchte ich ausdrücklich in
Richtung der Sozialdemokraten sagen –, dass es uns
über die Grenzen der Koalition hinaus gelingen kann,
eine Zustimmung zu diesem Mandat zu bekommen;
denn wir müssen bei allem innenpolitischem Hickhack,
das zwischen Regierung und Opposition notwendig ist,
gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn es darum
geht, festzustellen, was die sicherheits- und außenpolitischen
Interessen unseres Landes sind. Das muss über die
Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg möglich sein. Insofern
bedanke ich mich für die verantwortungsvolle Debatte,
die vonseiten der Sozialdemokraten geführt wird.
Ich hoffe, dass wir am 28. Januar, wenn es zur Abstimmung
kommt, als Demokraten zusammenstehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Katja Keul von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. –
Bitte schön.
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Herr Kollege Friedrich, Sie hatten zu
Beginn Ihres Debattenbeitrags gesagt, die Opposition
beschwere sich zu Unrecht, dass das Parlament falsch
über den Vorfall vom 17. Dezember informiert worden
sei. Das sei möglicherweise lediglich unvollständig, aber
nicht falsch gewesen. Ich möchte Sie daher darüber aufklären,
dass es in dem Wortlaut der Unterrichtung des
Parlaments vom 21. Dezember dazu wörtlich heißt:
Am Abend des 17.12.2010 wurde in einem Außenposten
des PRT in Pol-i-Khumri ein deutscher Soldat
mit einer Schusswunde aufgefunden.
Uns wurde dazu erklärt, es habe sich dabei möglicherweise
um einen Unfall beim Reinigen einer Schusswaffe
gehandelt.
Wenn davon gesprochen wird, dass jemand aufgefunden
worden ist, dann wird damit etwas anderes angedeutet,
als dass jemand in Anwesenheit von zehn Augenzeugen
durch Fremdverschulden zu Tode gekommen ist. Zu
dem Zeitpunkt, als wir diese Unterrichtung bekommen
haben, wusste Minister Guttenberg bereits – das hat er
inzwischen erklärt –, dass es sich um ein Fremdverschulden
und nicht um ein Eigenverschulden handelte. Was ist
das also anderes als eine Fehlinformation?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN
– Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Falschinformation!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kollege Friedrich zur Erwiderung. – Bitte schön.
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Liebe Frau Kollegin, ich weiß nicht, ob Sie hin und
wieder auch die Zeitung lesen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Die Zeitung?)
Ich habe bereits am 18. Dezember in der Zeitung gelesen
– das wurde auch von keiner Seite bestritten –, dass der
Soldat durch Fremdeinwirkung zu Tode gekommen ist.
Was wollen Sie denn noch?
(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Dass wir
völlig anders informiert wurden!)
Die deutsche Öffentlichkeit ist insgesamt über diesen
Umstand der Fremdeinwirkung unterrichtet worden.
(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Das ist
völlig belanglos! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Und dann am 21. so
eine Unterrichtung?)
Dass natürlich Einzelheiten, die am Ende auch strafrechtlich
relevant sein können, zunächst von der Staatsanwaltschaft
untersucht werden und dass man zunächst
einmal in internen, nur für den Dienstgebrauch vorgesehenen
Dokumenten der Sache nachgeht, ist doch eine
Selbstverständlichkeit.
(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Lenken
Sie jetzt nicht ab!)
Ich erwarte auch, dass wir den Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen, sondern ihr Raum
geben, das zu tun, was ihre Aufgabe ist. Darauf kommt
es an. Das alles ist erfolgt. Insofern gibt es da keine Versäumnisse.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP – Paul Schäfer [Köln] [DIE
LINKE]: Was reden Sie denn für einen Unsinn?)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Philipp Mißfelder von
der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Philipp Mißfelder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch ich werbe, wie meine gesamte Fraktion
und die Kolleginnen und Kollegen der Liberalen, für
eine möglichst breite Unterstützung dieses Hauses. Wir
haben den Einsatz auch in verschiedenen Ausprägungen
von Mandaten durchweg unterstützt. Aber wir haben
auch immer ein Fragezeichen hinter die Grundsatzentscheidung
gesetzt, durch die dieser Einsatz zustande
kam.
Zumindest für die diejenigen in der Union, die sich
damit heute im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik
federführend beschäftigen, kann ich hier feststellen:
Unsere Aufgabe ist es jetzt nicht, den Einsatz auszuweiten,
sondern unsere Aufgabe ist es jetzt, einen
Einsatz, der kopflos mit einem Einmarsch begonnen hat,
heute besonnen zu Ende zu führen. In diesem Spagat bewegt
sich auch dieses Mandat.
Die schwierige Aufgabe, die sich stellt, ist natürlich
der schwierigen Situation in Afghanistan geschuldet,
aber auch den früheren Versäumnissen. Für Einsätze, die
dieses Haus vielleicht zukünftig beschließt, ist es demnach
eine wichtige Sache – das betrifft uns alle hier, aber
insbesondere natürlich die Fraktionen, die zum Zeitpunkt
der Entscheidung die Regierungsverantwortung
tragen –, sich zu Beginn eines Einsatzes deutlich vor Augen
zu führen, welche Exit-Strategie man hat und unter
welchen Konditionen man wieder aus der Aufgabe herauskommt.
(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Paul Schäfer
[Köln] [DIE LINKE]: Auch das Ende bedenken!)
Das ist eine der wichtigen Lehren, die man bereits heute
aus dem Afghanistan-Einsatz ziehen kann. Das hätte
man bei dem Mandat damals schon bedenken können.
(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Da hat er
recht! Heftiger Applaus bei der CDU/CSU!)
Ich war überrascht, dass vorhin kritisiert worden ist,
dass es in der heutigen Plenarsitzung zwei Debatten zu
Afghanistan gibt. Herr Schmidt hat gesagt, man hätte das
irgendwie zusammenfassen können. Wenn das so gesehen
wird, können wir uns eigentlich die Debatte in der
nächsten Woche sparen.
Am 16. Dezember letzten Jahres haben wir den Fortschrittsbericht
diskutiert. Heute morgen haben wir ausführlich
und unter großer Beteiligung über den zivilen
Aufbau diskutiert, und jetzt diskutieren wir in erster Lesung
über das Mandat. Diese Diskussion werden wir in
der nächsten Woche fortsetzen. Ich finde es gut – ich
glaube, dass das zur Demokratie und gerade auch unserer
parlamentarischen Tradition gehört –, dass bei einer
so schwierigen Fragestellung wie der der Entsendung
von Soldaten ins Ausland das Parlament sich fortlaufend
mit allen Aspekten beschäftigt und so ein Höchstmaß an
Transparenz der Entscheidungsfindung gewährleistet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Von Herrn Arnold wurde gesagt, er würde sich mehr
regionale Kooperation und auch politische Initiativen in
dieser Hinsicht wünschen. Es hat in den vergangenen
zwölf Monaten starke Initiativen gegeben! Die Wahrheit
ist doch, dass es heute kaum eine außenpolitische Diskussion
gibt, die wir als Politiker bzw. als Parlamentarier
mit Partnern und Freunden, auch mit strategischen Partnern
im Ausland, führen, in der nicht über die Frage von
Afghanistan gesprochen wird. Selbstverständlich spielt
das bei nahezu allen wichtigen internationalen Konferenzen
eine große Rolle. Die Deutschen sind dabei führend.
Es wird auch wahrgenommen, dass unser Strategiewechsel
Erfolg hat.
Gerade das, was wir Deutsche in den Bereichen Ausbildung
und ziviler Wiederaufbau leisten, wird weltweit
anerkannt und mit Respekt bedacht, gerade von unseren
Partnern in der NATO.
Wie erklären Sie sich sonst, dass Länder, die eigentlich
angekündigt hatten, dass sie aufgrund des innenpolitischen
Drucks nicht mehr mitmachen wollen, jetzt sagen:
„Wir unterstützen die von den Deutschen ausgegebenen Ziele, und deshalb sind wir bereit, uns weiterhin an dem
Einsatz zu beteiligen und ihn zu unterstützen“? – Für ihre
Unterstützung bedanke ich mich natürlich bei diesen Ländern.
Es ist von daher wichtig, hier ein kraftvolles Zeichen
zu setzen. Ich hoffe, dass wir mit einer großen Mehrheit
in der nächsten Woche das Mandat verlängern. Damit
untermauern wir den Strategiewechsel und vergrößern
unsere Erfolgsaussichten in Afghanistan.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4402 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden?
– Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 85. Sitzung
Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 (Plenarprotokoll 17/85), S. 9603-9618
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