Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Milzbrand und Pocken als Biowaffen?

Zum gegenwärtigen Kenntnisstand eine Erklärung der Redaktion arznei-telegramm

Wegen zahlreicher Anfragen an die Redaktion kommentieren wir den Kenntnisstand zur Behandlung bzw. Prophylaxe von Infektionen mit Milzbrand und Pocken:

MILZBRAND:
Die letzte toedliche Milzbrand (Anthrax)-Infektion gab es in Deutschland vor 25 Jahren. Etwa neun von zehn an Lungenmilzbrand infizierte Personen sterben unbehandelt, bei Hautmilzbrand einer bis zwei von zehn Erkrankten. Das klassische Therapeutikum war Penicillin G. Heute wird nach Inhalation der sporenbildenden Bacillus-anthracis-Staebchen der Gyrasehemmer Ciprofloxacin (CIPROBAY u.a.; zweimal taeglich 500 mg per os) empfohlen oder nach Pruefung auf Empfindlichkeit das Tetrazyklin Doxycyclin (VIBRAMYCIN u.a.; zweimal taeglich 100 mg) oder das Breitspektrum Penizillin Amoxicillin (AMOXYPEN) (1). Da Sporen im Koerper infizierter Personen ueberdauern, sollen die Antibiotika 60 Tage lang eingenommen werden. Damit ist klar, dass ein solches Regime mit hohen Dosierungen nur bei konkretem Verdacht auf inhalativen Kontakt mit Anthrax in Frage kommt und nicht bei Angst vor einer moeglichen Bedrohung. Sind bereits deutliche Symptome der Erkrankung aufgetreten, sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit der antibakteriellen Therapie drastisch.

In den USA ist Ciprofloxacin seit dem Jahr 2000 zur postexpositionellen Prophylaxe von inhaliertem Anthrax zugelassen, wegen der lebensbedrohlichen Folgen der Infektion auch bei Kindern (2). Ueblicherweise duerfen Gyrasehemmer wegen des Risikos der Knorpel- und Gelenkschaedigung nicht bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren verwendet werden. Die Zulassung erfolgte auf Initiative der amerikanischen Behoerden angesichts "realer und zunehmender" Bedrohung durch terroristische Attacken mit Anthrax ausschliesslich auf der Basis von in-vitro-Daten und tierexperimentellen Studien (3).

Impfstoffe gegen Milzbrand sind in Deutschland weder zugelassen noch kurzfristig erhaeltlich. Vakzinen sind zwar in Grossbritannien, USA und Kanada zugelassen, jedoch auch dort nicht verfuegbar (4).

POCKEN:
1975 wurde in Deutschland die Pflichtimpfung von Saeuglingen gegen Pocken abgeschafft. Seit 1980 gilt die Erkrankung, fuer die es keine zuverlaessige Therapie gibt, weltweit als ausgerottet. Die von der WHO geforderte Vernichtung der offiziell noch in den USA und in Russland gelagerten Pocken-Viren wurde immer wieder verschoben, zuletzt auf das Jahr 2002. Die offizielle Begruendung lautet "weiterer Forschungsbedarf" (5). Wahrscheinlich beruht dieser "Forschungsbedarf" jedoch auf der begruendeten Befuerchtung, dass auch in anderen Laendern Pocken-Viren vorhanden sind und als Biowaffen verwendet werden koennen.

Weltweit gibt es derzeit noch ueber 15 Millionen Impfstoffdosierungen: vor allem bei der WHO 0,5 Mio. (3) und in den USA 15,4 Mio. (6). Mit neu produziertem Pocken-Impfstoff ist nicht vor naechstem Sommer zu rechnen. Nach einer Pilotstudie koennen die Impfbestaende "gestreckt" werden. Ein Zehntel der bislang ueblichen Dosis des US-Pocken-Impfstoffes DRYVAX scheint hinreichend wirksam zu sein (6). Fuer die hierzulande geimpften ueber 30-Jaehrigen duerfte - abgesehen von massiver Exposition - noch ein gewisser Schutz bestehen.

Anmerkungen
1 INGLESBY, T.V. et al.: JAMA 1999; 281: 1735-45
2 Scrip 2000; Nr. 2573: 17
3 Scrip 2000; Nr. 2562: 26
4 Paul-EHRLICH-Institut: "Information zur Verfuegbarkeit von Impfstoffen gegen Milzbrand, Pest und Pocken", 11. Oktober 2001
5 Aerzte Zeitung vom 13. April 2000
6 CNN Health: "Can U.S. stretch smallpox vaccine stockpile?", 15. Oktober 2001

Redaktion arznei-telegramm

A.T.I. Arzneimittelinformation Berlin GmbH

Zur Seite "Biologische Waffen"

Zur "Terrorismus"-Seite

Zurück zur Homepage