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Biowaffen: Verbotene Forschung in amerikanischen Regierungslabors

Die Gefahr bioterroristischer Anschläge wächst" - Ein Hintergrundbericht

Beim folgenden Text handelt es sich um den Mitschnitt der Sendung "Kontraste vom 24. Januar 2002. DIe Autoren sind Caroline Walter und Steffen Mayer. Wir dokumentieren Auszüge.

... Seit dem 4. Oktober 2001 wissen wir, es ist Wirklichkeit: An diesem Tag wurden in den USA die ersten Briefumschläge mit Anthraxpulver verschickt.

Inzwischen kennen wir noch eine Wahrheit: der Feind, der sie in den USA verschickt hat, ist ein amerikanischer Mitbürger. Seine Waffe kommt aus einem heimischen Labor. Auf diesen Schock waren die Amerikaner nicht vorbereitet. Umso energischer, so dachten wir, müssten sie sich nun dafür einsetzen, dass Biowaffen nicht nur geächtet werden - dass ihre Produktion aufhört. Weltweit. Und in den USA. ...

Milzbrandanschläge in den USA - 5 Menschen sterben. Der Verdacht fällt auf islamistische Terroristen.

Inzwischen steht fest: Die Milzbranderreger aus den Briefen stammen aus den USA selbst. Die Spur führt zum amerikanischen Militär. Im US-Armee Labor Fort Detrick lagern Erreger des Milzbrandtyps, der auch bei den Anschlägen verwendet wurde. Und nur wenige Labors der US-Armee und des CIA wurden damit beliefert.

Barbara Rosenberg, Biowaffenexpertin. Sie hat die Spur des Milzbranderregers verfolgt. Das Ergebnis: das tödliche Pulver aus den Briefen ist ein Produkt der amerikanischen Biowaffenforschung.
Barbara Rosenberg, Biowaffenexpertin: "Es ist jetzt im wesentlichen sicher, dass der Milzbranderreger aus dem amerikanischen Biowaffenprogramm kommt. Dass der Täter ein Amerikaner ist, der Verbindung zum Biowaffenprogramm hat und in einem Labor der Regierung arbeitet. Es ist sicher, dass er sehr viel Erfahrung hat im Umgang mit Milzbrand und Zugang zu geheimen Informationen und speziellem Material."

Die Analyse der Milzbrandbriefe brachte es ans Licht: Die US- Regierung hat eine neue Form von trockenem Milzbrandpulver herstellen lassen, das sich als biologische Angriffswaffe eignet. Hoch konzentriert, leicht zu verteilen, schon in kleinen Mengen tödlich. Angeblich Forschung zur Verteidigung. Doch Experten halten das für unglaubwürdig. Barbara Rosenberg, Biowaffenexpertin: "Warum man trockenes, waffentaugliches Milzbrandpulver herstellt, ist ganz klar. Man will prüfen und testen, wie man es im Krieg einsetzen könnte. Man will wissen, wie es sich über große Gebiete verteilt und wie tödlich es dann noch ist. Ich glaube nicht, dass diese Tests mit waffentauglichem Milzbrand, irgendeinen Sinn für die Verteidigung haben."

Das bedeutet: Unter dem Vorwand der Verteidigung ließ die US- Regierung erst vor kurzem Milzbrand als Angriffswaffe entwickeln. Damit verstößt Amerika gegen die Biowaffenkonvention von 1972. Denn die verbietet die Erforschung, Herstellung und Lagerung von biologischen Angriffswaffen. 144 Länder haben die Biowaffenkonvention unterzeichnet - auch die USA.

... Die USA brechen also die Konvention, die sie selbst unterzeichnet haben. Den deutschen Experte Jan van Aken überreascht das nícht. Jan van Aken, Biowaffenexperte: "Die Biowaffenkonvention ist wunderbar, sie verbietet jegliche biologische Waffen, kann das aber überhaupt nicht kontrollieren. Kein Mensch weiß, was in verschiedenen Ländern tatsächlich passiert, das müssen wir überprüfen können. Wir müssen kontrollieren können, ob die Länder sich tatsächlich an das Biowaffenverbot halten, indem wir Inspektoren dort hinschicken, indem die Länder gezwungen werden, offen zu legen, was in verschiedenen Labors stattfindet."

Genau darüber verhandeln seit Jahren die Unterzeichnerstaaten. ...
... Vergangenen Dezember fand in Genf die letzte Konferenz zur Biowaffenkonvention statt. Von Anfang an blockieren die USA die Gespräche, beschuldigen andere Staaten, die Konvention zu brechen. Am Ende lassen die Amerikaner die ganze Konferenz platzen. Grund: Die USA haben selbst genug zu verbergen, fragwürdige Forschung in ihren eigenen Biowaffenlabors. Barbara Rosenberg, Biowaffenexpertin: "Einiges von dieser Forschung ist jetzt ans Licht gekommen, zum Teil durch Zeitungsrecherchen. Es sind mindestens vier oder fünf verschiedene Projekte. Eines ist die Herstellung von trockenem, waffentauglichem Milzbrand. In einem anderen wurde eine Bombe für Biowaffen entwickelt. Und in einem Projekt wurde gentechnisch veränderter Milzbrand hergestellt, gegen den der US-Impfstoff nicht mehr wirkt."

Jetzt will das US-Militär sogar gentechnisch manipulierte Bakterien einsetzen. Sie sollen die Ausrüstung feindlicher Truppen zerstören. Genug Gründe die eigenen Labortüren vor internationalen Kontrollen geschlossen zu halten. Und die Verhandlungen zur Biowaffenkonvention zu sabotieren. Ein verheerendes Signal.

Jan van Aken,Biowaffenexperte: "Durch diese Blockade-Haltung der USA, die sich auf überhaupt keinen Kompromiss einlässt und auch durch die fragwürdigen Forschungen im Biowaffenbereich in den USA, sehe ich im Moment überhaupt keine Grund mehr für andere Länder jetzt nicht zu sagen, ja, dass machen wir jetzt auch. Was soll diese Länder noch daran hindern, selbst offensive Biowaffenprogramme aufzulegen. Da sehe ich den Beginn eines biologischen Wettrüstens."

Krankheitserreger als Waffen. Mit grauenhaften Folgen. Die Amerikaner haben eine Rüstungsspirale losgetreten. Und die deutsche Regierung? Sie übt sich in uneingeschränkter Solidarität: bei den Verhandlungen über die Verschärfung der Biowaffenkonvention gibt es keinen Druck auf die USA. Jan van Aken,Biowaffenexperte: "Joschka Fischer hat vollkommen versagt. An diesem Punkt, wo es tatsächlich um ein Ja oder Nein zum biologischen Wettrüsten geht, hätten die europäischen Regierungen und die Deutschen voran, andere Initiativen starten müssen. Es wäre ja möglich gewesen, dass die anderen 143 Vertragsstaaten ein solches Protokoll unterzeichnen ohne die Amerikaner. Das hätte einen gewaltigen politischen Druck erzeugt. Da waren es gerade die Deutschen, die dies verhindert haben, die immer gesagt haben, ohne den großen Bruder in Washington werden wir so was nicht unternehmen und das muss man der rot-grünen Regierung vorwerfen."

Auch Mitglieder des Europäischen Parlaments ärgern sich über das fehlende Engagement der Deutschen. Armin Laschet,EU-Parlamentarier: "Deutschland hat Gewicht in der Europäischen Union und gegenüber den Vereinigten Staaten und dieses Gewicht muss man nutzen. Da muss ein Aussenminister auch hochkarätige Beamte in die Verhandlungen schicken, er muss Klartext reden, er muss das Thema wichtiger nehmen als er es bisher tut. Ich habe den Eindruck, man erkennt die Bedeutung des Problems in Berlin nicht."

Und zu dem Problem Biowaffenkonvention gibt Außenminister Fischer Kontraste kein Interview. Bis heute noch keine offene Kritik an den USA. Die deutsche Bundesregierung hat versagt. Und das, obwohl die Gefahr bioterroristischer Anschläge wächst. ... Jan van Aken,Biowaffenexperte: "Wenn ein Terrorist sehr viele Menschen treffen will, braucht er sehr, sehr umfangreiches Wissen. Das kann er nur aus staatlichen Programmen haben. Wenn wir mit Hilfe der Biowaffenkonvention staatliche Programme verhindern, verhindern wir auch große bioterroristische Angriffe."

Deutschland ist auf biologische Terroranschläge nur schlecht vorbereitet. Das hat sich im letzten Jahr gezeigt. Und da war es noch falscher Alarm. Jetzt haben die Amerikaner das Signal zum biologischen Wettrüsten gegeben und die deutsche Regierung hält still.


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