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Unsichtbare Bomben

Die dual-use-Möglichkeiten der Gentechnik steigern die Bedrohung durch biologische Waffen und machen wirkungsvollere Kontrollen im Rahmen des B-Waffen-Abkommens dringlich

Von Kathryn Nixdorff

Die meisten Mikroorganismen sind gutartig; sie bereichern unser Leben und sind sogar zum Teil lebenswichtig für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Einige dieser unsichtbaren Lebewesen können jedoch Infektionskrankheiten verursachen und werden biologische bzw. pathogene Agenzien genannt. Unter diesen pathogenen Mikroorganismen sind auch potentielle biologische Waffen zu finden, die in verschiedene Gruppen eingeordnet werden (vgl. Tabelle 1). Die Bakterien sind kleinste Lebewesen mit einer relativ einfachen Zellstruktur, und sie vermehren sich durch Zweiteilung.

Rickettsien sind ebenfalls Bakterien, sie vermehren sich jedoch nur in tierischen Zellen, da ihnen einige essentielle Zellstoffe (Stoffwechselmetaboliten) fehlen, die sie von ihrer Wirtszelle aufnehmen. Den Viren fehlen praktisch die gesamten biosynthetischen Kapazitäten lebender Zellen und sind deshalb nicht als Lebewesen zu betrachten. Auch sie können sich nur in Zellen vermehren, und ihre Nukleinsäuren veranlassen die Zellen, neue Viruspartikel zu produzieren. Toxine sind keine Mikroorganismen sondern giftige Substanzen, die von Lebewesen produziert werden. Toxine können sich nicht vermehren, und als potentielle Biowaffen werden sie wie chemische Kampfmittel eingesetzt. Sie sind jedoch teilweise viel giftiger als chemische Mittel; das Botulinumtoxin ist zum Beispiel etwa 10 000fach giftiger als das Nevengas VX.

Die Biologische und Toxinwaffenkonvention (Biological and Toxin Weapons Convention, BTWC) von 1972, festgehalten in der UNO-Resolution 2826, war das erste internationale Übereinkommen, das eine ganze Klasse von Massenvernichtungswaffen verbannt hat. In Paragraph 1 verpflichten sich die Vertragsstaaten, "mikrobiologische und andere biologische Agenzien oder Toxine, ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Herstellungsmethode, von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind", niemals zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben.

Diese umfassend formulierten Verbote bilden das sogenannte Grundsatzkriterium (General Purpose Criterion), das jede Beschäftigung mit biologischen Agenzien für nicht-friedliche Zwecke verbietet. Gleichzeitig erlaubt es jede Beschäftigung mit diesen Agenzien für zivile Zwecke. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung der BTWC wurden jedoch keine effektiven Verifikationsmaßnahmen in die Konvention aufgenommen, die eine Überprüfung der Vertragstreue ermöglichen könnten. Dies lag zum Teil an den Schwierigkeiten, solche Maßnahmen überhaupt zu verhandeln, aber auch an der falschen Vorstellung, dass biologische Waffen (BW) aus militärischer Sicht in ihrer Nutzbarkeit limitiert wären. Biologische Waffen (speziell die Verursacher von Infektionskrankheiten) sind aufgrund ihrer Eigenschaften schwer einschätzbar. Ihre Wirkungen können nicht so präzise wie bei anderen Waffenarten vorausgesagt werden, und sie können leicht außer Kontrolle geraten.

Weltweite Bio-Waffen-Programme seit dem BTWC-Abkommen

Irak
Mittlerweile haben sich die Vorstellungen über die mögliche militärische Nutzung biologischer Waffen stark verändert. Nach dem Golfkrieg 1990-1991 offenbarten Untersuchungen der United Nations Special Commission (UNSCOM), dass der Irak ein bedeutendes Rüstungsprogramm für biologische Waffen besitzt. In Zusammenhang mit diesem Programm hat der Irak 1986 Forschungen über mehrere pathogene biologische Agenzien intensiviert (vgl. Tabelle 2). 1990 wurde im Irak in erheblichen Mengen mit der Produktion von Agenzien begonnen. Diese Agenzien wurden in Munition gefüllt und auf ihre Wirkungen hin getestet.

Ferner wurden die Wirkungen der Agenzien in Form von Aerosolen geprüft. Aerosole sind in der Luft verteilte Partikel, die eingeatmet werden können. Um über diesen Weg der Ausbringung als biologische Waffen wirksam zu sein, müssen die Partikel einen Durchmesser zwischen 0,5 und 5 Mikrometer haben. Nur so werden diese wirkungsvoll in den Lungen zurückgehalten und können dort einwirken. Kleinere Partikel werden ausgeatmet, größere im Nasen- und Rachenraum gespeichert und gelangen dadurch nicht in die Lungen. Partikel in der wirksamsten Größe werden durch speziale Aerosol-Generatoren erzeugt.

Sowjetunion
1992 hat der damalige russische Präsident Boris Jeltsin zugegeben, dass die frühere Sowjetunion in der Zeit von 1946 bis März 1992 ein offensives und umfangreiches biologisches Waffenprogramm in mehreren Einrichtungen der Sowjetunion durchgeführt hat (vgl. Tabelle 3). Anfang der neunziger Jahren haben einige Überläufer (darunter Vladimir Pasechnik, Direktor des Institute of Ultrapure Biological Preparations in Leningrad, sowie Ken Alibek, Vizedirektor des Biopräparat-Komplexes) vom Umfang dieser Aktivitäten berichtet. In diesem Programm wurde mit vielen der in Tabelle 1 aufgeführten Agenzien gearbeitet. Einige davon wurden waffentauglich gemacht und auf ihre Vernichtungseffekte getestet. Auch gentechnische Experimente mit einigen Krankheitserregern soll es gegeben haben.

Über diese bewiesenen Aktivitäten hinaus wird in US-Geheimdienstquellen vermutet, dass derzeit mindestens zehn weitere Staaten offensive biologische Waffenkapazitäten entwickeln. Solche Überlegungen erwecken ernsthafte Zweifel an der Effektivität einer biologischen Waffenkonvention ohne unterstützende Verifikationsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang verhandelt zur Zeit eine Ad Hoc Gruppe der Vertragsstaaten über ein Protokoll mit rechtsverbindlichem Charakter, das Überprüfungsvereinbarungen beinhaltet und der Konvention hinzugefügt werden soll.

Waffenfähige Gentechnologie

Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte wurde die Biotechnologie durch die Molekularbiologie und die Gentechnik revolutioniert. Auf der einen Seite können diese Technologien durchaus friedlichen Zwecken dienen, andererseits aber auch zur Entwicklung und Herstellung biologischer Waffen missbraucht werden.

Kurz nach Abschluss der BTWC-Verhandlungen wurde das erste erfolgreiche gentechnische Experiment durchgeführt. Diese Entwicklung wurde bald als potentielle Bedrohung bei der Kontrolle biologischer Waffen erkannt und schürte die Angst, dass vollkommen neue, für die Kriegführung geeignetere Arten von Mikroorganismen hergestellt werden könnten. Als Folge intensivierte sich die Forschung im Bereich der biologischen Abwehr.

Seit der Entwicklung des genetic engineering wurden vier Kategorien der Manipulation oder Modifikation von Mikroorganismen als relevant für die Herstellung von biologischen Waffen:
  • die Erhöhung der Antibiotikaresistenz in Mikroorganismen,
  • die Modifikation der Antigendomänen von Mikroorganismen; (Veränderung der Spezifität, auf der der Impfschutz basiert),
  • die Modifikation der Stabilität der Mikroorganismen gegenüber ihrer Umwelt,
  • der Transfer pathogener (krankheitserregender) Eigenschaften in Mikroorganismen.

Dual-use Forschungen

Alle vier Arten von Manipulationen sind durchaus möglich und werden in der heutigen biologischen Forschung auch durchgeführt. Um Infektionskrankheiten effektiv zu bekämpfen, ist es notwendig, die Mechanismen der krankmachenden Prozesse zu durchschauen. Eine Vielzahl von Informationen wurden erst im vergangenen Jahrzehnt gesammelt. Immer deutlicher wird, dass bei derartigen Prozessen viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, und kein System wird bisher in seiner Gesamtheit verstanden. Die Produktion eines Toxins könnte beispielsweise für den krankmachenden Prozess ausschlaggebend sein; es wird jedoch nur zusammen mit anderen, weniger gut definierten Faktoren wirksam, die das Eindringen der Mikroorganismen in den Wirt erlauben. Dass manipuliert werden kann, sagt nichts darüber aus, ob diese Manupulation die gewünschte Wirkung im Kontext effektiverer biologischer Waffen haben wird.

Ein Beispiel kann diesen Tatbestand verdeutlichen. In einem aktuellen Versuch wurde ein Toxingen von dem pathogenen Bakterium Listeria monocytogenes in das relativ harmlose Bodenbakterium Bacillus subtilis übertragen. Das so manipulierte Bacillus subtilis konnte zwar das Toxin in Kultur produzieren, wirkte jedoch avirulent (harmlos, nicht infektiös), wenn es in Mäuse injiziert wurde. Weitere, ähnliche Versuche unterstützen die These, dass es äußerst schwierig ist, einen harmlosen Mikroorganismus durch die Übertragung von Krankheitsmerkmalen virulent zu machen.

Andererseits konnte die Virulenz eines schwach pathogenen Bakteriums (Bordatella parapertussis) durch die Übertragung eines Toxingens von Bordatella pertussis (Verursacher von Keuchhusten) verstärkt werden. Dies war offensichtlich nur deswegen möglich, weil Bordatella parapertussis schon einige schwach pathogene Eigenschaften in sich trägt. In einem anderen Fall hat eine Forschergruppe das hämolytische Toxin von Bacillus cereus (normalerweise ein nicht-pathogenes Bodenbakterium; einige Stämme können jedoch eine Lebensmittelvergiftung verursachen) in einen virulenten Stamm von Bacillus anthracis übertragen.Die Forscher teilten mit, mit dieser Arbeit mögliche Änderungen in den immunogenen (also Immunantwort provozierende) Eigenschaften solcher gentechnisch veränderter Stämme untersuchen zu wollen. Das Resultat war jedoch unerwartet: Tiere, die gegen Milzbrand geimpft waren, erwiesen sich gegen die Infektion mit diesem manipulierten Stamm von Bacillus anthracis nicht geschützt.

Die potentiellen Gefahren, die mit einigen biologischen Forschungen verbunden sein können, werden durch Untersuchungen aus dem Bereich der Immunologie besonders deutlich. Die Zeitschrift New Scientist sorgte mit der Schlagzeile für Aufregung, dass bei der Herstellung eines Virus, der an Mäusen getestet werden sollte, ein sogenanntes "Killervirus" sich um ein Haar in eine ultimative Biowaffe verwandelt habe.

Berichtet wurde über die Versuche australischer Wissenschaftler, die mit einer Verstärkung der Antikörperproduktion die Schwangerschaft bei Mäusen zu verhindern versuchten. Dabei wurde ein entsprechendes Gen in das Genom eines Mauspockenvirus eingesetzt. Nach der Infektion von Mäusen mit diesem Virus sollte das Eizellenprotein produziert und Antikörper dagegen hervorgerufen werden. In dieser Hinsicht verlief das Experiment erfolgreich, allerdings mit der ungewollten "Nebenwirkung", dass dabei die für die Virusbekämpfung notwendigen T-Helfer-Zellen unterdrückt wurden. Das hatte zur Folge, dass die behandelten Mäuse vom Pockenvirus getötet wurden. Dieses Resultat war um so unvorhersehbarer, als dass die Mäuse gegen das Virus eigentlich resistent waren und erst die Einfügung des neuen Gens ein "Killervirus" erzeugte, das den virusbekämpfenden Teil des Immunsystems lahm legte. Im Falle der Mäusepocken hätten wir nichts zu befürchten gehabt, weil diese sich nicht auf Menschen übertragen. Doch es wird befürchtet, dass ähnliche Manipulationen mit dem menschlichen Pockenvirus durchgeführt werden könnten.

Der "Unfall" mit dem Killer-Pockenvirus jedenfalls verweist eindrücklich auf die Gefahren, die in der missbräuchlichen Nutzung biotechnologischer Forschungen liegen. Kriterien für die präventive Rüstungskontrolle zeigen, dass derartige Entwicklungen bereits im Forschungsstadium überwacht werden müssen. Wenn das Biowaffen-Abkommen überhaupt eine Wirkung entfalten soll, muss es durch ein effektives Verifikationsprotokoll, das Kontroll- und Überprüfungs-Maßnahmen fixiert und die Forschung transparent macht, gestärkt werden.

Dr. Kathryn Nixdorff ist Mikrobiologin und insbesondere im Bereich Mikroimmunologie tätig. Die amerikanische Wissenschaftlerin ist derzeit Professorin am Institut für Mikrobiologie und Genetik an der Universität Darmstadt und Mitglied der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS). Es handelt sich um die modifizierte Fassung eines Vortrags, den Kathryn Nixdorff vergangene Woche auf einer Interdisziplinären Tagung zum Thema "Genpool, Menschenpark, Freizeitkörper" anlässlich des "Steirischen Herbstes" in Graz vorgetragen hat.

Aus: Freitag, Nr. 43, 19. Oktober 2001

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